Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 20. November 2012
Aktenzeichen: VI ZB 73/11
(BGH: Beschluss v. 20.11.2012, Az.: VI ZB 73/11)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Die Antragstellerin hatte gegen die Antragsgegnerin eine einstweilige Verfügung erwirkt, um die Verbreitung bestimmter Behauptungen zu unterbinden. Das Landgericht gab dem Antrag statt und legte die Kosten des Verfahrens fest. Die Antragstellerin stellte daraufhin einen Kostenfestsetzungsantrag in Höhe von 1.419,19 €. Die Antragsgegnerin legte sofortige Beschwerde ein und argumentierte, dass die getrennte Verfolgung der Ansprüche rechtsmissbräuchlich sei und daher nicht notwendige Mehrkosten verursacht habe. Das Beschwerdegericht sah den Einwand der rechtsmissbräuchlichen Verfahrensführung im Kostenfestsetzungsverfahren als nicht berücksichtigungsfähig an. Die Antragsgegnerin legte daraufhin Rechtsbeschwerde ein.
Der Bundesgerichtshof entschied, dass der Einwand der rechtsmissbräuchlichen Verfahrensführung im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt werden muss. Jede Rechtsausübung unterliege dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem Missbrauchsverbot. Wenn ein Antragsteller Ansprüche in getrennten Verfahren verfolge, obwohl sie aus demselben Lebenssachverhalt herrühren und in einem inneren Zusammenhang stehen, könne dies als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. In diesem Fall dürfen die Mehrkosten nicht vollständig erstattet werden.
Die Entscheidung des Beschwerdegerichts wurde aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Dort müssen die erforderlichen Feststellungen getroffen werden, um zu prüfen, ob das Verhalten der Antragstellerin rechtsmissbräuchlich war. Falls dies der Fall ist, müssen die Kosten der Rechtsverfolgung anteilig aufgeteilt werden.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BGH: Beschluss v. 20.11.2012, Az: VI ZB 73/11
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des Kammergerichts vom 30. November 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 743,15 €
Gründe
I.
Die Antragstellerin nahm die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der Verbreitung einzelner, in der Zeitschrift "die aktuelle" vom 26. Februar 2011 abgedruckter Behauptungen in Anspruch. Das Landgericht gab dem Antrag statt und erlegte der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auf. Den Gegenstandswert setzte das Gericht auf 40.000 € fest. Die Tochter der Antragstellerin erwirkte wegen derselben Veröffentlichung in einem Verfahren vor dem Landgericht Köln eine Unterlassungsverfügung. 1 In ihrem Kostenfestsetzungsantrag hat die Antragstellerin eine Vergütung in Höhe einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr gemäß RVG-VV Nr. 3100 nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 1.419,19 € zur Festsetzung angemeldet. Die Rechtspflegerin beim Landgericht hat dem Antrag entsprochen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde mit der Begründung eingelegt, die Verfolgung der Unterlassungsansprüche in getrennten Verfahren sei rechtsmissbräuchlich und die hierdurch verursachten Mehrkosten nicht notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die beiden Antragstellerinnen müssten sich so behandeln lassen, als hätten sie gemeinsam ein Verfahren durchgeführt. In diesem Fall wäre lediglich eine Verfahrensgebühr aus den addierten Gegenstandswerten der beiden Einzelverfahren (65.000 €) nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 1.761,08 € angefallen, die nach dem Verhältnis der Gegenstandswerte zueinander zu 8/13, d.h. in Höhe von 1.083,74 €, auf das vorliegende Verfahren entfalle. Unter Berücksichtigung der in dem Parallelverfahren bereits festgesetzten Kosten in Höhe von 1.085,04 € könne vorliegend nur noch der Differenzbetrag in Höhe von 676,04 € festgesetzt werden. Die sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der vom Kammergericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihr Begehren weiter.
II.
Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass der von der Antragsgegnerin erhobene Einwand der rechtsmissbräuchlichen Rechtsverfolgung im Kostenfestsetzungsverfahren keine Berücksichtigung finden könne. Das Kostenfestsetzungsverfahren diene lediglich dazu, die vom Prozessgericht getroffene Kostengrundentscheidung der Höhe nach auszufüllen und sei deshalb auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und die Beurteilung einfacher 2 Fragen des Kostenrechts zugeschnitten. Die Entscheidung zwischen den Parteien streitiger Tatsachen und komplizierter Rechtsfragen sei in diesem Verfahren nicht vorgesehen. Nach diesen Grundsätzen könne der Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren nicht überprüfen, ob das Vorgehen einer Partei gegen mehrere Parteien oder das Vorgehen mehrerer Parteien gegen eine Partei in getrennten Verfahren rechtsmissbräuchlich sei. Bei dieser Frage gehe es nicht um die Ausfüllung einer konkreten Kostengrundentscheidung, sondern um die Kürzung der Erstattungsansprüche aufgrund umfangreicher materiellrechtlicher Erwägungen, die die Entscheidungsmacht und die Entscheidungsmöglichkeiten des Rechtspflegers überschreite und in die Kompetenz des Prozessrichters gehöre.
III.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ihrer Statthaftigkeit steht nicht entgegen, dass dem angefochtenen Beschluss ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, in dem die Rechtsbeschwerde wegen des durch § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO begrenzten Instanzenzugs auch im Fall ihrer Zulassung ausgeschlossen ist (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2003 - I ZB 22/02, BGHZ 154, 102, 103 f.). Diese Begrenzung gilt nicht für das Kostenfestsetzungsverfahren, das als selbständige Folgesache mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestattet ist (BGH, Beschlüsse vom 6. April 2005 - V ZB 25/04, NJW 2005, 2233; vom 19. April 2007 - I ZB 47/06, GRUR 2007, 999 Rn. 8; vom 6. Dezember 2007 - I ZB 16/07, NJW 2008, 2040 Rn. 6). 4 2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist der von der Antragsgegnerin erhobene Einwand, die Antragstellerin habe durch die Geltendmachung gleichgerichteter, auf identische Veröffentlichungen gestützter Unterlassungsansprüche in getrennten Verfahren ungerechtfertigt Mehrkosten verursacht, im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen.
a) Es kann offenbleiben, ob die Erstattungsfähigkeit der durch die getrennte Geltendmachung der Unterlassungsansprüche entstandenen erhöhten Rechtsanwaltsgebühren mit der Begründung verneint werden kann, dass diese Kosten nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewesen seien (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 11. September 2012 - VI ZB 59/11, juris Rn. 7 (insoweit in MDR 2012, 1314 nicht abgedruckt)).
b) Denn der Einwand der Antragsgegnerin ist im Kostenfestsetzungsverfahren jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs zu berücksichtigen.
aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts unterliegt jede Rechtsausübung - auch im Zivilverfahren - dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot (BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2007 - V ZB 83/06, BGHZ 172, 218 Rn. 13 f.; vom 2. Mai 2007 - XII ZB 156/06, NJW 2007, 2257 Rn. 12 f.; Urteil vom 19. Dezember 2001 - VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311, 323; BVerfG, NJW 2002, 2456, jeweils mwN). Als Ausfluss dieses auch das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatzes ist die Verpflichtung jeder Prozesspartei anerkannt, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Ein Verstoß gegen diese 6 Verpflichtung kann dazu führen, dass das Festsetzungsverlangen als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist und die unter Verstoß gegen Treu und Glauben zur Festsetzung angemeldeten Mehrkosten vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren abzusetzen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 11. September 2012 - VI ZB 59/11, MDR 2012, 1314 Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom 31. August 2010 - X ZB 3/09, NJW 2011, 529 Rn. 10; vom 2. Mai 2007 - XII ZB 156/06, aaO Rn. 12 ff.; vom 18. Oktober 2012 - V ZB 58/12, z.V.b.; KG, KG-Report 2002, 172, 173; 2000, 414, 415; OLG Stuttgart, OLG-Report 2001, 427, 428; OLG München, OLG-Report 2001, 105; MünchKommZPO/Giebel, 3. Aufl., § 91 Rn. 41, 48, 110; Musielak/Lackmann, ZPO, 9. Aufl., § 91 Rn. 9; Jaspersen/Wache in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, § 91 Rn. 152 (Stand: April 2012); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl., § 91 Rn. 140; von Eicken/Mathias, Die Kostenfestsetzung, 20. Aufl., Rn. B 362; vgl. auch Senatsurteil vom 1. März 2011 - VI ZR 127/10, AfP 2011, 184).
bb) So kann es als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein, wenn der Antragsteller die Festsetzung von Mehrkosten beantragt, die dadurch entstanden sind, dass er einen einheitlichen Lebenssachverhalt willkürlich in mehrere Prozessmandate aufgespalten hat (vgl. MünchKommZPO/Giebel, aaO, Rn. 48). Dies kann beispielsweise dann anzunehmen sein, wenn er einen oder mehrere gleichartige oder in einem inneren Zusammenhang stehende und aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsene Ansprüche gegen eine oder mehrere Personen ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen verfolgt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 11. September 2012 - VI ZB 59/11, aaO, Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 18. Oktober 2012 - V ZB 58/12, z.V.b.; vom 2. Mai 2007 - XII ZB 156/06, NJW 2007, 2257 Rn. 13; OLG Düsseldorf, JurBüro 1982, 602; 2002, 486; 2011, 648, 649; OLG Koblenz, VersR 1992, 339; KG, KG-Report 2002, 172, 173; 2000, 414, 415; OLG München, OLG-Report 2001, 105 f.; OLG Stuttgart, OLG-Report 2001, 427, 428). Gleiches gilt für Erstattungsverlangen in Be-10 zug auf Mehrkosten, die darauf beruhen, dass mehrere von demselben Prozessbevollmächtigten vertretene Antragsteller in engem zeitlichem Zusammenhang mit weitgehend gleichlautenden Antragsbegründungen aus einem weitgehend identischen Lebenssachverhalt ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen gegen den- oder dieselben Antragsgegner vorgegangen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 11. September 2012 - VI ZB 59/11, aaO; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2012 - V ZB 58/12, z.V.b.; OLG Frankfurt am Main, JurBüro 1974, 1599; OLG Stuttgart, OLG-Report 2001, 427, 428; OLG München, OLG-Report 2001, 105 f.; KG, KG-Report 2000, 414, 415; 2002, 172, 173; Münch-KommZPO/Giebel, aaO Rn. 48, 110; Musielak/Lackmann, aaO; Jaspersen/ Wache in Vorwerk/Wolf, aaO Rn. 119.8 (Stand: April 2012)). Eine Qualifikation des Kostenfestsetzungsverlangens als rechtsmissbräuchlich kommt auch dann in Betracht, wenn der bzw. die von demselben Prozessbevollmächtigten vertretenen Antragsteller die gleichartigen oder in innerem Zusammenhang zueinander stehenden und aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsenen Ansprüche vor unterschiedlichen Gerichten verfolgt haben, obwohl eine subjektive Klagehäufung auf der Aktiv- oder Passivseite für den oder die Antragsteller nicht mit Nachteilen verbunden gewesen wäre (vgl. OLG München, OLGR 2001, 105, 106; vgl. zu § 8 Abs. 4 UWG BGH, Urteil vom 6. April 2000 - I ZR 76/98, BGHZ 144, 165, 177 - Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl., § 8 Rn. 4.16).
c) Auf der Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen kann nicht abschließend beurteilt werden, ob das Festsetzungsverlangen der Antragstellerin, soweit es auf die Erstattung der durch die getrennte Rechtsverfolgung entstandenen Mehrkosten gerichtet ist, als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Zwar leiten die Antragstellerin und ihre Tochter ihre Unterlassungsansprüche aus demselben Lebenssachverhalt her. Das Beschwerdegericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - aber keine Feststellungen dazu ge-11 troffen, ob das Vorgehen der Antragstellerinnen die gleiche Zielrichtung hat und ob sie von denselben Prozessbevollmächtigten vertreten wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2010 - V ZB 153/09, NJW-RR 2011, 230 Rn. 14; KG, KG-Report 2002, 172, 173; OLG München, OLG-Report 2001, 105, 106). Auch fehlen Feststellungen zum zeitlichen Zusammenhang der Verfahren.
3. Der angefochtene Beschluss war aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Sollte sich das Festsetzungsverlangen als rechtsmissbräuchlich erweisen, müsste sich die Antragstellerin kostenrechtlich so behandeln lassen, als hätten sie und ihre Tochter ein einziges Verfahren als Streitgenossen geführt (vgl. Senatsbeschluss vom 11. September 2012 - VI ZB 59/11, juris Rn. 12 (insoweit in MDR 2012, 1314 nicht abgedruckt); BGH, Beschluss vom 2. Mai 2007 - XII ZB 156/06, juris Rn. 6 (insoweit nicht in NJW 2007, 2257 abgedruckt), jeweils mwN). Sie könnte die Kosten der Rechtsverfolgung dann nicht in voller Höhe erstattet verlangen, sondern nur anteilig im Verhältnis der Gegenstandswerte der Einzelverfahren zum - gemäß § 22 Abs. 1 RVG ermittelten - (fiktiven)
Gesamtgegenstandswert eines einheitlichen Verfahrens (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Oktober 2012 - VI ZB 68/11, z.V.b.; KG, KG-Report 2002, 172, 174).
Galke Wellner Diederichsen Pauge von Pentz Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 04.07.2011 - 27 O 181/11 -
KG Berlin, Entscheidung vom 30.11.2011 - 2 W 170/11 -
BGH:
Beschluss v. 20.11.2012
Az: VI ZB 73/11
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