Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 21. Dezember 2011
Aktenzeichen: I-26 W 2/11 (AktE)
(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 21.12.2011, Az.: I-26 W 2/11 (AktE))
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in einem Beschluss vom 21. Dezember 2011 entschieden, dass der Beschluss der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund vom 25.11.2010 aufgehoben wird. Die Sache wird zur weiteren Aufklärung und Entscheidung an das Landgericht Dortmund zurückverwiesen. Die Antragsgegnerin hatte gegen den ursprünglichen Beschluss des Landgerichts Dortmund vom 25.11.2010, in dem die Barabfindung und der Ausgleich für zu niedrig festgesetzt wurden, Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat entschieden, dass dem Antrag der Antragsgegnerin stattgegeben wird und der Beschluss des Landgerichts Dortmund aufgehoben wird. Die Sache wird zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung zurück an das Landgericht Dortmund verwiesen. Das Landgericht Dortmund hatte die Barabfindung und den Ausgleich auf 120,40 Euro festgesetzt, während der gerichtlich bestellte Sachverständige einen höheren Unternehmenswert ermittelt hatte. Das Oberlandesgericht ist der Ansicht, dass das Landgericht Dortmund sich nicht ausreichend mit den Einwendungen der Antragsgegnerin auseinandergesetzt und dem gerichtlich bestellten Gutachter keine Gelegenheit gegeben hat, zu den Einwendungen der Antragsgegnerin Stellung zu nehmen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf ordnet daher an, dass die Sache zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung an das Landgericht Dortmund zurückverwiesen wird. Das Landgericht Dortmund wird somit erneut über die Abfindung und den Ausgleich entscheiden müssen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Düsseldorf: Beschluss v. 21.12.2011, Az: I-26 W 2/11 (AktE)
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 14.12.2010 wird der Beschluss der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund vom 25.11.2010 aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung und Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Landgericht Dortmund zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin ist die Mehrheitsaktionärin der B. Die beiden Gesellschaften schlossen am 24.09.2004 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, dem die Hauptversammlung der B. am 19.11.2004 unter Tagesordnungspunkt 1 zustimmte. Unter Tagesordnungspunkt 2 beschloss die Hauptversammlung auf Verlangen der Antragsgegnerin als Mehrheitsaktionärin darüber hinaus die Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre auf die Antragstellerin gegen Gewährung einer Barabfindung (sog. "Squeeze-Out").
Nach § 5 des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages war ursprünglich eine Abfindung von 86,38 € je Aktie vorgesehen und ein Ausgleich in Höhe von 4,69 € brutto, abzüglich Körperschaftssteuer einschließlich Solidaritätszuschlag in Höhe von 4,06 €, je Aktie für jedes Geschäftsjahr angesetzt worden. Auch die Höhe der Barabfindung für das Squeezeout war zunächst auf 86,38 € je Aktie festgesetzt worden. Grundlage für diese Bewertung war ein Gutachten von C. Die Gutachter hatten anhand der Ertragswertmethode zum 19.11.2004 einen Unternehmenswert der B. in Höhe von … € ermittelt, woraus sich eine Barabfindung in Höhe von 76,30 € je Aktie ergab. Da jedoch der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs der B. in der Zeit vom 22.06.2004 bis zum 21.09.2004, dem Tag des Abschlusses der Gutachtenerstellung, 86,38 € betrug, war dieser Betrag zunächst als Abfindung für den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bzw. die Squeezeout-Barabfindung vorgesehen worden. Die D. Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft, die mit Beschluss des Landgerichts Dortmund vom 20.07.2004 gemäß § 293c AktG zum Vertragsprüfer für die Bestimmung der Angemessenheit der Barabfindung bestimmt worden war, hatte die angebotene Barabfindung für angemessen gehalten.
In der Folgezeit bis zur Hauptversammlung stieg der Aktienkurs weiter an und der Durchschnittskurs im Zeitraum von drei Monaten vor der Hauptversammlung betrug schließlich 88,51 €. Die Abfindung und Barabfindung wurde daher in der Hauptversammlung vom 19.11.2004 auf diesen Betrag angehoben und dies am 05.10.2004 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht.
Das Grundkapital der B. betrug am 19.11.2004 … € und war in … Inhaberaktien ohne Nennbetrag (Stückaktien) eingeteilt. Die Antragsgegnerin hatte bereits am 12.02.2004 ein öffentliches Übernahmeangebot für alle B.-Aktien zum Preis von 80 € je Stück veröffentlich und dann in der Folgezeit börslich und außerbörslich 13,98 % der Aktien der B. erworben. E. hatte am 29.03.2004 dem Vorstand der B. in einer "Fairness Opinion" bestätigt, dass ein Preis in Höhe von 80 € je Aktie "fair" sei. In der Folgezeit erwarb die Antragsgegnerin von der F. weitere 61,73 % der Aktien, ebenfalls zum Preis von 80 € je Aktie. Am Bewertungsstichtag war die Antragsgegnerin damit mit 96,68 % an der B. beteiligt. Die verbleibenden … Aktien (= 3,32 %) waren in der Hand der außenstehenden Aktionäre.
Die B. gehört mit ihren Tochtergesellschaften nach eigenen Angaben zu den fünf führenden Brauereikonzernen in Deutschland. Das Unternehmen gliedert sich in die drei Sparten "Produktion und Vertrieb nationaler Biermarken", "Produktion und Vertrieb alkoholfreier Getränke" und die "Verwaltung des nicht betriebsnotwendigen Immobilienbestandes". Kern des Unternehmens in der Sparte "Produktion und Vertrieb nationaler Biermarken" war die B. GmbH mit den Marken … Außerdem produziert die G. die Marken … , die im hochpreisigen Konsum- oder Premiumbereich angesiedelt sind. Diese Marken werden in … vertrieben. … Außerdem wurde im Jahr 2003 die H., erworben, die regionale Marken in I. … produziert und vertreibt. Der Unternehmensbereich der alkoholfreien Getränke, vor allem Mineralwasser, besteht aus den Gesellschaften J., und der K., In diesen Gesellschaften werden die Marken L., … produziert und angeboten. Der nicht betriebsnotwendige Immobilienbestand wird durch die M. verwaltet und vermietet. Die Sparte soll aufgegeben und die Immobilien veräußert werden.
Die Antragsgegnerin gehört zur Firmengruppe der N., und dient als Zwischenholding für die unternehmerischen Aktivitäten im Bereich Bier und alkoholfreie Getränke. Neben der B. hält die Antragsgegnerin auch die Mehrheit an der O.
Das im Rahmen der Unternehmensmaßnahme erstellte C.-Gutachten hat den Unternehmenswert anhand des Standard IDW S 1 2000 ermittelt. Ausgangswert für die Ertragswertermittlung war die Unternehmensplanung für die Jahre 2004 bis 2008. Dieser Zeitraum entsprach auch der Detailplanungsphase, die Phase der weiteren Zukunft ("ewige Rente") beginnt mit dem Jahr 2009. Berücksichtigt worden war auch eine Ankaufsgarantie aus einem Kaufvertrag zwischen der P. und der Antragsgegnerin vom 12.02./09.03.2004. In dem Vertrag hatte sich die P. auf Wunsch der Antragsgegnerin verpflichtet, die Beteiligung der B. an der Q. für … € zu übernehmen (Ankaufsgarantie). C. hat einen Basiszinssatz in Höhe von 5,5 % angenommen und diesen anhand des Durchschnitts der Renditen langfristiger Bundesanleihen ermittelt. Der Risikozuschlag wurde nach der Capital Asset Pricing Methode (CAPM) berechnet, eine Marktrisikoprämie in Höhe von 5 % und ein Betafaktor von 0,5 ermittelt, so dass C. einen Risikozuschlag in Höhe von 2,5 % zugrunde gelegt hatte. Außerdem war ein Wachstumsabschlag von 0,5 % angesetzt worden. Unter Berücksichtigung der typisierten persönlichen Einkommenssteuer in Höhe von 35 % hat sich daher für den Zeitraum von 2004 bis 2008 ein Kapitalisierungszinssatz in Höhe von 5,2 % und für den Zeitraum ab 2009 in Höhe von 4,7 % ergeben. Die Gutachter haben daraus einen Ertragswert in Höhe von … € errechnet. Zzgl. des Wertes des nicht betriebsnotwendigen Vermögens in Höhe von … € und des Wertes der sonstigen Beteiligungen in Höhe von … € sowie des Wertes einer Ankaufsgarantie für die Q. in Höhe von … €, ist ein Unternehmenswert in Höhe von … € und damit ein rechnerischer Wert pro Aktie von 76,30 € ermittelt worden.
Hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfung der Hauptversammlungsbeschlüsse vom 19.11.2004 sind zwei Spruchverfahren anhängig. In dem vorliegenden Verfahren Landgericht Dortmund, 18 O 157/04 (AktE) = Oberlandesgericht Düsseldorf, Az.: I-26 W 2/11 (AktE), wird von 30 außenstehenden Aktionären die Abfindung und der Ausgleich gemäß Tagesordnungspunkt 1, dem Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, angegriffen (im folgenden "BGV-Verfahren"). Hinsichtlich der im Rahmen des Squeezeout angebotenen Barabfindung ist ein Verfahren unter dem Aktenzeichen Landgericht Dortmund, Az.: 18 O 158/05 (AktE) = Oberlandesgericht Düsseldorf, Az.: I-26 W 3/11 (AktE), anhängig, an dem 47 Antragsteller beteiligt sind (im folgenden "Squeezeout-Verfahren"). Die 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund hat - wie später noch weiter ausgeführt wird in beiden Verfahren ein Sachverständigengutachten zur Unternehmenswertermittlung und zur Berechnung der angemessenen Abfindung, des Ausgleichs und der Barabfindung eingeholt. Der Gutachter R. berechnet in seinen schriftlichen Stellungnahmen vom 30.03.2009 (Squeezeout-Verfahren) und vom 31.12.2008 (BGV-Verfahren) - abgesehen von den sich aus Rechtsgründen zwischen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (Abfindung und Ausgleich) und Squeezeout (Barabfindung) ergebenden Unterschieden - identische Unternehmenswerte und (Bar)-Abfindungsbeträge.
Die Antragsteller haben die angebotene Barabfindung (Squeezeout-Verfahren) bzw. Abfindung/Ausgleich (BGV-Verfahren) für zu gering gehalten. Sie haben die Auffassung vertreten, die Unternehmensentwicklung sei zu negativ dargestellt worden. So sei im Geschäftsbericht von März 2004 noch von einer positiven Erwartung für die Zukunft ausgegangen worden. Der Bierabsatz sei zu gering bewertet worden. Die Pensionsaufwendungen seien nicht den aktuellen versicherungsmathematischen Berechnungen angepasst worden. Darüber hinaus seien Abschreibungen und Investitionsraten unzutreffend berechnet sowie Rückstellungen zu hoch angesetzt worden. Auch sei die Ankaufsgarantie "Q." nicht mit … €, sondern mit … € zu bewerten. Der Sonderwert für die steuerlichen Verlustvorträge sei nicht berücksichtigt und Immobilien fehlerhaft bewertet worden. Einige der Antragsteller beanstanden ferner, dass die Synergieeffekte nicht ordnungsgemäß ermittelt und das nicht betriebsnotwendige Vermögen fehlerhaft berechnet worden sei. Außerdem sei der Liquidationswert nicht berechnet worden. Einige rügen, dass der sachverständige Prüfer seinen Bericht einen Tag vor dem Tag des gemeinsamen Berichts fertig gestellt habe. Dies spreche für eine enge Abstimmung zwischen Prüfer und Gutachter. Darüber hinaus seien dem Gutachter nicht alle relevanten Unterlagen vorgelegt worden.
Manche Antragsteller haben vorgetragen, dass hier der Unternehmenswert nach dem Standard IDW S 1 2000 zu ermitteln sei. Es sei im Übrigen nicht erforderlich, einheitlich den Bewertungsstandard IDW S 1 2000 oder den IDW S 1 2005-Standard anzuwenden. Einige Antragsteller haben die Auffassung vertreten, dass für den relevanten Börsenkurs auf einen Zeitraum von drei Monaten vor der Hauptverhandlung abzustellen sei. Die Antragsteller und die Vertreter der außenstehenden Aktionäre haben den Kapitalisierungszinssatz für überhöht gehalten. Der Wachstumsabschlag sei mit 0,5 % zu niedrig angesetzt worden. Auch sei kein persönlicher typisierter persönlicher Ertragssteuersatz in Höhe von 35 % zu berücksichtigen. Der Vertreter der außenstehende Aktionäre (Ausgleich) hat die Berechnung des Ausgleichs beanstandet.
Die Antragsteller und die Vertreter der außenstehenden Aktionäre haben beantragt,
die Abfindung und den Ausgleich angemessen zu erhöhen.
Die Antragsteller zu 2., 4. und 7. haben ferner beantragt,
die Barabfindung nach Ablauf des Tages, an dem der Beherrschungsvertrag im Handelsregister eingetragen worden ist, mit jährlich 2 v.H. über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
die Anträge als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hat die Unternehmensentwicklung für zutreffend gehalten. Die Planungsrechnungen seien nicht zu beanstanden. Vielmehr sei mit Umsatzrückgängen zu rechnen gewesen. Der Biermarkt in Deutschland habe sich zwischen 2004 und 2009 im Übrigen sogar schlechter entwickelt, als dies C. geschätzt habe. Ein Aktienpreis von 80 € sei realistisch und dies sei auch der Aktienpreis gewesen, der von der F. gezahlt worden sei. Es habe sich im Vorfeld kein Käufer gefunden, der bereit gewesen sei, mehr als 80 € je Aktie zu zahlen. Die Antragsgegnerin verweist darauf, dass eine separate Synergieplanung durchgeführt und Synergien in Höhe von … € berücksichtigt worden seien. Aus Vereinfachungsgründen und letztlich zugunsten der Antragsteller seien die "echten" und "unechten" Synergien im Verhältnis 50:50 aufgeteilt worden. Auch sei der Liquidationswert überschlägig ermittelt worden und liege rund 40% unter dem Ertragswert. Die Antragsgegnerin hat den angesetzten Kapitalisierungszinssatz für angemessen gehalten. Es sei anerkannt, dass ein typisierter Ertragssteuersatz in Höhe von 35 % bei der Ertragswertberechnung zu berücksichtigen sei. Auch sei die D. ordnungsgemäß durch das Gericht bestellt worden. Es sei üblich, dass der sachverständige Prüfer parallel zur Erstellung des gemeinsamen Berichtes tätig werde.
Die 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund hat mit Beschluss vom 10.07.2006 (BGV-Verfahren, Bl. 799 GA) und vom 12.01.2007 (Squeezeout-Verfahren, Bl. 853 GA) R. zum Sachverständigen bestellt. Das Landgericht hat dem Gutachter aufgegeben, den Unternehmenswert bzw. die angemessene Abfindung/Ausgleich und Barabfindung zu ermitteln. Der Gutachter sollte Wertspannen anstelle "mathematisch scheingenauer eindeutiger Unternehmenswerte" angeben. Im Hinblick darauf, dass der Bewertungsstichtag rund elf Monate vor Verabschiedung des Standard IDW S 1 2005 lag, sollte der Gutachter eine Alternativberechnung des Unternehmenswertes nach IDW S 1 2000 und IDW S 1 2005 durchführen. Zu dem Risikozuschlag von 2,5% sollte sich der Gutachter nur äußern, wenn er diesen für unvertretbar hielte.
Der Sachverständige R. hat in seinen schriftlichen Gutachten vom 31.12.2008 (BGV-Verfahren) und vom 30.03.3009 (Squeezeout-Verfahren) die von C. berechnete Unternehmensentwicklung im Wesentlichen für plausibel gehalten. So ist er der Auffassung gefolgt, dass die Synergien jeweils zur Hälfte in "echte" und "unechte" aufgeteilt worden seien. Er hat jedoch vor allem aufgrund erheblich geringerer Kapitalisierungszinssätze deutlich höhere Unternehmenswerte ermittelt. Die erheblichen Abweichungen zwischen dem durch das Landgericht eingeholten Gutachten und den im Rahmen der Unternehmensmaßnahme erstellten C.-Gutachten beruhen im Wesentlichen darauf, dass der Gerichtsgutachter den Basiszins mit 4,8 % deutlich niedriger als C. (5,5 %) ansetzt, einen geringeren Betafaktor von 0,4 anstatt 0,5 angenommen und einen deutlich höheren Wachstumsabschlag von 1,25 % statt 0,5 % zugrunde gelegt hat.
In seinem Gutachten hat er erläutert, dass der von C. ermittelte Basiszinssatz in Höhe von 5,5 % zwar an sich der bisherigen Gutachtenpraxis entspreche, jedoch auch nach dem IDW S 1 2000 - wie auch nach IDW S 1 2005 - der Basiszins anhand der Zinsstrukturkurve ermittelt werden könne (Gutachten Squeezeout-Verfahren S. 105, 107, Gutachten BGV-Verfahren S. 95, 98). Der Gutachter sieht in der Ermittlung des Basiszinssatzes auf der Grundlage der Zinsstrukturkurve ein adäquates Mittel zur zukunftsgerichteten Schätzung einer Zinsentwicklung, wie sie nunmehr vom IDW S 1 2005-Standard gefordert werde. Im Hinblick darauf, dass sich zum Bewertungszeitpunkt klare Tendenzen sinkender Zinsen gezeigt hätten, hat er die stichtagsnäheren Zinssätze stärker gewichtet und im Ergebnis einen Basiszins in Höhe von 4,8% für angemessen gehalten. Der Gutachter hat für die Berechnung nach IDW S 1 2000 einen Risikozuschlag in Höhe von 2% (5% Marktrisikoprämie x 0,4 Betafaktor, Gutachten Squeezeout-Verfahren S. 111 ff., Gutachten BGV-Verfahren S. 101 ff.) und für die Berechnung nach IDW S 1 2005 einen Risikozuschlag von 2,4% (Tax-CAPM, Risikoprämie 6% x 0,4 Betafaktor) angenommen.
Daraus ermittelt der gerichtlich bestellte Gutachter auf der Basis des IDW S 1 2000 einen Unternehmenswert in Höhe von … € und damit ausgehend von einer Aktienzahl von … einen Anteilswert je Aktie in Höhe von 120,40 €. Die Berechnung nach IDW S 1 2005 hat einen Unternehmenswert von … € ergeben, der einem Anteilswert je Aktie von 101,02 € entspricht.
Nach Eingang des schriftlichen Gutachtens hat sich die Antragsgegnerin in beiden Verfahren mit bei Gericht am 03.09.2009 eingegangenen Schriftsätzen gegen die Unternehmensbewertung des gerichtlich bestellten Sachverständigen gewandt und dazu eine Stellungnahme von C. vom 24.08.2009 (Bl. 990, 993 GA Squeezeout-Verfahren, Bl. 1008 GA BGV-Verfahren) beigefügt. In der Stellungnahme wird insbesondere geltend gemacht, dass der Kapitalisierungszinssatz unzutreffend berechnet und von unrichtigen Annahmen ausgegangen worden sei. Der Basiszinssatz sei zwar rechnerisch richtig ermittelt worden, aber die Berechnung anhand der Zinsstrukturkurve unzulässig. Damals habe der Standard IDW S 1 2005 noch nicht gegolten. Die Reduzierung des Basiszinssatzes auf 4,8% reduziere den Ertragswert um … € (= 6%), die Änderung des Betafaktors von 0,5 auf 0,4 um … € (= 4%, in der Beschwerdeschrift berechnet … €) und die Änderung des Wachstumsabschlages von 0,5% auf 1,25% verringere den Ertragswert um … € (= 22%, in der Beschwerdeschrift … € berechnet). Die Anpassungen des Finanzergebnisses durch den gerichtlich bestellten Gutachter wirkten sich in Höhe von … € (= 6%) aus. Im Übrigen seien die Zahlen zur Berechnung der Verschuldung nicht nachvollziehbar. Auch haben einige Antragsteller sich gegen das gerichtlich eingeholte Gutachten gewendet und den Kapitalisierungszinssatz weiterhin für zu hoch gehalten.
Soweit ersichtlich, sind die Stellungnahmen nicht an den Gerichtsgutachter gesandt worden. Auch hat in beiden Verfahren nach der Übersendung des schriftlichen Gutachtens an die Beteiligten keine mündliche Verhandlung mehr stattgefunden. Das Landgericht hat in dem BGV-Verfahren vor der Bestellung des Sachverständigen am 23.02.2006, in dem Squeezeout-Verfahren gar nicht, mündlich verhandelt und anschließend einen Vergleichsvorschlag unterbreitet (Bl. 687, 766 BGV-Verfahren). Der Vergleichsvorschlag ist von einigen Beteiligten abgelehnt worden.
Das Landgericht Dortmund hat mit Beschlüssen vom 25.11.2010 die im Rahmen des Squeezeout zu gewährende Barabfindung auf 120,40 € festgesetzt und im BGV-Verfahren eine Abfindung von 120,40 € sowie einen Ausgleich von 7,08 € brutto je Stückaktie bestimmt und sich damit weitgehend der Berechnung des gerichtlich bestellten Sachverständigen angeschlossen. Hinsichtlich des festgesetzten Ausgleich ist die Kammer jedoch noch über den vom Gutachter als Höchstbetrag von 6,78 € angenommen Betrag hinausgegangen und hat einen Bruttoausgleich in Höhe von 7,08 € bestimmt (Urteilsgründe BGV-Verfahren S. 17 GA, Gutachten BGV-Verfahren S. 132 ff., 139). Die 4. Kammer für Handelssachen hat in dem Beschluss hinsichtlich des Squeezeout-Verfahrens deutlich gemacht, dass nach ihrer Ansicht eine mündliche Verhandlung gemäß § 8 Spruchgesetz nicht erforderlich gewesen sei, weil allen Verfahrensbeteiligten nach Durchführung der mündlichen Verhandlung in dem BGV-Parallelverfahren bereits ein ausführlich begründeter Vergleichsvorschlag der Kammer vorgelegen habe. Die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung hätte daher keinen weiteren Gewinn versprochen. Der gerichtlich bestellte Gutachter habe auch den Basiszinssatz aus der Zinsstrukturkurve berechnen können. Der Liquidationswert, der nach dem gemeinsamen Bericht 40 % unter dem im Ertragswertverfahren ermittelten Wert liege, sei hier nicht durch den Gerichtsgutachter zu ermitteln gewesen. Dies habe auch deshalb unterbleiben können, weil nicht die Absicht bestand, das Unternehmen zu liquidieren.
Gegen die beiden Entscheidungen des Landgerichts Dortmund hat die Antragsgegnerin jeweils am 14.12.2010 fristgerecht Beschwerde eingelegt. Sie meint, dass ihr nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden sei. So habe das Landgericht Dortmund ihre Stellungnahme vom 31.08.2009 übergangen, mit der dezidiert Einwendungen gegen das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen geltend gemacht und anhand einer gutachterlichen C.-Stellungnahme im Einzelnen erläutert worden seien. So sei auch die Stellungnahme von C. nicht an den Gerichtsgutachter weitergeleitet worden. Das Landgericht sei dem Gerichtsgutachter im Übrigen "blind" gefolgt. Das durch das Gericht eingeholte Gutachten habe auch nicht die Vermutung einer höheren Richtigkeit. Immerhin sei das im Rahmen der Unternehmensmaßnahme eingeholte C.-Gutachten durch einen Vertragsprüfer bestätigt worden. Jedenfalls wäre eine nähere Auseinandersetzung mit den C.-Stellungnahmen schon deshalb erforderlich gewesen, weil der Gerichtsgutachter den Unternehmenswert und die angebotene Abfindung drastisch angehoben habe.
Außerdem habe entgegen § 8 SpruchG keine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der der Sachverständige sein Gutachten hätte erläutern oder zu den Einwendungen Stellung nehmen können. Auch könne das Landgericht nicht darauf verweisen, dass allen Verfahrensbeteiligten nach Durchführung der mündlichen Verhandlung in dem BGV-Verfahren bereits ein ausführlich begründeter Vergleichsvorschlag gemacht worden sei. So habe der Vergleichsvorschlag nicht auf dem Ergebnis des Gerichtsgutachtens beruht, sondern sei vor der Beauftragung des Gutachters gemacht worden.
Die Antragsgegnerin hält den vom gerichtlich bestellten Sachverständigen ermittelten Ertragswert für zu hoch. Es habe sich herausgestellt, dass die tatsächliche Unternehmensentwicklung noch schlechter gewesen sei, als dies von C. vorhergesagt worden sei. Preiserhöhungen hätten in der Vergangenheit auch nur wegen einer Biersteuererhöhung durchgesetzt werden können. Es liege eine eklatante Abweichung zu dem im Vorfeld gezahlten Kaufpreis von 80 € je Stückaktie vor. Dies hätte Anlass geben müssen, den gutachterlich ermittelten Ertragswert zu hinterfragen. So sei im Vorfeld auch kein höherer Kaufpreis als 80 € je Aktie durchsetzbar gewesen. Im Übrigen habe sich aus der Fairness Opinion und der Erklärung des früheren Vorstandes/Aufsichtsrates ergeben, dass der Kaufpreis angemessen sei. Auch habe der Aktienkurs etwa im Jahr 2001 deutlich unter 20 € und im Jahr 2002 immer unter 50 € gelegen. Lediglich vor Durchführung der Hauptversammlung sei der Aktienkurs dann auf 88,51 € gestiegen. Soweit der Gerichtsgutachter darauf verwiesen habe, dass ihm bestimmte angeforderte Unterlagen nicht vorgelegt worden seien, beruhe dies darauf, dass die gewünschten Unterlagen nicht existent gewesen seien. Die unzutreffende Anhebung des Wachstumsabschlages von 0,5% auf 1,25% mache einen Mehrbetrag von … € aus. Es sei nicht möglich gewesen, die Hälfte der Kostensteigerungen weiter zu geben. Der von dem gerichtlich bestellten Gutachter angewendete Betafaktor von 0,4 anstatt 0,5 (Werteffekt … €) beruhe auf der unzutreffenden Bildung der Peer-Group. Man könne die B. nicht mit großen und international tätigen Bierkonzernen wie S. oder T. vergleichen.
Die Antragsgegnerin verweist ferner auf die Auswirkungen der Anwendung des IDW S 1 2000 oder des IDW S 1 2005 für den Ertrags- und Unternehmenswert. Das Landgericht habe sich mit dieser Frage kaum auseinandergesetzt. So stelle das Landgericht zwar auf den IDW S 1 2000-Standard ab. Jedoch habe das Landgericht den Basiszinssatz - wie der Gerichtsgutachter - anhand der Zinsstrukturkurve ermittelt und damit den IDW S 1 2005-Standard in unzulässiger Weise rückwirkend angewandt. Auch könnten nicht nur bestimmte Elemente eines neueren Standards rückwirkend angewandt werden. Außerdem sei die Berechnung des Ausgleichs durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht nachvollziehbar.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Landgerichts Dortmund vom 25.11.2010 aufzuheben und die Anträge der Antragsteller auf Erhöhung der Abfindung und des Ausgleichs zurückzuweisen.
Die Antragsteller und die Vertreter der außenstehenden Aktionäre beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsteller zu 9., 10., 11., 12., 13., 14. und 20. beantragen ferner,
die Beschwerde der Antragsgegnerin, soweit sie die Aufhebung der Feststellung des Landgerichts bezgl. des Ausgleichs aus dem Unternehmensvertrag vom 24.09.2004 begehrt, als unzulässig zu verwerfen und der Antragsgegnerin insoweit die Tragung der außergerichtlichen Auslagen der Beschwerdegegner aufzuerlegen.
Die meisten Antragsteller halten den vom gerichtlich bestellten Gutachter ermittelten Unternehmenswert für zutreffend. Der Vertreter der außenstehenden Aktionäre (Abfindung/Barabfindung) sieht keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil das Landgericht in seiner Entscheidung alle wesentlichen Punkte ausreichend behandelt habe. Das Landgericht habe mit einer nachvollziehbaren Begründung auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Antragstellerin zu 11. (Squeezeout-Verfahren = Antragstellerin zu 7. BGV-Verfahren) meint, dass hier eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich gewesen sei, weil eine solche in dem praktisch identischen Parallelverfahren erfolgt sei. Im Übrigen habe keiner die Anhörung des Gerichtsgutachters beantragt.
Einige Antragsteller verweisen darauf, dass der Wachstumsabschlag nicht niedriger als die Inflationsrate sein könne, weil das Unternehmen aufgrund der rückläufigen Unternehmensentwicklung ansonsten in der Zukunft insolvent werden müsse. Auch sei der Risikozuschlag vom gerichtlich bestellten Gutachter zu hoch angesetzt worden. Es sei ferner nicht fehlerhaft, für die Bildung der Peer-Group ausländische Getränkehersteller heranzuziehen. Der Börsenkurs stelle nur die Untergrenze des zu ermittelnden Unternehmenswertes dar. Der Vertreter der außenstehenden Aktionäre (Abfindung/Barabfindung) verweist darauf, dass die Hintergründe des Verkaufs der Aktien zum Preis von 80 € unklar geblieben seien. Die Antragsgegnerin hätte Unterlagen vorlegen müssen, was sie nicht getan habe. Sie sei daher so zu behandeln, als ob die von den Antragstellern behaupteten Tatsachen unstreitig seien. Einige Antragsteller verweisen darauf, dass der Gutachter aufgrund fehlender Unterlagen nur auf einer unzureichenden Tatsachenbasis habe entscheiden können.
Sie tragen vor, dass hier bei der Ermittlung des Basiszinssatzes anhand der Zinsstrukturkurve auch kein Bewertungsstandard rückwirkend angewandt, sondern nur eine bereits existierende Berechnungsmethode verfeinert worden sei. Es liege keine rückwirkende Anwendung des IDW S 1 2005-Standard vor. Im Übrigen habe das Landgericht die Beteiligten am 17.08.2005 darauf hingewiesen, dass ggfs. der IDW S 1 2005-Standard anzuwenden sei. Die Antragsgegnerin habe sich hiergegen nicht gewandt und daher sei ihr Einwand nunmehr verspätet.
II.
Die Sache ist derzeit nicht entscheidungsreif und auf die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin an das Landgericht Dortmund zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen.
1. Rechtliches Gehör
Das Landgericht Dortmund hat sich bislang nicht in ausreichender Weise mit den Einwendungen der Antragsgegnerin auseinandergesetzt. Es hat entschieden, ohne dem gerichtlich bestellten Gutachter Gelegenheit zu geben, zu den substantiiert vorgetragenen Argumenten der Antragsgegnerin Stellung zu nehmen.
Die Antragsgegnerin hatte nach Eingang des Gutachtens des Gerichtssachverständigen seinerseits eine Stellungnahme von C. eingeholt und dem Landgericht im September 2009 vorgelegt. In der als Privatgutachten einzustufenden C.-Stellungnahme ist das durch das Gericht eingeholte Gutachten konkret und substantiiert hinterfragt worden. Soweit ersichtlich, ist es aber nicht an den Gerichtsgutachter weitergeleitet worden.
Hier hätte eine weitere Auseinandersetzung auch deshalb nahegelegen, weil der Gerichtsgutachter einen drastisch höheren Unternehmenswert ermittelt hat, als im Rahmen der Unternehmensmaßnahme berechnet worden war (… € (IDW S 1 2000) bzw. … € (IDW S 1 2005) gegenüber im Rahmen der Unternehmensmaßnahme ermittelten … €). Der ermittelte (Bar)-Abfindungsbetrag ist von 88,51 € auf 120,40 € angehoben worden. Das Landgericht Dortmund hätte daher entweder den gerichtlich bestellten Gutachter um eine ergänzende Stellungnahme im Wege eines Ergänzungsgutachtens bitten und/oder ihn persönlich anhören müssen, damit die Antragsgegnerin ihre Einwendungen geltend machen kann (vgl. zur Pflicht, einen Sachverständigen in Spruchverfahren anzuhören: BVerfG, Beschluss vom 03.02.1998, Az. 1 BvR 909/94, AG 1998, 334).
2. mündliche Verhandlung
Vor diesem Hintergrund konnte nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand auch nicht auf eine (weitere) mündliche Verhandlung verzichtet werden.
Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SpruchG soll das Gericht aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden. § 8 Abs. 2 SpruchG bestimmt ferner, dass auch der sachverständige Prüfer angehört werden soll. Mit der mündlichen Verhandlung soll das Verfahren konzentriert und beschleunigt werden und offene Fragen (jedenfalls auch) mündlich erörtert werden (Drescher in Spindler/Stilz, AktG, 2. Auflage, § 8 SpruchG, Rdnr. 1).
Eine mündliche Verhandlung war hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil einige der Antragsteller Gelegenheit hatten, an der mündlichen Verhandlung in dem BGV-Verfahren teilzunehmen. So sind an dem BGV-Verfahren nur 30 Antragsteller, im Squeezeout-Verfahren aber 47 Antragsteller beteiligt. Zahlreiche Antragsteller hatten daher schon keine Möglichkeit, an der mündlichen Verhandlung im BGV-Verfahren am 23.02.2006 teilzunehmen. Daher überzeugt der Bezug auf den Vergleichsvorschlag, der seinerzeit im Anschluss an die mündliche Verhandlung in dem BGV-Verfahren ergangen ist, nicht.
Die Antragsgegnerin verweist im Übrigen zu Recht darauf, dass der Vergleichsvorschlag vor der Einholung des Gutachtens durch den gerichtlich gestellten Sachverständigen erfolgt war. Nach Vorlage des durch das Gericht eingeholten Gutachtens waren mit den dort berechneten deutlich erhöhten Unternehmenswerten Umstände eingetreten, die Veranlassung gegeben hätten, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Wie bereits erläutert, bleibt es dem Landgericht überlassen, ob es den gerichtlich bestellten Gutachten zunächst schriftlich um eine ergänzende Stellungnahme bittet oder ob es ggfs. unmittelbar eine mündliche Verhandlung anberaumt. Der Senat weist für das weitere Verfahren darauf hin, dass auch nach der Einholung einer ggfs. ergänzenden schriftlichen Stellungnahme eine mündliche Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen durchzuführen sein wird, wenn diese beantragt werden sollte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.02.1998, Az. 1 BvR 909/94, AG 1998, 334; Drescher in Spindler/Stilz, AktG, 2. Auflage, § SpruchG, Rdnr. 14). Es ist ferner zu berücksichtigen, dass auch der Vertragsprüfer "D." ggfs. anzuhören sein wird (vgl. § 8 Abs. 2 SpruchG).
3. IDW S 1 2000 oder IDW S 1 2005
Der Gerichtsgutachter R. hat den Unternehmenswert sowohl nach IDW S 1 2000 als auch nach IDW S 1 2005 berechnet. Er hat auch bei der Unternehmenswertermittlung nach IDW S 1 2000 den Basiszinssatz anhand der Zinsstrukturkurve (Svensson-Methode) ermittelt.
Es ist umstritten inwieweit ein IDW-Standard rückwirkend angewendet werden kann (vgl. die Übersicht bei R., Unternehmensbewertung 6. Auflage, Rdnr. 182 ff.).
Anerkannt ist, dass steuerliche Änderungen zu berücksichtigen sind, um so etwa ungerechtfertigte Vorteile der Gesellschaft oder Obergesellschaft zu vermeiden (BGH, Beschluss vom 21.07.2003, II ZB 17/01, AG 2003, 627). Der Bundesgerichtshof hatte in der genannten Entscheidung eine Verletzung des Stichtagsprinzips verneint, weil der Bruttogewinnanteil als feste Größe aus dem objektiven Wert des Unternehmens am Stichtag abgeleitet werde.
Im Übrigen wird teilweise die Auffassung vertreten, dass der jeweils neueste Standard anzuwenden sei (OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.01.2011, Az. 20 W 3/09, AG 2011, 205, im Unternehmenswertgutachten war aber bereits der neuere Tax-CAPM angewendet worden; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.01.2011, Az. 20 W 2/07, AG 2011, 420, im Unternehmenswertgutachten war IDW S1 2000, in der Entscheidung war IDW S1 2005 angewendet worden, nachdem das Unternehmen erstinstanzlich eine IDW S1 2005-Bewertung vorlegt und daher in der Beschwerdeinstanz keine Verzögerung eingetreten war; OLG Celle, Beschluss vom 19.04.2007, Az. 9 W 53/06, AG 2007, 865; Veil in Spindler/Stilz, AktG, 2. Auflage, § 305, Rdnr. 80; vgl. zur Anwendung des neuen Standards, selbst wenn dieser nur im Entwurf vorliegt: Wasmann/Gayk, BB 2005, 955).
Andere stellen auf den alten, am Bewertungsstichtag geltenden Standard ab und halten dies im Hinblick auf das Stichtagsprinzip und die Rechtssicherheit für geboten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.05.2009, Az. I-26 W 5/07 AktE, WM 2009, 2220; OLG München, Beschluss vom 30.11.2006, 31 Wx 59/06, Az. 32 Wx 059/06, AG 2007, 411; OLG Frankfurt, 5 W 52/09, Beschluss vom 15.02.2010, AG 2010, 798). So hat das Oberlandesgericht München die Anwendung des IDW S1 2005 auf einen Bewertungsstichtag aus dem Jahr 1995 als fragwürdig und für die außenstehenden Aktionäre als nicht hinnehmbar erachtet, weil die Änderung des Bewertungssystems nicht absehbar gewesen sei (OLG München, Beschluss vom 30.11.2006, Az. 31 Wx 59/06, Az. 32 Wx 059/06, AG 2007, 411). Sofern mit der Heranziehung des neuen Standards kein nennenswerter Erkenntnisgewinn verbunden sei und sofern die Anwendung des alten Standards nicht zu einer Verfahrensverzögerung führe, soll es bei der Anwendung des alten Standards bleiben (OLG Frankfurt, Az. 5 W 52/09, Beschluss vom 15.02.2010, AG 2010, 798). Auch im Hinblick auf die Verfahrensdauer kann eine Begutachtung anhand der zum Zeitpunkt des Bewertungsstichtags geltenden Bewertungsgrundsätze geboten sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.09.2006, Az. I-26 W 8/06 AktE, zit. nach juris; Paulsen in Münchener Kommentar, 3. Auflage, § 305 AktG, Rdnr. 94). Ferner wird zwischen Methodenanpassungen durch normative Änderungen, die zu berücksichtigen seien, und bloßen Methodenverbesserungen, etwa die Ermittlung des Basiszinssatzes anhand von Zinsstrukturkurven, die keine rückwirkende Anpassung erfordern, aber ermöglichen, unterschieden (Paulsen in Münchener Kommentar, 3. Auflage, § 305 AktG, Rdnr. 94).
Eine eindeutige Linie hat sich bislang noch nicht herausgebildet. Es ist erkennbar, dass die Entscheidungen der Gerichte, welcher Standard angewendet wird, sich oft an den Gegebenheiten des Einzelfalls ausrichten. Ist eine gutachterliche Unternehmensbewertung nach einem alten Bewertungsstandard erfolgt, besteht die Neigung, - schon aus prozessökonomischen Gründen und angesichts der Verfahrensdauer - diese Bewertung zu halten. Tritt durch die Bewertung nach neuem Standard keine oder nur eine geringe Verzögerung ein, wird zum Teil auf den aktuellen Bewertungsstandard abgestellt.
Der Senat hält es wie das Landgericht für geboten, im Regelfall den Bewertungsstandard anzuwenden, der am zu prüfenden Stichtag gegolten hat. Hierfür sprechen das Stichtagsprinzip und Vertrauensschutzgesichtsaspekte. Bessere Erkenntnisse oder neuere (Sachverhaltsermittlungs)-Methoden nach dem Stichtag können ggfs. ergänzend und behutsam zur Unternehmensbewertung herangezogen werden.
Der vorliegende Fall zeigt exemplarisch, welche Auswirkungen unterschiedliche Bewertungsstandards haben können. So hat der gerichtlich bestellte Sachverständige nach dem am Stichtag geltenden IDW S1 2000 einen rund 20% höheren Unternehmenswert ermittelt, als die Bewertung nach IDW S1 2005 ergeben hat. Dies ist keineswegs ungewöhnlich, sondern typische Folge des geänderten Bewertungsstandards (vgl. zu den Differenzen des Unternehmenswerts von bis zu 30%: Paulsen in Münchener Kommentar, 3. Auflage, § 305, Rdnr. 92; R., Unternehmensbewertung 6. Auflage, Rdnr. 678; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.09.2006, Az. I-26 W 8/06 AktE; OLG Frankfurt, Az. 21 W 3/11, Beschluss vom 02.05.2011, zit. nach juris; OLG Frankfurt, Az. 5 W 52/09, Beschluss vom 15.02.2010, AG 2010, 798).
Eine Änderung des Bewertungsstandards für die Zukunft ist unbedenklich. Es ist aber ggfs. zu prüfen, ob der geänderte Standard, etwa auch die weiterhin mit Unsicherheiten und mit subjektiven Wertungen verbundene (Tax)-CAPM-Berechnungsmethode, insgesamt noch zu sachgerechten Ergebnissen führt (vgl. zu den Unsicherheiten des CAPM-Modells: OLG Frankfurt, 5 W 52/09, Beschluss vom 15.02.2010, AG 2010, 798, m. w. Nachw.; R., Unternehmensbewertung, 6. Auflage, Rdnr. 640, 772, 902 ff., 916 ff, 920, 947).
Allerdings ist die rückwirkende Geltung neuerer Bewertungsstandards bedenklich. Alle an der Unternehmensmaßnahme Beteiligten waren zum Zeitpunkt des Bewertungsstichtags von einem bestimmten Bewertungsstandard ausgegangen und hatten auf dieser Basis ihre unternehmerische und wirtschaftliche Entscheidung getroffen. Dies gilt für die Gesellschaft und Mehrheitsgesellschafter, die für die am Bewertungszeitpunkt geplante Unternehmensmaßnahme einen bestimmten Unternehmenswert angenommen hatten. Aber auch die Minderheits- oder außenstehenden Aktionäre hatten zum Bewertungsstichtag die Angemessenheit der Abfindung einzuschätzen und abzuwägen, ob sie ein Spruchverfahren einleiten sollten. Eine rückwirkende Anwendung eines erst nach dem Bewertungsstichtag geltenden Bewertungsstandards kann diese getroffenen Entscheidungen in Frage stellen, jedenfalls dann, wenn sich die Unternehmenswerte allein aufgrund geänderter Bewertungsstandards deutlich verändern.
So kann eine rückwirkende Anwendung der Bewertungsstandards die Durchführung eines Spruchverfahrens provozieren, etwa um im Hinblick auf nach dem Stichtag zu erwartende oder bereits geänderte Standards eine höhere Abfindung zu erstreiten. Ferner kann es für einen außenstehenden Aktionär erstrebenswert sein, ein Spruchverfahren bewusst in die Länge zu ziehen, um auf die Änderung eines für ihn günstigen neuen Bewertungsstandards zu warten. So sind in der Vergangenheit, mit zunehmender Geschwindigkeit, die IDW-Bewertungsstandards oft nur im Abstand weniger Jahre geändert worden (vgl. R., Unternehmensbewertung 6. Auflage, Rdnr. 170). Bei einer nicht ungewöhnlichen Dauer von Spruchverfahren von 5, 8, 10 und mehr Jahren liegen dann solche taktischen Überlegungen nicht fern. Welcher Standard anzuwenden ist, erscheint dann zufällig und willkürlich. Hier war der Entwurf des neueren IDW-Standards am 30.12.2004, rund sechs Wochen nach der Hauptversammlung am 19.11.2004, veröffentlicht worden und dann knapp ein Jahr später in Kraft getreten.
Es ist auch wenig plausibel, wenn durch die rückwirkende Anwendung eines Standards, gewissermaßen "über Nacht" und flächendeckend 20% oder 30% der Unternehmenswerte rückwirkend "vernichtet" werden, obwohl zuvor noch alle am Markt Beteiligten von den weit höheren Werten ausgegangen waren. Es fragt sich auch, was etwa eine generell rückwirkende Anwendung neuerer Bewertungsstandards und die ggfs. damit verbundene rückwirkende drastische Verringerung des Unternehmenswertes für die Bonität eines Unternehmens für die Zukunft, etwaiger zu stellender (Kredit)-Sicherheiten, oder die Beurteilung durch Ratingagenturen bedeuten kann.
Darüber hinaus ist zu sehen, dass es sich bei dem IDW-Standard nicht um eine gesetzliche Regelung, sondern um bloße, im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung eines Unternehmenswertes nicht verbindliche Empfehlungen des IDW handelt. Es ist daher auch ohne Belang, dass etwa der IDW S1 2005 eine rückwirkende Geltung vorsieht. Eine rückwirkende Anwendung der Empfehlungen vergrößert diese Unsicherheit weiter.
Die grundsätzliche Beachtung der am Stichtag geltenden Bewertungsstandards schließt aber nicht aus, dass gefestigte "bessere Erkenntnisse" ggfs. berücksichtigt und zur Plausibilisierung des Ergebnisses herangezogen werden können (vgl. zum Streitstand: OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.10.2006, 20 W 14/05, AG 2007, 128 m. w. Nachw.; Paulsen in Münchener Kommentar, 3. Auflage, § 305 AktG, Rdnr. 94).
So war auch der gerichtlich bestellte Gutachter davon ausgegangen, dass der Basiszins nach dem IDW S1 2000 anhand der Zinsstrukturkurve berechnet werden könne (vgl. zur vorzugswürdigen Berechnung des Basiszinssatzes anhand der Zinsstrukturkurve: OLG Frankfurt, 21 W 3/11, Beschluss vom 02.05.2011, zit. nach juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.02.2010, , 5 W 52/09, AG 2010, 798; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.01.2011, 20 W 3/09, AG 2011, 205; R., Unternehmensbewertung 6. Auflage, Rdnr. 585 ff.). Das Bundesverfassungsgericht überlässt die Frage, welche Zinsberechnung anzuwenden ist, der Ebene des einfachen Rechts, und beanstandet jedenfalls nicht, wenn eine zum Zeitpunkt der Unternehmensbewertung anerkannte Berechnungsmethode angewandt wird (BVerfG, Beschluss vom 30.05.2007, Az. 1 BvR 1267/06, 1 BvR 1280/06, AG 2007, 697; vgl. auch R., Unternehmensbewertung 6. Auflage, Rdnr. 196).
Es ist hier sachgerecht, den Basiszins anhand der Zinsstrukturkurve zu plausibilisieren. Wenn auch die Berechnungsmethode erst mit dem IDW S1 2005 als Empfehlung genannt wird (vgl. Paulsen in Münchener Kommentar, 3. Auflage, § 305 AktG, Rdnr. 109), handelt es sich insoweit aber nicht um einen neuen Bewertungsstandard insgesamt, sondern es wird aufgrund neuerer Erkenntnisse - im Wege der Sachaufklärung versucht, sich einem realistischen Basiszins zum Stichtag zu nähern (zur Nutzung der Zinsstrukturkurve im Sinne einer Kontrollüberlegung: OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.10.2006, Az. 20 W 14/05, AG 2007, 128). Anders ist es etwa, wenn im Rahmen der Unternehmensbewertung das Bewertungssystem an sich und die rechtlichen Vorgaben geändert werden, etwa persönliche Ertragsteuern berücksichtigt, von der Vorsteuerbetrachtung zu einer Nachsteuerbetrachtung, übergegangen wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.05.2009, Az. I-26 W 5/07 AktE, WM 2009, 2220; vgl. R., Unternehmensbewertung 6. Auflage, Rdnr. 460 ff.).
III.
Die Durchführung der hier noch nicht abgeschlossenen Beweisaufnahme und weiteren Sachaufklärung durch den Senat würde bedeuten, dass der eigentliche Streitstoff in wesentlichen Teilen in der Beschwerdeinstanz erstmalig behandelt werden würde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.09.1997, Az. 19 W 1/97 AktE, AG 1998, 37). Die Beteiligten hätten keine Möglichkeit, eine Überprüfung der darauf ergehenden Sachentscheidung im Rechtsmittelwege zu veranlassen.
Eine Korrektur der landgerichtlichen Entscheidung hat daher dadurch zu erfolgen, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.09.1997, Az. 19 W 1/97 AktE, AG 1998, 37 m. w. Nachw.). Im Rahmen der sodann zu treffenden Sachentscheidung wird das Landgericht auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 21.12.2011
Az: I-26 W 2/11 (AktE)
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/b4b444bad654/OLG-Duesseldorf_Beschluss_vom_21-Dezember-2011_Az_I-26-W-2-11-AktE