Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 28. April 2006
Aktenzeichen: 20 W 158/06
(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 28.04.2006, Az.: 20 W 158/06)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 28. April 2006 (Aktenzeichen 20 W 158/06) die sofortige weitere Beschwerde zurückgewiesen. In dem Verfahren ging es um die Ermächtigung zur Einberufung einer Gläubigerversammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz. Der Antragsteller war Inhaber von Genussscheinen einer Hypothekenbank und begehrte die Einberufung einer Gläubigerversammlung, da die Antragsgegnerin hohe Verluste angekündigt hatte. Das Amtsgericht hatte den Antrag abgelehnt und auch die sofortige Beschwerde blieb erfolglos. Das Oberlandesgericht entschied, dass das Schuldverschreibungsgesetz in diesem Fall nicht anwendbar sei und eine Ermächtigung zur Einberufung der Gläubigerversammlung daher nicht erteilt werden könne. Das Gericht begründete dies unter anderem damit, dass die Genussscheine nicht den Voraussetzungen des Gesetzes entsprechen und die Rolle von Genussscheinen sich seit Inkrafttreten des Gesetzes grundlegend geändert hat. Die Inhaber der Genussscheine seien jedoch durch andere individuelle Ansprüche geschützt und die Antragsgegnerin unter Kontrolle der Aufsichtsbehörde. Der Antragsteller muss zudem die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens tragen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 28.04.2006, Az: 20 W 158/06
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten des weiteren Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Beschwerdewert: 357.904,32 EUR.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Ermächtigung zur Einberufung einer Gläubigerversammlung nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen vom 04. Dezember 1899 (RGBl. S. 691) zuletzt geändert durch Art. 53 Ins0-EinführungsG vom 05.10.1994 (BGBl. I S. 2911) € im Folgenden: SchVerschrG.
Die Antragsgegnerin ist eine Hypothekenbank mit Sitz in €, die aus einer im Jahre 2001 erfolgten Verschmelzung hervorgegangen ist. Der Antragsteller ist Inhaber von 20.000 Genussscheinen mit einem Nennbetrag von jeweils 1.000,-- DM, die eine der beiden an der Verschmelzung beteiligten Hypothekenbanken im Jahre 1996 zur Deckung ihres Finanzbedarfes im Gesamtumfang von 100.000 Stück mit einem Nennbetrag von jeweils 1.000,-- DM ausgegeben hat.
Nach den zugrundeliegenden Genussscheinbedingungen sind die Genussscheine zum Nennbetrag am 01. Juni 2006 zur Rückzahlung fällig und gewähren eine dem Gewinnanteil der Aktionäre vorgehende jährliche Ausschüttung von 8%, wobei sich im Falle eines Bilanzverlustes der Antragsgegnerin die Rückzahlungsansprüche im Verhältnis zu dem jeweils ausgewiesenen sonstigen Eigenkapital gemäß § 10 KWG vermindern und auch die Ausschüttung auf die Genussscheine dadurch begrenzt ist, dass durch sie kein Bilanzverlust entstehen darf.
In einem Zwischenbericht vom 30.09.2005 hatte die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass sie in neun Monaten einen Gewinn von 13,8 Mio EUR erwirtschaftet habe. Nach Übernahme durch einen amerikanischen Finanzinvestor teilte die Antragsgegnerin in einer Ad-hoc-Meldung vom 02.01.2006 mit, dass sie für das Geschäftsjahr 2005 mit einem negativen Nachsteuerergebnis von geschätzt ca. 1,1 bis 1,3 Milliarden Euro rechne, so dass das durch Genussscheingläubiger und stille Beteiligte bereit gestellte haftende Eigenkapital maßgeblich in Anspruch genommen werde. Das darauf hin von dem Antragsteller schriftlich eingereichte Verlangen auf Einberufung einer Gläubigerversammlung nach dem SchVerschrG lehnte die Antragsgegnerin ab. Auch die Aufsichtsbehörde lehnte ein diesbezügliches Einschreiten ab.
Den darauf hin vom Antragsteller eingereichten Antrag auf gerichtliche Ermächtigung zur Einberufung einer Gläubigerversammlung wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 20. März 2006 zurück, wobei es in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin und der Aufsichtsbehörde davon ausging, das SchVerschrG sei auf Genussscheine, die am Bilanzverlust des Emittenten teilnehmen, nicht anwendbar.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb erfolglos.
Mit der sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Ermächtigung zur Einberufung einer Gläubigerversammlung nach dem SchVerschrG mit der Begründung weiter, dieses Gesetz finde auf Genussscheine der vorliegenden Art Anwendung.
Die Antragsgegnerin und die Aufsichtsbehörde treten dem entgegen, da sie das SchrVerschrG nicht für einschlägig halten.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde ist nach §§ 4 Abs. 4 Satz 2 SchVerschrG, 22 Abs. 1, 29 Abs. 2 FGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, da sie insbesondere form- und fristgerecht erhoben wurde. Das Rechtsmittel führt jedoch in der Sache nicht zum Erfolg, da die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG, 546 ZPO). Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass das SchVerschrG hier nicht anwendbar ist, so dass eine Ermächtigung zur Einberufung der Gläubigerversammlung nicht erteilt werden kann.
Nach § 1 Abs. 1 SchVerschrG ist dieses Gesetz nur einschlägig für Schuldverschreibungen mit im Voraus bestimmten Nennwerten. Diese Voraussetzung erfüllen die hier betroffenen Genussscheine nicht, die zum Zwecke der Eigenkapitalbeschaffung nach Maßgabe des § 10 Abs. 5 KWG ausgegeben wurden und zwar auf einen anfänglichen Nennbetrag lauten, deren Rückzahlungsanspruch jedoch durch die Gewinnabhängigkeit von Anfang an bedingt und der Höhe nach unbestimmt ist.
Die Anwendbarkeit des SchVerschrG auf Genussscheine in den damals gebräuchlichen Ausgestaltungen war bereits seit Inkrafttreten dieses Gesetzes zugleich mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch am 1. Januar 1900 umstritten (dafür Gottlieb, Der Genussschein im deutschen Recht, 1931, S. 35; ablehnend Goeppert-Trendelenburg, SchVerschrG, 2. Aufl., 1915, § 1 Anm. 2; Könige, Commentar zum SchVerschrG,2. Aufl. 1922, § 1 Anm. 31/36; differenzierend Ansmann, SchVerschrG, 1933 § 1 Anm. 23a u. 24b). Auch heute wird zwar teilweise in der Literatur die Anwendbarkeit des SchVerschrG für Genussscheine mit Gewinnabhängigkeit, die in der Praxis erst seit ca. 20 Jahren zunehmend Bedeutung erlangt haben, bejaht (so Lutter KölnKomm AktG, 2. Aufl., § 221 Rn. 268; Habersack in MünchKomm AktG, 2. Aufl., § 221 Rn. 252; für analoge Anwendung Hirte ZIP 1991, 461/468). Der Senat vermag sich jedoch in Übereinstimmung mit einer Vielzahl von Stimmen in der Literatur dieser Auffassung nicht anzuschließen (vgl. Sethe AG 1993, 351/355; Hammen BB 1990, 1917/1920; Reuter NJW 1984, 1849/1854; Schilling Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 221 Anm. 12; Pougin, Genussrechte, FS für Oppenhoff, S. 278; Thielemann, Genussrecht als Mittel der Kapitalbeschaffung, S. 134 und 200; Ernst, Der Genussschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, S. 221 und AG 1967, 75/79; Silberberger, Partizipationsschein, S. 127).
Gegen eine Anwendung des SchVerschrG auf Genussscheine der vorliegenden Art spricht zur Überzeugung des Senats bereits der Wortlaut des Gesetzes, der gerade nicht nur auf die Ausweisung eines Nennbetrages in der Schuldverschreibung abstellt, sondern auch eine Bestimmbarkeit im Voraus erfordert. Zwar weist der Antragsteller zutreffend darauf hin, dass nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes mit dieser Formulierung zunächst der Ausschluss von bereits anfänglich variablen Schuldverschreibungen insbesondere im Sinne von Depositen bezweckt wurde (vgl. Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem SchVerschrG, S. 255 m.w.N.). Gleichwohl ergibt sich die Beschränkung des Anwendungsbereiches des Gesetzes auf Schuldverschreibungen mit der Höhe nach von Anfang an feststehenden Rückzahlungsansprüchen jedoch aus dem übrigen Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem Regelungszusammenhang des Gesetzes.
So ist bereits dem weiteren Gesetzeswortlaut in § 12 Abs. 3 SchVerschrG zu entnehmen, dass der Gesetzgeber ohne weiteres davon ausging, dass die ausgewiesenen Nennbeträge der von ihm erfassten Schuldverschreibungen der Höhe nach stets mit den in ihnen verbrieften Ansprüchen auf Rückzahlung des Kapitals übereinstimmten, zumal die zum damaligen Zeitpunkt gebräuchlichen Schuldverschreibungen in aller Regel einen solchen Inhalt aufwiesen.
Des weiteren muss berücksichtigt werden, dass Genussscheine der hier vorliegenden Art zum Zeitpunkt der Schaffung des SchVerschrG in der Rechtspraxis nicht üblich waren und somit keine praktische Bedeutung hatten ( zu den damals üblichen Arten von Genussscheinen vgl. etwa Könige, a.a.O., § 1 Anm. 6). Die wirtschaftliche Bedeutung, Funktion und inhaltliche Ausgestaltung von Genussscheinen hat sich in der Zeit nach Inkrafttreten des SchVerschrG und insbesondere in den zurückliegenden 20 Jahren ganz grundlegend verändert
(vgl. hierzu Sethe AG 1993, 293/295 ; Busch AG 1994, 93 jeweils m.w.N.).
Nach den Motiven und der Entstehungsgeschichte sollten durch das zusammen mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in Kraft getretene SchVerschrG die Besitzer privater Schuldverschreibungen ab einer gewissen Größenordnung einer vormundschaftlichen Fürsorge unterstellt und zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in einem Verband organisiert werden, dessen Beschlüsse unter den vorgegebenen restriktiven Bedingungen und Einschränkungen für alle Gläubiger verbindlich sein sollten (vgl. Merzbach, SchVerschrG, 1900, Einl. II; Regierungsbegründung zum SchVerschrG, Stenogr. Berichte über die Verhandl. des Reichstages, 10. Legislaturper. I. Session 1898-1990, Zweiter Anlagenbd. Nr. 105, 907ff).
Der Schwerpunkt der ursprünglichen gesetzlichen Regelung liegt nach § 1 Abs. 1 SchVerschrG in der Zusammenführung aller Schuldverschreibungsbesitzer in einer Gläubigerversammlung, die zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen mit einer qualifizierten Mehrheit Beschlüsse mit verbindlicher Kraft für alle Gläubiger zur Beschränkung der zuvor individuell begründeten Rechte treffen kann. Wie sich aus § 11 Abs. 1 SchVerschrG ergibt, soll dies jedoch nur für die Dauer von höchstens drei Jahren und nur zur Abwendung einer Zahlungseinstellung oder eines Konkurses des Schuldners und nicht in Bezug auf den Anspruch auf Rückzahlung des Kapitals gemäß § 12 Abs. 3 SchVerschrG möglich sein. Eine Änderung der Anlagebedingungen zwecks Anpassung an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse wird demgegenüber nicht eröffnet (vgl. hierzu Baums, Finanzierung der Aktiengesellschaft durch Mobilisierung des Fremdkapitals, S. 11 m.w.N.). Zwar wird den Gläubigern durch das Gesetz des Weiteren auch die Möglichkeit eingeräumt, einen Gläubigervertreter zu bestellen und diesen zur Geltendmachung von Rechten der Gläubiger zu ermächtigen, wobei diesem in
§ 15 SchVerschrG gewisse Informationsrechte eingeräumt sind. Auch hierbei steht jedoch, wie § 15 Abs. 3 SchVerschrG belegt, die Ermöglichung einer für alle Gläubiger verbindlichen Entscheidung über die Aufgabe oder Beschränkung ihrer Rechte, die neben den wohl verstandenen wirtschaftlichen Interessen der Gläubiger zugleich auch dem Interesse des Schuldners am Zustandekommen einer Sanierung in der Krise dienen soll, im Vordergrund. Damit zielte das SchVerschrG nach seinem Wortlaut und Regelungsgehalt erkennbar auf die Interessen der Inhaber von Obligationen mit festem Rückzahlungsanspruch ab.
Hiervon unterscheiden sich jedoch ganz erheblich die vorliegenden und heute üblichen Genussscheine zur Eigenkapitalbeschaffung mit Risikobeteiligung, welche zwar auf einen ursprünglichen Nennbetrag lauten, bezüglich der Ausschüttung und der Rückzahlung aber gewinnabhängig ausgestaltet sind. Da sich hier die Ausschüttungs- und Rückzahlungsansprüche ohnehin im Falle der Ausweisung eines Bilanzverlustes verringern, kommt für die Inhaber solcher Genussscheine eine noch über die Risikobeteiligung hinausgehende weitere Reduzierung ihrer Ansprüche aus wirtschaftlichen Erwägungen auch unter Berücksichtigung eines möglichen Auffüllungsanspruches in aller Regel ohnehin nicht in Betracht. Wie bereits ausgeführt waren Genussscheine mit gewinnabhängigem Kapitalanspruch bei Schaffung des SchVerschrG praktisch völlig unüblich, wurden somit in die Überlegungen des Gesetzgebungsverfahrens nicht einbezogen und deshalb nach dem Willen des Gesetzgebers auch nicht geregelt.
Gegen eine Einbeziehung derartiger Genussscheine in den Anwendungsbereich des SchVerschrG spricht darüber hinaus die weitere historische Entwicklung. Insbesondere hat der Gesetzgeber bereits im Entwurf zum Aktiengesetz von 1937 die Vorschläge des Deutschen Anwaltsvereins zur Ausdehnung dieses Gesetzes auf Genussscheine nicht aufgegriffen (vgl. hierzu Düringer/Hachenburg/ Flechtheim, HGB, 3. Aufl., Anhang zu § 179 HGB Anm. 14). Auch die Erörterungen des 55. Deutschen Juristentages 1984, die sich im Zusammenhang mit den Problemen der Eigenkapitalbeschaffung auch mit den Genussrechten beschäftigten, führten nicht zu einer diesbezüglichen Initiative des Gesetzgebers (vgl. hierzu NJW 1984, 2677, 2679 und 2673f).
Des weiteren kommt auch im Hinblick auf die wesentlichen Unterschiede zwischen Schuldverschreibungen mit festem Rückzahlungsanspruch und die hier betroffenen Genussscheine mit Gewinnabhängigkeit eine Anwendung des SchVerschrG auf letztere nicht in Betracht. Sie lassen sich zwar formal den Schuldverschreibungen als forderungsrechtlichen Wertpapieren zuordnen, sind jedoch wegen der Risikobeteiligung am Bilanzverlust inhaltlich völlig anders ausgestaltet als typische Inhaberschuldverschreibungen mit festen Kapitalansprüchen und können diesen deshalb nicht im Sinne einer Zuordnung zum SchVerschrG gleichgestellt werden.
Auch eine analoge Anwendung der Vorschriften des SchVerschrG auf derartige Genussscheine kommt nach Auffassung des Senats gerade wegen dieser wesentlichen Unterschiede sowie des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke im Gesetz nicht in Betracht. Soweit bei der Ausgabe der Genussscheine nicht von der Möglichkeit der vertraglichen Einbeziehung der gesetzlichen Regelungen des SchVerschrG Gebrauch gemacht wird, muss dies im Hinblick auf die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung einer Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten bleiben.
Die Inhaber von gewinnabhängigen Genussscheinen sind damit auch nicht schutzlos gestellt, da sie die bereits von den Vorinstanzen erwähnten Individualansprüche geltend machen können und die Antragsgegnerin als Bank der Kontrolle der Aufsichtsbehörde unterstellt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.
Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 1 Kost0.
OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 28.04.2006
Az: 20 W 158/06
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