Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 24. März 1998
Aktenzeichen: 9 S 1195/96
(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 24.03.1998, Az.: 9 S 1195/96)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Der Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 24. März 1998 mit dem Aktenzeichen 9 S 1195/96 befasst sich mit der Frage, was als "unlautere oder unangemessene Werbetätigkeit" gemäß § 2 Absatz 3 RBerGAV zu betrachten ist. Ein Inkassounternehmen hatte in Zeitungsanzeigen mit dem Text "Wir ziehen für Sie Ihre Forderungen jeglicher Art ein - schnell, diskret und preisgünstig" geworben und den Zusatz "Anruf genügt" verwendet. Das Gericht entschied, dass dieser Zusatz unlauter und unangemessen ist. Es weckte den Eindruck, dass das Inkassounternehmen nur einen Anruf benötigt, um mit der Inkassotätigkeit zu beginnen. Da dies nicht zutrifft und es Aufgabe des Inkassounternehmens ist, die Berechtigung der Beitreibung selbstständig zu überprüfen, wurde die Verwendung dieses Zusatzes als irreführend angesehen. Daher wurde dem Inkassounternehmen untersagt, weiterhin mit diesem Zusatz zu werben. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug gegeneinander aufzuheben, wurde bestätigt. Es bestand kein Grund für die Zulassung der Revision.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 24.03.1998, Az: 9 S 1195/96
1. Was im Sinne von S 2 3. RBerGAV (RBerGAV 3) eine "unlautere oder unangemessene Werbetätigkeit" ist, ist unabhängig von §§ 1, 3 UWG zu bestimmen.
2. Jedenfalls diejenige Werbung eines Inkassounternehmers ist unlauter oder unangemessen und damit unzulässig, die eine Art der Leistungserbringung verspricht, welche sich mit der Berufspflicht des Inkassounternehmers zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung nicht vereinbaren läßt, oder die geeignet ist, in den Augen des Publikums einen dahingehenden Eindruck zu erwecken.
3. Es gehört zu den Berufspflichten des Inkassounternehmers, bei Übernahme wie bei Ausführung eines Beitreibungsauftrags die Berechtigung der (weiteren) Beitreibung selbständig zu prüfen und diesbezüglichen Zweifeln nachzugehen.
4. Zur Anzeigenwerbung eines Inkassounternehmers mit dem Zusatz "Anruf genügt".
Gründe
I. Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß, weil er die Berufung teilweise für unzulässig (§ 125 Abs. 2 VwGO) und im übrigen einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a VwGO). Die Beteiligten sind gehört worden.
1. Soweit sich der Kläger gegen die unter Ziffer 1.a in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils enthaltene Feststellung des Verwaltungsgerichts wendet, er habe im Jahre 1992 in Wesel eine nicht genehmigte Zweigniederlassung betrieben, ist die Berufung unzulässig und war darum zu verwerfen. Der Kläger ist durch diesen Teil der Entscheidungsgründe nicht beschwert. Das Verwaltungsgericht hat die Aufsichtsverfügung des Präsidenten des Landgerichts Tübingen vom 30.12.1992 und den Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16.06.1993 aufgehoben, soweit dem Kläger darin auch wegen des Betriebs einer Zweigniederlassung in Wesel eine Rüge erteilt wurde. Damit ist die in den genannten Bescheiden enthaltene, den Kläger belastende Regelung insoweit beseitigt; der Kläger hat insoweit obsiegt. Daß das Verwaltungsgericht der Auffassung ist, Anlaß für ein aufsichtliches Einschreiten hätte durchaus bestanden, und dieser Auffassung in den Gründen seines Urteils Ausdruck verliehen hat, beschwert den Kläger nicht. Insoweit entfalten die Entscheidungsgründe keinerlei rechtliche Wirkung. Insbesondere wird eine künftige Aufsichtsmaßnahme, die trotz des Zeitablaufs noch an die Vorgänge von 1992 anknüpfen sollte, weder durch die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 121 VwGO) noch sonst präjudiziert; die dahingehende Sorge des Klägers ist grundlos.
2. Soweit sich der Kläger gegen die Teilabweisung der Klage wendet, ist die Berufung zulässig. In diesem Umfang ist sie jedoch unbegründet. Die teilweise Klagabweisung erfolgte mit Recht. Die bereits genannten Bescheide des Präsidenten des Landgerichts Tübingen und des Präsidenten des Oberlandesgerichts Stuttgart sind insoweit rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Durch die angefochtene Aufsichtsmaßnahme - soweit sie noch im Streit steht - ist dem Kläger, einem Inkassounternehmer, untersagt worden, mit Anzeigen zu werben, die über den Text "Wir ziehen für Sie Ihre Forderungen jeglicher Art ein - schnell, diskret und preisgünstig" hinaus den Zusatz "Anruf genügt" enthalten. In der Ausgangsverfügung des Präsidenten des Landgerichts wird dieser Zusatz zwar nur beanstandet; doch wird aus dem Zusammenhang hinreichend deutlich, daß eine - als solche vollziehbare - Untersagung gewollt war. Das wird im Widerspruchsbescheid auch klargestellt.
Diese Untersagung ist rechtmäßig. Sie findet ihre Grundlage in Satz 2 der Dritten Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatungsgesetzes - 3. RBerGAV - vom 25.06.1936 (RGBl. I S. 514; vgl. BGBl. III 303-12-3), die auf der Grundlage von Art. 1 § 1 Satz 1, Art. 5 des Rechtsberatungsgesetzes - RBerG - vom 13.12.1935 (RGBl. I S. 1478) in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 26.06.1992 (BGBl. I S. 11147) ergangen ist. Hiernach kann Personen, denen - wie dem Kläger - die Erlaubnis nach Art. 1 § 1 RBerG für die außergerichtliche Einziehung von Forderungen erteilt ist, eine unlautere oder unangemessene Werbetätigkeit von den Landgerichts- oder Amtsgerichtspräsidenten in Ausübung ihrer Aufsicht nach § 3 der Zweiten Ausführungsverordnung untersagt werden. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Was im Sinne von Satz 2 3. RBerGAV eine "unlautere oder unangemessene Werbetätigkeit" ist, ist unabhängig von §§ 1, 3 UWG zu bestimmen. Das Rechtsberatungsrecht normiert öffentlich-rechtliche Berufspflichten, die grundsätzlich eigenständig und unabhängig vom allgemeinen Wettbewerbsrecht bestehen, auch wenn sie sich mit Blick auf die Werbetätigkeit inhaltlich teilweise decken mögen. Demzufolge kann der Inhalt berufsrechtlicher Werbepflichten nur dann unter Rückgriff auf §§ 1, 3 UWG bestimmt werden, wenn das Berufsrecht hierauf ausdrücklich verweist (vgl. BVerfGE 94, 372 <390>). Ob umgekehrt auch immer als wettbewerbsrechtlich unzulässig anzusehen ist, was berufs- oder standeswidrig ist (vgl. hierzu Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 19. Aufl. 1996, Rdnrn. 673 ff., 684 zu § 1 UWG), mag dahinstehen (vgl. zum Verhältnis von Berufs- und Wettbewerbsrecht noch Altenhoff/Busch/Kampmann, Rechtsberatungsgesetz, 7. Aufl. 1983, Rdnr. 944; Rennen/Caliebe, Rechtsberatungsgesetz, 1986, 3. AVO Rdnr. 4).
§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 RBerG zählt den Beruf des Inkassounternehmers zu den rechtsberatenden Berufen. Diese unterwirft § 1 Abs. 3 2. RBerGAV einem generellen Verbot gezielter Werbung, wie es herkömmlich - und verfassungsrechtlich unbedenklich - zum Berufsrecht der rechtsberatenden Berufe gerechnet wird (vgl. BVerfGE 76, 196 <205 f>; 82, 18 <27>). Von diesem Verbot nimmt Satz 1 3. RBerGAV die Inkassobüros aus. Das geschieht mit Rücksicht darauf, daß die Inkassobüros vor allem kaufmännisch eingerichtete Gewerbebetriebe sind (Rennen/Caliebe, a.a.O. Rdnr. 3). Damit entfällt freilich insoweit nicht jegliche berufsrechtliche Pflichtenbindung. Vielmehr muß auch bei der ausnahmsweise zulässigen Werbetätigkeit Beachtung finden, daß die Inkassobüros Aufgaben der Rechtsbeistandschaft wahrnehmen. Sie muß sich daher in den Grenzen halten, die ihr eine geordnete Rechtspflege herkömmlich setzt (Altenhoff/Busch/Kampmann, a.a.O. Rdnr. 945).
Von diesem Grundgedanken her bestimmt sich, welche Werbetätigkeit im Sinne von Satz 2 3. RBerGAV unlauter oder unangemessen ist. Ohne daß aus Anlaß des vorliegenden Rechtsstreits insofern eine abschließende Bestimmung geboten wäre, ist doch jedenfalls diejenige Werbung als unlauter oder unangemessen zu bezeichnen, die eine Art der Leistungserbringung verspricht, welche sich mit der Berufspflicht des Inkassounternehmers zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung nicht vereinbaren läßt, oder die geeignet ist, in den Augen des Publikums einen dahingehenden Eindruck zu erwecken; dabei ist gleichgültig, ob - bei angebahntem Geschäftskontakt - der Inkassounternehmer dann tatsächlich seiner Berufspflicht zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung zuwider handelt. So liegt es, wenn die Werbetätigkeit des Inkassounternehmers den Eindruck erweckt, offene Forderungen würden ohne nähere sachliche Prüfung beigetrieben. Es gehört nämlich zu den Berufspflichten des Inkassounternehmers, bei Übernahme wie bei Ausführung eines Beitreibungsauftrags die Berechtigung der (weiteren) Beitreibung selbständig zu prüfen und diesbezüglichen Zweifeln nachzugehen (vgl. Altenhoff/Busch/Kampmann, a.a.O., Rdnr. 880; Rennen/Caliebe, a.a.O., Rdnr. 14 zu § 1 2. RBerGAV). Insofern dient der Inkassounternehmer nicht einseitig nur den Interessen des Gläubigers, sondern nimmt auch die Belange des Schuldners wahr; zugleich trägt er zur Gewährleistung eines reibungslosen Rechtsverkehrs bei (vgl. BVerfGE 41, 378 <390>), was durch das ungeprüfte Geltendmachen etwa noch nicht fälliger, einredebehafteter oder bereits erfüllter Forderungen beeinträchtigt würde. Eben darin erweist er sich als Organ der Rechtspflege im weiteren Sinne.
Der Kläger wirbt in Zeitungsanzeigen mit dem Text: "Wir ziehen für Sie Ihre Forderungen jeglicher Art ein - schnell, diskret und preisgünstig". Die angefochtenen Verfügungen halten den Zusatz "Anruf genügt" für unlauter und unangemessen. Dem ist zuzustimmen. Dieser Zusatz ist im Zusammenhang mit dem vorangestellten Werbeversprechen geeignet, in den Augen des Publikums den Eindruck zu erwecken, als genüge für das Tätigwerden des Inkassobüros der bloße Anruf. Dabei richtet sich die Erwartung des Publikums nicht darauf, daß das Inkassobüro auf einen solchen Anruf hin in eine nähere Prüfung der Forderung und der Frage eintreten werde, ob diese nun beizutreiben sei oder nicht. Vielmehr stellt die Anzeige mit dem Zusatz in Aussicht, das Inkassobüro werde allein auf einen bloßen Anruf hin die Beitreibung beginnen. Wollte das Inkassobüro des Klägers dies tatsächlich tun, so wäre dies - wie gezeigt - pflichtwidrig; wollte es - was anzunehmen ist - einen bloßen Anruf doch nicht genügen lassen, so wäre die Werbung irreführend. Im einen wie im anderen Falle durfte die Werbung mit dem genannten Zusatz untersagt werden.
Da Ermessensfehler weder geltend gemacht noch ersichtlich sind, sind die angefochtenen Bescheide, soweit sie im Berufungsrechtszug noch im Streit stehen, rechtmäßig. Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Ein Anlaß, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Kosten des ersten Rechtszugs zu korrigieren, wie es der Kläger verlangt, besteht nicht. Eine solche Korrektur ist freilich nicht durch § 158 Abs. 1 VwGO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist zwar die Anfechtung der Kostenentscheidung unzulässig, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache Rechtsmittel eingelegt wird; sie besagt aber nicht, daß eine Anfechtung der Kostenentscheidung nur zulässig sei, soweit die Entscheidung in der Hauptsache angegriffen wird (BVerwG, Urt. v. 29.01.1993 - 8 C 32.92 -, Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 182 <S. 28>; vgl. Zöller, ZPO, 19. Aufl. 1995, § 97 ZPO Rdnr. 6, § 521 ZPO Rdnr. 24). Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, wonach die Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug gegeneinander aufgehoben werden (§ 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO), ist jedoch nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat in den angefochtenen Bescheiden zwei Regelungen - Rüge und Untersagung - gesehen und beide Regelungen in Ansehung der Kosten als etwa gleichgewichtig eingeschätzt. Dagegen wendet sich der Kläger ohne Erfolg. Für das kostenrechtliche Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen kommt es auf den Streitwert der jeweiligen Streitgegenstände oder Streitgegenstandsteile an. Weder für die Rüge noch für die Untersagung läßt sich das Interesse des Klägers nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG), so daß beide Regelungen jeweils mit 8.000 DM zu bewerten sind (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG), gleichgültig ob sie in zwei gesonderten Verwaltungsakten getroffen oder - wie hier - in einem Verwaltungsakt zusammengefaßt werden.
Ein Grund für die Zulassung der Revision bestand nicht (§ 130a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 4, § 132 Abs. 2 VwGO).
VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 24.03.1998
Az: 9 S 1195/96
Link zum Urteil:
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