Landgericht Stuttgart:
Urteil vom 28. Februar 2007
Aktenzeichen: 13 S 304/06

(LG Stuttgart: Urteil v. 28.02.2007, Az.: 13 S 304/06)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Landgericht Stuttgart hat in einem Urteil vom 28. Februar 2007 (Aktenzeichen 13 S 304/06) entschieden, dass für eine wirksame Abtretung einer Rechtsanwaltsgebührenforderung an Dritte alle drei Voraussetzungen des § 49b Abs. 4 Satz 2 HS 2 BRAO erfüllt sein müssen. Es reicht nicht aus, dass nur eines der Tatbestandsmerkmale, zum Beispiel die Einwilligung des Mandanten, vorliegt. Die Entscheidung des Amtsgerichts Stuttgart, die die Klage des Klägers abgewiesen hat, wurde bestätigt. Der Kläger hatte von seiner Rechtsschutzversicherung, der Beklagten, die Freistellung von abgetretenen Rechtsanwaltsgebührenansprüchen gefordert. Die Gebührenforderungen waren von den mandatierten Rechtsanwälten an die Close Finance GmbH abgetreten worden, die diese durch die AnwVS einziehen ließ. Das Landgericht kam zu dem Schluss, dass die Abtretung wegen Verstoßes gegen das Abtretungsverbot des § 49b Abs. 4 Satz 2 BRAO nichtig ist. Es fehlt das kumulative Vorliegen aller drei Voraussetzungen des § 49b Abs. 4 Satz 2 BRAO, nämlich die Einwilligung des Mandanten, eine rechtskräftige Forderungsfeststellung und ein erster erfolgloser Vollstreckungsversuch. Daher hat der Kläger keinen Anspruch auf Freistellung von den restlichen Gebührenansprüchen. Das Landgericht ließ allerdings die Revision zu, da die Frage nach den Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Abtretung an Nicht-Rechtsanwälte für einen Teil der Berufsgruppe der Rechtsanwälte von grundsätzlicher Bedeutung ist und eine einheitliche Rechtsprechung erforderlich ist.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LG Stuttgart: Urteil v. 28.02.2007, Az: 13 S 304/06


Für eine wirksame Abtretung einer Rechtsanwaltsgebührenforderung an Dritte genügt nicht, dass nur ein Tatbestandsmerkmal, etwa die Mandanteneinwilligung, des § 49b Abs. 4 S. 2 HS 2 BRAO vorliegt, sondern es bedarf des kumulativen Vorliegens aller drei der genannten Voraussetzungen (Einwilligung des Mandanten, rechtskräftige Forderungsfeststellung und erster erfolgloser Vollstreckungsversuch)

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart - 18 C 2927/06 - vom 17.10.2006 wird

z u r ü c k g e w i e s e n .

2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit die Beklagte nicht vor der Vollstreckung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Berufungsstreitwert: 1.190,15 EUR

Tatbestand

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten, seiner Rechtsschutzversicherung, Freistellung von zur Einziehung abgetretenen Rechtsanwaltsgebührenansprüchen.

Der Kläger hatte im Jahr 2004 eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Geltendmachung von Arzthaftungsansprüchen beauftragt. Die vom Kläger mandatierten Rechtsanwälte traten ihre Gebührenforderungen zur Geltendmachung an die Close Finance GmbH ab. Diese GmbH lässt die abgetretenen Forderungen ihrerseits durch die Deutsche Anwaltliche Verrechnungsstelle AG (im Folgenden: AnwVS) einziehen.

Die AnwVS stellte dem Kläger nach Durchführung des Arzthaftungsprozesses die abgetretenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 14.820,36 EUR in Rechnung (Bl. 13 der Akten). Der überwiegende und unstreitige Teil der Rechtsanwaltsgebühren wurde daraufhin ausgeglichen. Den verbleibenden Betrag in Höhe von 1.190,15 EUR macht der Kläger im Wege der Freistellung gegen die Beklagte zur Zahlung an die Close Finance GmbH geltend.

Der Kläger unterzeichnete ein mit Zustimmungserklärung des Mandanten überschriebenes Formular der AnwVS mit folgendem Inhalt (Bl. 10 der Akten):

Ich erkläre mich ausdrücklich einverstanden mit der

- Weitergabe der zum Zwecke der Abrechnung und Geltendmachung jeweils erforderlichen Informationen, insbesondere von Daten aus der Mandantenkartei (Name, Geburtsdatum, Anschrift, Gegenstandswert, Prozessdaten und -verlauf, Honorarsatz) an die Deutsche Anwaltliche Verrechnungsstelle AG - AnwVS -, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln und die Close Finance GmbH, Große Bleiche 35 - 39, 65116 Mainz,

- Abtretung der sich aus dem Mandat ergebenden Forderungen an die Close Finance GmbH.

Diese Zustimmung gilt auch für alle laufenden und zukünftigen Mandatierungen. Sofern ich rechtsschutzversichert bin, bevollmächtige und beauftrage ich hiermit die Close Finance GmbH und deren Prozessbevollmächtigte mit der Geltendmachung der Freistellungsansprüche aus dem Mandatsverhältnis. Hierdurch entstehen mir keine weiteren Kosten. Für den Fall der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen meinen Gegner bevollmächtige ich AnwVS und Close Finance mit der Beauftragung eines Rechtsanwalts in meinem Namen zur Einziehung der Forderung. Auch hierbei entstehen für mich keine Aufwände oder Kosten.

Die Close Finance GmbH kann bei der Entscheidung, ob sie die Honorarforderungen ankauft, meine Bonität (Zahlungsfähigkeit) prüfen; hierzu kann die Close Finance GmbH eine Auskunft bei einer Auskunftei oder Kreditschutzorganisation (Schufa o. ä.) einholen.

Ich wurde darüber aufgeklärt, dass die Close Finance GmbH die Leistungen meines Rechtsanwalts mir gegenüber durch die AnwVS in Rechnung stellen und für eigene Rechnung einziehen wird. Sollte es über die Berechtigung der Forderung unterschiedliche Auffassungen geben, kann der Rechtsanwalt in einer etwaigen Auseinandersetzung als Zeuge gehört werden. Ich entbinde meinen Rechtsanwalt von seiner anwaltlichen Schweigepflicht, soweit dies für die Abrechnung und Geltendmachung der Forderungen erforderlich ist.

Eine Ausfertigung dieser Einverständniserklärung habe ich erhalten.

Das Amtsgericht hat die Abtretung nach §§ 49b Abs. 4 S. 2 BRAO, 134 BGB für nichtig erachtet und deshalb die Klage abgewiesen.

Der Kläger ist weiterhin der Rechtsauffassung, dass die Abtretung der Gebührenansprüche seiner Rechtsanwälte an die Close Finance GmbH nach § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO allein mit seiner Zustimmung als Mandant wirksam gewesen sei. Weiterer Tatbestandsvoraussetzungen nach dieser Vorschrift für die Wirksamkeit der Abtretung an Nicht-Rechtsanwälte bedürfe es nicht. Die Beklagte habe ihn deshalb von den restlichen Gebührenansprüchen freizustellen.

Der Kläger beantragt:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Stuttgart - 18 C 2927/06 - vom 17.10.2006 verurteilt, den Kläger von der Rechnung der Deutschen Anwaltlichen Verrechnungsstelle AG, Rechnungsnummer 0017-05-039 vom 21.07.2005 durch Zahlung in Höhe von 1.190,15 EUR an die Close Finance GmbH, Kontonummer & bei der Landesbank Hessen-Thüringen, BLZ 500 500 00, freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Abtretung der Gebührenansprüche der vom Kläger mandatierten Rechtsanwälte an die Close Finance GmbH zur Einziehung durch die AnwVS sei mangels Vorliegens aller Tatbestandsvoraussetzungen des § 49b Abs. 4 S. 2 HS 2 BRAO unwirksam.

Im Übrigen wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Stuttgart Bezug genommen.

Gründe

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung von einer anwaltlichen Honorarforderung in Höhe von 1.190,15 EUR nach § 1 Abs. 1 VVG i.V.m. § 5 Abs. 2a der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherungen - ARB 2000 - (vgl. Bauer in: Harbauer, Rechtsschutzversicherung, ARB-Kommentar, 7. Auflage, § 5 ARB 2000 Rn. 16 [Freistellungsanspruch]).

1. Die Abtretung gem. § 398 BGB der Gebührenansprüche der vom Kläger beauftragten Rechtsanwälte an die Close Finance GmbH zur Einziehung über die AnwVS ist wegen Verstoßes gegen das Abtretungsverbot des § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO (Grüneberg in: Palandt, BGB, 66. Auflage, § 399 Rn. 2) nichtig, § 134 BGB. Es liegt lediglich eine Zustimmungserklärung des Klägers vor (vgl. § 49b Abs. 4 S. 2 HS 2 letzte Tatbestandsvoraussetzung BRAO). Es ermangelt indes einer rechtskräftigen Forderungsfeststellung und eines ersten fruchtlosen Vollstreckungsversuchs vor der Abtretung; somit fehlt es an der Verwirklichung der zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO.

Der Wortlaut des § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO lässt eine Umdeutung des und in ein oder nicht zu. Die drei gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO müssen für eine wirksame Abtretung an einen Nicht-Rechtsanwalt nebeneinander und nicht nur alternativ vorliegen (AG Köln - 147 C 146/06 - Urt. v. 08.12.2006; AG Köln - 147 C 181/06 - Urt. v. 08.12.2006; AG Hannover - 427 C 11581/06 - Urt. v. 22.12.2006; AG Hamburg-St. Georg - 910 C 351/06 - Beschl. v. 28.08.2006; LG Hamburg - 323 T 80/06 - Beschl. v. 28.09.2006; Dittmann in: Henzler/Prütting, BRAO, 2. Auflage, § 49b Rn. 35; Weyland in: Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Auflage, § 49b Rn. 52, 55; Nerlich in: Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, 3. Auflage, § 49b BRAO Rn. 100 ff., 113 f.; Rick in: Kilian/vom Stein, Praxishandbuch Anwaltskanzlei und Notariat, 2005, § 29 Rn. 263; Kilian in: Krämer/Mauer/Kilian, Vergütungsvereinbarung und -management, 2005, Rn. 586 f.; Berger, Zur Neuregelung der Zession anwaltlicher Gebührenforderung in § 49b Abs. 4 BRAO, NJW 1995, 1406 ff., 1407; Kilian, Vorsprung durch Rechtsbruch beim Factoring von Vergütungsforderungen€, AnwBl 2006, 235). Die Gegenmeinung (Römermann/Hartung, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Auflage, § 39 Rn. 46 ff., 48 f.; Römermann in: Hartung/Römermann, Praxiskommentar zum RVG, 2. Auflage, § 1 Rn. 115; Kleine-Cosack, BRAO, 4. Auflage, § 49b Rn. 26, § 43a Rn. 31; Härting, Anwaltshonorare - Berufsrechtliche Zulässigkeit des Einsatzes von Kreditkarten zur Zahlung, MDR 2001, 494 ff.; AG Hannover - 464 C 8568/06 - § 91a ZPO-Beschl. v. 31.10.2006; AG Karlsruhe - 7 C 266/06 - Urt. v. 24.10.2006 [nicht rechtskräftig]) vermag nicht zu überzeugen.

Bei der Formulierung des § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO handelt es sich - entgegen der Auffassung der Berufung - um keinen "redaktionellen Fehler" des Gesetzgebers. Die Vorschrift ist allen anerkannten Methoden der Auslegung von Gesetzen folgend nicht gegen ihren Wortlaut auszulegen.

a) Unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte von § 49b Abs. 4 BRAO ist keine Auslegung gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes geboten.

Die Berufung rügt, bei historischer Auslegung hätte das Amtsgericht die Abtretung der Gebührenforderungen der vom Kläger beauftragten Rechtsanwälte an die Fa. Close Finance GmbH für zulässig erachten müssen; ein kumulatives Zusammentreffen der Tatbestandsvoraussetzungen sei nicht erforderlich.

Der Gesetzgeber ist 1994 bei der Fassung der bis dato unveränderten Vorschrift des § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO nicht von einem oder ausgegangen. Ihm waren, wie die Gesetzesmaterialien ergeben (BT-Drucks. 12/4993, S. 30 f. und BT-Drucks. 12/7656, S. 11 + 49), die 1993 ergangenen Urteile des Bundesgerichtshofs (BGHZ 122, 115 - 122; BGH MDR 1993, 912 - 913) zur Abtretung von anwaltlichen Forderungen an Rechtsanwälte beziehungsweise an Dritte bekannt (BT-Drucks. 12/7656, S. 49).

Nicht gestützt wird die Auffassung der Berufung, die unter BT-Drucks. 12/7656, S. 49 nachzulesende Begründung, die dort ein oder verwende, führe dazu, dass das im Gesetz verwendete und als oder zu verstehen sei. Denn nach der Begründung im Rechtsausschuss, die im Zusammenhang mit dem Gesetzesentwurf zu dem heutigen § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO und nicht isoliert zu lesen ist, ist lediglich ausgeführt, dass Abtretungen von anwaltlichen Gebührenforderungen im Hinblick auf § 134 BGB nur wirksam seien, wenn entweder der Rechtsanwalt die Zustimmung des Mandanten zur Weitergabe von Informationen aus dem Mandatsverhältnis einholt oder Zessionar und Zedent denselben Schweigepflichten unterworfen sind. Dem werde, so der Rechtsausschuss weiter, mit der gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf veränderten Fassung des § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO klarstellend Rechnung getragen. Nicht etwa, wie die Berufungsbegründung anführt, spricht die Ausschussbegründung allein von § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO, sondern sowohl von Satz 1 als auch von Satz 2 dieser Vorschrift. Mit anderen Worten trennt das oder in der genannten Bundestagsdrucksache die Regelung zur Abtretbarkeit von anwaltlichen Gebührenforderungen an Rechtsanwälte von der Regelung zur Abtretbarkeit an Nicht-Rechtsanwälte. Der erste Halbsatz der zitierten Ausschussbegründung bezieht sich somit unzweifelhaft auf die Abtretung durch Rechtsanwälte an Rechtsanwälte (§ 49b Abs. 4 S. 1 BRAO), der zweite Halbsatz hingegen auf die Abtretung durch Rechtsanwälte an Nicht-Rechtsanwälte (§ 49b Abs. 4 S. 2 BRAO). Keineswegs ist der Begründung insoweit zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine Alternativität der in Satz 2 von § 49b Abs. 4 BRAO genannten Tatbestandsvoraussetzungen beabsichtigte und anstelle des verwandten Wortes und ein oder hatte setzen wollen.

Der Gesetzgeber aus der laufenden 16. Legislaturperiode geht in dem mit der Bundestags-Drucksache 16/3655 vorgestellten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes (BT-Drucks. 16/3655, S. 14 und 82) ebenfalls davon aus, dass das und im geltenden § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO als und zu lesen ist.

Der Gesetzgeber beabsichtigt gerade deshalb, im Rahmen des geplanten neuen Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO zu lockern und die Abtretung von Gebührenforderungen an Dritte für Rechtsanwälte zu erleichtern.

Demnach soll § 49b Abs. 4 BRAO zukünftig wie folgt gefasst werden:

Die Abtretung von Vergütungsforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung an Rechtsanwälte oder rechtsanwaltliche Berufsausübungsgemeinschaften (§ 59a BRAO-E) ist zulässig. Im Übrigen sind Abtretung oder Übertragung nur zulässig, wenn eine ausdrückliche, schriftliche Einwilligung des Mandanten vorliegt oder die Forderung rechtskräftig festgestellt ist. Vor der Einwilligung ist der Mandant über die Informationspflicht des Rechtsanwalts gegenüber dem neuen Gläubiger oder Einziehungsermächtigten aufzuklären. Der neue Gläubiger oder Einziehungsermächtigte ist in gleicher Weise zur Verschwiegenheit verpflichtet wie der beauftragte Rechtsanwalt.

(BT-Drucks. 16/3655, S. 14 unter Artikel 4 - Änderung der BRAO)

Die gesetzgeberische Begründung zum Änderungsbedarf für den geltenden § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO lautet wie folgt:

Nach dem geltenden § 49b Abs. 4 S. 2 ist es für die Abtretung von Vergütungsforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung an andere Personen als Rechtsanwälte nicht ausreichend, dass eine Einwilligung des Mandanten vorliegt. Das Gesetz fordert vielmehr kumulativ (und), dass die Forderung rechtskräftig festgestellt und ein erster Vollstreckungsversuch fruchtlos geblieben ist. Künftig soll nach dem neuen Satz 2 demgegenüber die ausdrückliche, schriftliche Einwilligung des Mandanten genügen, um dem Rechtsanwalt eine Forderungsabtretung oder die Übertragung ihrer Einziehung zu gestatten. (BT-Drucks. 16/3655, S. 82)

Der aktuelle Gesetzgeber - und mit ihm die Kammer - geht damit selbst nicht von einem Redaktionsversehen aus (vgl. BT-Drucks. 16/3655, S. 82). Die Berufung und das im Auftrag von der AnwVS erstattete Gutachten des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität Köln (Gutachten von Prof. Dr. Barbara Grunewald vom 03.05.2004; Bl. 188 - 195 der Akten) vermögen die Kammer nicht zu überzeugen.

b) Weder die Auslegung nach Sinn und Zweck des § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO noch die systematische Auslegung führen zu einem anderen Ergebnis. Die Normierung der Strafbarkeit bei Verletzung von Geheimnissen durch Berufsgeheimnisträger wie Rechtsanwälten (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB) fordert nicht, dass § 49b Abs. 4 BRAO derselben Systematik zu folgen hätte (vgl. im Übrigen zur geplanten strafbewehrten Verschwiegenheitsverpflichtung von anwaltlichen Verrechnungsstellen: BT-Drucks. 16/3655 S. 23 unter Artikel 17 - Änderung des Strafgesetzbuchs). Eine Einwilligung des Mandanten in die Weitergabe seiner Mandatsdaten führt zwar zum Ausschluss der Strafbarkeit des Rechtsanwalts nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB, doch war der Gesetzgeber deshalb nicht gehindert, die Abtretbarkeit von Gebührenforderungen in § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO an weitere Voraussetzungen (rechtskräftige Forderungsfeststellung und erster erfolgloser Vollstreckungsversuch) zu knüpfen. Auf die Gesetzesmaterialien lässt sich auch insoweit die von der Berufung geforderte Auslegung nicht stützen. Das Argument der Berufung, die privatärztlichen Verrechnungsstellen unterlägen weniger strengen Anforderungen an die Abtretung von Forderungen, weshalb eine Erleichterung für die Rechtsanwälte notwendig und angezeigt sei, ist ein rechtspolitisches Anliegen, über das der Gesetzgeber und nicht die Gerichte zu befinden haben.

c) Im Übrigen wäre eine der Berufung folgende Auslegung der geltenden BRAO-Vorschrift im Sinne eines oder selbst dann nicht zulässig, wenn mit der Berufung von einer anderweitigen Auslegung ausgegangen würde, weil jegliche Auslegung (historische, systematische und teleologische) am möglichen Wortsinn ihre Grenzen findet (Meier-Hayoz, Der Richter als Gesetzgeber [1951], S. 42: Der Wortlaut hat danach eine doppelte Aufgabe: Er ist Ausgangspunkt für die richterliche Sinnesermittlung und steckt zugleich die Grenzen seiner Auslegungstätigkeit ab; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage [1995], Kapitel 5, sub 2 a und f - jeweils m.w.N.). Das Wort und als Bindeglied für eine Aufzählung ist nicht gleichbedeutend mit oder als sprachlichem Bindeglied für Alternativität.

d) Die von der Berufung zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 03.02.2006 in der Wettbewerbssache gegen die AnwVS auf Unterlassung gem. §§ 3, 4 Nr. 11 UWG verhält sich zu der hier aufgeworfenen Frage des § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO nicht (OLGR Köln 2006, 487 f. = MDR 2006, 840). Das Oberlandesgericht Köln hat die hier zu klärenden Fragen ausdrücklich offen gelassen, weil ein für einen Verstoß gegen das UWG notwendiger sog. Wettbewerbsbezug gem. § 4 Nr. 11 UWG der fraglichen Vorschrift nicht vorlag.

e) Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 26.09.2002 (BGHZ 152, 153 ff., 163 [Anwalts-Hotline]) und vom 16.04.2002 (BGHZ 150, 286 - 299 [Kreditkartenbezahlung]) stehen nicht im Widerspruch zu den bislang ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen zum Abtretungsverbot aus § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO (insb. BGHZ 122, 115 - 122; BGH MDR 1993, 912 f.).

Im sog. Anwalts-Hotline-Fall stand das Abtretungsverbot aus § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO einer telefonischen Beratung durch Rechtsanwälte nicht im Wege, weil das Telefonunternehmen lediglich Gebühren eingezogen hatte, welche es teilweise an den beratenden Rechtsanwalt als Telefondienstleistungsentgelt weiterleitete. Das Telefonunternehmen erhielt nur die Information, dass ein Gespräch zwischen den Telefonteilnehmern stattgefunden hatte. Eine Abtretung von anwaltlichen Gebührenansprüchen an die Telekom oder andere Unternehmen war gerade nicht erfolgt.

Auch im Falle der Bezahlung von anwaltlichen Forderungen in der Rechtsanwaltskanzlei durch den Mandanten mittels Kreditkarte tritt der Rechtsanwalt seine Forderung nicht gem. § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO an das Kreditkartenunternehmen im Wege des Forderungskaufs ab. Vielmehr ist das Vertragsverhältnis zwischen Kreditkartenunternehmen und Vertragsunternehmen als abstraktes Schuldversprechen anzusehen (BGHZ 150, 286 ff.).

2. Die Kammer hält die Vorschrift des § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO nicht für verfassungswidrig, so dass die Voraussetzungen für eine (konkrete) Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht vorliegen.

§ 49b Abs. 4 S. 2 BRAO ist sowohl als Berufsausübungsregelung nach Art. 12 Abs. 1 GG als auch als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG verhältnismäßig.

3. Wegen des Verstoßes gegen das Abtretungsverbot nach § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO kann offen bleiben, ob die geübte Praxis der AnwVS/Close Finance GmbH zusätzlich gegen § 10 Abs. 1 S. 1 RVG (vormals inhaltsgleich: § 18 Abs. 1 S. 1 BRAGO) oder §§ 305 ff. BGB (vgl. Mayer, AGB-Kontrolle und Vergütungsvereinbarung, AnwBl 2006, 168 ff., 170 f.) verstößt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Gründe, die Revision nach § 543 ZPO zuzulassen, liegen vor, weil die Sache für einen Teil der Berufsgruppe der Rechtsanwälte grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich macht.






LG Stuttgart:
Urteil v. 28.02.2007
Az: 13 S 304/06


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/c11251fd7bf2/LG-Stuttgart_Urteil_vom_28-Februar-2007_Az_13-S-304-06




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