Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 31. März 2003
Aktenzeichen: NotZ 29/02
(BGH: Beschluss v. 31.03.2003, Az.: NotZ 29/02)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Die vorliegende Gerichtsentscheidung betrifft eine Beschwerde einer Antragstellerin gegen einen Beschluss des Senats für Notarsachen des Kammergerichts in Berlin. Die Beschwerde wurde vom Bundesgerichtshof zurückgewiesen. Die Antragstellerin wurde als Rechtsanwältin zugelassen und bewarb sich um die Bestellung zur Notarin. Das Kammergericht verwies den Antrag jedoch als unzulässig. Der Antragstellerin wurde vorgeworfen, keine subjektiven Rechte verletzt zu haben. Die Antragstellerin argumentierte unter anderem, dass die Verwaltung eine Selbstverpflichtung eingegangen sei, die es ihr verbiete, die Vorschriften zu ändern. Der Bundesgerichtshof erklärte jedoch, dass die Verwaltung das Recht hat, die Verwaltungsvorschriften zu ändern, solange sachliche Gründe vorliegen. Das Gericht stellte fest, dass die Änderungen der Verwaltungsvorschrift bereits aufgrund des allgemeinen Absinkens des Urkundsaufkommens und des niedrigen Bestands von Notariaten gerechtfertigt waren. Darüber hinaus betonte das Gericht, dass die vorherige Höhe der Bedürfniszahl nicht dazu diente, Inhaber von Amtsstellen vor Konkurrenz zu schützen oder den Bewerberkreis zu steuern. Das Gericht wies auch den Vorwurf der Antragstellerin zurück, dass die Verwaltung eine Übergangsregelung hätte einführen müssen. Es wurde festgestellt, dass die Antragstellerin keine Ausbildung zur Notarin begonnen hatte und dass ihre Eignung für das Notaramt außer Frage stand. Daher wurde die Beschwerde der Antragstellerin abgewiesen. Die Antragstellerin wurde auch dazu verurteilt, die Gerichtskosten zu tragen und die Auslagen der Antragsgegnerin zu erstatten.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BGH: Beschluss v. 31.03.2003, Az: NotZ 29/02
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Senats für Notarsachen des Kammergerichts in Berlin vom 11. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die der Antragsgegnerin im Beschwerderechtszug entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert wird für beide Rechtszüge auf 50.000 tgesetzt.
Gründe
I.
Die 1966 geborene Antragstellerin wurde am 2. Oktober 1995 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwältin bei dem Landgericht Berlin und am 5. Januar 2001 zugleich beim Kammergericht in Berlin zugelassen. Mit Schreiben vom 26. Juni 2001 bewarb sie sich um die Bestellung zur Notarin, erklärte, ihr sei bekannt, daß derzeit eine Stellenausschreibung nicht erfolgt sei und sie bitte gleichwohl um Bescheid. Die Präsidentin des Kammergerichts bestätigte am 10. August 2001 den Eingang der Bewerbung und fügte bei, weiteres könne von ihr nicht veranlaßt werden, da mangels Stellenausschreibung ein Bewerbungsverfahren nicht eröffnet sei. Die Antragstellerin hat Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Sie hat beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, "unverzüglich in einer öffentlichen Ausschreibung diejenigen zu Bewerbungen für das Amt des Notars aufzufordern, die bis zum 3. November 2000 wenigstens nachhaltig mit der Ausbildung zum Notar begonnen haben und zwar unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen vor dem 3. November 2002, insbesondere der AVNot 1996 (Bedürfniszahl 250) und einer Bedürfnisprüfung anhand der Urkundsgeschäfte für die Jahre 1999 und 2000". Das Kammergericht hat den Antrag als unzulässig verworfen, hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde, mit der die Antragstellerin an ihm festhält.
II.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 111 Abs. 4 BNotO, § 42 Abs. 4 BRAO).
2. In der Sache dringt es nicht durch.
Das Kammergericht hat den Antrag zu Recht als unzulässig abgewiesen. Da die begehrte Ausschreibung keinen Verwaltungsakt darstellt (Senatsbeschl. vom 18. September 1995, NotZ 46/94, NJW 1996, 123; die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde ist vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 15. Juli 1996 -1 BvR 2268/95 -nicht zur Entscheidung angenommen worden), kommt eine gerichtliche Entscheidung mit dem Inhalt des§ 111 BNotO nicht in Frage. Der Senat kann es, wie schon in seiner bisherigen Rechtsprechung, offenlassen, ob ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch eine Amtshandlung zum Gegenstand haben kann, die keinen Verwaltungsakt darstellt. Eine über den Verpflichtungsantrag nach § 111 BNotO hinausgehende allgemeine Leistungsklage würde jedenfalls voraussetzen, daß die Antragstellerin geltend macht, durch die Ablehnung oder das Unterlassen der Amtshandlung in ihren Rechten verletzt zu sein; die behaupteten Tatsachen müßten eine Verletzung subjektiver Rechte der Antragstellerin als möglich erscheinen lassen (Senatsbeschl. vom 18. September 1995, NotZ 46/94 aaO; vom 24. November 1997, NotZ 10/97, BGHR BNotO § 111 Abs. 1, Leistungsantrag 3). Hieran fehlt es.
a) Die Ausschreibung von Notarstellen richtet sich gemäß § 4 BNotO an den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege aus, wobei das Bedürfnis nach einer angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen und die Wahrung einer geordneten Altersstruktur des Notarberufs zu berücksichtigen sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats steht der Verpflichtung der Justizverwaltung, ihr dadurch eröffnetes Ermessen fehlerfrei auszuüben, kein subjektives Recht von potentiellen Bewerbern um eine Notarstelle gegenüber. Die Ermessensbindung der Verwaltung dient nicht dazu, die Berufsaussichten der Interessenten am Notaramt rechtlich abzusichern; sie dient ausschließlich dem Interesse der Allgemeinheit am Funktionieren der vorsorgenden Rechtspflege (Senatsbeschl. vom 18. September 1995, NotZ 46/94 aaO; vom 24. November 1997, NotZ 10/97 aaO; vom 18. März 2002, NotZ 32/01, aaO). Bei der Feststellung der Zahl der zu besetzenden Notarstellen (§ 4 BNotO) und der anschließenden Ermittlung der Bewerber durch Ausschreibung (§ 6b BNotO) handelt die Verwaltung in Ausübung ihrer Organisationsgewalt. In die Freiheit der Berufswahl wird (Art. 12 Abs. 1 GG) dadurch nicht eingegriffen, denn diese besteht nur nach Maßgabe der vom Staat zur Verfügung gestellten Ämter (BVerfGE 73, 280, 292; vgl. auch BVerf-GE 80, 257/263). Eine Leistungsklage auf Stellenausschreibung kommt danach grundsätzlich nicht in Frage.
b) Fallgruppen zu bestimmen, in denen es erforderlich wäre, von diesem Grundsatz abzuweichen, bietet der Vortrag der Antragstellerin keinen hinreichenden Anlaß. Sie hätten jedenfalls zur gemeinsamen Voraussetzung, daß der Notarberuf durch Gesetz oder durch das Verständnis von dem durch die Verfassung Gebotenen seine Berührung mit dem öffentlichen Dienst (staatlich gebundener Beruf, vgl. zuletzt Senatsentscheidung vom 8. Juli 2002, NotZ 9/02, ZNotP 2002, 404, für BGHZ 151, 252 bestimmt) verlöre, die Vorstellung vom Amt des Notars (§ 1 BNotO) zurückträte und dieser der Sache nach in den freien Berufen aufginge. Dann entfiele die Überlagerung des Rechts auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) und des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), der den subjektiven Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (mit)begründet, durch das Verfassungsrecht des öffentlichen Dienstes (Art. 33 GG), darunter den auf Zugang zu den bestehenden Ämtern beschränkten, besonderen Gleichheitssatz des Art. 33 Abs. 2 GG. Eine solche Entwicklung (zur Rechtsprechung vgl. zuletzt BVerfG, Beschl. vom 23. September 2002, 1 BvR 1717 und 1747/00; Beschl. vom 8. April 1998, BVerfGE 98, 49) ist indes bislang nicht eingetreten. Für eine dem gleich zu behandelnde tatsächliche Lage bietet der Vortrag der Antragstellerin keinen Raum. Sie wirft der Antragsgegnerin nicht vor, daß sie in ihrem Bereich eine "Privatisierung" des Notariats vorwegnehme, sich bei der Schaffung von Notarstellen vom öffentlichen Interesse löse und auf die Berufsinteressen von Bewerbergruppen oder der Inhaber der bestehenden Notarämter abstelle. Ermessensfehler, die unterhalb dieser Schwelle bleiben, machen die Entscheidung der Landesjustizverwaltung, Stellen auszuschreiben oder dies zu unterlassen, ebenso die Bestimmung der Gesichtspunkte, unter denen Notarstellen zu schaffen oder einzuziehen sind, für Interessenten nicht anfechtbar. Ob dies auch im Falle der Willkür gilt, kann hier offenbleiben.
Wegen der Angriffe der Antragstellerin auf die Ausschreibungspraxis der Antragsgegnerin im einzelnen wird auf die zutreffenden Gründe des Kammergerichts, auch soweit sie sich (hilfsweise) mit der Begründetheit des Antrags befassen, Bezug genommen. Insgesamt gilt folgendes:
aa) Zum Zeitpunkt der Bewerbung der Antragstellerin war die Bedürfniszahl für die Bestellung von Notaren auf 325 Notariatsgeschäfte (Jahresdurchschnitt der Urkundsgeschäfte der Notare im Bezirk des Kammergerichts unter Berücksichtigung der zu errichtenden Notarstellen, bezogen auf die vergangenen zwei Jahre) festgesetzt (AVNot i.d.F. vom 13. Oktober 2000, Amtsbl.
S. 4226). Dies hatte dazu geführt, daß bei der Bewerbung eine Notarstelle nicht ausgeschrieben war. Die Antragstellerin meint, durch die AVNot i.d.F. vom 22. April 1996, die eine Bedürfniszahl von 250 festgelegt hatte, sei die Antragsgegnerin eine Selbstbindung eingegangen, welche sie daran hindere, die Vorschriften zum Nachteil potentieller Bewerber zu ändern. Dies wäre, selbst bei einer Ermessenskontrolle, die von einer Selbstbindung der Verwaltung im Bewerberinteresse auszugehen hätte, verfehlt. Die mit dem Erlaß einer Richtlinie über die Ermittlung des Bedarfs an Anwaltsnotaren eingegangene Selbstbindung der Verwaltung hindert diese nicht, die Verwaltungsvorschrift allgemein zu ändern, die maßgeblichen Meßzahlen neu festzusetzen oder auch die bisherige Methode der Bedarfsermittlung gegen eine andere auszutauschen, sofern hierfür ein sachlicher Grund besteht (Senatsbeschl. vom 12.
November 1984, NotZ 6/84, DNotZ 1985, 507; vom 13. Juli 1992, NotZ 16/91, BGHR BNotO § 4 n.F. Übergangsregelung 1). Dies war der Fall. Grund für die Änderung der Bedürfniszahl im Jahre 2000 waren ein allgemeines Absinken des Urkundsaufkommens (1998: 386.059; 1999: 357.787; 2000: 338.492) und der Umstand, daß die Mehrzahl der Notare das durchschnittliche Urkundsaufkommen von 250 Geschäften (einschließlich einfacher Zeugnisse, wie der Beglaubigung von Unterschriften ohne Übernahme der Verantwortung für den dazugehörigen Text, §§ 39, 40 BeurkG, 8 DONot) nicht erreichten; ein Drittel der Notare war unter 150 Urkundsgeschäften verblieben. Nach den Feststellungen der Notaraufsichtsbehörde hatte der hohe Bestand von Zwergnotariaten einen ungünstigen Einfluß auf die Urkundsqualität ausgeübt.
bb) Für die (zeitweilige) Beseitigung einer besonderen Regelung zur Wahrung einer geordneten Altersstruktur durch die AVNot i.d.F. vom 13.
Oktober 2000 gilt nichts anderes. Die Antragsgegnerin hatte sich von der Erwartung leiten lassen, daß mit der Erhöhung der Bedürfniszahl der Anlaß hierfür entfallen sei. Dies war möglich. Die Altersstrukturregelung der AVNoti.d.F. vom 22. April 1996 hatte nicht in der Schaffung zusätzlicher Stellen, sondern darin bestanden, den ermittelten Bedarf nicht in einem Zuge, sondern über mehrere Jahre verteilt zu decken. Bei einer Verminderung des Bedarfs war die Prognose möglich, daß dessen sofortige Deckung, auch bei Berücksichtigung jüngerer Bewerber, nicht zu einer zeitweisen Zugangssperre führen würde.
cc) Die Zulässigkeit des Antrags begründet auch nicht die Meinung der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe die Änderung der Verwaltungsvorschrift mit einer Übergangsregelung versehen müssen (vgl. die in der Antragsfassung wiedergegebene Vorstellung der Antragstellerin vom Inhalt einer Übergangsregelung). Als Ausgangspunkt ist festzustellen, daß die Bundesnotarordnung, im Gegensatz zur Auffassung der Antragstellerin, keine Ausbildung zum Anwaltsnotar vorsieht; ein Vorbereitungsdienst ist nur für die hauptamtliche Amtsausübung eingeführt (§ 7 BNotO). Die Antragstellerin hat nicht eine Ausbildung zur Notarin begonnen, die durch die Änderung der Richtlinie abgebrochen worden wäre. Ihre Eignung für das Notaramt (§ 6 Abs. 1 BNotO) steht außer Zweifel. Aufwendungen für Vorbereitungskurse dienten dazu, ihr bei der Auswahl unter den Geeigneten nach § 6 Abs. 3 BNotO eine verbesserte Position zu verschaffen. Aber auch die Verbesserung der Konkurrenzsituation, die sich die Antragstellerin mit der Absolvierung kostenerheblicher Lehrgänge verschafft hat, wird ihr durch die Änderung der Verwaltungsvorschrift nicht entzogen. Das Punktsystem zur Bemessung des Grades der Eignung im Vergleich zu Mitbewerbern besteht fort. Die erworbenen Eignungspunkte kommen der Antragstellerin bei künftigen Bewerbungen zugute.
Abgesehen davon ist eine Befugnis des Bewerbers, durch eigenes Tätigwerden das Organisationsermessen der Justizverwaltung bei der Schaffung von Notarstellen einzuschränken, nicht anerkannt (Senatsbeschl. vom 13. Juli 1992, NotZ 16/91, aaO). Die Aufwendungen der Antragstellerin erfolgten vor einem ungesicherten Hintergrund. Die Antragsgegnerin ermittelt aufgrund der Justizstatistik die Zahl der auszuschreibenden Stellen jährlich neu. Dies konnte die Antragstellerin Abschn. I Nr. 1 Abs. 4 i.V.m. Abschn. XIV Nr. 36 Abs. 1 Satz 3 AVNot i.d.F. vom 22. April 1996 unmittelbar entnehmen; die Antragsgegnerin hat, wie sie mitgeteilt hat, Anfragen nach dem Weiterbestand der bestehenden Bedarfszahl und der Altersstrukturregelung stets mit dem Hinweisauf die Verwaltungsvorschrift beantwortet. Auch ein langjähriges Festhalten an Daten (die Bedürfniszahl 250 war bereits durch die AVNot i.d.F. vom 8. Dezember 1994, Amtsbl. S. 4133, eingeführt worden) schuf für den Interessenten keine Sicherheit. Die Bedarfszahl hängt von den aktuellen Verhältnissen, nicht von den Zuständen ab, die in der Vergangenheit, wenn auch über erhebliche Zeitspannen, bestanden hatten. Abgesehen davon konnte ein Interessent auch nicht davon ausgehen, daß die Grundsätze der Bedarfsermittlung als solche verfestigt waren, es der Antragsgegnerin mithin versagt gewesen wäre, aus sachlichen Gründen neue Maßstäbe zu setzen.
dd) Die Höhe der Bedürfniszahl als solche ist nicht geeignet, ihr objektiv den Zweck zu entnehmen, Inhaber von Amtsstellen sollten vor Konkurrenz geschützt oder der Bewerberkreis gesteuert (BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 2002, 1 BvR 2251/02) werden. Auf ein Organisationsermessen, das ihnen ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit gewährleistet, hatten die praktizierenden Notare demgegenüber einen Anspruch (Senatsbeschl. v. 16. Juli 2001, NotZ 7/01, ZNotP 2001, 440 m.Nachw. zur std. Rspr. des Senats).
Rinne Tropf Galke Doye Ebner
BGH:
Beschluss v. 31.03.2003
Az: NotZ 29/02
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