Bayerischer Verwaltungsgerichtshof:
Beschluss vom 6. Oktober 2014
Aktenzeichen: 7 C 14.1372
(Bayerischer VGH: Beschluss v. 06.10.2014, Az.: 7 C 14.1372)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Die Klägerinnen sind private Kabelregionalgesellschaften, die in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg Breitbandkabelnetze betreiben. Sie möchten vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht in München klagen, um festzustellen, dass der Beklagte, der Bayerische Rundfunk, verpflichtet ist, mit ihnen einen Vertrag über die entgeltliche Verbreitung des Programms "Bayerisches Fernsehen" über ihre Netze abzuschließen. Dieses Programm hat den "Must Carry" Status in den Netzen der Klägerinnen. Als Alternative dazu beantragen die Klägerinnen festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, das Programm in ihre Netze einzuspeisen oder zu verbreiten, solange kein Vertrag darüber geschlossen wurde.
Das Verwaltungsgericht München hat entschieden, den Verwaltungsrechtsweg für die Klage zu eröffnen. Der Beklagte legt gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und fordert eine Verweisung des Hauptantrags an das Landgericht München I. Er argumentiert damit, dass die Klägerinnen bereits zivilrechtliche Klagen vor den Landgerichten Köln und Mannheim erhoben haben, die dieselben Parteien und denselben Lebenssachverhalt zum Gegenstand haben. Der Beklagte behauptet, dass der Anspruch der Klägerinnen zivilrechtlich zu beurteilen ist und nur zivilrechtliche Vorschriften als Anspruchsgrundlage in Betracht kommen. Er bestreitet, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften, auf die sich die Klägerinnen berufen, ihnen einen subjektiven Rechtsanspruch gegenüber dem Beklagten verleihen.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Verwaltungsrechtsweg für die Klage eröffnet ist, auch für den Hauptantrag der Klägerinnen. Die Klägerinnen machen einen öffentlich-rechtlichen Anspruch geltend, der auf ihrer gesetzlichen Verpflichtung als Kabelnetzbetreiber beruht, das Programm des Beklagten in ihre Netze einzuspeisen und zu verbreiten. Dieser Anspruch steht im Zusammenhang mit ihrer "Must Carry" Verpflichtung und kann als öffentlich-rechtlicher Anspruch qualifiziert werden. Die Zweifel des Beklagten an der Zulässigkeit und Begründetheit des Hauptantrags sind nicht ausreichend, um die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs in Frage zu stellen.
Die Beschwerde des Beklagten wird daher zurückgewiesen und er trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die weitere Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht wird zugelassen, da es zu dieser Rechtsfrage uneinheitliche Entscheidungen der Verwaltungsgerichte gibt und die Frage daher grundsätzliche Bedeutung hat.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
Bayerischer VGH: Beschluss v. 06.10.2014, Az: 7 C 14.1372
Für die Prüfung, ob der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist, kommt es auf Fragen zur Zulässigkeit und Begründetheit des Klagebegehrens grundsätzlich nicht an. Maßgebend ist allein, ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt (§ 40 Abs. 1 VwGO).Verwaltungsrechtsweg; öffentlich-rechtliche Streitigkeit; Kabelnetzbetreiber; Rundfunkveranstalter; €Must Carry€
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Die weitere Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerinnen (private Kabelregionalgesellschaften) betreiben Breitbandkabelnetze in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg. Sie begehren vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München im Klageweg die Feststellung, dass der Beklagte (Bayerischer Rundfunk, Anstalt des öffentlichen Rechts) verpflichtet ist, mit den Klägerinnen einen Vertrag über die entgeltliche Verbreitung des Programms €Bayerisches Fernsehen€ über die Netze der Klägerinnen zu schließen, soweit dieses Programm in diesen Netzen €Must Carry€ € Status hat (Hauptantrag). Sie begehren hilfsweise die Feststellung, dass die Klägerinnen nicht verpflichtet sind, das Programm Bayerisches Fernsehen in ihre Netze einzuspeisen oder über ihre Netze zu verbreiten, solange hierüber kein Vertrag geschlossen worden ist.
Das Verwaltungsgericht München hat - aufgrund der vom Beklagten gerügten Zulässigkeit des Rechtswegs - mit streitgegenständlichem Beschluss vom 2. Juni 2014 den Verwaltungsrechtsweg vorab für eröffnet erklärt (§ 17a Abs. 3 GVG). Auf die Gründe des Beschlusses wird verwiesen.
Der Beklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss, soweit dieser den Verwaltungsrechtsweg (auch) in Bezug auf den Hauptantrag der Klägerinnen für eröffnet erklärt. Er begehrt die Verweisung des Hauptantrags an das Landgericht München I und verweist zur Begründung auf die von den Klägerinnen vor den Landgerichten Köln und Mannheim erhobenen zivilrechtlichen Klagen, welche dieselben Parteien und denselben Lebenssachverhalt zum Gegenstand hätten, auch wenn die Klägerinnen dort das vorliegend streitgegenständliche Programm €Bayerisches Fernsehen€ ausgeklammert hätten, um den Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit zu umgehen. Das Begehren der Klägerinnen auf Abschluss eines entgeltlichen Vertrags sei zivilrechtlich zu beurteilen. Als Anspruchsgrundlage kämen allein zivilrechtliche Vorschriften in Betracht. Die von den Klägerinnen vor dem Verwaltungsgericht zur Klagebegründung herangezogenen öffentlich-rechtlichen Vorschriften vermittelten diesen offensichtlich keinen subjektiv-rechtlichen Anspruch im Verhältnis zum Beklagten. Dies gelte auch für die öffentlich-rechtlich (rundfunkrechtlich) normierten €Must Carry€ € Bestimmungen. Der Hauptantrag der Klägerinnen sei im Übrigen in mehrfacher Hinsicht unzulässig.
Die Klägerinnen widersetzen sich dem Vorbringen des Beklagten.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die vorgelegte Akte des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass der Verwaltungsrechtsweg auch in Bezug auf den Hauptantrag der Klägerinnen eröffnet ist, weil es sich insoweit ebenfalls um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt, die nicht durch Gesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist (§ 40 Abs. 1 VwGO). Die hiergegen gerichteten Einwände des Beklagten sind nicht begründet.
a) Der Einwand des Beklagten, die Klägerinnen hätten vor den Landgerichten Köln und Mannheim zivilrechtliche Klagen erhoben, welche dieselben Parteien und denselben Lebenssachverhalt zum Gegenstand hätten, ist schon deshalb unbeachtlich, weil das Prozesshindernis, denselben Streitgegenstand nach Eintritt der Rechtshängigkeit anderweitig anhängig zu machen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG), nicht zu einer Verweisung der verbotswidrig erhobenen zweiten Klage, sondern zu deren Abweisung als unzulässig führt (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 41 Rn. 11). Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen des Klageverfahrens zu prüfen, ob die Klägerinnen tatsächlich in gegenständlicher und persönlicher Hinsicht denselben Streitgegenstand wie vor den Zivilgerichten auch vor dem Verwaltungsgericht anhängig gemacht haben (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 41 Rn. 13 ff.). Es wird dabei zu beurteilen haben, ob die Klägerinnen denselben prozessualen Anspruch auf denselben Lebenssachverhalt (Klagegrund) stützen, was auch dann der Fall ist, wenn sich aus dem Klagegrund mehrere Anspruchsgrundlagen herleiten lassen (Anspruchsnormenkonkurrenz), oder ob unterschiedliche Streitgegenstände deshalb vorliegen, weil das Klagebegehren auf einem anderen Klagegrund beruht (vgl. hierzu Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 121 Rn. 23 f.).
b) Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt es auch sonst für die Prüfung, ob der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist, auf Fragen zur Zulässigkeit und Begründetheit des Klagebegehrens grundsätzlich nicht an. Maßgebend ist allein, ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt.
aa) Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es regelmäßig darauf an, ob die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit kann aber auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen. Gleichordnungsverhältnisse sind öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 2.5.2007 BVerwGE 129, 9 Rn. 4 m.w.N.). Für die Rechtswegfrage sind die vom Kläger aufgestellten tatsächlichen Behauptungen € im Sinne einer Schlüssigkeitsprüfung € als zutreffend zu unterstellen. Unerheblich ist, auf welche Norm der Kläger seinen Anspruch selbst stützt und wie er ihn selbst qualifiziert; vielmehr kommt es auf die wahre Rechtsnatur des Anspruchs an (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 40 Rn. 34 m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen teilt der Senat die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerinnen mit ihrem Hauptantrag einen Anspruch geltend machen, der € wenn es ihn gäbe € als öffentlich-rechtlicher Anspruch zu qualifizieren ist. Die Klägerinnen sind als Kabelnetzbetreiber € unstreitig aufgrund öffentlich-rechtlicher Normen € gesetzlich verpflichtet, für die Verbreitung öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme (Fernsehen und Hörfunk) technische Kapazitäten im Umfang von höchstens einem Drittel ihrer jeweiligen Gesamtkapazität zur Verfügung zu stellen (vgl. z.B. § 52b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 des Staatsvertrags für Rundfunk und Telemedien [Rundfunkstaatsvertrag € RStV]). Diese Verpflichtung (€Must Carry€) regelt der Rundfunkstaatsvertrag in Bezug auf die digitale Verbreitung der Rundfunkprogramme. Sie ist für Kabelnetzbetreiber in ähnlicher Weise auch in Bezug auf die Verbreitung von Programmen in analoger Technik in den Rundfunk- und Mediengesetzen der Länder normiert (vgl. z.B. Art. 36 des Gesetzes über die Entwicklung, Förderung und Veranstaltung privater Rundfunkangebote und anderer Telemedien in Bayern [Bayerisches Mediengesetz € BayMG] in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.10.2003 [GVBl S. 799; BayRS 2251-4-S/W], zuletzt geändert durch Verordnung vom 22.7.2014 [GVBl S. 286]). Die rundfunkrechtlich bestehenden Verpflichtungen der Kabelnetzbetreiber sind von den zuständigen Landesmedienanstalten durch hoheitliche Maßnahmen durchzusetzen (in Bayern von der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Art. 16 Abs. 1 BayMG).
Der von den Klägerinnen vor dem Verwaltungsgericht mit dem Hauptantrag geltend gemachte Feststellungsanspruch zur Verpflichtung des Beklagten, mit den Klägerinnen einen Vertrag über die entgeltliche Verbreitung des Programms €Bayerisches Fernsehen€ über die Netze der Klägerinnen zu schließen, soweit dieses Programm in diesen Netzen €Must Carry€ € Status hat, beruht € wie die Klägerinnen vortragen € auf der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung, das Fernsehprogramm des Beklagten in die Kabelnetze der Klägerinnen einzuspeisen und zu verbreiten. Ihr Anspruch korrespondiert mit ihrer €Must Carry€ € Verpflichtung und ist, wenn er sich € wie die Klägerinnen weiter vortragen € ebenfalls rundfunkrechtlich begründen lässt, ohne weiteres als öffentlich-rechtlich normierter Anspruch zu beurteilen. Die Klägerinnen weisen in diesem Zusammenhang ergänzend auf die öffentlich-rechtliche Bestimmung des § 52d Satz 2 RStV hin, wonach (u.a.) die Verbreitung von Angeboten nach § 52b Abs. 1 Nr. 1 RStV (das sind u.a. die Dritten Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) zu angemessenen Bedingungen zu erfolgen hat. Ob sich aus dieser oder anderen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen der von den Klägerinnen behauptete Feststellungsanspruch ergeben kann, ist eine Frage der Begründetheit der Klage, auf die es im Rahmen der Prüfung, ob der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist, grundsätzlich nicht ankommt. Eine Ausnahme gilt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung allenfalls dann mit der Folge, dass eine Verweisung des Rechtsstreits in Betracht kommt, wenn € im Fall einer Anspruchsnormenkonkurrenz € eine einzelne materielle Anspruchsgrundlage, für die allein der beschrittene Rechtsweg zulässig wäre, aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts offensichtlich nicht gegeben ist (vgl. BVerwG, B.v. 15.12.1992 NVwZ 1993, 358). Eine solche offensichtliche Unbegründetheit des geltend gemachten Hauptantrags besteht € wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat € nicht.
bb) Die Zweifel des Beklagten an der Zulässigkeit des Hauptantrags, etwa wegen des fehlenden Feststellungsinteresses, der fehlenden Klagebefugnis, der Unbestimmtheit des Feststellungsantrags oder des Vorrangs der Leistungsklage sind ebenso wie die Zweifel an der Begründetheit des Klagebegehrens nicht geeignet, die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs in Zweifel zu ziehen. Sie sind sämtlich vom Verwaltungsgericht erst im weiteren Verlauf des Verfahrens innerhalb des aufgrund des klägerischen Vorbringens zu Recht für zulässig erklärten Rechtswegs zu prüfen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil sich die Höhe der Gerichtsgebühr unmittelbar aus dem Gesetz (Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes) ergibt.
3. Die weitere Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht ist zuzulassen, weil die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zur vorliegenden Rechtsfrage uneinheitlich sind (vgl. VG Köln, B.v. 18.6.2014 € 6 K 2805/13 €) und der Rechtsfrage somit grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 17a Abs. 4 Satz 4 und 5 GVG).
Bayerischer VGH:
Beschluss v. 06.10.2014
Az: 7 C 14.1372
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