Bundespatentgericht:
Beschluss vom 10. Januar 2000
Aktenzeichen: 9 W (pat) 23/99
(BPatG: Beschluss v. 10.01.2000, Az.: 9 W (pat) 23/99)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
In der vorliegenden Gerichtsentscheidung geht es um einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe im Zusammenhang mit einer Patentanmeldung. Der Antragsteller hatte eine Reihe von Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen eingereicht, jedoch bisher keinen wirtschaftlichen Erfolg mit der Verwertung seiner Erfindungen gehabt. Das Patentamt hatte daraufhin den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe abgelehnt, da der Antragsteller nicht nachweisen konnte, wie seine Patente bisher wirtschaftlich verwertet wurden und somit die Rechtsverfolgung als mutwillig erschien. Der Antragsteller legte dagegen Beschwerde ein und führte an, dass er sich intensiv um die Verwertung seiner Patente bemüht hatte und bereits mit einem Hersteller eine Lizenzvereinbarung erzielt hat. Er betonte zudem, dass eine Ablehnung der Verfahrenskostenhilfe nicht gerechtfertigt sei, da eine vernünftige und vermögende Person in gleicher Weise ihr Recht verfolgen und die Kosten selbst tragen würde. Das Bundespatentgericht entschied, dass die Patentabteilung den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe nicht wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung ablehnen durfte und hob den Beschluss auf. Die Sache wurde zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen. Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde abgelehnt.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 10.01.2000, Az: 9 W (pat) 23/99
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Deutschen Patentamts - Patentabteilung 11 - vom 12. Oktober 1998 aufgehoben.
2. Das Verfahren wird zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
3. Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Antragsteller hat im Verfahren seiner am 14. März 1991 eingereichten Patentanmeldung ... (einer Zusatzanmeldung zur Patentanmeldung ...) mit der Bezeichnung "..." am 29. Dezem- ber 1997 den Prüfungsantrag gemäß § 44 PatG gestellt und zugleich Verfahrenskostenhilfe für die Prüfungsgebühr, für die Lieferung der Ablichtungen der im Prüfungsverfahren entgegengehaltenen Druckschriften sowie für das ganze Erteilungsverfahren beantragt.
Auf Grund der vom Antragsteller vorgelegten Erklärung über seine wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse hat die Patentabteilung 11 des Deutschen Patentamts seine Bedürftigkeit als nachgewiesen angesehen. Mit Zwischenbescheid vom 30. Juni 1998 hat sie den Antragsteller aufgefordert mitzuteilen, in welcher Weise und mit welchem Erfolg er seine bisherigen Patente wirtschaftlich verwertet habe. Nach den vorliegenden Unterlagen habe er seit 1975 109 Gebrauchsmuster- und Patentanmeldungen getätigt und dafür in 41 Fällen Verfahrenskostenhilfe beantragt und in 17 Fällen bewilligt erhalten. Für 22 Patentanmeldungen sei ihm auf Antrag die Stundung der fälligen Jahresgebühr bewilligt worden. Bislang sei es zu drei Eintragungen bzw. Erteilungen gekommen. Es gebe keine Hinweise, daß auch nur eines der Patente des Antragstellers bisher wirtschaftlich verwertet worden sei. Sollte dies zutreffen, so müsse der Antragsteller damit rechnen, daß ihm die Verfahrenskostenhilfe - ohne vorherige Prüfung der Aussichten auf Patenterteilung wegen Mutwilligkeit verweigert werde. Durch die Verfahrenskostenhilfe solle ein bedürftiger Anmelder beim Zugang zum gewerblichen Rechtsschutz und im Rechtsstreit einem vermögenden Anmelder gleichgestellt werden, jedoch solle ihm nicht auf Kosten der Allgemeinheit eine Prozeßführung ermöglicht werden, von der ein Vermögender bei vernünftiger Einschätzung seiner Sach- und Rechtslage absehen würde. Die aus Steuermitteln aufgebrachte Verfahrenskostenhilfe müsse sorgfältig und abgewogen, sie dürfe jedoch nicht mutwillig oder gar im Abonnement beansprucht werden. Es sei abzuwägen, ob die anfallenden Kosten für ein konkretes Schutzrecht wirtschaftlich angemessen seien und ob die Art des Schutzrechts für die offenbarte Neuerung geeignet sei. Es müsse daher gefragt werden, ob ein besser bemittelter Bürger in gleicher Weise 109 Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen zu Neuerungen auf so verschiedenen technischen Gebieten getätigt hätte, wenn er dabei alle anfallenden Kosten selbst hätte tragen müssen. Diese Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Mutwilligkeit werde gestützt durch die Rechtsprechung des 23. Senats des Bundespatentgerichts (Beschluß vom 12. 8. 1997, BlPMZ 1997, 443 ff. = GRUR 1998, 42, 46 - Gitarrenbauer), der in einem gleichgelagerten Fall formuliert habe, daß mutwillig handele, wer eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung nicht beabsichtige oder die hierzu im Einzelfall notwendigen Maßnahmen nicht vornehme, wer also davon abweiche, was eine verständige, ausreichend bemittelte Partei in einem gleich gelagerten Fall tun würde. Gelinge es dem Antragsteller nicht nachzuweisen, in welcher Weise und mit welchem Erfolg die Patente bisher wirtschaftlich verwertet wurden, müsse angenommen werden, daß er Dinge entwickle, für die am Markt kein Bedarf bestehe. Jeder, der seine eigenen finanziellen Mittel hierfür aufzubringen habe, werde schnell davon Abstand nehmen und auch keine Schutzrechte hierfür anmelden.
Der Antragsteller hat daraufhin mit Schreiben vom 11. September 1998 geltend gemacht, es treffe nicht zu, daß er 21 Gebrauchsmusteranmeldungen eingereicht habe. Die von der Patentabteilung angeführten Patentanmeldungen umfassten zudem auch die jeweiligen Voranmeldungen, die durch Inanspruchnahme der inneren Priorität zurückgenommen worden seien. Im übrigen hat er ausführlich dargelegt, welche Anstrengungen er seit Jahren unternommen habe, um seine Patente wirtschaftlich zu verwerten, und aus welchen Gründen diese Anstrengungen bislang zu keinem Erfolg geführt hätten. Zur Unterstützung seiner Verwertungsbemühungen habe er zahlreiche Vorführmaschinen und Funktionsmodelle gebaut und den in Frage kommenden Interessenten vorgeführt. Für die von ihm verfolgten Entwicklungen herrsche am Markt ein erheblicher Bedarf. Seine Patente würden von insgesamt 19 Herstellern zum Teil mit großem wirtschaftlichen Erfolg genutzt, jedoch habe er erst mit einem Hersteller eine lizenzvertragliche Vereinbarung erzielen können. Aus dieser Vereinbarung würden ihm zunächst nur geringe, im kommenden Jahr jedoch größere Lizenzzahlungen zufließen. Im Hinblick auf ein weiteres Patent sei er in Verhandlungen mit dessen Nutzern mittlerweile so weit vorangekommen, daß eine Schadenersatz- und Lizenzvereinbarung aller Voraussicht nach demnächst erfolgen könne. Auch mit der vorliegenden Patentanmeldung sei er mit einem Hersteller von Achsen und Antrieben in positiven Verhandlungen, wobei dieser Hersteller mit einer lizenzvertraglichen Vereinbarung allerdings bis zum Abschluß des Prüfungsverfahrens bzw. bis zur Patenterteilung warten wolle. Wegen Verletzung eines seiner Gebrauchsmuster sei ein Rechtsstreit beim Bundesgerichtshof anhängig. Die Schutzrechtsverletzung durch eine Anzahl marktbeherrschender Anbieter könne die Ablehnung der beantragten Verfahrenskostenhilfe nicht rechtfertigen. Eine verständige und vermögende Person, die keine Verfahrenskostenhilfe erhalte, würde in gleicher Weise ihr Recht verfolgen und die anfallenden Kosten für die vorliegende Patentanmeldung selbst tragen. Im übrigen sei der darum bemüht, die Kosten in Grenzen zu halten.
Mit Beschluß vom 12. Oktober 1998 hat die Patentabteilung den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es in dem Beschluß, dem Antragsteller sei es nicht gelungen nachzuweisen, auf welche Weise und mit welchem Erfolg die Patente konkret bisher wirtschaftlich verwertet worden seien. Es müsse weiterhin angenommen werden, daß er Dinge entwickele, für die am Markt kein Interesse bestünden. Da somit die beabsichtigte Rechtsverfolgung mutwillig erscheine, bestehe zur Abklärung der hinreichenden Aussichten auf Erteilung des Patents keine Veranlassung.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und gemäß seinen Anträgen in der Vorinstanz zu entscheiden;
hilfsweise: eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Zur Begründung wiederholt der Antragsteller im wesentlichen seine Ausführungen in seiner Eingabe vom 11. September 1998.
II.
Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt.
Gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 PatG i. V. m. § 114 ZPO erhält im Verfahren zur Erteilung eines Patents jeder Anmelder, der die Kosten für eine Patentanmeldung nicht aufbringen kann, auf Antrag Verfahrenskostenhilfe, wenn hinreichende Aussicht auf Patenterteilung besteht und die beabsichtigte Rechtsverfolgung (d. h. das Erteilungsbegehren) nicht mutwillig erscheint.
Der Senat hat sich in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Beschluß vom 20. Dezember 1999 im Verfahren 9 W (pat) 59/98 ausführlich zu den von der angefochtenen Entscheidung der Patentabteilung aufgeworfenen, die Auslegung des Merkmals "Mutwilligkeit" betreffenden Rechtsfragen geäußert. An seinen damals vertretenen Auffassungen hält der Senat auch im vorliegenden Zusammenhang fest. Danach können zwar mangelnde Aussichten für die wirtschaftliche Verwertung eines Patents im Einzelfall die Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung begründen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn gravierende, gegen eine wirtschaftliche Verwertung sprechende Anhaltspunkte vorhanden sind, die im Ergebnis nicht entkräftet werden können. Bloße Zweifel an der Verwertbarkeit sind für eine Versagung nicht ausreichend. Ebensowenig wie für die Annahme von Mutwilligkeit die fehlenden Gewinnaussichten mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden müssen, bedarf es umgekehrt für den Ausschluß der Mutwilligkeit eines exakten Nachweises, daß das angestrebte Patent wirtschaftlich verwertbar sein wird.
Nach Auffassung der Patentabteilung verhält sich der Antragsteller mutwillig, weil es ihm trotz einer Vielzahl von Gebrauchsmuster- und Patentanmeldungen, die er in den vergangenen 23 Jahren getätigte habe (teilweise unter Inanspruchnahme von Verfahrenskostenhilfe) bislang noch nicht gelungen sei, eines der aus den Anmeldungen hervorgegangenen drei Schutzrechte durch Lizenzvergabe zu verwerten. Dieser Schlußfolgerung kann nicht zugestimmt werden.
Zwar kann für die Prüfung, ob die Rechtsverfolgung im konkret vorliegenden Fall mutwillig ist, durchaus von Bedeutung sein, daß ein Antragsteller mit seinen zahlreichen bisherigen Anmeldungen keinen wirtschaftlichen Erfolg erzielen konnte. Dies gilt insbesondere dann, wenn die früheren Erfindungen mit dem Gegenstand der jetzigen Anmeldung eng zusammenhängen. Konnte der Antragsteller in einem solchen Fall schon bisherige Schutzrechte nicht verwerten, so kann dies nach der Lebenserfahrung ein Indiz dafür sein, daß auch mit der konkreten verfahrensgegenständlichen Anmeldung keine Verwertungsaussichten verbunden sind.
Eine automatische Schlußfolgerung von dem bisherigen Anmeldeverhalten des Antragstellers und von seiner wirtschaftlichen Erfolglosigkeit auf die Mutwilligkeit der jetzigen Anmeldung wäre jedoch mit dem im Verfahren der Prozeß- und Verfahrenskostenhilfe geltenden Amtsermittlungsgrundsatz nicht vereinbar. Die Patentabteilung darf sich daher in den genannten Fällen nicht mit der bloßen Feststellung begnügen, daß die bisherigen Verwertungsversuche erfolglos geblieben sind. Vielmehr muß sie die Gründe benennen, die den Schluß rechtfertigen, daß auch der aktuellen Anmeldung voraussichtlich kein wirtschaftlicher Erfolg beschieden sein wird. Diese Gründe können sich aus dem Erfindungsgegenstand ebenso ergeben wie aus der Person oder dem Verhalten des Antragstellers oder aus objektiven Gegebenheiten des Marktes. Die Patentabteilung muß aber auch den Gesichtspunkten nachgehen, die geeignet sind, das sich aus der bisherigen wirtschaftlichen Erfolglosigkeit ergebende Indiz zu entkräften. Bei offensichtlich besonders erfolgversprechenden Anmeldungen ist die Annahme von Mutwilligkeit stets fehl am Platz.
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller ausführlich dargelegt, daß er sich in der Vergangenheit nach Kräften um die Verwertung seiner Schutzrechte bemüht habe und daß seine Erfindungen von verschiedenen Firmen genutzt würden, ohne daß ihm - bis auf einen Fall - dafür eine Lizenz angeboten worden sei. Was die hier verfahrensgegenständliche Erfindung betrifft, so sei ein Unternehmen an einer Lizenznahme interessiert. Damit hat der Antragsteller Gründe angegeben, die es nicht zulassen, von seiner bisherigen Erfolglosigkeit im Bemühen um die wirtschaftliche Verwertung seiner Erfindungen ohne weiteres darauf zu schließen, daß auch im konkret zu beurteilenden Fall keine Gewinne zu erwarten seien. Die vorliegende Fallgestaltung ist daher mit dem Sachverhalt der BPatG-Entscheidung GRUR 1998, 42, 46 - Gitarrenbauer - , auf die sich die Patentabteilung in der Begründung des angefochtenen Beschlusses stützt, nicht vergleichbar. Diesem Beschluß zufolge konnte der Antragsteller des damaligen Verfahrens nichts Überzeugendes dafür vortragen, daß die Besonderheiten der verfahrensgegenständlichen Erfindung, abweichend vom früheren Geschehensablauf, Erträge erwarten lassen könnten.
Allein aus dem Umstand, daß der Antragsteller in der Vergangenheit bereits eine große Zahl von Anmeldungen getätigt hat, ohne dadurch zu einem wirtschaftlichen Gewinn zu gelangen, kann die Mutwilligkeit der hier in Rede stehenden Anmeldung daher nicht hergeleitet werden. Die Patentabteilung hat aber auch keine sonstigen gravierenden Anhaltspunkte für das Vorliegen von Mutwilligkeit angeführt. Insbesondere hat sie keine Gründe für fehlende Verwertungsaussichten des hier zum Patent angemeldeten konkreten Erfindungsgegenstands dargetan. In der vom Anmelder vorgelegten Beschreibung werden Nachteile geschildert, die bei Fahrzeugen mit einem am Fahrzeugaufbau bzw. am Fahrzeugrahmen gehaltenen Fahrwerk bei unebener Fahrbahn auftreten (insbesondere ungünstiges Fahrverhalten mit ungleichmäßiger Räderbelastung). Diese Nachteile sollen erfindungsgemäß mit Hilfe von Schwenkvorrichtungen, die in bestimmter Weise ausgestaltet sind, vermieden werden. Unabhängig von der Frage der Patentfähigkeit ergeben sich aus den eingereichten Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Antragsteller seine Erfindung nicht mit Gewinn verwerten könnte.
Die Patentabteilung durfte daher den Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe nicht wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung zurückweisen. Unter der Voraussetzung, daß der Antragsteller, ggf. trotz mittlerweile bei ihm eingegangener Lizenzzahlungen, nicht über ausreichende eigene Mittel verfügt, wird der Erfolg seines Antrags demnach allein davon abhängen, ob hinreichende Aussichten auf Erteilung des beantragten Patents bestehen. Da sich die Patentabteilung zu dieser Frage bislang noch nicht geäußert hat, sieht der Senat davon ab, die hierzu erforderliche Untersuchung im Rahmen seiner Rechtsmittelzuständigkeit vorzunehmen. Statt dessen wird die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
Dem Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte nicht stattgegeben werden, weil im Verfahren über die Verfahrenskostenhilfe eine mündliche Verhandlung vom Gesetz nicht vorgesehen ist (§ 136 Satz 1 PatG i. V. m. § 127 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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BPatG:
Beschluss v. 10.01.2000
Az: 9 W (pat) 23/99
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