BSozialgericht:
Urteil vom 27. Januar 2009
Aktenzeichen: B 7/7a AL 20/07 R

(BSG: Urteil v. 27.01.2009, Az.: B 7/7a AL 20/07 R)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das BSozialgericht hat in einem Urteil vom 27. Januar 2009 entschieden, dass das Haftungsrisiko des Rechtsanwalts im Verfahren mit Betragsrahmengebühr keine eigene Gebühr rechtfertigt, sondern lediglich eines von mehreren Kriterien für deren Bemessung ist. In dem vorliegenden Fall ging es um die Erstattung von Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 58 Euro. Die Klage des Klägers wurde sowohl vom Sozialgericht als auch vom Landessozialgericht abgewiesen. Die Gebühr für das Haftungsrisiko seines Rechtsanwalts wurde von der Beklagten nicht erstattet. Der Kläger erhob daraufhin Revision und argumentierte, dass ihm eine zusätzliche Gebühr für das Haftungsrisiko zustehe. Das BSozialgericht wies die Revision jedoch als unbegründet zurück. Es stellte klar, dass eine eigenständige Gebühr für das Haftungsrisiko nicht vorgesehen ist, da sie nicht im Vergütungsverzeichnis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes aufgeführt ist. Es gab auch zu bedenken, dass das Haftungsrisiko lediglich ein Kriterium für die Bemessung der Rahmengebühr ist. Eine höhere Gebühr als 240 Euro, wie vom Kläger gefordert, kam im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Das Gericht führte aus, dass es sich bei dem Fall um eine durchschnittliche Angelegenheit handelte und eine höhere Gebühr somit nicht gerechtfertigt war. Die Entscheidung des Gerichts beruhte auf den Bestimmungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und des Sozialgesetzbuchs.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BSG: Urteil v. 27.01.2009, Az: B 7/7a AL 20/07 R


Das Haftungsrisiko des Rechtsanwalts rechtfertigt im Verfahren mit Betragsrahmengebühr keine eigene Gebühr, sondern ist lediglich eines von mehreren Kriterien für deren Bemessung.

Tatbestand

Im Streit sind weitere (58 Euro) von der Beklagten zu erstattende Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Die Beklagte hatte wegen eines angeblichen Meldeversäumnisses des Klägers den Anspruch auf Arbeitslosengeld für sieben Tage gemindert (in Höhe von insgesamt 108,36 Euro). Nachdem der Kläger - vertreten durch seine Rechtsanwälte - hiergegen Widerspruch erhoben hatte, hob die Beklagte den Bescheid jedoch im Wege der Abhilfe wieder auf. Für ihre Tätigkeit berechneten die Prozessbevollmächtigten dem Kläger ua neben der Geschäftsgebühr (240 Euro) eine "Gebühr Zuschlag Haftungsrisiko nach § 14 Abs 1 Satz 3 RVG" in Höhe von 50 Euro zzgl Umsatzsteuer (USt), insgesamt einen Betrag von 359,60 Euro. Die Beklagte erstattete dem Kläger die Gebühren und Auslagen seiner Prozessbevollmächtigten - mit Ausnahme der Gebühr für das Haftungsrisiko - in Höhe von 301,60 Euro (Bescheid vom 24. August 2005; Widerspruchsbescheid vom 31. August 2005).

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Klage auf zusätzliche 58 Euro abgewiesen (Urteil vom 26. Juli 2006), das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 29. Januar 2007). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, wegen des erfolgreichen Widerspruchsverfahrens habe die Beklagte die notwendigen Aufwendungen für den Prozessbevollmächtigten des Klägers zu erstatten, dessen Umfang sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) richte. Die von der Beklagten anerkannte Gebühr sei nicht um einen Zuschlag für das Haftungsrisiko zu erhöhen; denn es handele sich dabei nicht um eine gesonderte Gebühr, sondern lediglich um eine Gebührenbemessungsgrundlage. Ein im Mandat des Prozessbevollmächtigten des Klägers verwirklichtes besonderes Haftungsrisiko habe weder dem Grunde noch der Höhe nach vorgelegen. Die "hilfsweise" geltend gemachte Überschreitung der "Mittelgebühr" um 50 Euro auf 290 Euro liege wegen Unbilligkeit nicht im Rahmen des dem Bevollmächtigten eingeräumten Bestimmungsermessens.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 14 Abs 1 Satz 3 RVG. Sowohl der Wortlaut als auch der Sinn und Zweck dieser Norm sprächen dafür, dass eine zusätzliche Gebühr für das Haftungsrisiko zur Betragsrahmengebühr gefordert werden könne. Vorliegend erscheine der Ansatz einer Gebühr in Höhe von 50 Euro (zzgl USt) angemessen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG und unter Änderung des Bescheids der Beklagten vom 24. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2005 zu verurteilen, weitere 58 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Gründe

Die Revision ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitere 58 Euro.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 24. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2005 (§ 95 SGG), soweit die Beklagte darin die Erstattung weiterer 58 Euro abgelehnt hat. Hiergegen wehrt sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG). Da die Klage ohnedies keinen Erfolg hat, wie noch auszuführen sein wird, kann dahinstehen, ob der Kläger nicht über die Anfechtungs- und Leistungsklage hinaus zusätzlich eine Verpflichtungsklage dahin hätte erheben müssen bzw ob seine Klage bei erweiternder Auslegung so zu verstehen wäre, dass die Beklagte auch verurteilt werden soll, gemäß § 63 Abs 3 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) die Zuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig zu erachten. Bislang ist diese Feststellung jedenfalls nicht ausdrücklich, sondern allenfalls inzident mit der Bewilligung eines Erstattungsbetrags in Höhe von 301,60 Euro ausgesprochen worden.

In der Sache ist zwar ein höherer Erstattungsbetrag unter Zugrundelegung aller rechtlichen Gesichtspunkte im Streit; jedoch hat die Beklagte mit Ausnahme der geltend gemachten Gebühr für einen Zuschlag "Haftungsrisiko" einschließlich USt (insgesamt 58 Euro) alle vom Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Kläger geltend gemachten Positionen (Geschäftsgebühr, Auslagenpauschale und 16 % USt) zu Recht anerkannt und weitere Gebühren bzw Auslagen kommen nicht in Betracht. Einen Anspruch auf Erstattung weiterer notwendiger Aufwendungen wegen des erfolgreichen Widerspruchs (§ 63 SGB X) besitzt der Kläger nicht.

Insbesondere kann er keine 58 Euro unter dem Gesichtspunkt einer zusätzlichen eigenständigen Gebühr "Haftungsrisiko" seines Prozessbevollmächtigten nach dem RVG verlangen. Zwar ist das ab 1. Juli 2004 geltende RVG vorliegend anwendbar (vgl § 61 Abs 1 Satz 1 RVG); jedoch steht den Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen diesen bereits deshalb keine selbständige Gebühr zu, weil die geforderte Gebühr für das Haftungsrisiko nicht in dem als Anlage 1 dem RVG beigefügten Vergütungsverzeichnis (VV) aufgeführt ist. Dies wäre jedoch nach der Systematik des RVG erforderlich gewesen (vgl § 2 Abs 2 RVG).

Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich eine eigenständige Gebühr insbesondere nicht aus dem hier anwendbaren (vgl dazu später) § 14 Abs 1 RVG. Danach bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen (Satz 1). Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden (Satz 2). Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3).

Nach Systematik und Struktur dieser Norm enthält § 14 Abs 1 Satz 3 RVG keinen eigenen Gebührentatbestand im Sinne einer Haftungsgebühr; das Haftungsrisiko ist vielmehr lediglich ein Kriterium für die Bemessung der Rahmengebühren (vgl auch Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl 2008, § 14 RVG RdNr 13; Rick in Schneider/Wolff, Anwaltskommentar RVG, 4. Aufl 2008, § 14 RdNr 45; Mayer/Kroiß-Winkler, RVG, 2. Aufl 2006, § 14 RdNr 26 ff; Hartung/Römermann, RVG, 1. Aufl 2004, § 14 RdNr 47; Bischof-Jungbauer, RVG, 2. Aufl 2007, § 14 RdNr 62 und 66). § 14 Abs 1 RVG normiert mithin ausschließlich, wie der im VV zum RVG enthaltene Vergütungsrahmen zu konkretisieren ist. Insoweit enthält Satz 1 eine beispielhafte Aufzählung der die Vergütungshöhe bestimmenden Faktoren. Da das RVG bei Rahmengebühren zwischen Betragsrahmengebühren und Gegenstandsrahmengebühren unterscheidet, im Gegenstandswert jedoch das allgemeine Haftungsrisiko automatisch seinen Niederschlag findet, kann nach Satz 2 nur ein besonderes Haftungsrisiko berücksichtigt werden. Demgegenüber ist nach Satz 3 bei Betragsrahmengebühren (wie vorliegend, dazu später) das Haftungsrisiko zwingend bei der Konkretisierung der Rahmengebühr zu beachten. Satz 3 ergänzt mithin für die Betragsrahmengebühr die allgemeine Regelung des Satzes 1.

Insoweit hat sich keine Änderung ergeben gegenüber der Rechtslage der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO). Bereits danach konnte das Haftungsrisiko im Rahmen der Gebührenbestimmung nach § 12 BRAGO ("Berücksichtigung aller Umstände") in die Gebührenbemessung einbezogen werden (vgl: Hartung/Römermann, aaO, § 14 RdNr 51; Mayer/Kroiß-Winkler, aaO, § 14 RdNr 26; vgl auch BT-Drucks 15/1971, S 189).

Die vom Kläger geltend gemachten 58 Euro sind auch nicht als höhere Rahmengebühr nach § 14 Abs 1 RVG iVm dem VV zum RVG gerechtfertigt. Zwar findet § 14 RVG über § 3 Abs 1 und 2 RVG Anwendung; nach Nr 2500 des VV (idF des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 - BGBl I 718), die eine Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen in gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, für das außergerichtliche Verfahren normiert, ist jedoch trotz eines Rahmens von 40 bis 520 Euro (Mittelgebühr 280 Euro) eine Höchstgebühr von 240 Euro vorgesehen, wenn nicht die Sache umfangreich und schwierig war.

Nach den Feststellungen des LSG kommt unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Vorgaben eine höhere Gebühr als 240 Euro nicht in Betracht. Hinsichtlich des Umfangs und der Schwierigkeit handelte es sich allenfalls um eine durchschnittliche Angelegenheit. Die Frage nach der Tolerierung der Überschreitung einer Mittelgebühr um 20 vH im Durchschnittsfall stellt sich damit nicht.

Zwar sieht § 14 Abs 2 RVG vor, dass im Rechtsstreit das Gericht ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen hat, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist. Jedoch ist, wie das LSG richtig erkannt hat, diese Regelung nicht anwendbar im Rechtsstreit zwischen dem Gebührenschuldner (hier Kläger) und dem Erstattungspflichtigen (hier Beklagte) um die Höhe der Erstattung (BSG, Urteil vom 18. Januar 1990 - 4 RA 40/89; vgl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap XII RdNr 105). Es kann deshalb auch offenbleiben, ob die Nichtbeachtung dieser Vorschrift als Verfahrensfehler in der Revisionsinstanz von Amts wegen oder nur auf entsprechende Rüge zu beachten wäre. Eine entsprechende Rüge ist jedenfalls vorliegend nicht erhoben worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, weil der Kläger als "Versicherter" iS von § 183 Satz 1 SGG den Rechtsstreit auf Erstattung höherer Kosten des Widerspruchsverfahrens führt.






BSG:
Urteil v. 27.01.2009
Az: B 7/7a AL 20/07 R


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/a29a2b01138c/BSG_Urteil_vom_27-Januar-2009_Az_B-7-7a-AL-20-07-R




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