Anwaltsgerichtshof Rostock:
Urteil vom 27. März 2009
Aktenzeichen: AGH 1/08
(AGH Rostock: Urteil v. 27.03.2009, Az.: AGH 1/08)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Amtsgericht Rostock hat ein Urteil gefällt, bei dem es um einen Rechtsanwalt ging, der fahrlässig gegen das Verbot verstoßen hat, in einer Angelegenheit tätig zu werden, in der er bereits als Anwalt gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens befasst war. Der Rechtsanwalt hatte zuerst als Anwalt für eine Gesellschaft eine Forderung gegen eine andere Gesellschaft durchgesetzt und wurde später zum Nachtragsliquidator für die zweite Gesellschaft ernannt, um Ansprüche für die erste Gesellschaft durchzusetzen. Das Gericht stellte fest, dass der Rechtsanwalt mit dieser Tätigkeit gegen das Vertretungsverbot und seine berufliche Unabhängigkeit verstoßen hat. Das Gericht verhängte daraufhin eine anwaltsgerichtliche Maßnahme in Form einer Geldstrafe. Das Urteil wurde vom Anwaltsgerichtshof bestätigt, nachdem der Rechtsanwalt und die Generalstaatsanwaltschaft Berufung eingelegt hatten. Das Gericht sah keinen Grund, die Revision zuzulassen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
AGH Rostock: Urteil v. 27.03.2009, Az: AGH 1/08
Tenor
1. Die Berufungen des Rechtsanwalts und der Generalstaatsanwaltschaft gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofes Mecklenburg-Vorpommern vom 21. September 2007 werden mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeschuldigte, Rechtsanwalt Karl K., fahrlässig gegen das Verbot verstoßen hat, in einer Angelegenheit, mit der er bereits als Rechtsanwalt gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens befasst war, in ähnlicher Funktion, namentlich als Nachtragsliquidator, tätig zu werden.
2. Die Kosten der Rechtsmittel werden jeweils zur Hälfte den Berufungsführern auferlegt; seine notwendigen Auslagen trägt der Rechtsanwalt selbst.
3. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der am 00.00.1900 in E. geborene Rechtsanwalt hat nach der mittleren Reife zunächst bis Ende Juli 1973 in der Baubranche gearbeitet. Nach Erwerb der Fachhochschulreife hat der Rechtsanwalt ein Studium des Bauingenieurwesens absolviert, das er Ende September 1978 mit dem Erwerb des entsprechenden Diploms abschloss. Nach einjähriger Tätigkeit in der Konstruktionsabteilung eines Bauunternehmens in B. hat der Rechtsanwalt im Sommersemester 1980 das Studium der Rechtswissenschaften an der FU Berlin begonnen. Am 31. Oktober 1985 hat der Rechtsanwalt die 1. juristische Staatsprüfung abgelegt, am 20. Juli 1988 die 2. juristische Staatsprüfung abgeschlossen.
Mit Wirkung vom 02. Dezember 1988 wurde der damalige Assessor mit Lokalisation beim Landgericht Berlin als Rechtsanwalt zugelassen, am 17. März 1990 wurde die Zulassung wegen Verzichts des Rechtsanwalts widerrufen. In diesem Zeitraum war der Rechtsanwalt als Syndikusanwalt bei der B. Beratungsgesellschaft für Stadterneuerung und Modernisierung in B. angestellt. Am 12. Dezember 1991 wurde der zwischenzeitlich nach E. verzogene Rechtsanwalt beim Amtsgericht Essen-Steele und beim Landgericht Essen erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Nach Verzicht auf seine lokale Zulassung bei den genannten Gerichten wurde der Rechtsanwalt am 21. April 1992 mit Kanzleisitz in H. beim Amts- und Landgericht Hanau anderweitig zugelassen. Mit Wirkung vom 09. Oktober 1998 wurde der Rechtsanwalt nach Verzicht auf seine lokalen Zulassungen in H. beim Amts- und Landgericht Rostock anderweitig zugelassen. Die Zulassung wurde mit Wirkung vom 01. Juli 2002 um die bei dem Oberlandesgericht Rostock erweitert.
Im Landgerichtsbezirk Rostock war der Rechtsanwalt zunächst mit Kanzlei unter den Anschriften C.-D.-Ring 0 und B.-B.-Str. 00 in R. als Einzelanwalt tätig. Mit Schreiben vom 16. April 2003 zeigte er gegenüber der Rechtsanwaltskammer an, dass er seit dem 15. März 2003 bei Rechtsanwalt Thomas W. im Angestelltenverhältnis tätig sei. Nach Angaben des Rechtsanwalts verfügt er über einen monatlichen Nettoverdienst von durchschnittlich 2.000,00 Euro. Der Rechtsanwalt ist seit September 1993 verheiratet und hat 3 in den Jahren 1992 bzw. 1994 geborene Kinder. Er ist bislang straf- und berufsrechtlich nicht geahndet worden. Gegen den Rechtsanwalt waren jedoch wegen des Verdachts auf im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung begangener Straftaten Strafverfahren eingeleitet, im Ergebnis ist der Rechtsanwalt vom 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Rostock, Az.: 1 Ss 00/08 I 00/08, im Hinblick auf die erhobenen Vorwürfe freigesprochen worden.
Wegen des Verhaltens des Rechtsanwalts, welches Gegenstand der vorgenannten Strafverfahren war, wurden anwaltsgerichtliche Ermittlungsverfahren gegen den Rechtsanwalt eingeleitet. Im Hinblick auf den Vorrang der vorgenannten Strafverfahren wurden diese jedoch bis zu dessen Abschluss entsprechend § 118 BRAO ausgesetzt.
Das hier angeschuldigte Verhalten hat der Rechtsanwalt mit Schreiben vom 16. April 2007 selbst angezeigt. Dieser Antrag führte zur Einleitung des anwaltsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens. Die Anschuldigungsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 06. Juli 2007 wurde mit im Umlaufverfahren in der Zeit vom 02. bis 07. August 2007 gefassten Beschluss durch das Anwaltsgericht zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.
II.
Im anwaltsgerichtlichen Urteil ist folgender Sachverhalt festgestellt worden:
a) Der Rechtsanwalt erwirkte als Bevollmächtigter für die Altlastensanierung R. GmbH (im Folgenden ASR) das Versäumnisurteil, Az.: 6 O 00/02, Landgericht Rostock vom 15. April 2003 und über 35.039,87 Euro zzgl. Zinsen gegen die B.- und Verwertungsgesellschaft mbH & Co. KG (im Folgenden BVR). Die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil war erfolglos. Die Gesellschaft war zahlungsunfähig. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber der BVR vom 04. Juli 2002 war bereits mit Beschluss vom 31. März 2003, Amtsgericht Rostock, Az.: 61 IN 000/02, mangels Masse abgewiesen worden.
Der Rechtsanwalt nahm daraufhin die Gesellschafter der BVR im Wege der Durchgriffshaftung in Anspruch, zunächst vor dem Amtsgericht und sodann vor dem Landgericht Rostock. Die dort erlangte Auskunft und vorgelegten Bilanzen waren jedoch nach dem Dafürhalten des Rechtsanwalts unzureichend. Er beantragte deshalb im April 2004 bei dem beim Amtsgericht Rostock geführten Handelsregister im Auftrag der weiterhin von ihm vertretenen ASR die Anordnung der Nachtragsliquidation der BVR und begründete dieses damit, es gebe Anhaltspunkte dafür, dass die Gemeinschuldnerin Werklohnforderungen gegen ihre ehemaligen Gesellschafter M. und K. aus den für diese ausgeführten Bauvorhaben habe, die in dem Insolvenzeröffnungsverfahren nicht hinreichend geprüft worden seien, weil dem vorläufigen Insolvenzverwalter die dafür erforderlichen Unterlagen nicht zur Verfügung gestanden hätten. Der Antrag wurde am 28. April 2004 vom Registergericht formlos zurückgewiesen, weil weder die Kommanditgesellschaft noch die Komplementäre bislang im Handelsregister gelöscht worden seien, weshalb die formellen Voraussetzungen für die Bestellung eines Nachtragsliquidators nicht vorlägen.
Der Rechtsanwalt wandte sich daraufhin an Bernd D. dem Alleingesellschafter der Komplementärin der BVR, der Raum- und Farbgestaltungs GmbH R. (im Folgenden R & F) über deren Vermögen mit Beschluss vom 29. August 2002, AG Rostock, Az.: 61 IN 517/02, das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt H. zum so genannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden war. Der Rechtsanwalt versuchte, diesen dazu zu bewegen, sich als Geschäftsführer abzuberufen und als neuen Geschäftsführer den ihm, dem Rechtsanwalt, bekannten Steuerberater Jens Mi. in W./N. zu bestellen, wozu er ihm den Entwurf eines entsprechenden Protokolls einer Gesellschafterversammlung mit einem Rückumschlag übersandte, in dessen Folge der Entwurf, mit Datum und Unterschrift (12. Mai 2004, D.) versehen, zu ihm zurückgelangte.
In der Folgezeit gelang es dem Rechtsanwalt, in die Geschäftsunterlagen der BVR Einsicht zu nehmen und einen Anspruch der Gesellschaft gegen ihren Kommanditisten Arno K. und den ehemaligen geschäftsführenden Gesellschafter ihrer Komplementärin R & F Rico M. bzw. der von ihnen gegründeten K. & M. GbR auf Erstattung/Rückzahlung der für sie an die TLG gezahlten 200.000,00 DM ausfindig zu machen. Diesen Anspruch ließ der Rechtsanwalt in Höhe eines erstrangigen Teilbetrages in Höhe von 60.000,00 Euro zzgl. Zinsen durch den Steuerberater Mi. an seine Mandantin ASR am 01. Juni 2004 abtreten und führte ihn noch mit Schriftsatz vom selben Tage in den von ihm für die ASR gegen Rico M. und Arno K. beim Landgericht Rostock geführten Rechtsstreit, Az.: 9 O 000/04, ein, wobei der Rechtsanwalt die Klage gegen die K. & M. GbR und deren Rechtsnachfolgerin, die B. & M. GbR, erweiterte.
Im Laufe dieses Rechtsstreits wurde wohl für die Beklagten behauptet, dass der Alleingesellschafter D. der R & F am 12. Mai 2004 keine Gesellschafterversammlung abgehalten und der Steuerberater Mi. nicht zu deren neuen Geschäftsführer bestellt worden sei. Der Rechtsanwalt beantragte deshalb mit Schreiben vom 01. Februar 2005 für seine Mandantin ASR die Nachtragsliquidation der wegen Vermögenslosigkeit nach Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse mit Beschluss Amtsgericht Rostock vom 20. Juli 2004, Az.: 61 IN 000/02, am 30. März 2005 im Handelsregister gelöschten R & F. Hilfsweise beantragte er die Einsetzung eines Notgeschäftsführers, wobei der Rechtsanwalt sich bereit erklärte, sowohl das Amt des Nachtragsliquidators als auch das des Notgeschäftsführers anzunehmen. Dieser Antrag wurde von dem Registergericht mit Beschluss vom 02. Juni 2005 zurückgewiesen. Hiergegen legte die durch den Rechtsanwalt vertretene ASR Beschwerde ein. Mit Beschluss des Landgerichts Rostock, Az.: 5 T 0/05, vom 23. Februar 2006 wurde der Beschluss aufgehoben und das Verfahren an das Registergericht zurückverwiesen. Dieses bestellte sodann mit Beschluss vom 13. März 2006 den Rechtsanwalt zum Nachtragsliquidator und bestimmte seinen Wirkungskreis "auf die Geltendmachung und Durchsetzung aller Ansprüche der Gesellschaft und der B. und Verwertungsgesellschaft R. mbH & Co. KG mit Sitz in Rostock (AG Rostock, HRA 0000), deren persönlich haftende Gesellschafterin die Gesellschaft ist, gegen die früheren Gesellschafter/Geschäftsführer/Kommanditisten/Prokuristen Arno K. und Rico M. sowie auf die Befriedigung der Gläubigerin ASR GmbH, Altlastensanierung R. (AG Rostock, HRB 8...)".
Der vor dem Landgericht Rostock, Az.: 9 O 000/05, von dem Rechtsanwalt für die ASR geführte Rechtsstreit gegen M. u. a. endete mit Vergleich vom 21. April 2006, indem sich u. a. die dortige Beklagte zu 4., die B. & M. GbR, dazu verpflichtete,
an die B. und Verwertungsgesellschaft R. mbH & Co. KG, v. d. d. Raum- und Farbgestaltung GmbH, v. d. d. Nachtragsliquidator, Herrn Rechtsanwalt K., einen Betrag in Höhe von 40.000,00 Euro in acht gleichen Raten à 5.000,00 Euro zum 08. eines jeden Monats, beginnend ab dem 08.05.2006, zu zahlen.
Die Zahlung hat zu erfolgen durch Überweisung auf das Konto des klägerischen Bevollmächtigten bei der Ostseesparkasse Rostock mit der BLZ: 130 500 00, Konto-Nr.: 00 00 00 00.
Dazu trat der Rechtsanwalt, handelnd als Nachtragsliquidator für die R & F und diese für die BVR, dem Vergleich bei. Dann genehmigte er den Vergleich sowohl als Klägervertreter als auch als Nachtragsliquidator der R & F.
Nachdem der Rechtsanwalt dem Registergericht mit Schreiben vom 08. Dezember 2006 mitgeteilt hatte, dass es ihm zwischenzeitlich "als Nachtragsliquidator" gelungen sei, die Ansprüche der ASR vollständig zu befriedigen, wurde seine Bestellung als Nachtragsliquidator mit Beschluss vom 13. Dezember 2006 aufgehoben. Forderungen weiterer Gläubiger der BVR blieben danach unberücksichtigt.
Das Anwaltsgericht hat den Zeugen H. vernommen.
Aus einem in dem Insolvenzeröffnungsverfahren, Az.: 61 IN 000/02, Amtsgericht Rostock eingeholten Gutachten ist ersichtlich, dass die ASR nicht die einzige Gläubigerin der BVR war.
b) Wegen ähnlichen Verhaltens des Rechtsanwalts in anderen Fällen waren in der Vergangenheit bereits mehrere Beschwerdeverfahren bei der Rechtsanwaltskammer anhängig. Gegenstand eines dieser Verfahren war die Bestellung eines dem Rechtsanwalt bekannten Steuerberaters zum Notgeschäftsführer einer insolventen Gesellschaft. Eine solche Konstellation sah die Rechtsanwaltskammer im Falle L. & Partner GmbH im September 2004 nicht als Berufspflichtverletzung an. Auch im Falle "T. Immobilien GmbH" war die von dem Rechtsanwalt für die von ihm vertretene Gläubigerin "der Bu. eG" bewirkte Bestellung des Steuerberaters Mi. als Notgeschäftsführer von dem Landgericht Frankfurt (Oder) mit Beschluss vom 15. Juni 2006, Az.: 32 T 7/06, nicht beanstandet worden. Als aber der Steuerberater Mi. dieses Amt nicht mehr fortführen wollte und der Rechtsanwalt deshalb beabsichtigte, selbst das Amt zu übernehmen und sich daher an die Rechtsanwaltskammer wandte, um in Erfahrung zu bringen, ob diese Tätigkeit mit den Berufspflichten vereinbar sei, wurde ihm von dem Geschäftsführer mit Schreiben vom 28. August 2006 mitgeteilt, dass nach seiner persönlichen Auffassung der Rechtsanwalt das Amt des Notgeschäftsführers nicht übernehmen könne. Der Rechtsanwalt verlangte daraufhin von der Rechtsanwaltskammer einen rechtsmittelfähigen Bescheid, den diese nicht erteilte, aber darauf hinwies, dass auch von der zuständigen Beschwerdeabteilung des Vorstandes die Zulässigkeit einer Tätigkeit als Notgeschäftsführer bei gleichzeitiger Gläubigervertretung verneint worden sei. Auf diesen Hinweis stellte der Rechtsanwalt Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Anwaltsgerichtshof, über den am 13. April 2007 verhandelt wurde, Az. AGH 0/06 (I/3), mit der Folge, dass der Rechtsanwalt den Antrag zurücknahm.
Ähnliche Anträge wurden vom Rechtsanwalt unter dem 17. April 2007 und 05. Juni 2007 gestellt, die jedoch ebenfalls vom Rechtsanwalt zurückgenommen wurden (Az. AGH 0/07 (I/3) und AGH 0/07 (I/8)).
III.
Das Anwaltsgericht hat gegen den Rechtsanwalt eine anwaltsgerichtliche Maßnahme verhängt, weil er schuldhaft gegen eine Berufspflicht, hier, gegen das Vertretungsverbot aus § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO verstoßen habe. Der Rechtsanwalt sei seit dem Jahr 2002 als Prozessbevollmächtigter für die ASR gegen die BVR, vertreten durch die R & F, tätig sowie sodann für die R & F, und zwar seit seiner Ernennung als deren Nachtragsliquidator mit Beschluss des Registergerichts vom 13. März 2006. Seither habe er eine Tätigkeit im Sinne von § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO ausgeführt, die ihm wegen der Vorbefassung nach der genannten Vorschrift verboten sei. Er habe "in ähnlicher Funktion" im Sinne des § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO gehandelt, indem er als Nachtragsliquidator tätig geworden sei. Die Gefahr der Vertretung widerstreitender Interessen, die durch das Tätigkeitsverbot gemäß § 45 BRAO verhindert werden solle, habe sich damit verwirklicht. Der Rechtsanwalt habe gegen dieses Tätigkeitsverbot fahrlässig verstoßen, was nach § 113 Abs. 1 BRAO ausreichend sei für die Begehung einer Pflichtwidrigkeit. Die hierfür zu verhängende anwaltsgerichtliche Maßnahme sei ein Verweis, gekoppelt mit einer Geldbuße gemäß § 114 Abs. 1 Nr. 2 und 3, Abs. 2 BRAO.
IV.
Gegen das am 21. September 2007 verkündete Urteil des Anwaltsgerichts legte der Rechtsanwalt am 24. September 2007 Berufung ein. Die Berufung der Generalstaatsanwaltschaft wurde am 27. September 2007 eingelegt, sie erhält eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch.
V.
Im Ergebnis der Berufungsverhandlung vom 27. März 2009 waren die Berufungen des Rechtsanwalts und der Generalstaatsanwaltschaft gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofes vom 21. September 2009 mit der Maßgabe zu verwerfen, dass der Rechtsanwalt fahrlässig gegen das Verbot verstoßen hat, in einer Angelegenheit, mit der er bereits als Rechtsanwalt gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens befasst war, in ähnlicher Funktion, namentlich als Nachtragsliquidator, tätig zu werden.
Gegen den Rechtsanwalt war eine anwaltsgerichtliche Maßnahme zu verhängen, weil er schuldhaft, und zwar fahrlässig, gegen eine Berufspflicht verstoßen hat, hier gegen das Vertretungsverbot gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO.
Der vom Anwaltsgericht festgestellte Sachverhalt wurde vom Rechtsanwalt und der Generalstaatsanwaltschaft nicht in Frage gestellt.
Der Rechtsanwalt hat dadurch gegen das Vertretungsverbot aus § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO verstoßen, dass er, nachdem er zunächst für seine Mandantschaft, die ASR, ein Versäumnisurteil zum Az. 6 O 00/02, Landgericht Rostock, vom 15 April 2003 über 35.039,87 Euro erwirkt hatte, sich zu einem späteren Zeitpunkt zum Nachtragsliquidator der R & F und der BVR und damit der Schuldnerin bestellen ließ, um u. a. Ansprüche der BVR durchzusetzen zur Befriedigung der Gläubigerin, der ASR GmbH.
VI.
Dem Rechtsanwalt ist es nach § 45 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO untersagt, in Angelegenheiten, mit denen er bereits als Rechtsanwalt gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens befasst war, als Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion tätig zu werden. Das Tätigkeitsverbot des Abs. 2 schreibt dem Rechtsanwalt vor, die Angelegenheiten, in denen er als Anwalt mandatiert war, nicht in anderer Eigenschaft zu betreiben. Auch die in dieser Vorschrift geregelten Versagungsfälle sollen Interessenkollisionen vorbeugen. Der Rechtsanwalt hat seine berufliche Unabhängigkeit nach allen Seiten zu wahren und seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Das Tätigkeitsverbot bezieht sich auch auf ähnliche Funktionen neben den ausdrücklich im Gesetz erwähnten Amtsfunktionen. Die Übernahme einer Tätigkeit als Nachtragsliquidator ist die Übernahme einer Tätigkeit in "ähnlicher Funktion". In "ähnlicher Funktion" handelt ein Rechtsanwalt, wenn er nicht als unabhängiger Sachwalter von Parteiinteressen tätig wurde, sondern unter gerichtlicher oder behördlicher Kontrolle ein ihm übertragendes Amt ausübt (Vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl. § 45 Rz. 24, 31).
Ein Nachtragsliquidator wird gemäß § 66 Abs. 5 S. 2 GmbH-Gesetz durch das Gericht ernannt. Die Ernennung ist dem Nachtragsliquidator zuzustellen. Sowohl der Nachtragsliquidator als auch der Liquidator haben gemäß § 70 GmbH-Gesetz die Verpflichtungen der aufgelösten Gesellschaft zu erfüllen. Ihnen unterfällt insbesondere auch die Wahrung des Gläubigerschutzes. So sind unbestrittene und fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen ohne Rücksicht darauf, ob Gläubiger einen Anspruch geltend machen oder nicht (Schulze-Oberloh/Noack in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 18. Aufl. § 73 Rn. 3). Der Liquidator/Nachtragsliquidator ist mithin ebenfalls nicht unabhängiger Sachwalter von Parteiinteressen. Deshalb fällt auch seine Tätigkeit, die unter gewisser gerichtlicher Kontrolle steht, unter das Tätigkeitsverbot des § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO. Er hat eine ähnliche Funktion im Sinne der genannten Vorschrift inne.
Der Senat teilt im Ergebnis die Auffassung des Anwaltsgerichts, dass ein gemäß § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbH-Gesetz ernannter Liquidator eine dem Insolvenzverwalter vergleichbare Stellung hat. Im Ergebnis konnte dabei dahingestellt bleiben, ob es sich bei einer Liquidation im Sinne des § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbH-Gesetz um eine "erstmalige Liquidation" oder aber um eine Nachtragsliquidation handelt. Denn auch diejenige Auffassung, wonach es bei einer Abwicklung unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 5 Satz 1 GmbH-Gesetz um eine erstmalige Liquidation gehe (Vgl. Schulze-Osterloh/Noack in Baumbach/Hueck GmbH-Gesetzt, 18. Auflage 2006 § 66 Rz. 40), geht weiter davon aus, dass das Verfahren und dessen Beendigung ebenfalls den Regeln der Liquidation folgt, die lediglich fortgesetzt wird. Danach ist in einem Liquidationsverfahren unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 5 GmbH-Gesetz das vorhandene Vermögen gleichmäßig auf vorhandene Gläubiger als Aufgabe im Sinne des § 70 GmbH-Gesetz zu verteilen. Es gibt keine Vorschrift und damit keinen Rechtsgrund dafür, dass ein Nachtragsliquidator ausschließlich im Interesse eines Gläubigers tätig zu werden hat.
Zutreffend wurde vom Anwaltsgericht festgestellt, dass der Rechtsanwalt seit seiner Ernennung als Nachtragsliquidator für die R & F mit Beschluss des Registergerichts vom 13. März 2006 eine Tätigkeit im Sinne von § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO ausgeführt hat, die ihm wegen Vorbefassung nach dieser Vorschrift verboten war. Er war als Rechtsanwalt für die ASR mit der Durchsetzung einer Forderung gegen das Vermögen der BVR, vertreten durch die R & F, mandatiert, wobei der Aufgabenkreis der übernommenen Nachtragsliquidation nunmehr gerade darauf gerichtet worden ist, das Vermögen des Schuldners seines ursprünglichen Mandanten in der sich aus den Liquidationsvorschriften ergebenden Art und Weise zu verwalten. Mit Übernahme dieser Tätigkeit hat sich bereits die Gefahr des Verstoßes gegen die berufliche Unabhängigkeit eines Rechtsanwalts verwirklicht, mit Übernahme der Tätigkeit hat der Rechtsanwalt gegen eine Berufspflicht verstoßen. Eine weitergehende Feststellung dahingehend, ob im konkreten Fall die Liquidationstätigkeit an sich regelwidrig durchgeführt worden ist, ist nicht zu treffen.
Der Senat teilt im Ergebnis die Wertungen des Anwaltsgerichts, die dem Rechtsanwalt schuldhaftes Verhalten vorwerfen in der Form eines fahrlässigen Verstoßes. Der Rechtsanwalt hat die Verhaltensanforderungen, die der Staat zum Zwecke der Sicherung von Rechtsgütern zu stellen berechtigt ist, nicht erfüllt. Rechtfertigungs- oder aber Schuldausschlussgründe sind nicht ersichtlich. Insbesondere der Hinweis des Rechtsanwalts darauf, bei so genannten Unternehmensbestattungen sei es für Gläubiger wie für seinen ursprünglichen Mandanten, die ASR, nahezu aussichtslos, an vorhandene, aber von dem Schuldner durch Transaktionen zur Seite gebrachte und nicht sofort sichtbare Vermögenswerte zu gelangen, stellt keinen Rechtfertigungsgrund dar, das Verbot des § 45 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO zu übertreten. Der Rechtsanwalt hat seine Unabhängigkeit und seine Stellung als Organ der Rechtspflege auch und gerade in den Fällen zu wahren, in denen ein Dritter, der Schuldner, sich möglicherweise unlauter verhält. Im Übrigen hat bereits das Anwaltsgericht darauf verwiesen, dass zum Nachtragsliquidator ohne weiteres eine andere Person hätte ernannt werden und der Rechtsanwalt Entsprechendes hätte beantragen können.
Der Rechtsanwalt hat fahrlässig gegen die Verbotsnorm verstoßen. Der Rechtsanwalt hat die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeit verpflichtet und im Stande war, außer Acht gelassen, indem er die Tätigkeit eines Nachtragsliquidators in der hier in Rede stehenden Konstellation übernommen hat. Der Rechtsanwalt hätte erkennen können, dass der Beschluss des Registergerichts ersichtlich das Tätigkeitsverbot des § 45 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO nicht berücksichtigt hat. Dem Rechtsanwalt ist das Berufsrecht bekannt. Bei der ihm möglichen Anstrengung seiner Erkenntniskräfte und seiner Fähigkeit, aufgrund seiner juristischen Ausbildung, seiner langjährigen beruflichen Qualifikation und seines Bildungsstandes hätte der Rechtsanwalt erkennen können, dass die vorgängige Interessenvertretung einer Gläubigerin zur Durchsetzung einer Forderung gegen eine Schuldnerin (BVR und deren persönlich haftende Gesellschafterin R & F) es ausschließt, im Nachgang die Tätigkeit eines Nachtragsliquidators der persönlich haftenden Gesellschafterin der Schuldnerin auch und gerade zugunsten der ursprünglichen Gläubigerin zu übernehmen. Das Vorliegen eines vorsätzlichen Verhaltens hält der Anwaltssenat nicht gegeben, weil der Rechtsanwalt nach seiner Auffassung nicht gegen ein Verbot verstoßen wollte. Er hielt (und hält) sein Verhalten nach wie vor nicht als gegen eine Berufspflicht verstoßend. Dass er keinen Vorsatz hat, sich gegen die bestehende Rechtsordnung zu stellen, wird auch dadurch bestätigt, dass der Rechtsanwalt durch einen eigenen Antrag dieses Verfahren veranlasst hat. Auch hat er im Verfahren betont, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung keine Nachtragsliquidation in ähnlicher Konstellation durchführen zu wollen. Der Rechtsanwalt hält sein Verhalten nicht für verboten. Dieser Verbotsirrtum führt aus den vorgenannten Erwägungen jedoch nicht dazu, ihn von dem Schuldvorwurf der Fahrlässigkeit entlasten zu können.
VII.
Der Senat hält aus den Gründen, die vom Anwaltsgericht zutreffend benannt worden sind, die für die Tathandlung des Rechtsanwalts zu verhängende anwaltsgerichtliche Maßnahme für tat- und schuldangemessen.
VIII.
Die Revision war nicht zuzulassen, § 145 Abs. 2 BRAO. Revisionszulassungsgründe sind nicht ersichtlich.
AGH Rostock:
Urteil v. 27.03.2009
Az: AGH 1/08
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