Landgericht Hamburg:
Urteil vom 23. Dezember 2005
Aktenzeichen: 324 O 476/05

(LG Hamburg: Urteil v. 23.12.2005, Az.: 324 O 476/05)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Die Klage der Klägerin wird vom Landgericht Hamburg abgewiesen. Die Klägerin betreibt eine Privatklinik für "ganzheitliches Heilweisen" und wirbt in ihrer Werbebroschüre mit den ethischen und moralischen Prinzipien eines urchristlichen Lebens. Die Beklagte, eine öffentlich-rechtliche Kirchenkörperschaft, verbreitet über ihre Internet-Domain Aussagen über "UL" (eine Glaubensgemeinschaft), die von der Klägerin als diffamierend angesehen werden. Die Klägerin fordert Schadensersatz von der Beklagten, da potenzielle Patienten aufgrund der Aussagen von einer Behandlung bei ihr abgesehen haben. Das Gericht weist die Klage jedoch ab, da die Aussagen der Beklagten zulässig sind. Die Verwendung des Begriffs "Sekte" in Verbindung mit der Klägerin verletzt nicht das allgemeine Unternehmenspersönlichkeitsrecht. Die Klägerin ist als wirtschaftliches Unternehmen im sensiblen Bereich der Gesundheitspflege tätig und hat daher ein erhebliches öffentliches Informationsinteresse aufgrund ihrer weltanschaulichen Ansätze. Die Verbreitung der Aussagen der Beklagten ist daher zulässig. Auch die Bezeichnung von "UL" als "Deutschlands gefährlichste Sekte" fällt unter den Schutz der Meinungs- und Medienfreiheit. Obwohl diese Bezeichnung negativ besetzt ist, ist sie noch im Bereich zulässiger Meinungsäußerung. Das Gericht sieht auch keine Amtspflichtverletzung der Beklagten, da die Verbreitung der Aussagen zulässig ist. Insgesamt fehlt es an einer rechtswidrigen Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin. Daher wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LG Hamburg: Urteil v. 23.12.2005, Az: 324 O 476/05


Tenor

I.) Die Klage wird abgewiesen.

II.) Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III.) Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar

Beschluss : Der Streitwert wird auf 12.723,48 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Schadensersatz.

Sie betreibt eine Privatklinik für "ganzheitliches Heilweisen". Die Klinik ist u.a. beihilfefähig und als Reha-Klinik anerkannt. Sie wurde von Anhängern der Glaubensgemeinschaft "UL" gegründet. Ihre Geschäftsführer und die überwiegende Zahl ihrer Mitarbeiter gehören "UL" an.

In Zeitungsanzeigen wirbt "UL" u.a. wie folgt:

"Wir leben und arbeiten nach der Bergpredigt. Es entstehen selbständig geführte Betriebe jeder Art: Unternehmen, Kliniken, Altenheime, Kindergärten, Schulen, Sozialstationen... WIR BAUEN AUF - MACHEN SIE MIT ! Wir suchen Fachleute aus allen Berufen. Melden Sie sich, wenn Sie Christ nicht nur dem Taufschein nach sind, sondern in der Tat. Wir brauchen: (...)

Harmonie ist das Leben des Betriebes. Denn wo echte Harmonie ist, ist Dynamik, ist Erfolg. Unsere Betriebe sind durch eine gemeinsame Betriebsordnung miteinander verbunden, die auf christlichen Prinzipien aufgebaut ist. Wir arbeiten mit den göttlich-kosmischen Kräften, die wir durch uns wirken lassen. Dabei beachten wir die weltlichen Gesetze und bringen sie mit der göttlichen Kraft in Einklang. (...)" (Anlage B 2).

"UL" gibt an, über eine leibliche "Prophetin" zu verfügen, nämlich Frau G. W.. Sie lehrt u.a., dass Krankheiten als eigenes Fehlverhalten gegenüber den Gesetzen des Herrn anzusehen seien, und verbreitet so genannte "christliche Ur-Heilweisen". Danach gilt:

"Wir benötigen dann keine Medikamente, wenn wir in Übereinstimmung mit den geistigen Gesetzen leben, weil wir dann nicht krank werden."

"Was ist eigentlich Krankheit€ Man kann sie mit den Wolken vergleichen. Der Wasserdampf steigt von der Erdoberfläche auf und verdichtet sich zu wolkigen Gebilden. Die Wolken versperren uns die Aussicht auf die Sonne. Auf ähnliche Weise steigen aus dem Denken des Menschen Dämpfe auf und nehmen die Gestalt von Krankheiten, eben Wolken, an. Sie verkrampfen das Nervenbewusstsein und umwölken die Seele. Dadurch verringert sich die in uns einfließende Geisteskraft. Erkennen wir doch: Wie sehr auch die geistige Sonne, der ewige Geist, für uns durch Wolken verdeckt sein mag - die Sonne selbst, der Geist, ist davon nicht betroffen! Die Wolken bilden eine Umhüllung der Seele, einen Schleier, der Geist selbst bleibt davon unberührt. Krankheit beruht auf falschem Denken."

Die Klägerin wirbt in einer Werbebroschüre (Anlage K 1, Seite 5 ff.) u.a. wie folgt:

"[...] Für unser Team sind die ethischen und moralischen Prinzipien eines urchristlichen Lebens Ansporn und Verpflichtung zugleich.

[...]

Das Behandlungskonzept ist eine langjährig bewährte Synthese aus erprobter Naturheilkunde und Verfahren der konventionellen Medizin in Diagnostik und Therapie. Dies geschieht auf der Basis der Heilverfahren nach christlichen Ur-Heilweisen.

[...]

4. Aktive Lebensgestaltung [...] Orientierungshilfe können hier die praktischen Lebensregeln der Zehn Gebote Gottes und der Bergpredigt des Jesus von Nazareth sein, die urchristlichen Lebensregeln für Glück, Zufriedenheit, Freiheit und Gesundheit. [...]"

Die Beklagte ist eine öffentlich-rechtliche Kirchenkörperschaft. Sie betreibt die Internet-Domain "www.m.de". Über diese Domain verbreitete der Beauftragte der Beklagten in Fragen des "UL", Pfarrer M. F., folgende Äußerungen:

"In der L. Straße befindet sich die HG Naturklinik des UL. HG steht für 'Haus der Gesundheit', einer für Sektenbetriebe typischen Wortzusammenstellung..." (Anlage K 3, S. 2)

und an anderer Stelle

"Das U. ist dem ST. zufolge Deutschlands gefährlichste Sekte" (Anlage K 4, S. 7).

In der mündlichen Verhandlung vom 16.9.2005 erklärte der persönlich erschienene Pfarrer F., er halte "UL" nicht für "Deutschlands gefährlichste Sekte", dies sei "Scientology".

Die Klägerin, die vor dem Verwaltungsgericht auf Unterlassung dieser Äußerungen klagt, vertritt die Ansicht, ihr stehe gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung zu, da zwei Interessentinnen wegen der zitierten Äußerungen davon abgesehen hätten, mit ihr - der Klägerin - einen Behandlungsvertrag abzuschließen. Dadurch seien ihr Gebühren in der beantragten Höhe entgangen. Die angegriffenen Äußerungen hätten Prangerwirkung. Der Begriff "Sekte" sei zum stigmatisierenden Schimpfwort geworden. Bei der von der Beklagten ausgelösten Assoziationskette handle es sich um eine gezielte Diffamierung, die ohne den erforderlichen Sachbezug stattfinde. Da das "St."-Zitat schon 8 Jahre alt sei, liege außerdem ein Fall "unzulässigen Aufwärmens" vor. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte als öffentlich-rechtliche Kirchenkörperschaft bei Äußerungen über religiöse Minderheiten besonderen Sorgfaltspflichten unterliege. Der bloße Umstand, dass "ja immerhin eine gewisse Verbindung" zwischen der Klägerin und "UL" bestehe, könne die angegriffene Äußerung nicht rechtfertigen, denn die Zugehörigkeit zu einer religiösen oder weltanschaulichen Gruppe werde vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst, das auch vor der grundlosen Bekanntgabe persönlicher Daten schütze. Das gelte insbesondere dann, wenn diese Zugehörigkeit zum Anknüpfungspunkt sozialer Ausgrenzung werde. Daneben trete die negative Religionsfreiheit. Dass ihre Gesellschafter bzw. ein überwiegender Teil ihrer Mitarbeiter dem "UL" "nahe stünden", führe nicht zu unseriösen Behandlungsmethoden. Ihre Ärzte und Mitarbeiter fühlten sich dem "urchristlichen Gedankengut" und damit der Bergpredigt des Jesus von Nazareth in besonderer Weise verpflichtet, was zu einer besonderen Fürsorge gegenüber den Patienten führe, ohne dass hierdurch im geringsten missioniert werde. In ihrer Klinik werde weder nach bestimmten Lehren von "UL" geheilt noch seien diese Heilmethoden mit den Regeln der ärztlichen Kunst unvereinbar. Die "christliche Ur-Heilweise" gehe schlicht davon aus, dass der Mensch aus Leib und Seele bestehe und dass für die Gesundung des Patienten und die Therapie des Arztes nicht zuletzt die Übereinstimmung mit christlichen Grundwerten von Bedeutung sei. Die Verbreitung der angegriffenen Äußerungen verstoße auch gegen das BDSG. Ferner seien diese Äußerungen als betriebsbezogener Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb anzusehen. Der Unternehmensschutz komme subsidiär immer dann ins Spiel, wenn der Ehrschutz nicht greife. Ein berechtigtes Interesse, die negative Religionsfreiheit und die Privatsphäre des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu überwinden, liege nicht vor. Angesichts der Erklärung von Pfarrer F., er halte "UL" nicht für "Deutschlands gefährlichste Sekte", habe die Beklagte diese Abwertung wider besseren Wissens ausgesprochen, was mit § 193 StGB unter keinen Umständen vereinbar sei. Alles in allem erweise sich der Internettext der Beklagten als eine unzulässige Anprangerung, die unabhängig von der Frage, ob sie ehrenschutzrechtlich für sich betrachtet zulässig wäre, zu einer rechtswidrigen Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb führe.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Euro 12.723,48 nebst 6 % Zinsen seit Klagezustellung zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, das Landgericht Hamburg sei unzuständig, da die angegriffene Internetseite in O. abgerufen worden sei. Die angegriffenen Äußerungen seien zulässig. Ihre Auseinandersetzung mit "UL" sei Ausfluss ihres Wächteramtes. Bei der Klägerin würden die "christlichen Ur-Heilweisen" des "UL", bzw. der "Prophetin" G. W. als Basis für Therapie und Diagnostik angewandt, so z.B. die nach dem Hund von G. W. benannte "Chashwan-Heiltherapie", bei der es - insoweit unstreitig - laut einer Presseveröffentlichung des "UL" um eine "Heilung über das Nervensystem" geht (vgl. Anlage B 4). Patienten würden nicht lege artis behandelt.

Gründe

I.)

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

1.) Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Hamburg für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Bei Klagen gegen Massenmedien ist die örtliche Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO für jeden Ort gegeben, an dem die jeweilige Publikation bestimmungsgemäß verbreitet wird oder verbreitet worden ist (Soehring, Presserecht, 3. Aufl., Rn. 30.18). Die Domain "www.m.de" ist auch in Hamburg bestimmungsgemäß abrufbar.

2.) Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Er folgt insbesondere nicht aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG.

Zwar handelt der Sektenbeauftragte einer öffentlich-rechtlich korporierten Religionsgemeinschaft in Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 GG, wenn er sich in Wahrnehmung seiner kirchlichen Aufgaben in den Medien kritisch über soziale Vorgänge äußert (BGH, NJW 2003, 1308, Leitsätze).

Es fehlt vorliegend aber an einer Amtspflichtverletzung, denn die Verbreitung der angegriffenen Äußerungen war zulässig.

Zwar hat sich die Beklagte die Äußerung des "St.", wonach "UL" "Deutschlands gefährlichste Sekte" sei, zu Eigen gemacht, denn in der angegriffenen Erstmitteilung findet sich nichts, was der zitierten Einschätzung des "St." entgegenstehen könnte. Im Gegenteil: Es wird mitgeteilt, dass es "noch unendlich viel mehr an Kritik" gebe, verbunden mit der Aufforderung "Informieren Sie sich!".

Von dieser Äußerung ist die Klägerin auch betroffen, denn durch die Aussage

"In der L. Straße befindet sich die HG Naturklinik des UL. HG steht für 'Haus der Gesundheit', einer für Sektenbetriebe typischen Wortzusammenstellung...".

wird dem Durchschnittsleser vermittelt, dass die Klägerin "UL" zumindest nahe stehe.

Die Klägerin hat diese Äußerungen aber gleichwohl hinzunehmen.

a.) Ihre Verbreitung verletzt nicht das allgemeine Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG.

aa.) Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass durch die Bekanntgabe der Religionszugehörigkeit ihrer Mitarbeiter ihre Privatsphäre verletzt werde. Zwar trifft es zu, dass bei einer natürlichen Person die Religionszugehörigkeit grundsätzlich dieser Sphäre zuzurechnen ist. Die Klägerin selbst kann als juristische Person jedoch schon gar keiner Religion angehören.

Ferner mag zwar der Durchschnittsleser der Aussage, dass die Klägerin ein "Sektenbetrieb" des "UL" sei, entnehmen, dass offenbar der überwiegende Teil der Mitarbeiter der Klägerin dem "UL" angehöre. An der Verbreitung dieser unstreitig wahren Tatsachenbehauptung besteht jedoch ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse. Die Klägerin ist als Wirtschaftsunternehmen am Markt tätig. Schon deshalb ist ihr Recht auf Geheimhaltung weitgehend eingeschränkt. Hinzu kommt, dass sie in einem äußerst sensiblen Bereich, nämlich der öffentlichen Gesundheitspflege, tätig ist. Die Öffentlichkeit, insbesondere potentielle Patienten, haben ein berechtigtes Interesse daran, umfassend darüber aufgeklärt zu werden, welche - gegebenenfalls weltanschaulich motivierten - Heilansätze in der Einrichtung vertreten werden, der sie sich zur Behandlung anvertrauen, und zwar unabhängig davon, ob diese Ansätze sich aus schulmedizinischer Sicht als zweifelhaft erwiesen haben oder nicht. Vorliegend war prozessual davon auszugehen, dass in der Klinik der Klägerin die "christlichen Ur-Heilweisen" des "UL", bzw. der "Prophetin" G. W. als Basis für Therapie und Diagnostik angewandt werden. Den dementsprechenden Vortrag der Beklagten hat die Klägerin nicht substantiiert bestritten. Zwar trägt sie mit nachgelassenem Schriftsatz vor, in ihrer Klinik werde weder nach "bestimmten Lehren" von "UL" geheilt noch seien diese Heilmethoden mit den Regeln der ärztlichen Kunst unvereinbar. Im Anschluss nimmt sie aber selbst darauf Bezug, dass laut ihrem eigenen Prospekt ihr Behandlungskonzept auf der "Basis der Heilverfahren nach christlichen Ur-Heilweisen" beruht. Insoweit bestreitet sie auch nicht, dass bei ihr z.B. die - nach dem Hund von G. W. benannte - "Chashwan-Heiltherapie" zur Anwendung kommt. Schließlich ist unstreitig, dass die Klägerin in ihrem Prospekt ihren Patienten "die urchristlichen Lebensregeln für Glück, Zufriedenheit, Freiheit und Gesundheit" als Orientierungshilfe für eine "aktive Lebensgestaltung" empfiehlt und damit wirbt, dass für ihr "Team" die "ethischen und moralischen Prinzipien eines urchristlichen Lebens Ansporn und Verpflichtung zugleich" seien.

Ein Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die angegriffene Erstmitteilung keine personenbezogenen Daten im Sinne des § 3 Abs. 1 BDSG enthält. Zwar zählt die Religionszugehörigkeit zu den "Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse" im Sinne dieser Vorschrift. In der angegriffenen Erstmitteilung werden derartige Angaben aber nicht - wie es § 3 Abs. 1 BDSG voraussetzt - im Hinblick auf eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person getroffen, denn die Klägerin ist eine juristische Person. Der pauschalen Bezeichnung der Klägerin als "Sektenbetrieb" des "UL" entnimmt der Durchschnittsleser auch nicht die Behauptung, sämtliche ihrer Mitarbeiter seien Mitglieder des "UL".

bb.) Zulässig ist es auch, "UL" im Zusammenhang mit der angegriffenen Berichterstattung über die Klägerin als "Deutschlands gefährlichste Sekte" zu bezeichnen.

Diese Bezeichnung enthält zunächst als Tatsachenkern die Behauptung, dass "UL" eine (kleinere) Glaubensgemeinschaft sei (vgl. hierzu die Definition des "Duden", 21. Aufl., zum Begriff "Sekte"). Diese Behauptung ist unstreitig zutreffend und damit zulässig.

Aber auch der darüber hinausgehende Meinungsgehalt verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Allerdings ist der Klägerin darin beizupflichten, dass der Begriff "Sekte" beim Durchschnittsleser schon für sich genommen in erheblichem Maße negativ besetzt ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass er in der öffentlichen Kommunikation - insbesondere auch von Seiten staatlicher Stellen - häufig in Verbindung mit Warnungen gebraucht wird. Durch das Attribut "Deutschlands gefährlichste" wird diese negative Wertung noch massiv verstärkt, indem "UL" im Hinblick auf seine (vermeintliche) "Gefährlichkeit" quasi eine nationale Alleinstellung eingeräumt wird. Vor diesem Hintergrund mag man die angegriffenen Äußerungen als unangemessen ansehen. Sie stehen aber gleichwohl unter dem Schutz der Meinungs- und Medienfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG.

Dieser tritt im Rahmen der erforderlichen Abwägung hinter dem grundrechtlich geschützten Achtungsanspruch des Betroffenen regelmäßig erst dann zurück, wenn es sich bei der fraglichen Äußerung um "Schmähkritik" handelt. Dies wiederum ist der Fall, wenn in der Äußerung nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, wenn also die Kritik auch aus Sicht des Kritikers keine vertretbare Grundlage mehr haben kann, sondern auf eine vorsätzliche Ehrkränkung abzielt (BGH, NJW 1987, 1398; Soehring, Presserecht, 3.Aufl., Rn. 20.9). Ausschlaggebend ist insofern insbesondere, ob die streitige Äußerung Sachnähe zu einem ihr zu Grunde liegenden Tatbestand hat. Fehlt es an hinreichenden tatsächlichen Anknüpfungspunkten, auf die die geäußerte Meinung gestützt werden kann, ist die Schwelle zur unzulässigen Schmähkritik überschritten (Hans. OLG, NJW 2000, 1292 f.). Diese Schwelle liegt allerdings hoch. Der Bundesgerichtshof (NJW 1994, 124, 126) hat insoweit ausgeführt, da es Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung sei, Aufmerksamkeit zu erregen, seien angesichts der heutigen Reizüberflutung aller Art einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen. Das gelte auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestünden oder mit übersteigerter Polemik vorgetragen würden.

Gemessen hieran bewegt sich die in Rede stehende Kritik der Beklagten noch im Bereich zulässiger Meinungsäußerung. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass an Sektenbeauftragte öffentlich-rechtlich korporierter Religionsgemeinschaften bei kritischen öffentlichen Äußerungen über andere Personen oder Unternehmen im Hinblick auf die Grundrechte der Betroffenen gesteigerten Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind (vgl. dazu: BGH, a.a.O.). Für die Bezeichnung von "UL" als "Deutschlands gefährlichste Sekte" bestehen - auch hinsichtlich der hier in Rede stehenden Verknüpfung mit dem Klinikbetrieb der Klägerin - hinreichende Anknüpfungstatsachen. Anzuführen ist insoweit zunächst, dass "UL" unstreitig verbreitet, über eine leibliche Anführerin (G. W.) zu verfügen, die von Gott persönlich als "Seine Prophetin" bezeichnet werde, denn diesen weltanschaulichen Ansatz mag man als Anzeichen für einen "Personenkult" interpretieren, der zumindest potentiell geeignet ist, seine Anhänger in ein "gefährliches" Abhängigkeitsverhältnis zu bringen. Insoweit fällt zusätzlich ins Gewicht, dass sich "UL" - wie die oben zitierte Werbeanzeige zeigt - in großem Umfange am Wirtschaftsleben beteiligt, d.h. offenbar auch kommerzielle Interessen verfolgt.

Ferner ist im Hinblick auf die in der angegriffenen Erstmitteilung vorgenommene Verknüpfung mit dem Betrieb der Klägerin wiederum zu berücksichtigen, dass sich diese als wirtschaftlich tätiges Unternehmen in dem äußerst sensiblen Bereich der Gesundheitspflege betätigt und sich daher in ganz besonderem Maße der öffentlichen Kritik stellen muss. Insofern ist es von Bedeutung, dass Frau W. ein "Gesundheitskonzept" mit den oben erwähnten, durchaus pointierten Ansichten zu den Ursachen von Krankheiten und deren Heilungsmöglichkeiten vertritt. Zwar ist unstreitig, dass in der Klinik der Klägerin auch schulmedizinische Verfahren und Medikamente zur Anwendung kommen. Auch mag man - wie die Klägerin - der Ansicht sein, dass die Zugehörigkeit des Behandlungspersonals bei "UL" nur positive Auswirkungen für die Patienten habe. Man mag aber z.B. auch Anlass zu der Befürchtung sehen, dass Patienten zu einer Interpretation der "Heillehre" der "Prophetin" gelangen, die sie eine nach schulmedizinischen Maßstäben erforderliche medikamentöse Behandlung ablehnen lässt.

Dass Pfarrer F. in der mündlichen Verhandlung geäußert hat, er halte "UL" nicht für "Deutschlands gefährlichste Sekte", dies sei "Scientology", ändert an dem gefunden Ergebnis schon deshalb nichts, weil er persönlich gar nicht Partei des Rechtsstreits ist. Im Übrigen hängt die Reichweite des Schutzes der Meinungs- und Medienfreiheit nicht davon ab, ob und in welchem Umfang ein Äußernder zu der von ihm verbreiteten Meinung persönlich steht.

b.) Auch eine Verletzung des Rechts der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegt nicht vor. Zwar sind die angegriffenen Äußerungen als betriebsbezogener Eingriff in den Klinikbetrieb der Klägerin anzusehen, da sie auf das Unternehmen als solches abzielen und ihnen zugleich eine über eine bloße Belästigung hinausgehende Schadensgefahr anhaftet. Der Eingriff ist aber nicht rechtswidrig. Beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist hinsichtlich der Frage der Rechtswidrigkeit stets eine Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall vorzunehmen (vgl. Sprau, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Aufl., § 823 Rn. 126). Der Schutzumfang des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb deckt sich insoweit nahtlos mit dem Schutzumfang des Unternehmenspersönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG (vgl. Soehring, Presserecht, 3. Aufl., Rn. 12.55). Es kann daher insoweit auf obige Ausführungen verwiesen werden.

II.)

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.






LG Hamburg:
Urteil v. 23.12.2005
Az: 324 O 476/05


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/afc612e20419/LG-Hamburg_Urteil_vom_23-Dezember-2005_Az_324-O-476-05




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