Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 2. April 2009
Aktenzeichen: 4 U 217/08
(OLG Hamm: Urteil v. 02.04.2009, Az.: 4 U 217/08)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem Urteil entschieden, dass das Versäumnisurteil des Landgerichts Bielefeld gegen die Klägerin zu Unrecht ergangen ist. Das Landgericht hatte den Einspruch der Klägerin als unzulässig verworfen. Das Oberlandesgericht entschied jedoch, dass die Einspruchsfrist gewahrt wurde, da das Versäumnisurteil der Klägerin erst am 18. September 2008 zugestellt wurde. Das Landgericht hatte Zweifel an diesem Zustellungsdatum und argumentierte, dass das Urteil bereits vor dem 18. September zugestellt worden sein müsse. Das Oberlandesgericht betonte jedoch, dass diese Zweifel nicht ausreichen, um das Zustellungsdatum in Frage zu stellen. Das Versäumnisurteil habe erst dann als zugestellt gegolten, als der Prozessbevollmächtigte der Klägerin es tatsächlich in Händen gehalten habe und es als zugestellt gelten lassen wollte. Das Landgericht habe keine konkreten Anhaltspunkte dafür präsentiert, dass der Klägervertreter das Versäumnisurteil vor dem 18. September in Händen hatte. Das Landgericht habe lediglich Vermutungen angestellt, ohne einen konkreten früheren Zustellungstermin festlegen zu können. Das Oberlandesgericht kam daher zu dem Schluss, dass die Zustellung des Versäumnisurteils nicht ordnungsgemäß erfolgt ist und dass der Einspruch der Klägerin nicht verworfen, sondern über ihn verhandelt werden sollte. Das Oberlandesgericht verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Die Kostenentscheidung bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Hamm: Urteil v. 02.04.2009, Az: 4 U 217/08
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das am 3. November 2008 verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld und das ihm zugrundeliegende Verfahren aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien vertreiben über das Internet Elektronikartikel. Der Beklagte bewarb bei F Angebote vom 5. November 2007. Es wurde ein europaweiter Versand angeboten. So heißt es in dem Internetangebot: "Wir verschicken in das gesamte europäische Ausland. Die Verpackungs- und Versandkosten für Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft entnehmen Sie bitte unten. Für die restlichen europäischen Länder berechnen wir folgende Verpackungs- und Versandkosten:
bis 2 kg: 23,00 € - bis 6 kg: 26,00 € - bis 10 kg: 30,00 € - bis 20 kg: 39,00 € - bis 31,5 kg: 44,00 €."
Die Klägerin hielt die Angabe der Versandkosten für die europäischen Länder außerhalb der EU für nicht ausreichend, weil den Angeboten vom 5. November 2007 keine Gewichtsangaben beigefügt waren.
Nach erfolgloser Abmahnung hat die Klägerin mit der Klage folgende Anträge angekündigt:
1. Dem Beklagten wird es bei Meidung eines hiermit für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedrohten Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten
untersagt,
wie in den F-Angeboten mit den Artikelnummern ...... und ...... vom 05.11.2007 geschehen, im geschäftlichen Verkehr mit Endverbrauchern im Fernabsatz Angebote von Waren aus dem Sortiment Elektronikartikel zu veröffentlichen und/oder zu unterhalten und/oder hieran mitzuwirken, ohne bei der Benennung des Preises für den Auslandsversand, wenn dieser angeboten wird, leicht erkennbar und deutlich lesbar oder sonst gut wahrnehmbar anzugeben, in welcher Höhe Versandkosten anfallen und allein für den Fall, dass die Angabe dieser Kosten nicht möglich ist, die näheren Einzelheiten der Berechnung anzugeben, auf Grund derer der Letztverbraucher die Höhe leicht errechnen kann.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 911,80 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins p.a. hieraus seit 17.11.2007 zu bezahlen.
3. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin detailliert und spezifiziert Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang er Handlungen laut Ziffer 1 begangen hat und welche Umsätze er hierdurch erzielt hat.
4. Es wird festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin allen Schaden zu ersetzen hat, der dieser durch Handlungen lt. Ziffer 1 entstanden ist oder noch entstehen wird.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat die Abmahnung der Klägerin für rechtsmissbräuchlich gehalten und mit näheren Einzelheiten darauf verwiesen, dass er von der Klägerin zwischen August 2006 und dem 15. Februar 2008 fünfmal abgemahnt worden sei. Die Klägerin habe die von ihr gerügten Wettbewerbsverstöße trotz Kenntnis nicht zusammen abgemahnt, sondern aufgespalten, um mit den Abmahnungen Geld zu machen.
Darüber hinaus sei die Klage auch unbegründet. Den Verbrauchern sei bei den gerügten Angeboten klar gewesen, dass die angebotenen Artikeln in die unterste Gewichtsklasse fielen. Deshalb habe er von der Angabe einer Gewichtsangabe absehen können.
Die Klägerin bewarb ihrerseits am 28. Oktober 2007 ein Angebot auf der Handelsplattform F. Dabei beschränkte sie sich auf die Bekanntgabe der Versandkosten für die Europäische Union, obwohl der Versand nach ganz Europa angeboten worden ist.
Der Beklagte hat deswegen Widerklage erhoben und folgende Anträge angekündigt,
1.) der Klägerin zu untersagen, so wie geschehen in ihrem Verkaufsangebot vom 28.10.2007 auf der Handelsplattform F unter der Artikelnummer ......, im geschäftlichen Verkehr mit dem Endverbraucher im Fernabsatz Angebote von Waren aus dem Sortiment Elektronikartikel zu veröffentlichen oder zu unterhalten, ohne dabei für den Versand ins europäische Ausland außerhalb der Europäischen Union anzugeben, in welcher Höhe Versandkosten anfallen.
2.) der Klägerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung die Festsetzung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro und, wenn dies nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten anzudrohen, die Ordnungshaft zu vollstrecken an ihrem jeweiligen Geschäftsführer.
3.) Die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten 651,80 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Erhebung der Widerklage zu zahlen.
Das Landgericht hatte Termin auf den 7. August 2008 anberaumt. Am 6. August 2008 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, den Termin wegen Erkrankung des alleinigen Sachbearbeiters zu verschieben. Die anderen Anwälte der Kanzlei seien ebenfalls nicht in der Lage, den Termin wahrzunehmen.
Dieses Fax, das nicht nachrichtlich an die Prozessbevollmächtigten des Beklagten versandt worden war, wurde dem Vorsitzenden am Verhandlungstag um 8.40 Uhr vorgelegt. Er setzte sich lt. Protokoll vom 7. August 2008 daraufhin mit dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten telefonisch in Verbindung. Dieser befand sich bereits auf dem Weg nach C. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten bat deshalb über sein Büro die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, einen in C ansässigen Anwalt mit der Wahrnehmung des Termins zu beauftragen. Dies geschah nicht.
Auf Antrag des Beklagten hat das Landgericht am 7. August 2008 gegen die Klägerin ein Versäumnisurteil erlassen und darin wie folgt für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, es zu unterlassen, so wie geschehen in ihrem Verkaufsangebot vom 28.10.2007 auf der Handelsplattform F unter der Artikelnummer ......, im geschäftlichen Verkehr mit dem Endverbraucher im Fernabsatz Angebote von Waren aus dem Sortiment Elektronikartikel zu veröffentlichen oder zu unterhalten, ohne dabei für den Versand ins europäische Ausland außerhalb der Europäischen Union anzugeben, in welcher Höhe Versandkosten anfallen,
der Klägerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung die Festsetzung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000, € und, wenn dies nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht, die Ordnungshaft zu vollstrecken an ihrem jeweiligen Geschäftsführer,
die Klägerin wird ferner verurteilt, an den Beklagten 651,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.06.2008 zu zahlen.
Am 11. August 2008 ist die Übersendung des Versäumnisurteils an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis verfügt worden. Am 8. September 2008 und erneut am 15. September 2008 sind die Prozessbevollmächtigten der Klägerin um umgehende Rücksendung des Empfangsbekenntnisses gebeten worden.
Das Empfangsbekenntnis ist versehen mit dem Eingangsdatum 18. September 2008 an diesem Tag per Fax beim Landgericht eingegangen.
Mit Faxschreiben vom 2. Oktober 2008 hat die Klägerin gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt. Sie hat den mit der Widerklage geltend gemachten Verstoß als einmaliges Versehen dargestellt, der auf einer technischen Panne beruht habe. Ein solcher schuldloser Verstoß begründe keine Wiederholungsgefahr. Jedenfalls sei die Wesentlichkeitsschwelle des § 3 UWG nicht überschritten. Ferner hat die Klägerin den Einwand der "unclean hands" erhoben und das Abmahnverhalten des Beklagten als rechtsmissbräuchlich bezeichnet.
Die Klägerin hat ferner gerügt, dass das Versäumnisurteil nicht in rechtmäßiger Weise ergangen sei. Dazu hat die Klägerin in Abrede gestellt, dass an die Sekretärin ihrer Anwälte die Bitte herangetragen worden sei, einen Bielefelder Anwalt für die Klägerseite auftreten zu lassen. Da die Säumnis entschuldigt gewesen sei, habe kein Versäumnisurteil ergehen dürfen.
Das Landgericht hat der Klägerin aufgegeben, bis zum 24. Oktober 2008 im Einzelnen zum Zugang des Versäumnisurteils vorzutragen. Es hat die Parteien darauf hingewiesen, dass die Entscheidung zur Statthaftigkeit des Einspruchs durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ergehen könne. Dazu hat das Landgericht den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Der Beklagte hat daraufhin beantragt,
den Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil vom 7. August 2008 als unzulässig zu verwerfen und dabei durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
Das Landgericht hat sodann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil vom 28. Oktober 2008 den Einspruch der Klägerin vom 2. Oktober 2008 gegen das Versäumnisurteil der Kammer vom 7. August 2008 als unzulässig verworfen. Zwar sei die Einspruchsfrist gewahrt, wenn das Versäumnisurteil dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin tatsächlich erst am 18. September 2008 zugestellt worden sei. Das Gericht sei aber davon überzeugt, dass das Versäumnisurteil den Prozessbevollmächtigten zeitlich früher zugegangen sei. Die Geschäftsstelle habe lediglich eine Zustellung des Versäumnisurteils veranlasst, und zwar die vom 11. August 2008. Das am 11. August 2008 zur Post aufgegebene Versäumnisurteil sei dem Prozessbevollmächtigten mithin auch zugegangen. Bei einer üblichen Postlaufzeit von zwei bis drei Tagen und eines etwaigen Sicherheitszuschlages sei die Zustellung spätestens am 23. August 2008 erfolgt, auf jeden Fall aber noch vor dem 18. September 2008. Bereits mit Schreiben vom 8. September 2008 habe die Geschäftsstelle den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Rückgabe des Empfangsbekenntnisses aufgefordert. Wäre das Versäumnisurteil dem Prozessbevollmächtigten zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugegangen, so hätte es sich ihm aufgedrängt, auf den fehlenden Zugang des Versäumnisurteils hinzuweisen. Dies sei nicht geschehen. Erst auf die zweite Aufforderung hin habe der Prozessbevollmächtigte das Empfangsbekenntnis schließlich am 18. September 2008 zurückgereicht. Dass unmittelbar nach dem Zugang der zweiten Aufforderung der Geschäftsstelle, das Empfangsbekenntnis zurückzureichen, erst der Zugang des Versäumnisurteils erfolgt sei, erscheine gänzlich fernliegend.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie die Aufhebung des Versäumnisurteils, die Abweisung der Widerklage und die Verurteilung des Beklagten nach den erstinstanzlichen Anträgen begehrt.
Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages ist die Klägerin der Ansicht, dass das angefochtene Urteil des Landgerichts einer rechtlichen Prüfung nicht standhalte. Das Landgericht habe von dem auf dem Empfangsbekenntnis angegebenen Datum als Zustellungsdatum ausgehen müssen. Unerheblich sei, wann das Urteil im Büro des Empfängers eingegangen sei. Der Klägervertreter habe das Versäumnisurteil jedenfalls erst am 18. September 2008 mit Empfangswillen entgegengenommen. Erst damit habe sich die Zustellung des Versäumnisurteils vollendet.
Zudem sei dieses Versäumnisurteil auch nicht in rechtmäßiger Weise zustandegekommen. Denn die plötzliche Erkrankung des Klägervertreters sei ein Entschuldigungsgrund gewesen.
Die Klägerin beantragt,
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des LG Bielefeld vom 28.10.2008 (AZ: 12 O 85/08) und das Versäumnisurteil vom 07.08.2008 aufgehoben.
II. 1. Dem Beklagten wird es bei Meidung eines hiermit für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedrohten Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten
untersagt,
wie in den F-Angeboten mit den Artikelnummern ...... und ...... vom 05.11.2007 geschehen, im geschäftlichen Verkehr mit Endverbrauchern im Fernabsatz Angebote von Waren aus dem Sortiment Elektronikartikel zu veröffentlichen und/oder zu unterhalten und/oder hieran mitzuwirken, ohne bei der Benennung des Preises für den Auslandsversand, wenn dieser angeboten wird, leicht erkennbar und deutlich lesbar oder sonst gut wahrnehmbar anzugeben, in welcher Höhe Versandkosten anfallen und allein für den Fall, dass die Angabe dieser Kosten nicht möglich ist, die näheren Einzelheiten der Berechnung anzugeben, auf Grund derer der Letztverbraucher die Höhe leicht errechnen kann.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 911,80 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins p.a. hieraus seit 17.11.2007 zu bezahlen.
3. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin detailliert und spezifiziert Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang er Handlungen laut Ziffer 1 begangen hat und welche Umsätze er hierdurch erzielt hat.
4. Es wird festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin allen Schaden zu ersetzen hat, der dieser durch Handlungen lt. Ziffer 1 entstanden ist oder noch entstehen wird.
5. Die Widerklage wird abgewiesen.
Der Beklagte beantragt unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Inhaltes der Parteivorträge im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig. Auch Urteile, die einen Einspruch gegen ein Versäumnisurteil nach § 341 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig verwerfen, sind wie jede anderen Endurteile auch gem. § 511 ZPO mit der Berufung anfechtbar (Zöller, ZPO § 341 Rz. 13 m.w.N.).
Die Berufung der Klägerin ist auch begründet. Denn das Landgericht hat den Einspruch durch das angefochtene Urteil zu Unrecht als verfristet verworfen.
Das Landgericht geht selbst davon aus, dass der Einspruch rechtzeitig ist, wenn man das Datum des Empfangsbekenntnisses vom 18. September 2008 (vgl. Fotokopie Bl. 38 d.A.) als Zustellungsdatum zugrunde legt. Es hat nur gemeint, dass dieses Datum nicht stimmen könne. Nach dem Gesamtablauf der Dinge müsse das Versäumnisurteil dem Klägeranwalt früher zugestellt worden sein.
Damit hat das Landgericht aber die Beweiskraft eines solchen Empfangsbekenntnisses verkannt. Es muss nämlich der volle Gegenbeweis geführt werden, dass das im Empfangsbekenntnis angegebene Zustellungsdatum tatsächlich nicht stimmt. Bloße Zweifel reichen zur Entkräftung des Empfangsbekenntnisses nicht aus (BVerfG NJW 2001, 1563; BGH NJW 2006, 1206; Thomas/Putzo ZPO § 174 Rz. 8; Münchener Kommentar ZPO § 174 Rz. 13).
Dieser volle Gegenbeweis ist im vorliegenden Fall aber nicht geführt worden. Es mag durchaus sein, dass das Versäumnisurteil bereits vor dem 18. September 2008 in der Kanzlei des Klägervertreters angekommen ist. Das reicht zur Zustellung jedoch nicht aus. Nach allgemeiner Meinung (vgl. die obigen Zitate) ist die Zustellung nämlich erst dann bewirkt, wenn der Verfahrensbevollmächtigte der Partei das Urteil als an ihn zugestellt gelten lassen will. Dafür reicht es nicht aus, dass das Urteil in der Post der Kanzlei ankommt. Dafür, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin das Versäumnisurteil schon vor dem 18. September 2008 zustellungsbereit in Händen gehalten hat, gibt es keine konkreten Anhaltspunkte. Das Landgericht hat insoweit bloße Vermutungen aufgestellt, was sich auch daran zeigt, dass der angeblich frühere Zustellungstermin datumsmäßig genau nicht festgemacht worden ist und auch nicht festgemacht werden kann. Die Überlegungen des Landgerichts mögen dabei durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Der nötige volle Gegenbeweis ist jedenfalls damit nicht geführt.
Mithin hätte das Landgericht den Einspruch der Klägerin nicht verwerfen dürfen, sondern nach § 341 a ZPO Termin zur Verhandlung über den Einspruch ansetzen müssen.
§ 538 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO eröffnet für diesen Fall die Möglichkeit der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Gericht des ersten Rechtszuges, dass nämlich durch das angefochtene Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen worden ist.
Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Zurückverweisung sind vorliegend erfüllt.
Die Klägerin hat gem. § 538 Abs. 2 S. 1 a.E. ZPO die Zurückverweisung des Rechtsstreits beantragt. Soweit sie eine Zurückverweisung an eine andere Kammer des Landgerichts angeregt hat, besteht dazu keine Veranlassung. Denn die Verfahrensweise des Landgerichts ist nicht unverständlich.
Es ist hier auch gem. § 539 Abs. 2 S. 1 ZPO eine weitere Verhandlung erforderlich. Bislang ist nämlich in erster Instanz überhaupt noch nicht streitig verhandelt worden. Die Klägerin war vor dem Landgericht säumig. Auf der Grundlage des vom Landgericht beschiedenen Prozessstoffes, der nur die Zustellung an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin betrifft, kann noch keine endgültige Entscheidung getroffen werden.
Für eine Zurückverweisung spricht ferner, dass das Versäumnisurteil nach § 337 ZPO nicht hätte ergehen dürfen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte sich wegen Krankheit bereits am Tag vor dem Termin entschuldigt. Dass diese Entschuldigung dem Richter verspätet vorgelegt worden ist, kann dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht angelastet werden. Mithin war er schuldlos an der Terminswahrnehmung gehindert, so dass gem. § 337 ZPO hätte vertragt werden müssen. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Versäumnisurteil wirkungslos ist. Es muss ebenfalls mit dem Einspruch angegriffen werden. Lediglich die Kostenfolge des § 344 ZPO greift nicht ein (Münchener Kommentar ZPO § 337 Rz. 26).
Die Entscheidung über die Kosten auch des Berufungsverfahrens ist dem Landgericht ebenfalls zu übertragen, weil auch die Verteilung dieser Kosten vom endgültigen Ausgang des Rechtsstreits abhängt.
OLG Hamm:
Urteil v. 02.04.2009
Az: 4 U 217/08
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