Bundespatentgericht:
Beschluss vom 31. Oktober 2002
Aktenzeichen: 21 W (pat) 55/01
(BPatG: Beschluss v. 31.10.2002, Az.: 21 W (pat) 55/01)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in seinem Beschluss vom 31. Oktober 2002 das Urteil der Prüfungsstelle für Klasse A 61 H des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. Juli 2001 aufgehoben. Die Anmeldung der Beschwerdeführerin, die ein Verfahren und Gerät zur Bewertung von Akupunkturpunkten betrifft, wurde zurückgewiesen, da die Erfindung nicht ausreichend klar und deutlich offenbart sei. Die Anmelderin hat dagegen Beschwerde eingelegt und in der mündlichen Verhandlung einen neuen Patentanspruch 1 vorgelegt. Dieser besagt, dass das Gerät zur Messung körpereigener Potentialdifferenzen und Ströme zwischen einem Abschnitt und entferntem Punkt der Körperoberfläche besteht, ohne externe Spannungsquelle. Die Messelektrode besteht aus dotiertem Siliziummaterial. Das Gericht hat festgestellt, dass der Patentanspruch 1 eine ausführbare technische Lehre enthält und somit der Zurückweisungsgrund nicht zutrifft. Der Patentanspruch ist zulässig und neu, da die bisherige Recherche keine verwandten Geräte gefunden hat. Das Gericht hat entschieden, die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen. Es besteht die Möglichkeit, dass bei einer erneuten Recherche noch relevanter Stand der Technik ermittelt wird. Daher wurde von einer Überarbeitung der Unterlagen abgesehen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 31.10.2002, Az: 21 W (pat) 55/01
Tenor
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 H des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. Juli 2001 aufgehoben und die Sache aufgrund des in der mündlichen Verhandlung überreichten Anspruchs 1 an das Deutsche Patent- und Markenamt zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Patentanmeldung wurde am 05. Oktober 1999 unter der Bezeichnung "Verfahren und Gerät zur qualitativen und quantitativen Bewertung von Akupunkturpunkten" beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Die Offenlegung erfolgte am 28. Juni 2001.
Die Prüfungsstelle für Klasse A 61 H hat mit Beschluss vom 16. Juli 2001 die Anmeldung zurückgewiesen, weil nicht klar sei, was genau unter Schutz gestellt werden solle bzw. sinngemäß die Erfindung nicht so deutlich und ausführlich offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könnte.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
In der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin nach Erörterung der Sach- und Rechtslage einen neuen Patentanspruch 1 vorgelegt.
Dieser Patentanspruch 1 lautet:
"Gerät zur Messung körpereigener Potentialdifferenzen und/oder vom Körper hervorgerufener Ströme zwischen einem Abschnitt der Körperoberfläche und einem davon entfernten Punkt der Körperoberfläche, ohne externe Spannungsquelle, bestehend aus einer Meß- und einer Bezugselektrode, die miteinander über Spannungsmeß- und/oder Strommeßvorrichtungen leitend verbunden sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Meßelektrode 21 eine aus dotiertem Siliziummaterial bestehende Elektrode ist."
Dem Anmeldungsgegenstand liegt die Aufgabe zugrunde, das Gerät nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 so weiterzubilden, dass der Einsatz eines elektrolythaltigen wässrigen Mediums entfallen kann und das sich durch einfache Bedienbarkeit und risikolose Anwendung auszeichnet.
Die Anmelderin ist der Auffassung, dass der Anspruchs 1 eine ausführbare, hinreichend deutlich und vollständig offenbarte technische Lehre enthält.
Die Anmelderin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache aufgrund des in der mündlichen Verhandlung überreichten Anspruchs 1 an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
II.
Die Beschwerde der Anmelderin ist zulässig und begründet. Zum einen greift der Zurückweisungsgrund, dass die Erfindung nicht so deutlich und ausführlich offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann, nach Auffassung des Senats nicht durch. Zum anderen ist das im Beschwerdeverfahren geänderte Patentbegehren vom Deutschen Patent- und Markenamt noch nicht ausreichend geprüft worden (PatG § 79 Abs. 3, Satz 1 Nr. 3).
Der Patentanspruch 1 ist formal zulässig, denn sein Inhalt ist in den ursprünglichen Unterlagen offenbart. Er ist aus dem ursprünglichen Anspruch 1 durch Streichung der Angabe "qualitativen und quantitativen Bewertung von Akupunkturpunkten durch" hervorgegangen.
Der Zurückweisungsgrund der fehlenden deutlichen und vollständigen Offenbarung ist durch die überzeugenden Ausführungen der Anmelderin in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gibt dem Durchschnittsfachmann, der hier ein in der Entwicklung von elektrischen Diagnose- und Behandlungsgeräten tätiger Diplom-Physiker ist, eine vollständige Lehre zum technischen Handeln. Entgegen der Auffassung der Prüfungsstelle vermag der Durchschnittsfachmann dem Anspruch 1 in Verbindung mit der Beschreibung die Angaben entnehmen, die erforderlich sind, um den Gegenstand des Anspruchs 1 zu realisieren, also als Messelektrode eine aus dotiertem Siliziummaterial bestehende Elektrode einzusetzen.
Ausgangspunkt für den Anmeldungsgegenstand ist die problematische Verwendung von Metallelektroden zur Messung der an der Hautoberfläche auftretenden Spannungen. Denn bei der Spannungsmessung mit Metallelektroden kommt es zur Ausbildung einer elektrochemischen Spannungsreihe, die Auswirkungen auf die Messgenauigkeit hat. Um dieses Problem zu vermindern, werden im Stand der Technik Elektrolyte zwischen die Elektroden und die Haut gebracht. Das ist im praktischen Einsatz jedoch umständlich und führt außerdem zu Korrosionsproblemen. Dementsprechend ist der Anmeldungsgegenstand darauf ausgerichtet, dass der Einsatz eines elektrolythaltigen wässrigen Mediums entfallen kann (vergleiche Offenlegungsschrift Spalte 3, Zeilen 12 bis 16).
Die Anmelderin wies in der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass an der Hautoberfläche körpereigene Potentialdifferenzen von wenigen Millivolt auftreten. Dies ist in der Beschreibung auch so dargelegt (Offenlegungsschrift Spalte 2, Zeilen 42 bis 52), wobei dort auch ausgeführt ist, dass durch diese zwischen einem Akupunkturpunkt und der Haut an einem Bezugsareal bestehenden Potentialdifferenzen Ströme mit Stromstärken im Bereich von 1 bis 1000 nA hervorgerufen werden. Der Fachmann entnimmt also der Beschreibung, dass er zur Lösung seines Problems sein Augenmerk auf die Messung von Spannungen im mV-Bereich bzw. von Stromstärken im Bereich von 1 bis 1000 nA richten muss, und es ist ihm aufgrund seines Wissens und Könnens insbesondere auf dem Gebiet der elektrischen Messtechnik klar, wie er bei der Messung solcher Größen vorzugehen hat, ohne dass er dazu genaue Messwerte kennen muss.
Wenn die Prüfungsstelle in dem Bescheid vom 26. April 2000, aus dessen Gründen die Anmeldung zurückgewiesen worden ist, auf Seite 2 im 6. Absatz zur Begründung, warum der Anmeldungsgegenstand nicht ausführbar sei, darlegt, dass nirgends mitgeteilt werde, welche Leitfähigkeit für die Messung für ausreichend gehalten wird und welche Leitfähigkeit die eingesetzte Elektrode zeigt, so ist das im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Messung des Hautwiderstandes zunächst durchaus zutreffend und nachvollziehbar (vgl. den genannten Bescheid auf Seite 2, Absatz 5). Auf den genauen Wert der Leitfähigkeit der Elektrode kommt es, wie die Anmelderin deutlich machen konnte, jedoch nicht an. Denn aufgrund der geringen Stromstärken spielt der spezifische Widerstand des dotierten Siliziummaterials keine Rolle. Wichtig ist nur, dass durch die Dotierung eine gewisse Leitfähigkeit zustande kommt, gleich, welcher Art die Dotierung ist. Damit ist dem Durchschnittsfachmann ein Material benannt, das zur Realisierung der Erfindung grundsätzlich geeignet ist. Er muss nur noch daran gehen, ein dotiertes Siliziummaterial herauszufinden, dass zur Messung von Spannungen im mv-Bereich und von Strömen im nA-Bereich geeignete Leitfähigkeit besitzt.
Dabei spielen auch die Hautfeuchtigkeit und der Druck, mit der die Elektrode auf die Haut angedrückt wird, nach den Ausführungen der Anmelderin keine Rolle, da keine Hautwiderstandsmessung durchgeführt wird, sondern Potentialmessungen bei geringen Stromstärken erfolgen.
Es kann damit nach der Überzeugung des Senats nicht davon ausgegangen werden, dass für den eingangs definierten Durchschnittsfachmann die Lehre des Anspruchs 1 zumindest unter Hinzunahme der Beschreibung und der Durchführung einiger zumutbarer Versuche nicht ausführbar sein soll. Denn dabei genügt es, wenn dem Fachmann die entscheidende Richtung angegeben wird, in der er ohne Aufwendung eigener erfinderischer Tätigkeit mit Erfolg weiterarbeiten und die günstigste Lösung auffinden kann, wobei auch die Notwendigkeit weiterer Versuche nicht schadet, sofern diese das übliche Maß nicht übersteigen und keine erfinderischen Überlegungen erfordern (vgl. BGH GRUR 68, 311, 313 Garmachverfahren, BGH GRUR 67, 56, 57. II. 3.f Gasheizplatte).
Das Gerät nach Anspruch 1 ist gegenüber den bisher in Betracht gezogenen von der Anmelderin in der Beschreibungseinleitung selbst genannten Entgegenhaltungen neu und beruht demgegenüber auch auf erfinderischer Tätigkeit.
Es ist neu, denn ein Gerät zur Messung körpereigener Potentialdifferenzen und/oder vom Körper hervorgerufener Ströme mit sämtlichen in diesem Anspruch angegebenen Merkmalen ist in keiner der zum Stand der Technik aufgeführten Entgegenhaltungen beschrieben. So weist keines der diesen Entgegenhaltungen entnehmbaren Geräte eine aus dotiertem Siliziummaterial bestehende Messelektrode auf.
Das Gerät beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit, denn es ist nicht ersichtlich, was den Durchschnittsfachmann hätte veranlassen können, zum Beispiel bei dem aus der DE 299 02 216 U1 bekannten Gerät von den dort verwendeten Elektroden zweiter Art (vgl. den dortigen Anspruch 1), die beispielsweise Silber-Silberchlorid-Elektroden sein können (Seite 5, Zeilen 13 bis 17), bei denen zwischen Elektrodenfläche und Haut ein elektrolythaltiges wässriges Medium eingebracht wird (Seite 5, Zeilen 19 bis 24) abzugehen und statt dessen zu Elektroden überzugehen, die aus einem dotierten Siliziummaterial bestehen und auf den Einsatz des elektrolythaltigen Mediums zu verzichten. Auch die übrigen Entgegenhaltungen, die von der Anmelderin noch genannt worden sind (DE 30 48 358; DE 197 17 337; DE 197 17 766; American Journal of Acupuncture, Band 18, Nr. 1, 1990 Seite 15 bis 24) geben hierzu keine Anregung, denn dort gibt es nicht den geringsten Hinweis auf die Verwendung von dotiertem Siliziummaterial.
Da einerseits die bisherige Prüfung der Anmeldung von der zwischenzeitlich behobenen mangelnden Offenbarung geleitet wurde und andererseits der Senat Kenntnis von der Verwendung von dotierten Siliziummaterialien im Bereich der potentiometrischen bzw. voltametrischen Sensoren hat, beispielsweise in Form von ionenselektiven Feldeffekttransistoren, ist nicht auszuschließen, dass bei einer Recherche bezüglich der Merkmale des geltenden Anspruchs 1 noch relevanter Stand der Technik ermittelt wird. Deshalb war, wie beantragt, die Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zu beschließen.
Angesichts der Notwendigkeit einer weiteren Prüfung wurde von einer Überarbeitung der Unterlagen abgesehen.
Dr. Winterfeldt Klosterhuber Dr. Franz Dr. Maksymiw Pr
BPatG:
Beschluss v. 31.10.2002
Az: 21 W (pat) 55/01
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/a2e22a36764e/BPatG_Beschluss_vom_31-Oktober-2002_Az_21-W-pat-55-01