Bundespatentgericht:
Urteil vom 1. April 2008
Aktenzeichen: 4 Ni 8/06
(BPatG: Urteil v. 01.04.2008, Az.: 4 Ni 8/06)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat das deutsche Patent 195 14 923 für nichtig erklärt. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
In dem Verfahren geht es um ein Verfahren zur Sicherung der Flucht und Rettung unter Rauch-, Wärme- und Schadstoffbelastung aus Räumen mit langen Fluchtwegen. Der Beklagte ist Inhaber des Patents, das ein Verfahren unter Verwendung von einem Nebel erzeugenden Löschmittelaustrittsvorrichtungen betrifft. Die Klägerin hält das Patent für nichtig, da der Gegenstand des Patents weder neu noch erfinderisch sei. Die Klägerin beruft sich dabei auf verschiedene Dokumente und Druckschriften.
Der Beklagte hält die Klage für unzulässig unter anderem aufgrund eines Lizenz- und Knowhow-Vertrags zwischen den Parteien. Er behauptet, die Klägerin habe die Nichtigkeitsklage in unredlicher Weise verfasst und treuwidrig gehandelt.
Das Gericht entscheidet, dass die Klage zulässig ist, da die Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis für die Entscheidung über den Bestand des Patents hat. Eine Aussetzung des Verfahrens kommt nicht in Betracht.
Das Streitpatent wird für nicht neu befunden. Das Gericht argumentiert, dass ein Verfahren gemäß der Entgegenhaltung D1 alle Merkmale des Patents enthält. Die Argumente des Patentinhabers können das Gericht nicht überzeugen.
Aufgrund der fehlenden Neuheit des Streitpatents wird die Klage begründet und das Patent für nichtig erklärt. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Urteil v. 01.04.2008, Az: 4 Ni 8/06
Tenor
1. Das deutsche Patent 195 14 923 wird für nichtig erklärt.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 22. April 1995 angemeldeten deutschen Patents 195 14 923 (Streitpatent). Es betrifft ein Verfahren zur Sicherung der Flucht und Rettung unter Rauch- und Wärmebelastung und umfasst 6 Ansprüche, die insgesamt angegriffen sind. Anspruch 1 lautet ohne Bezugszeichen wie folgt:
Verfahren zur Sicherung der Flucht und Rettung unter Rauch-, Wärme- und Schadstoffbelastung aus Räumen mit langen Fluchtwegen, wie z. B. unrterirdischen Räumen, Verkehrsanlagen, großen Gebäuden, Kaufhäusern u. ä., ggf. in Verbindung mit einer Feuerbekämpfung, unter Verwendung von einen Nebel erzeugenden Löschmittelaustrittsvorrichtungen, gekennzeichnet dadurch, dass in dem Raum ein Wassernebel niedriger Austritts- und/oder Ausbreitungsgeschwindigkeit erzeugt wird, dessen Teilchendichte die für die Rauch-, Wärme- und Schadstoffbindung erforderliche Konzentration besitzt, dass die Teilchengröße des Wassernebels so eingestellt ist, dass die Wasserteilchen langsam von ihrem Austrittspunkt absinken, ohne jedoch die Sicht in dem Raum zu beeinträchtigen.
Wegen der weiter angegriffenen und unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 wird auf die Streitpatentschrift DE 195 14 923 C2 Bezug genommen.
Die Klägerin behauptet, der Gegenstand des Streitpatents sei weder neu noch erfinderisch. Zur Begründung trägt sie vor, im Stand der Technik seien zum Anmeldezeitpunkt Verfahren mit den Merkmalen des Patentgegenstandes bereits bekannt gewesen. Hierzu beruft sie sich auf folgende Dokumente und Druckschriften:
D1 US 5 353 879 A D2 WO 93/10861 A1 D3 Eggenberger, P.: "Dreidimensionales Löschen mit Wassersprühnebel", in: BVD SPI Bulletin, Heft 3/94, S. 44-48 D4 Mawhinney, J. R.: "Water Mist Suppression Systems may solve an Array of Fire Protection Problems", in: NFPA Journal, May/June 1994, S. 46-57 D5 "MicroDrop-Löschtechnik", in: VB Vorbeugender Brandschutz, Heft 4/94, S. 19 D6 Beilicke, G.: "Nichtverschließbare Öffnungen in Brandschutzkonstruktionen und ihre brandschutztechnische Behandlung", in: "Brandschutz Explosionsschutz - Aus Forschung und Praxis 19", Berlin 1989, S. 105-115 D7 DDR-Norm TGL 32 457/04, Oktober 1987 D8 Rost, M.: "Automatische Brandschutztechnik im Hochregallager", in: "vfdb - Zeitschrift Forschung und Technik im Brandschutz", Heft 3/1990, S. 133-138 D9 Schulze, G. und Walther, J.: "Untersuchungen von Wasserverneblungsanlagen auf Eignung in Hochregallagern", in: "Brandschutz Explosionsschutz - Aus Forschung und Praxis 13", Berlin 1985, S. 69-83 D10 DD 260 654 A1 D11 Broschüre "Wasserschleieranlagen" der Fa. Ing. H.-J. Herzog mit der Aufschrift: "Oschersleben, Oktober 1989"
Die Klägerin beantragt, das deutsche Patent 100 19 537 für nichtig zu erklären.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage im Wesentlichen unter Berufung auf einen Lizenz- und Knowhow-Vertrag zwischen den Parteien vom 7. August 2002, wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin und deshalb für unzulässig, weil die Klägerin sich das Dokument "Wasserschleieranlagen" (D11) in unredlicher Weise verschafft und nur unvollständig vorgelegt haben soll. Zudem soll die Klägerin die Nichtigkeitsklage mittels des während der Vertragsbeziehung zwischen den Parteien vermittelten Knowhows und damit treuwidrig verfasst haben und nur als "Strohmann" für die von ihm, dem Beklagten, wegen Patentverletzung angezeigten Personen agieren.
Im Übrigen hält er das Streitpatent für patentfähig.
Gründe
I.
1. Die Klage ist zulässig.
a) Unstreitig ist die Jahresgebühr für das Streitpatent ab Ende 2005 nicht ordnungsgemäß bezahlt worden, so dass das dieses derzeit als durch Nichtzahlung erloschen geführt wird. Jedoch besteht - unabhängig von der Frage des Ausgangs des Wiedereinsetzungsverfahrens hinsichtlich der Nichtzahlung der Jahresgebühren für das Streitpatent - ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an der Entscheidung über den Bestand des Streitpatents. Dieses besondere Rechtsschutzbedürfnis folgt hier aus der Tatsache, dass der Beklagte unter dem 11. März 2005 bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf eine Strafanzeige gegen die Geschäftsführung und Mitarbeiter der Klägerin, unter anderem wegen Patentverletzung gemäß § 142 PatG, anbrachte und der Klägerin damit ein rechtliches Interesse an der Durchführung dieses Verfahrens nicht abgesprochen werden kann.
b) Eine Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren oder das vor dem Landgericht Düsseldorf angestrengte Verfahren (4a O 282/07) kam nicht in Betracht, weil es sich in beiden Fällen nicht um eine Vorgreiflichkeit im Sinne des § 148 ZPO handelt und die Voraussetzungen des § 149 ZPO nicht vorliegen.
c) Auch sonstige Zulässigkeitshindernisse sind nicht erkennbar. Ursprünglich bestand zwischen den Parteien ein am 7. August 2002 geschlossener "Ausschließlicher Lizenz- und Knowhow-Vertrag" und unzweifelhaft kann aus einem Lizenzvertrag - insbesondere im Zusammenhang mit der Gewährung einer ausschließlichen Lizenz - die Treuwidrigkeit einer Klage gegen das die Grundlage der Lizenz bildende Streitpatent folgen (BGH GRUR 1971, 243, 244 - Gewindeschneidvorrichtungen; GRUR 1989, 39 - Flächenentlüftung). Dies gilt ohne weiteres aber nur für die noch laufende Vertragsbeziehung. Hier ist die vertragliche Beziehung zwischen den Parteien durch die fristlose Kündigung der Klägerin vom 1. Oktober 2004, dem Beklagten zugegangen am 5. Oktober 2004, wirksam beendet worden, denn die fristlose Kündigung stellt eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung dar, die unter Abwesenden mit Zugang, also am 5. Oktober 2004, wirksam wurde (§ 130 Abs. 1 BGB), unbeschadet des vom Beklagten in seinem Schreiben vom 6. Oktober 2004 erklärten Widerspruchs. Damit ist, ungeachtet der Frage, ob die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens, unter anderem wegen Patentverletzung, nicht per se ein Einverständnis mit der Beendigung des Lizenzvertrages voraussetzt, jedenfalls von einer Beendigung der Vertragsbeziehung ab dem 5. Oktober 2004 auszugehen (§ 314 BGB). Dafür, dass das ursprünglich zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis eine, die Zulässigkeit der Klage in Frage stellende Nachwirkung entfalten würde, ist nichts erkennbar und eine ausdrückliche Nichtangriffsabrede liegt nicht vor (vgl. zum Ganzen nur Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 22 Rdnr. 44 m. w. N.).
2. Die Klage ist auch begründet, denn der Gegenstand des Streitpatents ist wegen fehlender Neuheit im Hinblick auf die Entgegenhaltung D1 nicht patentfähig (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1, 3 PatG).
II.
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Sicherung der Flucht und Rettung unter Rauch-, Wärme- und Schadstoffbelastung aus Räumen mit langen Fluchtwegen wie z. B. unterirdischen Räumen, Verkehrsanlagen, großen Gebäuden, Kaufhäusern u. ä., ggf. in Verbindung mit einer Feuerbekämpfung (Sp. 1 Z. 3-8). In der Beschreibung des Streitpatents wird erläutert, die Rettung aus Räumen mit langen Fluchtwegen sei bei Bränden wegen der starken Rauch- und Wärmebelastung äußerst schwierig, zumal auch etwa vorhandene Entrauchungsanlagen bereits bei mittleren Bränden so überlastet seien, dass eine freie Sicht nicht gewährleistet werden könne (Sp. 1 Z. 9-17). Aus diesem Grund seien Spezialfahrzeuge entwickelt worden, die aber aufgrund der begrenzten Kapazität, des begrenzten Luftvorrats und wegen des Aufwands und der Kosten für eine breite Anwendung nicht in Betracht kämen (Sp. 1 Z. 17-27). Eine andere im Stand der Technik bekannte Lösung bestehe in der Zusammensetzung eines Fluchtkanals aus Einzellängen aus querschnittsstabilem, feuerfestem Material, wobei aber wiederum der Aufwand sehr hoch sei und sich bei einem langen Fluchtweg wegen der für den Aufbau benötigten Zeit die Rettungschancen verringerten. Außerdem würde das Einblasen von Frischluft in den Kanal die Brandausbreitung begünstigen. Schließlich sei noch bekannt, Rettungspersonal in Schutzhüllen mit einer separaten Luftversorgung zum Unfallort vordringen zu lassen (Sp. 1 Z. 28-47). Alle bekannten Methoden wiesen zudem den Nachteil auf, dass sie bei starker Rauchentwicklung keine Sichtverbesserung und nur geringfügig erhöhte Rettungschancen bewirkten (Sp. 1 Z. 48-53).
2. Vor diesem Hintergrund bezeichnet die Patentschrift als zu lösendes technisches Problem, ein wirkungsvolles Verfahren zur Sicherung der Flucht und Rettung unter Rauch-, Wärme- und Schadstoffbelastung bei deutlich reduziertem Aufwand zu schaffen, das gleichzeitig die Einsatzbelastungen für das Rettungspersonal wesentlich verringert (Sp. 1 Z. 54-59).
3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent gemäß Patentanspruch 1 (mit einer Merkmalsgliederung versehen) ein Verfahren zur Sicherung der Flucht und Rettung unter Rauch-, Wärme- und Schadstoffbelastung mit folgenden Merkmalen vor:
M1 Verfahren zur Sicherung der Flucht und Rettung unter Rauch-, Wärme- und Schadstoffbelastung aus Räumen mit langen Fluchtwegen, wie z. B. unterirdischen Räumen, Verkehrsanlagen, großen Gebäuden, Kaufhäusern u. ä., ggf. in Verbindung mit einer Feuerbekämpfung, M2 unter Verwendung von einen Nebel erzeugenden Löschmittelaustrittsvorrichtungengekennzeichnet dadurch, M3 dass in dem Raum ein Wassernebel niedriger Austritts- und/oder Ausbreitungsgeschwindigkeit erzeugt wird, M4 dessen Teilchendichte die für die Rauch-, Wärme- und Schadstoffbindung erforderliche Konzentration besitzt, M5 dass die Teilchengröße des Wassernebels so eingestellt ist, dass die Wasserteilchen langsam von ihrem Austrittspunkt absinken, ohne jedoch die Sicht in dem Raum zu beeinträchtigen.
4. Die erteilten Patentansprüche 1 bis 6 sind die ursprünglich eingereichten Patentansprüche 1 bis 6. Sie sind deshalb zulässig. Eine Erweiterung des Schutzbereichs liegt daher nicht vor.
5. Der hier zuständige Fachmann ist ein mit der Entwicklung von Brandbekämpfungsanlagen befasster, berufserfahrener Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau.
6. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist gegenüber dem aus der Entgegenhaltung D1 bekannten Verfahren zur Sicherung der Flucht und Rettung nicht neu.
Aus der Druckschrift D1 (vgl. Spalte 1, Zeilen 10 bis 15, die Figur 20 mit Beschreibung, insbesondere Spalte 11, Zeilen 9 bis 30) ist ein Verfahren zur Sicherung der Flucht und Rettung unter Rauch-, Wärme- und Schadstoffbelastung (vgl. Spalte 1, Zeilen 11, 12, 20 bis 24 und 36, "micro floating particles, smokes") aus Räumen mit langen Fluchtwegen (vgl. Spalte 11, Zeile 11, "building passages") bekannt (Merkmal M1), wobei einen Nebel (vgl. Spalte 12, Zeilen 6 bis 8, "the average particle diameter of most of the water droplets falls within the range of 0,01 to 1 mm") erzeugende Löschmittelaustrittsvorrichtungen (vgl. die Figur 20, Spalte 11, Zeilen 53 bis 55, Spalte 12, Zeilen 3 bis 5, "nozzles 41") verwendet werden (Merkmal M2).
Der erzeugte Wassernebel hat zwangsläufig aufgrund seiner Konsistenz (kleine Tröpfchengröße von 0,01 bis 1 mm) eine niedrige Ausbreitungsgeschwindigkeit (Merkmal M3) und dessen Teilchendichte besitzt selbstverständlich die für die Rauch-, Wärme- und Schadstoffbindung (vgl. Spalte 11, Zeilen 10 bis 13, "desmoking", und Spalte 11, Zeilen 53 bis 57) erforderliche Konzentration (Merkmal M4). Außerdem ist die Teilchengröße mit 0,01 bis 1 mm des Wassernebels so eingestellt, dass die Wasserteilchen langsam von ihrem Austrittspunkt ohne die Sicht in den Raum zu beeinträchtigen, absinken (Merkmal M5).
Damit sind alle Merkmale des Gegenstands gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 aus der Druckschrift D1 bekannt.
Auch die Argumente des Patentinhabers, wonach bei dem aus der Druckschrift D1 bekannten Verfahren neben dem Trennen und Sammeln von Schwebeteilen aus Gasen mit Hilfe von Wassertröpfchen zusätzlich zur Verbesserung der Reinigungswirkung noch eine elektrische Aufladung der Teilchen und der Zusatz oberflächenaktiver Mittel angewandt wird, konnten den Senat nicht überzeugen, da beim Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 eine zusätzliche Verwendung elektrischer Felder und von Hilfsmitteln nicht ausgeschlossen ist (vgl. im Streitpatent die Unteransprüche 2 und 3).
7. Mangels eines gewährbaren Patentanspruchs 1 ist auch den darauf rückbezogenen Unteransprüchen 2 bis 6 die Grundlage entzogen. Sie teilen das Rechtsschicksal des Patentanspruchs 1.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
Voit Schwarz-Angele Dr. Morawek Bernhart Dr. Müller Pr
BPatG:
Urteil v. 01.04.2008
Az: 4 Ni 8/06
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https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/c5d8f95aa61b/BPatG_Urteil_vom_1-April-2008_Az_4-Ni-8-06