Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht:
Urteil vom 27. November 2002
Aktenzeichen: 5 LB 114/02
(Niedersächsisches OVG: Urteil v. 27.11.2002, Az.: 5 LB 114/02)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat entschieden, dass der Kläger nicht in den juristischen Vorbereitungsdienst aufgenommen werden muss. Die Beklagte hatte die Aufnahme abgelehnt, da der Kläger wegen mehrerer Straftaten verurteilt worden war. Das Gericht stellt fest, dass die persönliche Ungeeignetheit des Klägers für den Vorbereitungsdienst ausreicht, auch wenn er nicht mehr straffällig geworden ist und die Strafen noch nicht getilgt sind. Die Kosten des Verfahrens muss der Kläger selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
Niedersächsisches OVG: Urteil v. 27.11.2002, Az: 5 LB 114/02
Bei der persönlichen Ungeeignetheit, die nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG der Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst entgegensteht, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt.
Unter welchen Voraussetzungen eine durch die Begehung von Straftaten bedingte Ungeeignetheit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG anzunehmen ist, ist unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der niedersächsischen Juristenausbildung zu bestimmen.
Aus einem bestimmten Umfang der Vorbestrafung, etwa der Beurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen vorsätzlich begangener Straftat (vgl.: §§ 24 Nr. 1 DRiG, 43 Nr. 1 NBG, 24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG, 48 Nr. 1 BBG) ergibt sich nicht zwingend, dass der Betroffene persönlich ungeeignet im Sinne des § 5 Abs.1 Satz 2 NJAG ist. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles.
Tatbestand
I.
Der 1961 geborene Kläger erstrebt die Verpflichtung der Beklagten, ihn in den juristischen Vorbereitungsdienst aufzunehmen.
Nach seiner Schulausbildung leistete der Kläger von 1981 bis 1983 Grundwehrdienst. Er war zunächst als Stewart und seit Anfang 1993 als selbständiger Handelsvertreter für die Firma D. tätig. In der Zeit vom 1. Februar 1994 bis zum 30. September 1998 studierte er Rechtswissenschaften und bestand am 19. Januar 1999 die erste juristische Staatsprüfung mit der Note €befriedigend (6,50)€. Seit März 2000 ist der Kläger Geschäftsführer eines als GmbH organisierten Unternehmens, das fünf Mitarbeiter beschäftigt und im Bereich der Werbung und des Innenausbaus von Apotheken und anderen Einrichtungen tätig ist.
Vor und während seines Studiums machte sich der Kläger mehrfach strafbar:
Im November 1992 versteckte der Kläger im Alter von 31 Jahren 45 g Kokain und 963 Amphetamintabletten in einer Zugtoilette und führte sie aus den Niederlanden kommend unerlaubt ein. Er ist deshalb durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts E. vom 29. April 1993 (6 LS 13 Js 37132/92 (13/93)) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Im Oktober 1993 fuhr der Kläger im Zustand alkoholbedingter relativer Fahruntüchtigkeit mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,77 g 0/00 mit überhöhter Geschwindigkeit und unter Missachtung mehrerer Rotlichtzeichen durch die Innenstadt von F., in einer Rechtskurve geriet er mit seinem Pkw ins Schleudern, prallte gegen einen Bauzaun und entfernte sich anschließend unerlaubt vom Unfallort. Durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts F. vom 2. März 1994 (238 Ds 774 Js 73216/93) ist deshalb gegen ihn unter Festsetzung eines Tagessatzes in Höhe von 33,-- DM eine Geldstrafe von 28 Tagessätzen verhängt worden.
Im April 1997 beging der Kläger eine vorsätzliche Körperverletzung, deretwegen er durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts F. vom 15. Dezember 1997 (240 Ds 684 Js 50414/97) unter Festsetzung eines Tagessatzes von 50,-- DM zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt worden ist. Dabei ging das Strafgericht davon aus, dass die geltend gemachte Notwehrsituation nicht vorgelegen habe, ließ diese Frage aber letztlich offen, weil das Verhalten des Klägers jedenfalls als unentschuldbarer Notwehrexzess zu werten sei.
Den Antrag des Klägers vom 22. Februar 1999, ihn zum 1. Mai 1999 in den juristischen Vorbereitungsdienst einzustellen, lehnte die Beklagte zunächst aus Kapazitätsgründen ab (Bescheid v. 10.03.1999) und teilte ihm nach Bekanntwerden der ersten beiden der vorstehend wiedergegebenen strafgerichtlichen Verurteilungen unter dem 13. April 1999 mit, dass wegen dieser Verurteilungen Bedenken gegen das Vorliegen der für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst zu erfüllenden subjektiven Zulassungsvoraussetzung der charakterlichen Eignung bestünden.
Den erneuten Antrag des Klägers auf Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst vom 12. Mai 1999, mit dem er geltend machte, die geäußerten Bedenken seien im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes € GG € nicht gerechtfertigt, lehnte die Beklagte wiederum aus Kapazitätsgründen ab, weil die zur Verfügung stehenden Haushaltsstellen mit anderen vorrangig zu berücksichtigenden Bewerberinnen und Bewerbern besetzt worden seien.
Unter dem 6. Juli 1999 beantragte der Kläger erneut seine Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst zum 1. November 1999. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 5. August 1999 ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst könne verwehrt werden, wenn sich der Bewerber aus persönlichen oder charakterlichen Gründen als ungeeignet für den juristischen Vorbereitungsdienst erweise, und zwar unabhängig davon, ob dieser Vorbereitungsdienst im Rahmen eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf oder im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses geleistet werde. Eine solche Ungeeignetheit des Klägers ergebe sich aus dessen strafgerichtlichen Verurteilungen vom 29. April 1993, 2. März 1994 und 15. Dezember 1997. Wie sich aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Februar 1979 (- 2 B 38.78 -, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rspr. d. BVerwG, 238.5, § 5 DRiG, Nr. 1) ergebe, sei es auch im Hinblick auf den sich aus Art. 12 GG ergebenden Schutz des Zugangs zu einer Ausbildung gerechtfertigt, den Kläger als Bewerber, der wegen vorsätzlich begangener Tat zu Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, vom juristischen Vorbereitungsdienst auszuschließen.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Kläger auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 39, 334) und des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 54, 340), die die Verpflichtung der Ausbildung von Referendaren, die die für die Ernennung zum Beamten erforderliche Gewähr jederzeitiger aktiver Verfassungstreue nicht bieten, betreffen, und die weitere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 72, 150) hin, nach der § 7 Nr. 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung, der die Wiederzulassung eines aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossenen früheren Rechtsanwalts ausnahmslos untersagt, wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG nichtig ist. Er machte geltend, 1 1/2 Jahre nach Beendigung des mit seiner Verurteilung vom 29. April 1993 verbundenen Amtsfähigkeitsverlustes (§ 45 StGB) habe er unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu Art. 12 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst.
Diesen Widerspruch wies die Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 1999 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die bereits in dem Erstbescheid erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Februar 1979 (Buchholz, 238.5, § 5 DRiG, Nr. 1) werde durch die mit dem Widerspruch genannte Rechtsprechung nicht in Frage gestellt. Auch die Neufassung des von dem Bundesverfassungsgericht in der von dem Kläger erwähnten Entscheidung vom 26. Februar 1986 (BVerfGE 72, 51) für nichtig erklärten § 7 Nr. 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung und die dazu ergangene Rechtsprechung sähen bei einer straftatbedingten Unwürdigkeit eines Rechtsanwalts erst nach vier bis fünf und in schwereren Fällen nach 15 bis 20 und mehr Jahren die Möglichkeit einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vor. Bei Beurteilung der persönlichen Ungeeignetheit des Klägers sei die sich aus allen von ihm begangenen Taten insgesamt ergebende charakterliche Ausprägung bedeutsam und außerdem zu berücksichtigen, dass inzwischen ein gegen Auflagen eingestelltes (§ 153 a StPO) Verfahren wegen Körperverletzung aus dem Jahre 1991 und ein weiteres wegen Geringfügigkeit eingestelltes (§ 153 StPO) Strafverfahren wegen Körperverletzung aus dem Jahre 1993 bekannt geworden seien.
Zur Begründung der hiergegen rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger Bezug genommen auf sein Widerspruchsvorbringen und darüber hinaus geltend gemacht: Aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Februar 1979 (Buchholz, 238.5, § 5 DRiG, Nr. 1), auf die sich die Beklagte berufe, ergebe sich lediglich, dass die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst zu versagen sei, wenn der Bewerber wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt und die Strafe noch nicht getilgt sei. Im Umkehrschluss bedeute das, dass eine Norm, die in jedem Fall eine Berücksichtigung eines vorbestraften Bewerbers ausschließe, einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG darstelle und deshalb verfassungswidrig sei. Die mit der Klage angegriffene Versagungsverfügung, die sich auf keine Rechtsnorm stützen könne, könne deshalb im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG keinen Bestand haben. Je länger ihm der Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst versagt werde, desto stärker sei die dadurch bedingte Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
Der Kläger hat beantragt (sinngemäß),
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 5. August und 30. Dezember 1999 zu verpflichten, ihn in den juristischen Vorbereitungsdienst einzustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat zur Begründung ihres Antrags die in den angefochtenen Bescheiden gegebenen Gründe wiederholt und vertieft und darüber hinaus geltend gemacht: Auch der am 1. Februar 2001 in Kraft getretene § 5 Abs. 1 Satz 2 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen € NJAG € (v. 22.10.1993, Nds. GVBl S. 499, zuletzt geändert durch Gesetz v. 24.01.2001, Nds. GVBl S. 14) rechtfertige die Versagung der von dem Kläger begehrten Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst. Denn nach dieser Vorschrift könne in den juristischen Vorbereitungsdienst nicht aufgenommen werden, wer persönlich ungeeignet ist, und könne sich eine solche Ungeeignetheit, insbesondere aus einem Verbrechen oder einem vorsätzlich begangenen Vergehen ergeben. Angesichts der von ihm vorsätzlich begangenen Vergehen sei der Kläger danach ungeeignet für eine Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst.
Durch das Urteil vom 4. September 2001 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, den Kläger in den juristischen Vorbereitungsdienst einzustellen, und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Annahme, der Kläger sei €persönlich ungeeignet€ im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG sei nicht gerechtfertigt. Nach dieser im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden und deshalb maßgeblichen Bestimmung sei das Referendariat nicht mehr als ein Beamtenverhältnis auf Widerruf gestaltet, sondern als ein €öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis€ (§ 5 Abs. 1 Satz 1 NJAG). Damit gehe es nicht mehr um eine - positiv formulierte - beamtenrechtliche €Eignung€ für diesen Dienst, sondern lediglich noch um eine €- negativ formulierte und damit ausgrenzende € €persönliche Ungeeignetheit€, die Bewerber vom Vorbereitungsdienst - unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeits-grundsatzes sowie im Lichte der Art. 2 und 12 GG - erst bei gravierenden Besonderheiten ausschließe. Die gesetzlich angeführten Beispiele für eine solche Ungeeignetheit € Verbrechen, vorsätzlich begangenes Vergehen € seien dabei nicht als verbindliche Richtschnur festgelegt, sondern nur als Beispielfälle, aus denen sich die Ungeeignetheit ergeben €kann€ (§ 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG), nicht jedoch müsse. Mit der gesetzlichen Neuregelung seien die von den Beteiligten angesprochenen Gerichtsentscheidungen überholt. Der Begriff €persönliche Ungeeignetheit€ im Sinne des § 5 NJAG sei neu zu bewerten und im Lichte der Art. 2 und 12 Abs. 1 GG zu würdigen. Das grundrechtlich geschützte Inter-esse eines jeden Bewerbers um einen Platz im Vorbereitungsdienst an seinem beruflichen und sozialen Fortkommen und das Interesse der Öffentlichkeit an der reibungslosen Abwicklung speziell dieses Vorbereitungsdienstes seien dabei gegen- und miteinander abzuwägen. Spätere Berufs- und Eignungsanforderungen, die juristischen Berufen des öffentlichen Dienstes (Beamte, Richter, Soldaten) oder staatlich gebundenen Berufen (Notare, öffentlich bestellte Sachverständige usw.) entstammen und denen ein gewisses €Leitbild€ immanent sei, hätten im Bereich der Ausbildungsstätte €juristischer Vorbereitungsdienst€ deshalb noch außer Betracht zu bleiben. Maßgeblich sei, ob der Bewerber gerade für den Vorbereitungsdienst persönlich ungeeignet sei.
Aktuelle Eignungsmängel € wie etwa Aggressivität unter Alkohol € würden dem Kläger nicht vorgehalten, so dass Anhaltspunkte für eine aktuell vorliegende Ungeeignetheit des Klägers für den Vorbereitungsdienst als Ausbildungsstätte nicht bestünden. Die 1997 abgeurteilte Körperverletzung liege inzwischen einige Jahre zurück und sei kein Anhalt für eine persönliche Ungeeignetheit des Klägers. Es gehe folglich allein noch um die schon länger zurückliegenden Verfehlungen des Klägers, die jedoch auch in ihrer Gesamtschau die Annahme einer persönlichen Ungeeignetheit nicht rechtfertigten. Dabei hätten die eingestellten Verfahren ohne weiteres außer Betracht zu bleiben. Sie könnten dem Kläger in keiner Weise mehr vorgehalten werden. Allerdings hätten die verbleibenden strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers ihr Gewicht, vor allem die vom Amtsgericht Nordhorn im Jahre 1993 abgestrafte Tat (unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln). Denn bei Betäubungsmittel-Delikten sei die Breitenwirkung zu beachten sowie die Gefahr der bei anderen Menschen herbeigeführten Abhängigkeit. Auf der anderen Seite handele es sich nicht etwa um sensible € in der Regel sehr schwer aufklärbare € Vermögensdelikte, wie etwa Untreue und Betrug, die eine entsprechende Gesinnung der Täter offenbarten und die in den Arbeitsfeldern von Juristen, wo es auf Vertrauen, Redlichkeit und die Hinwendung zum Recht ankomme, in der Regel besonders verwerflich und schädlich seien. Vor allen Dingen aber sei die Tat nicht während des Bestehens eines richter- oder beamtenrechtlichen Dienstverhältnisses oder während bzw. im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Aufgaben als Rechtspflegeorgan geschehen. Wenn der Bundesgerichtshof selbst bei einem solchen beruflichen Zusammenhang und dazu beim Straftatbestand der Untreue die Wiedereingliederung eines Rechtsanwalts und Notars nach 12 Jahren für möglich und sogar geboten halte (so BGH, BRAK-Mitt. 6/2000, S. 306), so sei nicht mehr einzusehen, weshalb dem Kläger nunmehr noch länger seine schon rund 10 Jahre zurückliegende Einfuhr von Betäubungsmitteln vom November 1992 vorgehalten werden solle, die von ihrem kriminellen Unrechtsgehalt her völlig anders € weniger gemeinschaftsschädlich als Untreue und Betrug € strukturiert sei und die eher noch als eine €Jugendsünde€ betrachtet werden könne als die von einem Rechtsanwalt und Notar begangene Untreue in zwölf Fällen mit einem doch erheblichen Schaden. Die sonstigen Verfehlungen des Klägers, bei denen es sich zum Teil um eingestellte Verfahren handele (Körperverletzungen aus 1991 und 1993, fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs nebst unerlaubten Entfernens vom Unfallort aus 1993, Körperverletzung aus 1997), hätten zum juristischen Vorbereitungsdienst und dessen Anforderungen keinen Bezug und würfen von ihrem Gepräge her kein derart ungünstiges Licht auf den Kläger, dass er ihretwegen vom Vorbereitungsdienst ferngehalten werden müsste.
Zur Begründung der durch den Beschluss des Senats vom 21. Juni 2002 wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend: Entgegen der von dem Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung sei durch § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG keine neue Rechtssituation geschaffen worden. In der Begründung für diese Regelung (LT-Drs. 14/1955, S. 6) sei ausdrücklich ausgeführt: €Die negative Aufnahmevoraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 2 entspricht allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen€. Damit sei unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber grundsätzlich und ungeachtet des neuen Rechtsverhältnisses dieselben strengen Anforderungen fortgelten lassen wolle, wie sie für die Aufnahme in Beamtenverhältnisse aufgestellt seien. Hinsichtlich der Frage der Ungeeignetheit gehe es nicht nur um die äußere Haltung eines Referendars, nicht nur darum, dass er unauffällig und störungsfrei den Vorbereitungsdienst ableiste, es gehe vor allem auch um die innere charakterliche Eignung. Die Wertungen der von dem Kläger begangenen Straftaten durch das Verwaltungsgericht treffe nicht zu. Die strafrechtlichen Verfehlungen offenbarten sogar teilweise schon für sich allein betrachtet und im Übrigen in der Gesamtschau eine charakterliche Prägung, die die subjektive Eignung zum juristischen Vorbereitungsdienst schlichtweg ausschließe. So hätte die Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln bei Bestehen eines Richter- oder Beamtenverhältnisses bereits zur Folge gehabt, dass dieses kraft Gesetzes ende. Auch könne ein Delikt, das ein Einunddreißigjähriger begehe, nicht als Jugendsünde bagatellisiert werden. Die Frage, ob durch ein späteres tadelfreies Verhalten die dem juristischen Vorbereitungsdienst entgegenstehende Unwürdigkeit entfallen könne, sei im Hinblick auf Zeitpunkt und Schwere der Verfehlungen auch in absehbarer Zeit noch nicht zu stellen. Auf den Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die Wiedereingliederung eines wegen Untreue bestraften Rechtsanwalts und Notars nach 12 Jahren tadelfreien Verhaltens könne sich der Kläger nicht berufen. Denn bei dem Rechtsanwalt und Notar lägen die ausbildungsmäßigen Voraussetzungen für die Berufsausübung bereits vor. Der Eingriff in die Berufswahl im Sinne des Art. 12 GG wiege deshalb viel schwerer als in jenen Fällen, in denen die ausbildungsmäßigen Voraussetzungen erst noch geschaffen werden müssten.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, ihn zur Ableistung des juristischen Vorbereitungsdienstes in ein zivilrechtliches Ausbildungsverhältnis aufzunehmen.
Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend: § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG sei im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG verfassungskonform auszulegen und normiere entgegen den von der Beklagten angeführten Gesetzesmotiven (LT-Drs. 14/1955, S. 6) nicht, dass für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst die allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätze zu berücksichtigen seien. Da der Vorbereitungsdienst nicht in einem Beamtenverhältnis abgeleistet werde, seien bei einer strafgerichtlichen Verurteilung des Bewerbers die Anforderungen weitaus geringer als die sich aus § 43 Abs. 1 Nr. 1 NBG ergebenden Anforderungen, nach denen ein Beamtenverhältnis endet, wenn ein Beamter wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. § 7 Nr. 3 BRAO setze bei einem gerichtlichen Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft lediglich eine Sperrfrist von acht Jahren fest. Da es sich bei der persönlichen Ungeeignetheit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG nicht um eine Zulassungsvoraussetzung für einen juristischen Beruf im öffentlichen Dienst, als Rechtsanwalt oder im privatwirtschaftlichen Bereich handele, lägen die sich aus ihm ergebenden Anforderungen weit niedriger als die mit den Berufszulassungen verbundenen Voraussetzungen. Danach stünden seine € des Klägers € strafgerichtlichen Verurteilungen aus den Jahren 1993, 1994 und 1997 der Zulassung zum Vorbereitungsdienst nicht entgegen. Es sei völlig unbedeutsam, ob die Betäubungsmittelstraftat eine €Jugendsünde€ gewesen sei, entscheidend sei, dass dieses Delikt vor fast zehn Jahren begangen worden sei und lediglich zu einer Verurteilung von zwei Jahren Haft, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden sei, geführt habe. Dieses Delikt würde einer Zulassung als Rechtsanwalt nicht entgegenstehen, da die Sperrfrist des § 7 Nr. 3 BRAO bereits abgelaufen sei. Hinsichtlich der übrigen Delikte sei festzustellen, dass es sich um Delikte handele, die nicht einen solchen Schweregrad und insbesondere auch nicht ein hohes Potential an Gefährdung der Allgemeinheit enthielten. Die Körperverletzungen aus den Jahren 1991 und 1993 hätten gerade nicht zur Bestrafung geführt und lägen neun und elf Jahre zurück. Durch sein straffreies Verhalten und seine sinnvolle berufliche Tätigkeit in den seit der Vorbestrafung vergangenen Jahren habe er bewiesen, dass er für eine Teilnahme am juristischen Vorbereitungsdienst, der zu einer weiteren Verfestigung der charakterlichen Eignung führen könne, geeignet sei. Es sei darüber hinaus zu berücksichtigen, dass jede Vergrößerung des zeitlichen Abstandes zwischen dem Ablegen des ersten juristischen Staatsexamens im Januar 1999 und einem künftig zu beginnenden Vorbereitungsdienst mit erheblichen Nachteilen verbunden sei. Selbst wenn eine Ungeeignetheit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG angenommen werden müsste, sei es auf Grund der durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufswahlfreiheit geboten, ihm € dem Kläger € die Ableistung des juristischen Vorbereitungsdienstes im Rahmen eines zivilrechtlichen Ausbildungsverhältnisses zu ermöglichen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze, hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsvorgänge (Beiakten A) sowie die Strafverfahrensakten (Beiakten B, C und D) Bezug genommen.
Gründe
II.
Die nach Zulassung statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet.
Entgegen der mit dem angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung ist die Versagung der Einstellung des Klägers in den Vorbereitungsdienst durch die Bescheide vom 5. August und 30. Dezember 1999 rechtmäßig und die Beklagte deshalb nicht verpflichtet, den Kläger in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung des von dem Kläger geltend gemachten Verpflichtungsanspruchs ist § 5 Abs. 1 Satz 2 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen - NJAG - vom 22. Oktober 1993 (Nds. GVBl S. 449) in der Fassung des am 1. Februar 2001 in Kraft getretenen Änderungsgesetzes vom 24. Januar 2001 (Nds. GVBl S. 14), durch das diese Vorschrift eingeführt wurde. Zwar ist diese Vorschrift nach Erlass der hier angefochtenen Bescheide in Kraft getreten, sie ist aber gleichwohl maßgeblich für die Beurteilung der Rechtslage.
Denn im Rahmen einer Verpflichtungsklage, wie sie der Kläger mit seinem Begehren erhoben hat, ist, wenn sich aus dem zu Grunde zu legenden materiellen Recht nicht etwas anderes ergibt, maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl.: BVerwG, Urt. v. 21.3.1986 - 7 C 71.83 -, BVerwGE 74, 116, 118; Kopp/Schenke, VwGO - Kommentar, 12. Aufl., RdNr. 217 zu § 113, m.w.Nachw.). Da sich aus dem hier anzuwendenden materiellen Recht, dem § 5 NJAG und den übrigen Vorschriften dieses Gesetzes Anhaltspunkte für die Maßgeblichkeit eines anderen Zeitpunktes nicht ergeben, ist auch für die Beurteilung des Verpflichtungsbegehrens des Klägers der Zeitpunkt der Berufungsverhandlung maßgeblich.
Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG wird in den Vorbereitungsdienst nicht aufgenommen, wer persönlich ungeeignet ist; die Ungeeignetheit kann sich insbesondere aus einem Verbrechen oder einem vorsätzlich begangenen Vergehen ergeben. Daraus ergibt sich, dass der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufnahme in den Vorbereitungsdienst nicht besteht, wenn die Annahme der Beklagten, der Kläger sei im gegenwärtigen Zeitpunkt persönlich ungeeignet, sich als rechtmäßig erweist.
Das ist unter Berücksichtigung aller Umstände des hier zu beurteilenden Einzelfalles zu bejahen.
Bei dem gesetzlichen Begriff der persönlichen Ungeeignetheit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, bei der zu berücksichtigen ist, dass der Gesetzgeber selbst einen Fall der möglichen Ungeeignetheit dann annimmt, wenn der Betroffene € wie der Kläger € ein Verbrechen oder vorsätzlich ein Vergehen begangen hat.
Die Auslegung unbestimmter Gesetzesbegriffe, d.h. die Ermittlung ihres Sinngehalts stellt, wie jede Auslegung, die Beantwortung einer Rechtsfrage dar, die grundsätzlich von den die Rechtmäßigkeit der Anwendung überprüfenden Verwaltungsgerichten uneingeschränkt nachzuprüfen ist (vgl.: BVerwG, Urt. v. 22.8.1985 - 3 C 49.84 -, BVerwGE 72, 73, 77; BVerfG, Beschl. v. 6.5.1987 - 2 BvL 11/85 -, NJW 1987, 3175, 3176). Das gilt auch für den in beamtenrechtlichen Vorschriften verwandten unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung, wenn es - wie hier - nicht um die sonstige persönliche und fachliche Eignung, sondern um die durch die Begehung eines Verbrechens oder Vergehens in Frage gestellte charakterliche Eignung (€Würdigkeit€) geht (vgl.: BVerwG, Urt. v. 15.1.1960 - 6 C 229/58 -, DÖV, 1960, 840; BVerwG, Urt. v. 12.5.1966 - 2 C 116.65 -, ZBR 1966, 354; Bayr.VGH, Urt. v. 21.7.1966 - Nr. 184 VI 65 -, DVBl. 1967, 980). Allerdings wird auch die Auffassung vertreten, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der charakterlichen Eignung, soweit sie durch die Begehung von Straftaten in Frage gestellt wird, nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung darauf hin unterliegt, ob die Behörde von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie den beamtenrechtlichen und verfassungsrechtlichen Rahmen verkannt hat, ob sie bei der Beurteilung allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt hat (OVG NW, Urt. v. 16.6.1978 - VI a 889/76 -, DÖD 1979, 36).
Die Frage, ob für den hier maßgeblichen Begriff der Ungeeignetheit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG, soweit diese aus der Begehung von Straftaten abgeleitet wird, die eine oder die andere Auffassung maßgeblich ist, bedarf keiner Entscheidung. Denn die Annahme der Beklagten, der Kläger sei ungeeignet im Sinne dieser Vorschrift, erweist sich auch dann als rechtmäßig, wenn von einer nicht nur eingeschränkten, sondern einer uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ausgegangen wird.
Unter welchen Voraussetzungen eine durch die Begehung von Straftaten bedingte Ungeeignetheit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG anzunehmen ist, ist unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der Niedersächsischen Juristenausbildung insbesondere der Regelungen über den Vorbereitungsdienst und die Zweite Juristische Staatsprüfung (§§ 5 bis 10 NJAG) zu bestimmen. Ziel des zweijährigen Vorbereitungsdienstes (§§ 7 NJAG,
5 b DRiG) ist es, den Referendar mit den richterlichen und staatsanwaltlichen Aufgaben, den Aufgaben des höheren allgemeinen Verwaltungsdienstes und der Anwaltschaft vertraut zu machen, um ihm zu ermöglichen, die Zweite Staatsprüfung zu bestehen und damit die Befähigung zum Richteramt und zum höheren allgemeinen Verwaltungsdienst sowie die Befugnis zu erlangen, die Bezeichnung €Assessor€ zu führen (§§ 7, 9, 10 NJAG, 5 b, 5 d DRIG). Daraus ergibt sich, dass der Kläger als Referendar richterliche, staatsanwaltliche, anwaltschaftliche und weitere der Rechtspflege dienende Aufgaben zu erfüllen hat. Die Juristenausbildung ist eine Ausbildung zu Berufen, deren wesentlicher Inhalt die Verwirklichung des Rechts ist. Schon während des Vorbereitungsdienstes hat der Referendar die genannten Aufgaben eigenverantwortlich wahrzunehmen und muss deshalb hierfür auch in charakterlicher Hinsicht geeignet sein. Da der Referendar den mit dem Referendariat verbundenen Anforderungen vom Beginn bis zum Ende seiner Ausbildung zu entsprechen hat, kommt es für die Frage, ob die Einschränkungen der charakterlichen Eignung die Annahme einer Ungeeignetheit im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 NJAG rechtfertigen, auf den Zeitpunkt des Beginns des Vorbereitungsdienstes an. Entgegen der von dem Kläger in der Berufungsverhandlung vertretenen Auffassung ist der von ihm geltend gemachte Umstand, durch den Vorbereitungsdienst könnten eventuell noch vorhandene charakterliche Schwächen überwunden werden, ohne Bedeutung.
Diese Zielsetzung der Juristenausbildung und des Vorbereitungsdienstes, die in der bundesverfassungsgerichtlichen und bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als €Leitbild€ bezeichnet wird, beansprucht Allgemeingültigkeit für die Vorbereitung auf alle juristischen Berufe, unabhängig davon, ob die Ausbildung im Beamtenverhältnis oder in einem rechtlich anders gestalteten Ausbildungsverhältnis durchgeführt wird, welche Tätigkeit der vollausgebildete Jurist später ausübt und welche Schranken dafür gelten (vgl.: BVerfG, Beschl. v. 5.10.1977 - 2 BvL 10/75 - BVerfGE, 46, 43, 53; BVerwG, Beschl. v. 13.2.1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 238.5 § 5 DRiG Nr. 1). Diese Entscheidungen beziehen sich zwar auf das hamburgische und bayerische Juristenausbildungsrecht, jedoch gilt dies auch für das niedersächsische Juristenausbildungsrecht. Denn die entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen (§§ 28 ff. der Juristenausbildungsordnung - JAO vom 10.7.1972 - Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt, S. 133, 140 ff.; Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen - JAPO - v. 16.4.1993, BayGVBl. S. 335, zuletzt geändert durch Verordnung vom 23.6.2000, BayGVBl. S. 401) beruhen ebenso wie die den niedersächsischen Vorbereitungsdienst betreffenden Vorschriften der §§ 5 ff. NJAG auf den bundeseinheitlich geltenden Regelungen für den juristischen Vorbereitungsdienst
(§ 5 ff DRiG) und unterscheiden sich in der beschriebenen Zielsetzung nicht.
Eine andere Auslegung des hier maßgeblichen unbestimmten Rechtsbegriffs der Ungeeignetheit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG ist auch nicht unter Berücksichtigung des Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - geboten. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, dass der juristische Vorbereitungsdienst eine Ausbildungsstätte im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG darstellt und der Zugang zu ihm dem Schutz dieser Grundrechtsnorm unterliegt (vgl.: BVerfG, Beschl. v. 5.10.1977 - 2 BvL 10/75 -, BVerfGE 46, 43, 52 ff.; BVerwG, Beschl. v. 13.2.1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 238.5 § 5 DRIG Nr. 1; von Münch/Kunigk (M.Gubelt), Grundgesetzkommentar, 5. Aufl., 2000, RdNr. 53 bis 56, jew.m.Nachw.). Der zitierten Rechtsprechung und Kommentierung ist ebenfalls mit Eindeutigkeit zu entnehmen, dass die Zulassung zu dieser Ausbildungsstätte im Interesse einer geordneten Rechtspflege von Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann, die in der Person des Bewerbers begründet liegen, und dass das Fehlen solcher Voraussetzungen auf Grund einer umfangreichen Straftäterschaft angenommen werden kann. Durch die Berücksichtigung der Einzelfallumstände, zu denen auch die fehlende Tilgung der Verurteilungen zählt, ist gewährleistet, dass dem Grundrecht der grundsätzlich freien Berufswahl und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG Rechnung getragen wird.
Weder aus diesen Grundsätzen noch aus den allgemeinen beamten- und richterlichen Bestimmungen, nach denen die rechtskräftige Verurteilung wegen vorsätzlich begangener Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr kraft Gesetzes zur Beendigung des Richterverhältnisses oder des Beamtenverhältnisses führt (§§ 24 Nr. 1 DRiG, 43 Nr. 1 NBG, 24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG, 48 Nr. 1 BBG), kann aber hergeleitet werden, dass bei einem solchen Umfang der Vorbestrafung eine Ungeeignetheit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG zwingend angenommen werden muss. Mit der Formulierung dieser Vorschrift: €In den Vorbereitungsdienst nicht aufgenommen wird, wer persönlich ungeeignet ist; die Ungeeignetheit kann sich insbesondere aus einem Verbrechen oder einem vorsätzlich begangenen Vergehen ergeben€ hat der niedersächsische Landesgesetzgeber eine von den beamtenrechtlichen Vorschriften abweichende offenere Eignungsregelung normiert. Zwar wird in der Begründung des Regierungsentwurfs zu dieser Vorschrift ausgeführt, die negative Aufnahmevoraussetzung in Abs. 1 Satz 2 (§ 5 NJAG) entspreche den allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen (Nds. Landtag, Drucks. 14/1955 S. 6), jedoch kann der dargestellte allgemeine beamtenrechtliche Grundsatz der Nichteignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen vorsätzlich begangener Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr der von dem Landesgesetzgeber gewählten Formulierung des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG nicht entnommen werden. Der niedersächsische Landesgesetzgeber hat sich - das ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Vorschrift - für eine Zugangsregelung entschieden, die offener ist als die Regelungen in anderen Bundesländern, die für den Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst die genannten allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen (Nichteignung bei rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr) übernommen oder sich an ihnen orientiert haben (vgl.: Berlin: § 8 JAG v. 29.4.1966, GVBl. S. 735, zuletzt geändert durch Gesetz v. 14.6.1995, GVBl. S. 356; Rheinland-Pfalz: § 4 Abs. 3 JAG v. 30.11.1993, Internet (7.10.2002): www.jura.uni-sb.de/studienrecht/
jag-rp.htm); Hessen: § 23 JAG v. 19.1.1994, GVBl. I S. 73, zuletzt geändert durch Gesetz v. 9.12.2000, GVBl. I S. 552); Hamburg: § 28 JAO v. 10.7.1972, Hamburgisches GVBl. I S. 133; Bremen: § 31 Abs. 2 JAPG v. 30.1.2001, Gesetzblatt der Freien und Hansestadt Bremen S. 1; Brandenburg: § 6 Abs. 4 Nr. 3 BbgJAG v. 24.12.1992, GVBl I S. 578, geändert durch Gesetz v. 21.12.1998, GVBl. I S. 234, 242; Sachsen: § 38 Abs. 2 SächsJAPO Gesetze des Freistaates Sachsen, Beck, Loseblattsammlung, Stand: März 2001; Thüringen: §§ 5 JAG, 34 Abs. 5 JAPO, Internet (7.10.2002): www.thüringen.de/de/justiz/jpa/
praktiker/u 2/uo2/unterseite.hdml; Bayern: § 34 Abs. 4 Nr. 1 JAPO v. 16.4.1993, GVBl. S. 335, zuletzt geändert durch Verordnung v. 23.6.2000, GVBl. S. 401; Saarland: § 21 Abs. 1 und 3 Nr. 1 JAG v. 6.7.1988 Amtsblatt S. 865, zuletzt geändert durch Gesetz v. 4.4.2001, Amtsblatt S. 934).
Auch aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den sich aus einer Straftäterschaft ergebenden Mängeln hinsichtlich der für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst vorausgesetzten charakterlichen Eignung ergibt sich nicht, dass eine Ungeeignetheit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG bereits zwingend anzunehmen ist, wenn der Betroffene - wie der Kläger - wegen vorsätzlich begangener Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden ist. Denn diese Entscheidungen sind zu landesrechtlichen Regelungen ergangen, die mit dem hier anzuwendenden § 5 Abs. 2 Satz 1 NJAG nicht vergleichbar sind. Den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 1970 und 13. Februar 1979 (Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Art. 12 GG Nr. 84 und 238.5 § 5 DRiG Nr. 1) liegen landesrechtliche Bestimmungen zu Grunde, nach denen bei einer entsprechenden strafgerichtlichen Verurteilung (Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr) über die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden oder die Versagung zwingend vorgeschrieben ist. Nach dem hier maßgeblichen § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG handelt es sich bei einer solchen Verurteilung aber lediglich um einen Umstand, der die Annahme der Ungeeignetheit, die der Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst entgegensteht, rechtfertigen kann.
Aus diesen Gründen kann aus der genannten Rechtsprechung und den dargestellten Regelungen anderer Bundesländer lediglich eine Orientierung für die hier streitentscheidende Frage hergeleitet werden, ob der Kläger ungeeignet im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG ist. In erster Linie entscheidend ist nach den eingangs dargestellten Grundsätzen die Frage, ob der Kläger in der Lage ist, während des gesamten zweijährigen Vorbereitungsdienstes die bereits beschriebenen richterlichen, staatsanwaltlichen, anwaltschaftlichen und übrigen der Rechtspflege dienenden Aufgaben wahrzunehmen und den sich daraus ergebenden Anforderungen auch in charakterlicher Hinsicht zu entsprechen.
Das ist in den in diesem Verfahren angefochtenen Bescheiden zutreffend verneint worden.
Da die gegenüber dem Kläger 1993, 1994 und 1997 verhängten Strafen nicht getilgt sind, sind alle drei Verurteilungen hinsichtlich der Frage, ob der Kläger persönlich ungeeignet im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NJAG ist, zu berücksichtigen, und es ist im Hinblick auf das Gebot der Zugrundelegung eines vollständigen Sachverhalts und, weil ein entsprechendes Verwertungsverbot nicht besteht, auch zu berücksichtigen, dass darüber hinaus zwei Strafverfahren wegen Körperverletzung anhängig waren, von denen das eine gegen Geldbuße (§ 153 a StPO) und das andere wegen Geringfügigkeit (§ 153 StPO) eingestellt wurde. Insgesamt ergibt sich hieraus ein Fehlverhalten des Klägers, das die Annahme seiner persönlichen Ungeeignetheit für die Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst rechtfertigt.
Der Kläger hat das Betäubungsmitteldelikt (ein Verbrechen, § 12 Abs. 1 StGB), dessentwegen er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden ist, die Trunkenheitsfahrt und die Fahrerflucht sowie die Körperverletzung (Vergehen, § 12 Abs. 2 StGB), deretwegen gegen ihn jeweils nicht unbedeutende Geldstrafen verhängt worden sind, im Alter von 31, 32 und 35 Jahren begangen. Allein die auf Grund dieser drei Verurteilungen verhängten Strafen gehen insgesamt weit über eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die nach den dargestellten allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen und Regelungen in anderen Bundesländern der Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst entgegensteht, hinaus. Deshalb liegt es nahe, bereits auf Grund des Umfangs dieser Bestrafung eine persönliche Ungeeignetheit des Klägers im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 NJAG anzunehmen. Entscheidend sind aber - wie sich aus den eingangs dargestellten Grundsätzen ergibt - die gesamten Umstände des Einzelfalles, zu denen insbesondere die Art der Delikte und die Art und Weise ihrer Begehung gehören. Aus den von dem Kläger begangenen Straftaten ergibt sich, dass er im Alter von 31 bis 35 Jahren nicht davor zurückgescheut hat, seine eigenen Interessen mit Hilfe der Begehung eines Verbrechens und von Vergehen durchzusetzen und die durch die von ihm verletzten Strafbestimmungen geschützten Rechtsgüter der Gesundheit und Unversehrtheit Anderer zu missachten. Das wird besonders deutlich durch die drei von dem Kläger begangenen Körperverletzungen und den Umstand, dass die 1997 begangene Körperverletzung durch das Strafgericht bei umstrittener Notwehrsituation als Notwehrexzesshandlung bewertet wurde. Den Schwerpunkt des Fehlverhaltens bildet aber das Betäubungsmitteldelikt, das angesichts der Menge der unerlaubt eingeführten Betäubungsmittel (45 g Kokain, 963 Amphetamintabletten) und der damit verbundenen Gefährdung Anderer von besonderer Bedeutung für die charakterliche Eignung des Klägers ist. Der Umstand, dass seit Begehung dieser Delikte neun, acht und fünf Jahre vergangen sind, ohne dass der Kläger wieder straffällig geworden ist, rechtfertigt nicht die Annahme, die durch diese Delikte gekennzeichnete charakterliche Eignungsschwäche sei gegenwärtig endgültig überwunden. Denn das Fehlverhalten hat sich über einen längeren Zeitraum erstreckt (1991 bis 1997) und ist sowohl während der beruflichen Tätigkeit des Klägers als auch während seines Studiums aufgetreten. Anhaltspunkte dafür, dass es sich um situationsgebundene oder nur eine bestimmte Lebensphase betreffende Fehlverhaltensweisen handelt, ergeben sich aus den Verurteilungen des Klägers, seiner beruflichen Tätigkeit und den übrigen Umständen des Einzelfalles nicht. Aus diesen Gründen ist nicht gewährleistet, dass der Kläger den hinsichtlich seiner charakterlichen Eignung bestehenden Anforderungen für die während des Referendariats zu erfüllenden richterlichen, staatsanwaltschaftlichen, anwaltschaftlichen und weiteren der Rechtspflege dienenden Aufgaben entspricht.
Eine andere Bewertung der sich aus der Straftäterschaft des Klägers ergebenden charakterlichen Eignungseinschränkungen kann entgegen der Auffassung des Klägers weder aus der Rechtsprechung zur Verpflichtung der Ausbildung von Referendaren, die die für die Ernennung zum Beamten erforderliche Gewähr jederzeitiger aktiver Verfassungstreue nicht bieten (BVerwGE 39, 334; BAGE 54, 340), noch aus den Regelungen über die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 7 Nr. 3 BRAO) hergeleitet werden. Denn eine fehlende Gewähr der jederzeitigen aktiven Verfassungstreue ist nicht vergleichbar mit einer mehrfachen Straftäterschaft, und die Frage der persönlichen Ungeeignetheit für die Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst ist € wie bereits vorstehend ausgeführt € unabhängig davon zu beurteilen, welche Tätigkeit der voll ausgebildete Jurist später ausübt und welche Schranken dafür gelten (vgl.: BVerwG, Beschl. v. 13.02.1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, 238.5, § 5 DRiG Nr. 1, S. 3).
Aus dem Vorstehenden ergibt sich auch, dass das hilfsweise geltend gemachte Begehren des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, ihn zur Ableistung des juristischen Vorbereitungsdienstes in ein zivilrechtliches Ausbildungsverhältnis aufzunehmen, unbegründet ist. Denn die persönliche Ungeeignetheit des Klägers steht seiner Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst nicht entgegen, weil dieser Vorbereitungsdienst im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses geleistet wird, sondern weil unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes der Zugang zu dieser Ausbildungsstätte davon abhängig gemacht werden kann, dass der Bewerber nicht persönlich ungeeignet ist.
Die Kosten des aus diesen Gründen erfolglosen Klage- und Berufungsverfahrens hat nach § 154 Abs. 1 VwGO der Kläger zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die sich hierfür aus den §§ 132 Abs. 2 VwGO, 193 NBG ergebenden Voraussetzungen nicht vorliegen.
Niedersächsisches OVG:
Urteil v. 27.11.2002
Az: 5 LB 114/02
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/b623ce08392b/Niedersaechsisches-OVG_Urteil_vom_27-November-2002_Az_5-LB-114-02