Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 9. Juli 2014
Aktenzeichen: XII ZB 709/13
(BGH: Beschluss v. 09.07.2014, Az.: XII ZB 709/13)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
In diesem Beschluss des Bundesgerichtshofs geht es um die Verwerfung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg. Die Antragstellerin hat ihren Ehemann, den Antragsgegner, im Scheidungsverbund noch auf Zugewinnausgleich in Höhe von 35.000 € in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat den Antragsgegner zur Zahlung von 20.868,32 € verurteilt und im Übrigen den Antrag abgewiesen. Die Antragstellerin hat gegen dieses Urteil Beschwerde eingelegt, bei der sie die Begründungsfrist versäumt hat. Das Oberlandesgericht hat die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Beschwerde der Antragstellerin verworfen. Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin Rechtsbeschwerde eingelegt. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsbeschwerde verworfen, da keine zulässigen Rechtsfragen vorliegen und eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich ist. Das Oberlandesgericht hat zu Recht die Beschwerde der Antragstellerin als unzulässig verworfen, da die Begründungsfrist versäumt wurde und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht vorliegen. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass das Unterbleiben der Rechtsbehelfsbelehrung trotz des fehlenden Kausalzusammenhangs rechtlich nicht zu beanstanden ist, wird vom Bundesgerichtshof bestätigt. Auch die Ausführungen zur Kanzleiorganisation der Verfahrensbevollmächtigten entlasten die Antragstellerin nicht. Dem Rechtsanwalt obliegt es, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen, unabhängig davon, ob die Handakte in Papierform oder elektronisch geführt wird. Die Antragstellerin konnte somit nicht nachweisen, dass die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BGH: Beschluss v. 09.07.2014, Az: XII ZB 709/13
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 10. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 21. November 2013 wird auf Kosten der Antragstellerin verworfen.
Wert: 14.132 €
Gründe
I.
Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner, ihren Ehemann, im Scheidungsverbund noch auf Zugewinnausgleich in Höhe von 35.000 € in Anspruch. Mit Schluss- und Endurteil vom 6. August 2013, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt und am Folgetag zugestellt wurde, hat das Amtsgericht den Antragsgegner zur Zahlung von 20.868,32 € verurteilt. Im Übrigen hat es den Antrag abgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin am 9. September 2013 (einem Montag) durch einen von ihrem Verfahrensbevollmächtigten unterzeichneten Schriftsatz Beschwerde beim Amtsgericht eingelegt.
Das Oberlandesgericht hat die Antragstellerin am 17. Oktober 2013 darauf hingewiesen, dass eine Beschwerdebegründung nicht eingegangen war. Am 25. Oktober 2013 hat die Antragstellerin die Beschwerdebegründung eingereicht und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt, wobei sie zur Begründung unter anderem Folgendes ausgeführt hat: In der Kanzlei ihrer Verfahrensbevollmächtigten würden Handakten ausschließlich als elektronische Akten geführt und sämtliche Fristen von einer hierfür besonders geschulten und eingewiesenen Kanzleiangestellten, deren Arbeit nie Anlass zu Beanstandungen gegeben habe, sowohl in der EDV als auch in einem Fristenkalender in Papierform notiert. Sobald feststehe, dass ein Rechtsmittel einzulegen sei, werde in der EDV eine neue Akte angelegt, wobei die Fristen nach Eingang des anzufechtenden Urteils oder Beschlusses bereits zur Ursprungsakte eingetragen würden. Bei Anlage der neuen Rechtsmittelakte prüfe die Mitarbeiterin nochmals, ob alle Fristen notiert seien, und übertrage diese auf die neue Akte. Im Ergebnis erfolge mithin eine dreifache Fristnotierung in den elektronischen Akten und im Fristenkalender. Die Fristversäumung im vorliegenden Fall beruhe darauf, dass versehentlich zwar die Beschwerde-, nicht aber die Beschwerdebegründungsfrist notiert und zusätzlich bei Anlage der Rechtsmittelakte Überprüfung und Übertragung vergessen worden seien.
Das Oberlandesgericht hat die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Beschwerde der Antragstellerin verworfen. Hiergegen wendet sich diese mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt sind und die Antragstellerin auch nicht aufzuzeigen vermag, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre (§ 574 Abs. 2 ZPO).
1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Beschwerde sei fristgemäß beim Amtsgericht eingelegt worden. Dieses habe nämlich zu Unrecht altes Verfahrensrecht angewandt, so dass nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung die Entscheidung mit dem Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung statthaft wäre, anfechtbar sei. Die Antragstellerin habe jedoch die Begründungsfrist nicht eingehalten und sei daran auch nicht ohne ihr Verschulden gehindert gewesen, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne. Etwas anderes ergebe sich nicht daraus, dass die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben sei. Bei einem - wie hier - anwaltlich vertretenen Beteiligten entfalle die Kausalität zwischen dem Belehrungsmangel und der Fristversäumung im Regelfall, da im Hinblick auf die bei einem Anwalt vorauszusetzenden Grundkenntnisse von Verfahrensrecht und Rechtsmittelsystem davon auszugehen sei, dass der Beteiligte keiner Unterstützung durch eine Rechtsbehelfsbelehrung bedürfe. Dies gelte in Anbetracht der eindeutigen Regelung zur Dauer der Rechtsmittelbegründungsfrist auch im vorliegenden Fall. Die Fristversäumung beruhe nicht ausschließlich auf einem Büroversehen in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin. Denn von diesen habe bei Vorlage der Akten zur Wahrung der Beschwerdefrist überprüft werden müssen, ob die Beschwerdebegründungsfrist in den Akten zutreffend vermerkt sei. Dies sei hier ersichtlich nicht erfolgt.
2. Rechtlich beanstandungsfrei hat das Oberlandesgericht erkannt, dass im vorliegenden Verfahren gemäß Art. 111 Abs. 5 FGG-RG die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden sind und das Amtsgericht somit gemäß § 116 Abs. 1 FamFG durch Beschluss hätte entscheiden müssen. Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung stand der Antragstellerin daher gegen das Schluss- und Endurteil die Beschwerde nach § 59 Abs. 1 FamFG offen, die sie gemäß § 64 Abs. 1 FamFG fristwahrend beim Amtsgericht einlegen konnte (Senatsbeschluss vom 29. Mai 2013 - XII ZB 374/11 - FamRZ 2013, 1215 Rn. 7 mwN).
Insoweit erinnert die Rechtsbeschwerde ebenso wenig etwas wie dagegen, dass die Beschwerdebegründung erst am 25. Oktober 2013 und damit nach Ablauf der am 7. Oktober 2013 endenden Frist zur Begründung der Beschwerde bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist.
3. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde der Antragstellerin zu Recht als unzulässig verworfen, weil die Begründungsfrist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG versäumt ist.
Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor, denn die Antragstellerin hat die Beschwerdebegründungsfrist nicht unverschuldet i.S.d. §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 1 ZPO versäumt. Wie das Oberlandesgericht zutreffend ausführt, beruht das Versäumnis auf einem Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten, welches sich die Antragstellerin nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
a) Die Auffassung des Oberlandesgerichts, das Unterbleiben der Rechtsbehelfsbelehrung sei trotz des auch in Familienstreitsachen bis Ende 2013 (seit 1. Januar 2014: §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 2 ZPO) entsprechend anwendbaren § 17 Abs. 2 FamFG nicht kausal für die Fristversäumung der anwaltlich vertretenen Antragstellerin geworden, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (Senatsbeschlüsse vom 18. Dezember 2013 - XII ZB 38/13 - FamRZ 2014, 643 Rn. 19; vom 27. Februar 2013 - XII ZB 6/13 - FamRZ 2013, 779 Rn. 7 und vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 Rn. 7 f.) und wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen.
b) Entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Ansicht kann sich die Antragstellerin nicht durch die Ausführungen zur Kanzleiorganisation ihrer Verfahrensbevollmächtigten entlasten.
aa) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in alle geführten Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich dann grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf (Senatsbeschluss vom 27. November 2013 - XII ZB 116/13 - FamRZ 2014, 284 Rn. 7 mwN). Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte nicht zugleich zur Bearbeitung mit vorgelegt worden ist, so dass der Rechtsanwalt in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen hat (BGH Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 - III ZB 47/12 - juris Rn. 7; vom 22. September 2011 - III ZB 25/11 - juris Rn. 8 und vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09 - MDR 2010, 533 Rn. 7 mwN).
bb) Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die Handakte des Rechtsanwalts in herkömmlicher Form als Papierakte oder aber als elektronische Akte geführt wird. Wie die Vorschrift des § 50 Abs. 5 BRAO zeigt, kann sich ein Rechtsanwalt zum Führen der Handakten der elektronischen Datenverarbeitung bedienen. Entscheidet er sich hierfür, muss die elektronische Handakte jedoch ihrem Inhalt nach der herkömmlichen entsprechen und insbesondere zu Rechtsmittelfristen und deren Notierung ebenso wie diese verlässlich Auskunft geben können. Wie die elektronische Fristenkalenderführung gegenüber dem herkömmlichen Fristenkalender darf auch die elektronische Handakte grundsätzlich keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als ihr analoges Pendant (vgl. BGH Beschluss vom 17. April 2012 - VI ZB 55/11 - FamRZ 2012, 1133 Rn. 8; Jungk AnwBl 2014, 84).
Der Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung - hier der Einlegung der Beschwerde - mit einer Sache befasst wird, hat dies zum Anlass zu nehmen, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen. Auf welche Weise (herkömmlich oder elektronisch) die Handakte geführt wird, ist hierfür ohne Belang. Der Rechtsanwalt muss die erforderliche Einsicht in die Handakte nehmen, indem er sich entweder die Papierakte vorlegen lässt oder das digitale Aktenstück am Bildschirm einsieht. Dass die Handakte ausschließlich elektronisch geführt wird, kann jedenfalls nicht dazu führen, dass den Rechtsanwalt im Ergebnis geringere Überprüfungspflichten als bei herkömmlicher Aktenführung treffen.
cc) Nach den Ausführungen der Antragstellerin zur Kanzleiorganisation ihrer Verfahrensbevollmächtigten war wegen eines doppelten Versehens des Kanzleipersonals die Notierung der Rechtsmittelbegründungsfrist sowohl im Fristenkalender als auch in der elektronischen Handakte unterblieben. Dies hätten die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin bei der gebotenen Kontrolle der elektronischen Handakte anlässlich der Beschwerdeeinlegung ebenso bemerken müssen wie bei herkömmlicher Aktenführung.
Dose Weber-Monecke Schilling Nedden-Boeger Guhling Vorinstanzen:
AG Regensburg, Entscheidung vom 06.08.2013 - 202 F 1984/08 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 21.11.2013 - 10 UF 1361/13 -
BGH:
Beschluss v. 09.07.2014
Az: XII ZB 709/13
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