Oberlandesgericht Stuttgart:
Beschluss vom 29. Juli 2008
Aktenzeichen: 8 W 307/08
(OLG Stuttgart: Beschluss v. 29.07.2008, Az.: 8 W 307/08)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einem Beschluss vom 29. Juli 2008 (Aktenzeichen 8 W 307/08) über eine Beschwerde von Klägern gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss entschieden. Der Klage ging ein Verfahren der Kläger gegen einen Bauträger wegen Mängeln an einem Gebäude voraus. In dem Kostenfestsetzungsbeschluss hatte die Rechtspflegerin des Landgerichts Tübingen den Antrag der Kläger auf Erstattung einer Anwaltsvergütung nicht vollständig berücksichtigt. Die Kläger hatten eine 2,0-Erhöhungsgebühr nach RVG-VV beantragt, die von der Rechtspflegerin nicht erstattet wurde. Das Oberlandesgericht entschied, dass diese Erhöhungsgebühr erstattungsfähig ist. Dabei berief sich das Gericht auf eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach eine Wohnungseigentümergemeinschaft teilrechtsfähig ist und daher im Verfahren ihre Interessen selbst wahrnehmen kann. Die Kosten des Berufungsverfahrens sowie des selbstständigen Beweisverfahrens waren von der Beklagten zu erstatten. Das Oberlandesgericht änderte den Kostenfestsetzungsbeschluss entsprechend ab und setzte den zu erstattenden Gesamtbetrag auf 14.839,05 Euro fest. Die Kläger wurden zur Zahlung von 35% der Kosten des Beschwerdeverfahrens verpflichtet, während die Beklagte 65% zu tragen hat. Die Gerichtsgebühr wurde auf die Hälfte ermäßigt. Die Kostenentscheidung basiert auf den Bestimmungen der Zivilprozessordnung.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Stuttgart: Beschluss v. 29.07.2008, Az: 8 W 307/08
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Kläger wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Tübingen vom 26. März 2008, Az. 5 O 240/05,abgeändert:Auf Grund des gegen Sicherheitsleistung von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbaren Urteils des Landgerichts Tübingen vom 8. Januar 2008, Az. 5 O 240/05, und des Beschlusses des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. September 2007, Az. 5 U 6/07, sindvon der Beklagten an die Kläger an Kosten zu erstatten:weitere 5.910,49 Euro,damit insgesamt 14.839,05 Euro,nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit 29. Januar 2008.2. Die weitergehenden Kostenfestsetzungsanträge der Kläger werdenzurückgewiesen.3. Die sofortige Beschwerde der Kläger wird im übrigenzurückgewiesen.4. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Kläger 35% und die Beklagte 65%. Die Gerichtsgebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.Beschwerdewert: 9.074,94 Euro
Gründe
1. Im Hauptsacheverfahren haben die Kläger als Eigentümer des Gebäudes ... in .... Ansprüche gegen den Bauträger als Errichter und Verkäufer der dortigen Eigentumswohnungen geltend gemacht (Schadensersatz wegen Mängeln bzw. Kostenvorschuss zur Mängelbehebung). Bezüglich des Verfahrensablaufs im Einzelnen wird verwiesen auf die Darstellung in dem angefochtenen Beschluss vom 26. März 2008.
In der Kostenfestsetzung entsprach die Rechtspflegerin dem Antrag der Kläger nicht, soweit eine 2,0-Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 RVG-VV beansprucht wurde von 2.554 EUR zuzüglich 19% Umsatzsteuer von 485,26 EUR, zusammen 3.039,26 EUR für das Berufungsverfahren (Az. 5 U 6/07 beim Oberlandesgerichts Stuttgart), von 3.016 EUR zuzüglich 19% Umsatzsteuer von 573,04 EUR, zusammen 3.589,04 EUR für das selbstständige Beweisverfahren (Az. 5 O 240/05 beim Landgericht Tübingen) und von 3.324 EUR zuzüglich 19% Umsatzsteuer von 631,56 EUR, zusammen 3.955,56 EUR für das Klageverfahren (Az. 5 O 240/05 beim Landgericht Tübingen).
Auf Grund des Beschlusses des 5. Zivilsenats vom 26. September 2007 hat die Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Nach dem Schluss- und Endurteil des Landgerichts Tübingen vom 8. Januar 2008 sind der Klägerin 1/5 und der Beklagten 4/5 der Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen des innerhalb des Prozesses eingeleiteten selbstständigen Beweisverfahrens aufgelegt worden. Danach sind im Streit 3.039,26 EUR (zweite Instanz), 2.871,23 EUR (4/5 von 3.589,04 EUR; selbstständiges Beweisverfahren), 3.164,45 EUR (4/5 von 3.955,56 EUR; Klageverfahren), insgesamt 9.074,94 EUR, die von der Rechtspflegerin bei der Kostenfestsetzung nicht berücksichtigt wurden.
Gegen den diesen Betrag nicht enthaltenden, am 2. April 2008 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26. März 2008 haben die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten am 3. April 2008 sofortige Beschwerde eingelegt und auf die Rechtsprechung des BGH seit der Entscheidung vom 2. Juni 2005, Az. V ZB 32/05 (NJW 2005, 2061) zur Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft hingewiesen.
Die Beklagte ist dem Rechtsmittel entgegen getreten und die Rechtspflegerin hat die Akte ohne Abhilfe dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
2. Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 11 Abs. 1 RpflG, 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere fristgerecht.
Sie hat in der Sache zum Teil Erfolg.
Entsprechend der Beschwerdebegründung wird das Rechtsmittel dahin verstanden, dass allein die Absetzung der Mehrvertretungsgebühren angefochten wird. Denn eine Anrechnung der außergerichtlichen Geschäftsgebühr ist nicht erfolgt und die Abrechnung des selbstständigen Beweisverfahrens, Az. 6 OH 4/02, beim Landgericht Tübingen nach der BRAGO und nicht - wie wohl versehentlich vom Klägervertreter vorgenommen - nach dem RVG ist nicht zu beanstanden und wird von den Klägern nicht zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gemacht.
Die Erhöhungsgebühr von 2,0 nach § 7 Abs. 1 RVG i. V. m. Nr. 1008 RVG-VV ist gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung erstattungsfähig.
Gemäß Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Juni 2005 (NJW 2005, 2061) ist die Wohnungseigentümergemeinschaft teilrechtsfähig, so dass sie im Verfahren hinsichtlich der das Verwaltungsvermögen betreffenden Forderungen und Verbindlichkeiten als solche klagen und verklagt werden kann. Auf Grund dieser neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es in solchen Fällen nicht mehr notwendig im Sinn des § 91 ZPO, dass sämtliche Miteigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen in einem Prozess beauftragen, sondern es genügt, wenn die Eigentümergemeinschaft selbst einen Rechtsanwalt mandatiert. Eine Erhöhung nach Nr. 1008 RVG-VV fällt dann grundsätzlich nicht mehr an.
Die durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch sämtliche Miteigentümer entstandenen Kosten können allerdings in vollem Umfang als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzusehen sein, wenn diese neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft zum Zeitpunkt der Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten noch nicht bekannt sein konnte bzw. musste (vgl. BGH ZMR 2006, 184; JurBüro 2004, 145; NJW 2002, 2958; jeweils zur vergleichbaren Problematik der Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit der GbR).
Bis dahin sah die überwiegende Auffassung die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht als rechtsfähig an (vgl. die Nachweise in BGH NJW 2005, 2061), so dass die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft Klage erheben mussten. Im Rahmen ihrer Pflicht, auch im Interesse der Gegenpartei ein möglichst kostensparendes Vorgehen zu wählen, waren sie nicht gehalten, mit der Durchführung der Verfahren einen Wohnungseigentümer oder den Verwalter in gewillkürter Prozessstandschaft zu beauftragen (OLG Zweibrücken ZMR 2005, 985 m. w. N.; BGH NJW 2002, 2958 für die GbR; BGH NJW 2007, 1464 für die WEG).
Der Rechtsanwalt, der eine Wohnungseigentümergemeinschaft vertrat, konnte deshalb eine erhöhte Verfahrensgebühr gem. § 7 Abs. 1 RVG i. V. m. Nr. 1008 RVG-VV geltend machen, weil eine Wohnungseigentümergemeinschaft eine Mehrheit von Auftraggebern darstellte (BGH JurBüro 1984, 377).
Unter Berücksichtigung der Anzahl der Wohnungseigentümer belief sich die Erhöhungsgebühr auf maximal 2,0 - wie vorliegend geltend gemacht.
Die Grundsatzentscheidung des 5. Zivilsenats des BGH vom 2. Juni 2005 (NJW 2005, 2061) legte fest, dass die Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht umfassend, sondern auf die Teilbereiche des Rechtslebens beschränkt ist, bei denen die Wohnungseigentümer im Rahmen der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums am Rechtsverkehr teilnehmen. Es ergingen danach Folgeentscheidungen zur Teilrechtsfähigkeit und zur Mehrvertretungsgebühr des Rechtsanwalts (BGH/7. Zivilsenat NJW 2007, 1464; BGH/8. Zivilsenat NJW 2007, 2987; BGH/5. Zivilsenat NJW-RR 2007, 955).
Mit seinen Urteilen vom 12. April 2007, VII ZR 236/05 (Mängel des Gemeinschaftseigentums; NJW 2007, 1952) und VII ZR 50/06 (Bauträgerbürgschaft; NJW 2007, 1957), stellte der 7. Zivilsenat des BGH klar, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft als insoweit rechts- und parteifähiger Verband befugt ist, die Rechte der Erwerber wegen Mängeln an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums geltend zu machen und gerichtlich durchzusetzen. Im Einzelnen wird auf die Darlegungen in den vorgenannten Entscheidungen Bezug genommen.
Unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Entscheidungen zum maßgeblichen Zeitpunkt für das Kennenmüssen neuer höchstrichterlicher Rechtsprechung war diejenige zur grundsätzlichen Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft zwar bei der Einleitung sämtlicher Verfahren bis auf das vorausgegangene selbstständige Beweisverfahrens (Az. 6 OH 4/02) als bekannt vorauszusetzen, nicht aber in ihrer Ausgestaltung, die sie durch die Urteile des 7. Zivilsenats vom 12. April 2007 erfahren hat und zu deren Klarstellung sich der BGH veranlasst sah.
Die davor verbliebene Rechtsunsicherheit über den Umfang der Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft und die hieraus resultierende Verfahrenseinleitung durch sämtliche Eigentümer, kann den Klägern im Rahmen ihrer Pflicht zum kostengünstigen Verhalten nicht angelastet werden.
Denn im Zeitpunkt der Einleitung der streitgegenständlichen Verfahren lag die weiterführende und hier einschlägige Rechtsprechung des BGH zur Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft noch nicht vor und aus der vorausgegangenen Grundsatzentscheidung vom 2. Juni 2005 (BGH NJW 2005, 2061) musste der Rechtsanwalt nicht zwingend schließen, dass sich diese auch auf die Geltendmachung der Rechte der Erwerber wegen Mängeln an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums bezieht. Er durfte deshalb noch ohne erstattungsrechtliche Nachteile davon ausgehen, dass er im Namen der einzelnen Wohnungseigentümer klagen muss bzw. kann (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl. 2006, Nr. 1008 RVG-VV Rdnr. 297 und 298 m. w. N.) - oder aber den Beweissicherungsantrag einreichen muss bzw. kann (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 17. Juni 2008, Az. 8 W 239/08, veröffentlicht in Juris).
Die 2,0-Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 Anm. III RVG-VV in Höhe von 2.554 EUR zuzüglich 19% Umsatzsteuer (Nr. 7008 RVG-VV i. V. m. § 8 Abs. 1 RVG; Hartmann, Kostengesetze, 38 Aufl. 2008, Nr. 7008 RVG-VV Rdnr. 12 und 14) von 485,26 EUR, insgesamt 3.039,26 EUR für das Berufungsverfahren ist danach nicht nur angefallen, sondern auch als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung erstattungsfähig gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Gleiches gilt für die 2,0-Erhöhungsgebühren nach Nr. 1008 Anm. III RVG-VV zuzüglich Umsatzsteuer in der zu erstattenden Höhe von 4/5 für das selbstständige Beweisverfahren von 2.871,23 EUR und für das Klageverfahren von 3.164,45 EUR. Hierbei ist aber entgegen der Auffassung der Kläger zu berücksichtigen, dass die Anrechnungsvorschrift nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 5 RVG-VV nicht nur die einfache Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens und des Rechtszugs erfasst, sondern die erhöhte Verfahrensgebühr. Denn es handelt sich bei der Erhöhungsgebühr nicht um eine eigenständige, zusätzliche Gebühr, vielmehr um die Erhöhung der Verfahrensgebühr, die aber in diesem erweiterten Umfang der Anrechnung nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 5 RVG-VV unterliegt, sofern - wie hier - der Rechtsanwalt in beiden Verfahren dieselben Personen vertritt (Müller-Rabe, a. a. O., Rdnr. 258 und 260).
Dementsprechend hatte nicht nur eine Anrechnung der einfachen Verfahrens-/Prozessgebühr aus den beiden selbstständigen Beweissicherungsverfahren auf die einfache Verfahrensgebühr des Rechtszugs zu erfolgen, sondern jeweils die erhöhten Gebühren waren aufeinander anzurechnen, wodurch die Erhöhungsgebühr von 3.164,45 EUR des Klageverfahrens durch die Anrechnung vollständig in Wegfall geraten ist.
Angefallen und erstattungsfähig bleibt dagegen die in der bisherigen Kostenfestsetzung nicht berücksichtigte Erhöhungsgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens (Az. 5 O 240/05) von 2.871,23 EUR, sodass im Beschwerdeverfahren weitere 5.910,49 EUR als von der Beklagten an die Kläger zu erstattende Kosten festzusetzen waren, wodurch sich der Gesamtbetrag auf 14.839,05 EUR erhöht.
Damit war dem Rechtsmittel unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses in Höhe von 5.910,49 EUR stattzugeben, während die Kläger in Höhe von 3.164,45 EUR unterliegen und ihre sofortige Beschwerde insoweit zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtsgebühr wurde gem. Nr. 1812 GKG-KV nach billigem Ermessen auf die Hälfte ermäßigt.
OLG Stuttgart:
Beschluss v. 29.07.2008
Az: 8 W 307/08
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