Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. April 2010
Aktenzeichen: 9 W (pat) 315/05
(BPatG: Beschluss v. 14.04.2010, Az.: 9 W (pat) 315/05)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in seinem Beschluss vom 14. April 2010 (Aktenzeichen 9 W (pat) 315/05) entschieden, dass das Patent aufrechterhalten wird. Das Patent bezieht sich auf eine Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze. Ein Einspruch gegen das Patent wurde eingereicht mit der Begründung, dass die Verstelleinrichtung nicht neu sei und keine erfinderische Tätigkeit darstelle. Es wurden mehrere Druckschriften als Belege für den Stand der Technik genannt.
Das Gericht stellte fest, dass der Einspruch teilweise Erfolg hat und das Patent beschränkt aufrechterhalten wird. Der geltende Patentanspruch 1 wurde im Vergleich zur erteilten Fassung präzisiert und enthält nun bestimmte Merkmale, wie zum Beispiel einen Ronden-Rastmechanismus und eine gelenkige Verbindung zwischen einem Betätigungsorgan und einem Rasthebel. Das Gericht befand, dass diese Merkmale eine erfinderische Tätigkeit darstellen und das Patent aufrechterhalten werden kann.
Das Gericht hat auch festgestellt, dass das Patent neu ist und keine offensichtlichen Verbindungen zu den genannten Druckschriften besteht. Es gab keine Anhaltspunkte für den Fachmann, dass die Kombination der genannten Druckschriften zur Erfindung führen würde. Daher bleibt das Patent bestehen und ist gewerblich anwendbar.
Insgesamt ermöglicht das Patent eine Vereinfachung der Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze und stellt eine erfinderische Tätigkeit dar. Die genauen Einzelheiten des Patents und der Entscheidung können der Gerichtsentscheidung entnommen werden.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 14.04.2010, Az: 9 W (pat) 315/05
Tenor
Das Patent wird beschränkt aufrechterhalten mit folgenden Unterlagen:
-Patentansprüche 1 bis 8, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2010, -Beschreibung und Figuren 1 bis 5 gemäß Patentschrift.
Gründe
I.
Gegen das am 16. Februar 2001 angemeldete und am 2. September 2004 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung
"Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze"
ist Einspruch eingelegt worden.
Die Einsprechende vertritt die Auffassung, dass die Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze gemäß Patentanspruch 1 nicht mehr neu sei, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und im Übrigen über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausginge. Zum Stand der Technik verweist sie auf folgende Druckschriften:
(D1) DE 199 60 878 A1, (D2) WO 01/44010 A1, (D3) DE 100 31 640 A1, (D4) DE-OS 21 39 357, (D5) DE 27 45 539 A1, (D6) DE 24 46 181 A1, (D7) US 4,995,669, sowie zur Erläuterung und dem Verständnis des Begriffes "Gelenk" auf die Fachbücher:
(F1) Dittrich, G. und Braune R.: Getriebetechnik in Beispielen, Oldenbourg-Verlag München Wien, 1978, S. 16, 17 (ISBN 3-488-24191-5),
(F2) Kerle, H. und Pittschellis R.: Einführung in die Getriebelehre, Teubner-Verlag Stuttgart, 1998, S. 22, 23 (ISBN 3-519-06362-X),
(F3) Franke, R.: Vom Aufbau der Getriebe, VDI-Verlag Düsseldorf, 1958, S. 22, 23,
(F4) Dubbel. Hrsg. von Beitz W. und Küttner K.-H.: Taschenbuch für den Maschinenbau, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, New York, 16. Auflage 1987, S. I3 (ISBN 3-540-18009-5).
Die Einsprechende beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten mit folgenden Unterlagen:
-Patentansprüche 1 bis 8, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2010,
-Beschreibung und Figuren 1 bis 5 gemäß Patentschrift.
Die Patentinhaberin macht bezüglich der mit beschränktem Patentanspruch 1 beanspruchten Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze geltend, dass diese patentfähig sei und in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen offenbart sei.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet (Änderungen gegenüber erteilter Fassung sind durch Fettschrift und Streichung hervorgehoben):
Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze mit neigungseinstellbarer Rückenlehne (2), die um dieselbe horizontale Schwenkachse (1a) zur Einstellung ihrer Neigung und zum Vorklappen in eine Freigabestellung für einen Fondsitz verschwenkbar ist, mit einem zwischen den Seitenholmen des Sitzteiles 1 und der Rückenlehne 2 angeordneten Ronden-Rastmechanismus Neigungsverstellmechanismus (3), mit dem die gewählte Neigung fixierbar ist und der mittels eines ersten Betätigungsorgans (4) für ein freies Schwenken um die Schwenkachse (1a) entsperrbar ist, ferner mit einer Rastscheibe (6), die mittels eines Rasthebels organs (7) in ihrer Schwenklage fixierbar ist und eine Anschlagfläche (6c) für ein Gegenelement (2a) aufweist, sowie mit einem zweiten Betätigungsorgan (5) für ein Lösen des Ronden-Rastmechanismus Neigungsverstellmechanismus (3) zum Vorklappen der Rückenlehne (2), dadurch gekennzeichnet, dass das erste Betätigungsorgan (4) zum Verlagern des am Sitzteil (1) angeordneten Rasthebels organs (7) in und außer Eingriff mit der Rastscheibe (6) gelenkig mit dem Rasthebel (7) verbunden ausgebildet ist und das zweite Betätigungsorgan (5) mit dem einen vorgegebenen Leerhub zulassenden ersten Betätigungsorgan (4) gekoppelt ist, wobei das Gegenelement (2a) lehnenfest angeordnet und die Anschlagfläche (6c) durch eine Feder (6d) in Richtung auf das Gegenelement (2a) vorgespannt ist.
Rückbezogen schließen sich hieran die Patentansprüche 2 bis 8 an. Wegen ihren Wortlauts wird auf die Akte verwiesen.
II.
1.
Die Zuständigkeit des Beschwerdesenats des Bundespatentgerichts ist durch § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG in den vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassungen begründet.
2.
Der Einspruch ist zulässig. Gegenteiliges hat auch die Patentinhaberin nicht vorgetragen.
3.
In der Sache hat der Einspruch teilweise Erfolg, soweit er zur Beschränkung des Patents führt.
4.
Das geltende Patentbegehren ist zulässig.
Patentanspruch 1 geht inhaltlich aus dem erteilten Patentanspruch 1 mit Präzisierungen aus den Absätzen 0013 und 0014 sowie der Fig. 4 der Patentschrift hervor. Der Begriff "Neigungsverstellmechanismus" wurde durch seine Festlegung als "Ronden-Rastmechanismus" näher bestimmt. Zudem wurde noch die Anordnung dieser Baugruppe "zwischen den Seitenholmen des Sitzteils und der Rückenlehne" festgelegt. Der Begriff "Rastorgan" wurde durch "Rasthebel" enger gefasst. Durch Ersetzen des Wortes "ausgebildet" durch "gelenkig mit dem Rasthebel verbunden" wird die im erteilten Patentanspruch 1 geforderte Eignung eines ersten Betätigungsorgans zum Verlagern des Rasthebels durch eine konkrete körperliche Realisierung näher bestimmt. Bis auf die vorstehend genannten Beschränkungen "Ronden-Rastmechanismus" und "Rasthebel" sind die abhängigen Patentansprüche 2 bis 8 gegenüber der Patentschrift wortgleich gefasst.
Inhaltlich findet die Patentschrift ihre Stütze in den ursprünglich eingereichten Unterlagen. Abgesehen von einer Reduzierung der Rückbeziehungen in den abhängigen Patentansprüchen sowie Änderungen redaktioneller Art wurden der Erteilung die ursprünglich eingereichten Unterlagen zugrunde gelegt, in denen die Begriffe "Gelenkbeschlag" durch "Verstelleinrichtung", "Rastgesperre" durch "Rastorgan", "Neigungsverstellbeschlag" durch "Neigungsverstellmechanismus" und "Ronden-Rastbeschlag" durch "Ronden-Rastmechanismus" ersetzt wurden. Die Bezeichnung des ursprünglich genannten "Gelenkbeschlages für Kraftfahrzeugsitze" als "Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze" in den Patentansprüchen (und der Beschreibung) ist anhand des beanspruchten und beschriebenen Gegenstandes zu sehen. Dieser ist auf Fahrzeugsitze mit neigungseinstellbarer Rückenlehne beschränkt, die zur Einstellung ihrer Neigung und zum Vorklappen in eine Freigabestellung verschwenkbar ist. Verstelleinrichtungen allgemeiner Art sind hiermit nicht umfasst. Nach Überzeugung des Senats beschreibt der Begriff "Verstelleinrichtung" i. V. m. den weiteren Merkmalen des Patentanspruchs 1 in zulässigerweise zutreffend und zusammenfassend die gesamte Einrichtung, die zum Einstellen bzw. Verstellen der Neigung der Rückenlehne dient und auch deren Vorklappen erlaubt, zumal die Begriffe "Neigungseinstellung" und "Neigungsverstellung" auch schon ursprünglich vorkommen. Auch im Hinblick auf die in der Beschreibungseinleitung genannte Druckschrift DE 100 31 640 A1 (D3) ist festzustellen, dass die dort beschriebene Einrichtung insgesamt als Gelenkmechanismus bezeichnet ist, während diese in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen als Gelenkbeschlag umschrieben wird. D. h. mit dem ursprünglichen Begriff "Gelenkbeschlag" ist von Anfang an nicht lediglich eine Vorrichtung umfasst, die aus zwei gegeneinander gelenkig beweglichen Teilen besteht, von denen eines an der Rückenlehne und das andere an dem Sitzteil angeordnet ist, sondern ein Mechanismus zum Verstellen der Neigung der Rückenlehne und zum Vorklappen der Rückenlehne in eine Freigabestellung in seiner Gesamtheit. Allein die Verwendung von in den Anmeldungsunterlagen nicht enthaltenen Begriffen führt nicht zu inhaltlichen Erweiterungen (vgl. BGH, X ZR 153/04; "Druckmaschinen-Temperierungssystem II").
Gleiches gilt auch für die anderen geänderten Begriffe. Auch diese müssen in Zusammenhang mit weiteren angegebenen Merkmalen gesehen werden.
5. Laut Beschreibung geht das Streitpatent von einer Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze mit neigungseinstellbarer Rückenlehne aus, die um dieselbe horizontale Schwenkachse zur Einstellung ihrer Neigung und zum Vorklappen in eine Freigabestellung für einen Fondsitz verschwenkbar ist. Bei vielen verstellbaren Rückenlehnen umfasst die Verstelleinrichtung einen sogenannten Ronden-Rastmechanismus von allgemein bekannter Ausführung, der zwischen den Seitenholmen eines Sitzteiles und der Rückenlehne angeordnet ist. Der Ronden-Rastmechanismus erlaubt das Fixieren der gewählten Neigung und kann mittels eines Betätigungsorgans für ein freies Schwenken um die Schwenkachse entsperrt werden. Zum Vorklappen der Rückenlehne ist üblicherweise ein weiteres Betätigungsorgan vorgesehen. Damit nach dem Vorklappen der Rückenlehne deren Neigung nicht erneut eingestellt werden muss, wirkt die Verstelleinrichtung auch als Speicher. Dazu ist sie mit einer Rastscheibe ausgestattet, die in ihrer Schwenklage fixierbar ist und über Anschlagflächen das Rückstellen der Rückenlehne in die eingestellte geneigte Position ermöglicht.
Als Nachteil wird beim Ausbilden derartiger bekannter Verstelleinrichtungen der Aufwand aufgrund der Vielzahl beweglicher Einzelteile gesehen. Zielsetzung der Erfindung ist daher, beim Ausbilden der Verstelleinrichtung mit wenigen und einfach aufgebauten Elementen auszukommen.
Als den mit der Lösung dieses Problems beauftragten Durchschnittsfachmann legt der Senat seiner Entscheidung einen Dipl.-Ing. der Fachrichtung Maschinenbau mit Fachhochschulabschluss zugrunde, der über mehrjährige Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Verstelleinrichtungen an Fahrzeugsitzen verfügt.
Die (nach geltendem Patentanspruch 1) vorgeschlagene Lösung lautet in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt:
1.
Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze mit neigungseinstellbarer Rückenlehne.
2.
Die Rückenlehne ist um eine horizontale Schwenkachse zur Einstellung ihrer Neigung verschwenkbar.
3.
Die Rückenlehne ist zum Vorklappen in eine Freigabestellung für einen Fondsitz um dieselbe Schwenkachse verschwenkbar.
4.
Die Verstelleinrichtung umfasst einen Ronden-Rastmechanismus.
4.1 Der Mechanismus ist zwischen den Seitenholmen des Sitzteiles und der Rückenlehne angeordnet. 4.2 Mit dem Mechanismus ist die gewählte Neigung fixierbar.
4.3 Der Mechanismus ist mittels eines ersten Betätigungsorgans für ein freies Schwenken um die Schwenkachse entsperrbar.
5.
Die Verstelleinrichtung umfasst eine Rastscheibe.
5.1 Die Rastscheibe ist mittels eines Rasthebels in ihrer Schwenklage fixierbar.
5.2 Die Rastscheibe weist eine Anschlagfläche für ein Gegenelement auf.
6.
Die Verstelleinrichtung umfasst ein zweites Betätigungsorgan für ein Lösen des Ronden-Rastmechanismus zum Vorklappen der Rückenlehne.
7.
Das erste Betätigungsorgan ist zum Verlagern des am Sitzteil angeordneten Rasthebels in und außer Eingriff mit der Rastscheibe gelenkig mit dem Rasthebel verbunden.
8.
Das zweite Betätigungsorgan ist mit dem ersten Betätigungsorgan gekoppelt.
8.1. Das erste Betätigungsorgan lässt einen vorgegebenen Leerhub des zweiten Betätigungsorgans zu.
9.
Das Gegenelement ist lehnenfest angeordnet.
10.
Die Anschlagfläche ist durch eine Feder in Richtung auf das Gegenelement vorgespannt.
6. Der mit geltendem Patentanspruch 1 beanspruchte Gegenstand ist zweifellos gewerblich anwendbar. Er ist auch neu.
aa) Aus der nachveröffentlichten Druckschrift älteren Zeitrangs WO 01/44010 A1 (D2) (sowie der zugehörigen Prioritätsschrift DE 19960878 A1 (D1)) ist ein Rastbeschlag als Lehneneinstellvorrichtung für Kraftfahrzeugsitze mit neigungseinstellbarer Rückenlehne bekannt. Die Rückenlehne ist um dieselbe horizontale Schwenkachse zur Einstellung ihrer Neigung und zum Vorklappen in eine Freigabestellung für einen Fondsitz verschwenkbar (vgl. Titel, S. 2, letzten Abs., S. 3, Sätze 1 und 2; Merkmale 1. bis 3.). Die Lehneneinstelleinrichtung umfasst einen Ronden-Rastmechanismus der zwischen einer Stützscheibe 14 des an der Rückenlehne befestigten und mit ihr schwenkbaren Beschlagteils 12 und dem am Sitzrahmen (über die Befestigungslasche 11) festen Beschlagteil 10 angeordnet ist (vgl. Fig. 2; Merkmale 4., 4.1). Der Rastmechanismus umfasst außenverzahnte Riegel 17, die von einer federbelasteten Nockenscheibe 21 in eine Sperrlage gedrückt werden. Dabei wirken sie mit dem innenverzahnten Ringansatz 15 des schwenkbaren Beschlagteils 12 zusammen und fixieren auf diese Art und Weise die Neigung der Rückenlehne. Entsperrt werden die Riegel durch Betätigen eines Betätigungshebels 27, der mit seinem abgekröpften Steueransatz 28 den Auslösefinger 25 des Auslöseadapters 24 mitnimmt und letzteren verdreht. Der Auslöseadapter 24 verstellt seinerseits entsprechend der Änderung seiner Winkellage eine profilierte Übertragungsstange 23 in ihrer Winkellage. Über eine ebenfalls profilierte Kragenbuchse 22 werden die Nockenscheibe 21 und eine mit Steuerschlitzen 19 versehene Mitnehmerscheibe 20 mitgedreht. Dadurch wird die Sperre durch die Nockenscheibe 21 aufgehoben und die Riegel 17 über die an ihnen angebrachten, in den Steuerschlitzen 19 geführten Steuerzapfen 18 aus der Verzahnung gezogen (vgl. Fig. 2A, 2, S. 14, letzter Abs. bis S. 16, 1. Abs.; Merkmale 4.2 und 4.3).
Die Verstelleinrichtung umfasst weiter eine sitzseitig drehbar gelagerte Anschlagscheibe 30 mit einem außenverzahnten Sperrsegment 31. Die Anschlagscheibe 30 mit dem Sperrsegment 31 entspricht der streitpatentgemäßen Rastscheibe. Mittels einer hebelförmigen Sperrklinke 34 ist die Anschlagscheibe 30 in ihrer Schwenklage fixierbar. Die Anschlagscheibe 30 weist eine obere Endfläche 32 als Anschlagfläche auf zur Begrenzung ihres Schwenkwegs durch einen sitzteilseitigen Haltevorsprung 39 und als Speicherfunktion für die Lehnenneigung bei der freien Verschwenkung der Rückenlehne durch Zusammenwirken mit dem lehnenseitigen Anschlag 42. Die Anschlagscheibe 30 ist (mit ihrer Endfläche 32) durch eine Ringfeder 38 im Vorschwenksinne belastet, d. h. in Richtung auf den Anschlag 42 und den Haltevorsprung 39 vorgespannt (vgl. Fig. 3B, 4B, Übergangsabsatz S. 16 zu 17, S. 19, 2. Abs.; Merkmalsgruppe 5., Merkmale 9. und 10.).
Für ein Lösen des Ronden-Rastmechanismus zum Vorklappen der Rückenlehne ist als weiteres Betätigungsorgan die Schwinge 43 mit ihrem Mitnehmerfinger 44 vorgesehen. Wenn die Schwinge 43 durch ein Bedienelement 45 verschwenkt wird, verschwenkt sie über den Auslösedaumen 26 den Auslöseadapter 24 mit, der auf die beschriebene Art und Weise die Riegel 17 des Rastmechanismus aus der Sperrlage auszieht (vgl. Fig. 7, S. 19, 2. Abs.; Merkmal 6.).
Im Gegensatz zur streitpatentgemäß beanspruchten Verstelleinrichtung ist bei der aus D2 bekannten Vorrichtung der Betätigungshebel 27 (erstes Betätigungsorgan) zum Verlagern der sitzseitig (an der Grundplatte 29) angeordneten Sperrklinke 34 in und außer Eingriff mit der Anschlagscheibe/Sperrsegment 30/31 nicht gelenkig mit der Sperrklinke 34 verbunden und die Schwinge 43 (zweites Betätigungsorgan) mit dem Betätigungshebel 27 nicht gekoppelt. Dieser wird beim Verschwenken der Schwinge 43 innerhalb des Betriebsbereichs nicht bewegt (vgl. S. 19, letzten beiden Sätze). Und auch ein bewegter Betätigungshebel 27 belässt die Schwinge 43 in ihrer Stellung (vgl. Fig. 4A).
Damit unterscheidet sich die Verstelleinrichtung nachdem geltenden Patentanspruch 1 von dem Stand der Technik nach D2 zumindest durch die Merkmale 7 und 8.
ab) Nach Auffassung der Einsprechenden stellt der temporäre Kontakt zwischen dem Steueransatz 28 und der Steuerkurve 49 eines Kulissenhebels 47 eine gelenkige Verbindung dar. Zudem sei der Kulissenhebel 47 über den in seiner Kulisse 48 geführten Zapfen 35 gelenkig mit der Sperrklinke 34 verbunden. Da der Kulissenhebel 47 sowohl mit dem Betätigungshebel 47 als auch mit der Schwinge 43 wirkverbunden sei, bestehe auch eine Kopplung der Betätigungsorgane. Zur Stützung ihrer Auffassung verweist sie auf Fachliteratur (F1 bis F4), in der verschiedene Gelenkausführungen dargestellt sind.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Es trifft zu, dass in der Fachwelt eine Vielzahl von Getriebevarianten zum Lösen von Führungsaufgaben bekannt sind (vgl. beispielsweise Abschnitte aus den Fachbüchern (F1 bis F4). Das Streitpatent fordert jedoch eine gelenkige Verbindung im Sinne eines Koppelgetriebes und nicht eines Kurvengelenks. Es gibt im Streitpatent keine Anhaltspunkte für einen Fachmann, dass von einer gelenkigen Verbindung auch beliebig gestaltete Wälzoder Kurvengelenke umfasst sein sollen, zumal die einzige Offenbarungsstelle für die gelenkige Verbindung aus dem Ausführungsbeispiel stammt. Durch Vergleich von Fig. 4A und Fig. 7 der WO 01/44010 A1 (D2) ist erkennbar, dass zwischen dem Steueransatz 28 und dem Kulissenhebel 47 nur zeitweise Kontakt besteht. Dadurch ist eine Verbindung zwischen den Bauteilen ausgeschlossen. Wie bereits vorstehend ausgeführt, bleibt die Bedienung des Betätigungshebels 27 ohne Wirkung auf die Stellung der Schwinge 43 und auch die der Schwinge 43 ohne Wirkung auf die Stellung des Betätigungshebels 27, auch wenn sowohl Schwinge 43 als auch Betätigungshebel auf den Kulissenhebel einwirken (können).
ac) Das weitere Vorbringen der Einsprechenden, dass der Kulissenhebel 47 als erstes Betätigungsorgan betrachtet werden könne, zumal der streitige Patentanspruch die Definition des ersten Betätigungsorgans offen lasse, kann auch nicht überzeugen. Es lässt unberücksichtigt, dass über das erste Betätigungsorgan die Entsperrung des Ronden-Rastmechanismus möglich sein muss. Jegliche Betätigung des Kulissenhebels 47 bleibt ohne Wirkung auf die Sperrstellung des Ronden-Rastmechanismus. Das Zusammenwirken des Betätigungshebels 27 (mit Steueransatz 28) und des Kulissenhebels 47 mag funktional das Lösen der Sperrklinke 34 einleiten. Für eine Umschreibung dieser beiden getrennten Bauteile als ein Gebilde im Sinne eines einzigen Betätigungsorgans lässt die WO 01/44010 A1 keinen Raum.
b) Bei der aus der DE27 45 539 A1 (D5) (nach Ablauf der Einspruchsfrist auf beschränktes Patentbegehren nachgereicht) bekannten Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze mit neigungseinstellbarer Rückenlehne, die um dieselbe horizontale Schwenkachse (Buchse 4 mit Achsbolzen 14) zur Einstellung ihrer Neigung und zum Vorklappen in eine Freigabestellung für einen Fondsitz verschwenkbar ist (vgl. Abs. 3, S. 3) fehlt ebenfalls das Merkmal 7. Das bei dieser bekannten Verstelleinrichtung als erstes Betätigungsorgan zu identifizierendes Bauteil, der Einstellhebel 28, ist nicht gelenkig mit dem Arretierungshebel 24 (Rasthebel in der Nomenklatur des Streitpatents) verbunden. Vielmehr wirkt der Einstellhebel 28 über seinen hinteren Teil, den Kopf 29, auf den Arretierungshebel 24, indem er auf dessen inneren Teil drückt und ihn, die gezahnte Verbindung zur Wahlscheibe 18 (Rastscheibe im Sinne des Streitpatents) auflösend, verschwenkt. Dies entspricht nicht einer gelenkigen Verbindung im Sinne des Streitpatents (vgl. Abschnitt 6.ab)). Auch ist der Arretierungshebel 24 im Gegensatz zum Streitpatentgegenstand nicht am Sitzteil, sondern am beweglichen Schenkel 15 der Rückenlehne 16 angeordnet (vgl. Fig. 2 und S. 7, Nr. 3). Der als Anschlag dienende Absatz 20 der Wahlscheibe 18 wirkt mit einem Arretierungsbolzen 21 als Gegenelement zusammen. Der Arretierungsbolzen ist jedoch nicht lehnenfest angeordnet, wie streitpatentgemäß gefordert (Merkmal 9.), sondern fest mit der sitzseitig verschiebbaren Gabel 6 verbunden (vgl. S. 5, letzter Abs.).
c) Gegenüber den weiteren Druckschriften wurde die Neuheit nicht bestritten. Die Prüfung des Senats hat ergeben, dass aus keiner dieser weiteren Druckschriften ein Betätigungsorgan bekannt ist, das zum Verlagern eines am Sitzteil angeordneten Rasthebels in und außer Eingriff mit einer Rastscheibe dient und im Sinne des Streitpatents gelenkig mit dem Rasthebel verbunden ist (Merkmal 7). Soweit ein als Rasthebel zu identifizierendes Bauteil vorhanden ist, wird dies allenfalls durch Berührung von einem Betätigungselement in seiner Lage verschwenkt. Eine gelenkige Verbindung im Sinne eines Koppelgetriebes liegt nicht vor.
Daher ist die beanspruchte Verstelleinrichtung neu.
7. Der Gegenstand nach Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er sich für einen Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
a) Die WO 01/44010 A1 (D2) sowie die zugehörige Prioritätsschrift DE 19960878 A1 (D1) sind nachveröffentlicht und daher bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen.
b) Die aus der DE2745539A1(D5) bekannte Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze mit neigungseinstellbarer Rückenlehne bietet von sich aus keine Veranlassung, Änderungen an der bekannten Konstruktion im Hinblick auf die streitpatentgemäße Lösung vorzunehmen. Das Vorsehen einer gelenkigen Verbindung zwischen dem Kopf 29 des Einstellhebels 28 und dem Arretierungshebel 24 ist nicht zielführend im Sinne der angestrebten Reduzierung der Anzahl von Bauteilen sondern erhöht diese. Auch kann der Arretierungshebel 24 nicht einfach im Sinne einer kinematischen Umkehr sitzseitig und der Arretierungsbolzen 21 lehnenseitig angebracht werden, ohne die bekannte Verstelleinrichtung funktionsunfähig zu machen. Die Umkehr der Anordnung dieser beiden Bauteile erfordert eine umfassende Neukonstruktion.
c) Die Einsprechende hat geltend gemacht, dass eine Zusammenschau der Druckschriften DE 100 31 640 A1 (D3) und DE-OS 21 39 357 (D4) den Streitgegenstand nahelege, jedoch dazu nichts Weiteres ausgeführt.
Die Druckschrift DE 100 31 640 A1 (D3) betrifft eine Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze mit neigungseinstellbarer Rückenlehne, die um dieselbe horizontale Schwenkachse zur Einstellung ihrer Neigung und zum Vorklappen in eine Freigabestellung für einen Fondsitz verschwenkbar ist und die einen Ronden-Rastmechanismus umfasst, der zwischen den Seitenholmen eines Sitzteiles und der Rückenlehne angeordnet ist (vgl. Fig. 1 bis 4). Wenn man den dort vorgesehenen Speicherflansch 28 mit dem Anschlagfinger 32 als Rastscheibe mit einer Anschlagfläche im Sinne des Streitpatents auffasst, muss festgestellt werden, dass der Anschlagfinger 32 nicht mit einem lehnenfesten Gegenelement sondern mit dem Haken 33 eines schwenkbar am Sitz gehaltenen Blechhebels 34 zusammenwirkt. Der Speicherflansch ist im Übrigen auch nicht vorgespannt (zusätzlich zu Merkmal 7. fehlen demnach zumindest noch die Merkmale 9. und 10. des beanspruchten Gegenstandes).
Die Merkmale 9. und 10. mögen bei der aus der DE-OS 21 39 357 (D4) bekannten Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze mit neigungseinstellbarer Rückenlehne, die um dieselbe horizontale Schwenkachse zur Einstellung ihrer Neigung und zum Vorklappen in eine Freigabestellung für einen Fondsitz verschwenkbar ist, realisiert sein. Dort ist ein lehnenfester Anschlag 24 vorgesehen, der mit einem Ansatz 21 einer durch die Drehfeder 52 vorgespannten Sperrscheibe zusammenwirkt (vgl. Fig. 2). Wie diese konstruktive Gestaltung, die ohne einen Ronden-Rastmechanismus (Merkmal 4.) auskommt, auf die Verstelleinrichtung nach der D3 übertragen werden kann, ohne deren grundsätzliche, völlig andere Gestaltung aufzugeben, ist nicht vorgetragen und bleibt völlig offen. Mit der D4 steht dem Fachmann bereits eine Verstelleinrichtung zur Verfügung, die entsprechend der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe mit wenigen und einfach aufgebauten Elementen auskommt.
Bei einer Kombination mit der D3 wird die angestrebte Vereinfachung nicht erreicht, weshalb der Fachmann eine derartige Zusammenschau nicht vornimmt.
d) Die von der Einsprechenden kurz vor der mündlichen Verhandlung (am 8. April 2010 nach Ablauf der Einspruchsfrist) weiter genannten Druckschriften DE 2446181A1 (D6) und US 4,995,669 (D7), zu denen die Einsprechende schriftlich nicht näher vorgetragen hat, zeigen auch Verstelleinrichtungen für Kraftfahrzeugsitze. Die streitpatentgemäß beanspruchte Konstruktion unterscheidet sich jedoch grundlegend von diesen bekannten. Bei den bekannten Verstelleinrichtungen ist abgesehen von der fehlenden gelenkigen Verbindung zwischen einem ersten Betätigungsorgan und einem mit einer Rastscheibe in Eingriff bringbaren Rasthebel schon kein Ronden-Rastmechanismus vorgesehen, der über eine Kopplung zwischen einem ersten Betätigungsorgan zum Einleiten der Rückenlehnen-Neigungseinstellung und einem zweiten Betätigungsorgan zum Einleiten des Vorklappens der Rückenlehne gelöst wird (Merkmalskombination 4., 7. und 8.). Eine Überprüfung der beiden Druckschriften auf Relevanz hat ergeben, dass diese dem Patentgegenstand nicht näher kommen, als der bereits vorher im Verfahren berücksichtigte Stand der Technik, weshalb der Senat diese Druckschriften als verspätetes Vorbringen zurückgewiesen hat.
e) Zusammenfassend ist festzustellen, dass auch jede andere beliebige Zusammenschau der bekannten Verstelleinrichtungen nicht zum Gegenstand des Streitpatents führt. Jedwede Kombination kommt einer vollständigen Neukonstruktion gleich. Auch fehlt im Stand der Technik jede Anregung, ein einen Ronden-Rastmechanismus entsperrendes Betätigungsorgan, das auch zum Verlagern eines am Sitzteil angeordneten Rasthebels in und außer Eingriff mit einer Rastscheibe dient, gelenkig mit dem Rasthebel im Sinne eines Koppelgetriebes zu verbinden.
8. Mit der Verstelleinrichtung für Kraftfahrzeugsitze mit neigungseinstellbarer Rückenlehne nach dem Patentanspruch 1 des geltenden Antrags sind auch die Gegenstände der rückbezogenen Unteransprüche patentfähig, die vorteilhafte Weiterbildungen der Verstelleinrichtung nach dem Patentanspruch 1 betreffen und zumindest keine Selbstverständlichkeiten darstellen.
Pontzen Herr Richter Bork Paetzold Dr. Höchstist wegen Urlauban der Unterschriftsleistung verhindert.
Pontzen Pü
BPatG:
Beschluss v. 14.04.2010
Az: 9 W (pat) 315/05
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