Oberlandesgericht Hamburg:
Urteil vom 6. Mai 2009
Aktenzeichen: 5 U 155/08

(OLG Hamburg: Urteil v. 06.05.2009, Az.: 5 U 155/08)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Oberlandesgericht Hamburg hat in einem Urteil vom 6. Mai 2009 (Aktenzeichen 5 U 155/08) entschieden, dass die Antragsgegnerin einer einstweiligen Verfügung unterliegt. Sie darf es im geschäftlichen Verkehr nicht behaupten, dass die Klägerin und/oder deren Mitarbeiter Urkunden gefälscht haben. Das Landgericht hatte zuvor entschieden, dass kein Rechtsschutzinteresse bestehe und keine Wiederholungsgefahr bestehe. Das Oberlandesgericht kam jedoch zu dem Schluss, dass die Antragsgegnerin das Rechtsschutzinteresse der Klägerin verletzt habe und dass eine Wiederholungsgefahr bestehe. Die Antragsgegnerin habe gegen ihre Recherchierungspflicht verstoßen und keine ausreichenden Beweise für den Verdacht auf Urkundenfälschung vorgelegt. Die Entscheidung des BGH zur Einmaligkeit eines Verstoßes sei nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Wiederholungsgefahr bestehe trotz der zwischenzeitlichen Sperrung der Meldung. Die Antragsgegnerin muss die Kosten des Rechtsstreits tragen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OLG Hamburg: Urteil v. 06.05.2009, Az: 5 U 155/08


Tenor

I. Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 12, vom 10. Juni 2008 (Az.: 312 O 284/08) abgeändert.

Im Wege der einstweiligen Verfügung wird der Antragsgegnerin bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,--, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),

verboten,

im geschäftlichen Verkehr Dritten gegenüber zu behaupten, es bestehe der Verdacht, dass die Klägerin und/oder deren Mitarbeiter Urkunden gefälscht haben € so wie in dem an die Auskunftsstelle über Versicherungs/Bausparkassenaußendienst und Versicherungsmakler in Deutschland (AVAD) gerichteten Schreiben vom 05.03.2008 geschehen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz trägt die Antragsgegnerin.

Tatbestand

I.

Die Klägerin begehrt die Untersagung einer Äußerung der Antragsgegnerin, die diese im Zusammenhang mit einer Mitteilung an die Auskunftsstelle über Versicherungs-/ Bausparkassenaußendienst und Versicherungsmakler in Deutschland e.V. (im Folgenden nur noch: AVAD) getätigt hat.

Die Antragstellerin ist eine in Hamburg ansässige Versicherungsmaklergesellschaft; ihr Geschäftsführer ist Herr G.

Die Antragsgegnerin ist als Vertriebsgesellschaft für den H. Konzern tätig und hat ihren Firmensitz in Köln (Anl. AS 9, Selbstdarstellung auf der Homepage).

Im Zusammenhang mit der Kündigung eines zwischen den Parteien bestehenden Maklervertrages (€Courtagezusage€ = AS 1) benachrichtigte die Antragsgegnerin Anfang März 2008 den AVAD über die Auflösung des Vertragsverhältnisses und gab unter Ziff. 2 des formalisierten Auskunftsschreibens (Anl. AS 3) als Grund für die Beendigung des Vertragsverhältnisses, €Verdacht auf Urkundenfälschung€, an. Aufgrund eines Widerspruchs der Antragstellerin wurde der angegebene Kündigungsgrund am 13.03.2008 von dem AVAD gesperrt. Die Sperrung hat zur Folge, dass anfragende Unternehmen den angegeben Kündigungsgrund zwar nicht erfahren, allerdings können sie anhand der Auskunft erkennen, dass eine Sperrung vorgenommen wurde.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil vom 10.06.2008 (Bl. 36 ff. d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat den auf §§ 3, 4 Nr. 8 UWG und §§ 823 Abs. 1, 2 in Verbindung mit §§ 186, 187 StGB, 824 BGB gestützten Unterlassungsanspruch verneint und die Klage vollen Umfanges abgewiesen. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung die Auffassung vertreten, es liege weder ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor, noch bestehe Wiederholungsgefahr. Zur Begründung des fehlenden Rechtsschutzinteresses hat sich das Landgericht im Wesentlichen auf die in der Entscheidung des BGH €Bilanzanalyse PRO 7€ enthalten Erwägungen gestützt (Urt. v. 22.01.1998 € I ZR 177/95, abgedr. in GRUR 1998, 587) gestützt und diese auch im zu entscheidenden Fall für anwendbar gehalten. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.

Mit ihrem rechtzeitig eingelegten und begründeten Rechtsmittel wendet sich die Antragsstellerin vollen Umfanges gegen die landgerichtliche Entscheidung und verfolgt ihr erstinstanzliches Begehren fort.

Unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vertritt sie die Auffassung, Rechtsschutzinteresse und Wiederholungsgefahr seien zu bejahen. Die Grundsätze der Bilanzanalyse Pro 7 - Entscheidung habe das Landgericht zu Unrecht zur Verneinung eines Rechtsschutzinteresses auf den vorliegenden Fall übertragen. Anders, als in jener Entscheidung, handle es sich bei der beanstandeten Mitteilung gegenüber dem AVAD nicht um eine Äußerung, die der Rechtsverfolgung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren diene und daher zu privilegieren sei. Unstreitig sammle der AVAD lediglich die Auskünfte seiner Mitglieder und leite diese an die anfragenden Unternehmen weiter. Der AVAD stelle gerade kein eigenes Verfahren zur Verfügung, in dem die Zulässigkeit der Äußerung überprüft werden könne. Auch die Wiederholungsgefahr sei zu Unrecht verneint worden. Für das Vorliegen von Wiederholungsgefahr bestehe eine gesetzliche Vermutung nach dem Erstverstoß. Diese Vermutung gelte auch über den Bereich des Wettbewerbsrechts hinaus für Ansprüche, die auf die Verletzung zivilrechtlicher Vorschriften zum Schutze des Persönlichkeitsrechtes gestützt werden. An den Wegfall der Wiederholungsgefahr seien strenge Anforderungen zu stellen. Bereits im Ansatz verfehlt sei daher die Auffassung des Landgerichts, der Kern der Verletzungshandlung sei nur auf Aussagen gegenüber dem AVAD beschränkt, während Äußerungen gegenüber anderen Dritten nicht mehr erfasst sein sollten. Soweit die Antragsgegnerin sich rechtsirrig zur Angabe des Grundes für die Vertragsbeendigung verpflichtet gehalten habe, führe dies ebenfalls nicht zum Wegfall der Wiederholungsgefahr.

Im Übrigen sei nach dem Tatsachenvortrag der Parteien in erster Instanz noch nicht einmal eine Verdachtsäußerung zulässig gewesen. Die Antragsgegnerin habe keinerlei Tatsachen vorgetragen, die einen hinreichenden Verdacht stützten, die Klägerin sei Täter oder Teilnehmer einer Urkundenfälschung. Die Antragsgegnerin habe € unstreitig - lediglich dargetan, Unterschriften auf den Versicherungsurkunden des Versicherungsnehmers Kennemann, der von ihr seinerzeit betreut worden sei, seien unterschiedlich. Sie habe sie ausdrücklich in Abrede gestellt, ihrem Geschäftsführer oder einem ihrer Mitarbeiter sei eine Urkundenfälschung vorzuwerfen; ein diesbezüglicher Verdacht habe zu keinem Zeitpunkt bestanden.

Die Antragstellerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 10.06.2008, Az.: 312 O 284/08, der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten € letztere zu vollziehen an den Vorständen der Beklagten-,

zu untersagen,

Dritten gegenüber zu behaupten, es bestehe der Verdacht, dass die Klägerin und/oder deren Mitarbeiter Urkunden gefälscht haben €so wie in dem an die Auskunftsstelle über Versicherungs/Bausparkassenaußendienst und Versicherungsmakler in Deutschland (AVAD) gerichteten Schreiben vom 05.03.2008 geschehen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin verteidigt das landgerichtliche Urteil. Das Rechtsschutzinteresse sei zutreffend verneint worden. Nicht nur Äußerungen, die in einem förmlichen Rahmen abgegeben worden seien, genössen besonderen Schutz. Dasselbe habe für Äußerungen in vergleichbaren Verfahren, wie dem des AVAD zu gelten (Palandt, BGB-Kom, § 823, Rz. 104). Der AVAD halte für die eingehenden Beschwerden Verfahrensregelungen bereit. Dies zeige sich im vorliegenden Fall darin, dass nach Widerspruch der Antragstellerin die Mitteilung gesperrt worden und den Beteiligten nunmehr die Möglichkeit eröffnet worden sei, den Sachverhalt untereinander zu klären. Der Antragstellerin bleibe es unbenommen, auf Löschung der Eintragung zu klagen.

Ferner fehle die Wiederholungsgefahr. Die gesetzliche Vermutung einer Wiederholungsgefahr sei widerleglich. Der Vortrag der Antragstellerin, sie könne sich auch anderen Dritten gegenüber in der beanstandeten Weise äußern, beruhe auf bloßen Spekulationen. Die Meldung an den AVAD besitze singulären Charakter und sei allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum AVAD erfolgt.

Die Verdachtsäußerung sei darüber hinaus auch zulässig gewesen. Eine Mitarbeiterin habe Unregelmäßigkeiten in Bezug auf die von der Antragstellerin vermittelten Verträge an den Versicherungsnehmer Kennemann festgestellt. Diese seien in außergewöhnlich hohem Maße notleidend geworden. Wie weitere interne Recherchen ergeben hätten, seien unterschiedliche Unterschriften des Versicherungsnehmers aufgetaucht (vgl. AG 1 und AG 2). Diese Umstände seien als hinreichende Mindestverdachtstatsachen zu bewerten, die eine unverzügliche Meldung an den AVAD rechtfertigten.

Die Antragsgegnerin hat am 08.07.2008 eine Strafanzeige gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin und dessen Vater, Herrn K.H. G., erstattet. Das gegen den Geschäftsführer G. gerichtete Verfahren wegen §§ 267 und 263 StGB ist am 17.03.2009 nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden ist. Das Ermittlungsverfahren gegen Herrn K.H. G., der als Kundenbetreuer des Versicherungsnehmers K. tätig war, dauert noch an (vgl. Anl. BB 1).

Mit Schriftsatz vom 14.04.2009, der dem Senat erst nach der mündlichen Verhandlung vorgelegt worden ist, hat die Antragstellerin eine weitere eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers eingereicht. Aus dieser geht hervor, dass der Bezirksdirektor der C. L. Versicherung Herrn G. in einem Telefongespräch am 19.03.2009 erklärt habe, von einer künftigen Zusammenarbeit Abstand zu nehmen, weil ihr von der Antragsgegnerin zugetragen worden sei, dass der Verdacht bestehe, sie, die Antragstellerin, habe Urkunden gefälscht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

II.

Die Berufung der Antragstellerin ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Der Antragstellerin steht ein Anspruch auf Unterlassen der beanstandeten Äußerung zu. Durch die beanstandete Meldung €Verdacht auf Urkundenfälschung€ an den AVAD hat die Antragsgegnerin auch Anlass zur Annahme gegeben, sie werde sich anderen Dritten gegenüber in gleicher Weise äußern.

1. Der Unterlassungsanspruch scheitert nicht an fehlendem Rechtsschutzinteresse. Entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung, hält der Senat die zivilrechtliche Verfolgung der Äußerung durch Geltendmachung eines Abwehranspruchs für zulässig. Nach den Grundsätzen der Entscheidung des BGH €Bilanzanalyse Pro 7€ (BGH, Urteil vom 22. 1. 1998 - I ZR 177-95, abgedr. GRUR 1998, 587) reicht es für die Versagung des Rechtsschutzinteresses nicht aus, dass die hier streitgegenständliche Äußerung gegenüber dem AVAD getätigt wurde, bei dem es sich unstreitig um eine Einrichtung handelt, die (auch) zur Entgegennahme von Beanstandungen dient und und seinen Mitgliedern hierfür ein bestimmtes, strukturiertes Verfahren zur Verfügung stellt. Vielmehr ist nach dieser Entscheidung zudem erforderlich, dass die Möglichkeit in dem zur Verfügung gestellten Verfahren besteht, die Richtigkeit der beanstandeten Äußerungen zu klären (vgl. Entscheidungsgründe des Urteils GRUR 1998, S. 589,590). Daran fehlt es hier. Die Verfahrensregelungen des AVAD für diejenigen, die nachteilig von einer Meldung betroffen werden, sehen lediglich eine Widerspruchsmöglichkeit mit nachfolgender Sperrung vor und erlauben gerade nicht die Überprüfung des streitigen Sachverhalts. Dementsprechend sind die Grundsätze der Bilanzanalyse Pro 7 € Entscheidung nicht für Äußerungen gegenüber dem AVAD zu übertragen.

2. Ein abweichendes Ergebnis rechtfertigt auch die von der Antragsgegnerin zitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf (abgedr. NJW € RR 1986,675) nicht. Dem Oberlandesgericht Düsseldorf lag in der dortigen Entscheidung zwar ebenfalls ein Sachverhalt zugrunde, in dem es um eine gegenüber einem eingetragenen Verein getätigte Äußerung ging. Allerdings hat der dortige Verein die streitige Frage in einem Disziplinarverfahren selbst geklärt und nicht, wie im vorliegenden Fall, die Klärung den Beteiligten überlassen.

3. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist das Rechtsschutzinteresse für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch auch nicht deshalb zu verneinen, weil letztendlich das Klageziel der Antragstellerin darauf gerichtet sein mag, eine Löschung der Eintragung beim AVAD zu erreichen. Denn das hier eingeleitete Verfahren im Wege des einstweiligen Rechtschutzes ist geeignet, durch eine zeitnahe (vorläufige) Entscheidung eine weitere Verbreitung der Äußerung zu verhindern. Darüber hinaus wird die Frage, die in einem auf Löschung der Äußerung gerichteten Hauptsacheverfahren zu beantworten wäre, ob ein entsprechender Verdacht geäußert werden darf, auch bereits im streitgegenständlichen Verfahren geprüft. Gegebenenfalls wird daher eine Hauptsacheklage, in der die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erklärung der Löschung des gegenüber dem AVAD angegebenen Kündigungsgrundes begehrt wird, nach Beendigung des vorliegenden Verfahrens nicht mehr erforderlich sein. Im Übrigen hat die Antragstellerin auch unabhängig von der Löschung des Eintrags ein Interesse daran, dass die Antragsgegnerin die angegriffene Aussage nicht verbreitet.

4. Auch materiell steht der Antragstellerin ein Anspruch auf Unterlassen der beanstandeten Äußerung zu. Es kann dahinstehen, ob der Anspruch auch auf eine (nach-) vertragliche Fürsorgepflichtverletzung oder auf einen wettbewerblichen Unterlassungsanspruch aus dem UWG gestützt werden kann. Jedenfalls besteht ein Anspruch auf Unterlassen aus §§ 1004 BGB, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 StGB. Die Antragsgegnerin hat durch die Äußerung, es bestehe der Verdacht, die Antragstellerin habe eine Urkundenfälschung begangen, diese in ihrem geschäftlichen Ansehen und Anspruch auf Fortkommen verletzt. Im Einzelnen:

a) Bei der hier in Rede stehenden Äußerung, €Verdacht auf Urkundenfälschung€, handelt es sich um eine Bewertung mit Tatsachenbezug. Bei dem Begriff des Verdachts handelt es sich um die Behauptung einer (inneren) Tatsache, da über das Vorhandensein eines Verdachts Beweis erhoben werden kann, etwa durch Vernehmung von Mitarbeitern der Antragsgegnerin. Die die Erklärung €Verdacht auf Urkundenfälschung€ prägende Komponente, stellt jedoch der Vorwurf einer Urkundenfälschung, mithin die mögliche Begehung einer Straftat dar. Insoweit liegt ein Werturteil und nicht eine bloße Tatsachenbehauptung vor. Denn zur Beurteilung der Frage, ob ein Straftatbestand erfüllt ist, ist eine wertende Betrachtung vorzunehmen; die Beurteilung lässt sich nicht an dem Kriterium €wahr oder unwahr€ messen, wie es beim Vorliegen einer Tatsachenbehauptung der Fall ist. Unter welchen Voraussetzungen die Äußerung eines Verdachts zulässig ist, beurteilt sich nach den Grundsätzen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB). Nach Auffassung des Senates war die Äußerung des Verdachts, die Antragstellerin habe eine Straftat begangen, aufgrund der derzeit vorliegenden Umstände im Ergebnis nicht gerechtfertigt.

b) Zur Beantwortung der Frage, ob sich die Antragsgegnerin bei Meldung ihres Verdachts einer Urkundenfälschung an den AVAD auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen konnte, sind ihre Interessen an einer Unterrichtung des AVAD (und damit nach der Aufgabenstellung des AVAD) einer Weiterverbreitung der Meldung an andere Mitgliedsunternehmen einerseits und das Schutzbedürfnis der Antragstellerin andererseits, gegeneinander abzuwägen. Zu berücksichtigen ist insbesondere die Sorgfalt, mit der die Antragsgegnerin bei Ermittlung des Sachverhalts vorgegangen ist (vgl. hierzu BGH, U. v. 17.11.1992 €VI ZR 352/91 € Kettenmafia, abgedr. GRUR 1993, 412).

c) Im Rahmen der danach gebotenen Abwägung ist zugunsten der Antragstellerin zu berücksichtigen, dass sie bereits durch die Verdachtsmeldung einer Urkundenfälschung ganz empfindlich in ihrer Ehre und in ihrem geschäftlichen Ansehen/Fortkommen betroffen wurde. Die Antragstellerin hat durch die eidesstattlichen Versicherung ihres Geschäftsführers vom 10.06.2008 in ausreichender Weise dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Kündigung der G. Versicherung (Anl. AS 6) vom 12.03.2008 und die weitere Kündigung der S. L. vom 17.03.2008 (Anl. AS 7) aufgrund der Verdachtsmeldung erfolgte, da ihm diesbezügliche telefonische Erklärungen zum Kündigungsgrund von den jeweils zuständigen Mitarbeitern dieser Versicherungsgesellschaften gegeben wurden. Zudem spricht die zeitliche Nähe der ausgesprochenen Kündigungen Mitte März 2008 dafür, dass die Kündigungen im Zusammenhang mit der Verdachtsmeldung der Antragsgegnerin an den AVAD Anfang März 2008 stehen.

d) Andererseits ist zugunsten der Antragsgegnerin zu berücksichtigen, dass das Interesse eines Vertriebsunternehmens in der Versicherungswirtschaft von großer Bedeutung ist, andere Unternehmen der Branche, möglichst frühzeitig vor finanziellen € und Imageverlusten zu warnen, die durch eine Zusammenarbeit mit rechtswidrig handelnden Versicherungsmaklern entstehen können. Ein in der Versicherungswirtschaft tätiges Unternehmen muss grundsätzlich auch schon einen Verdacht auf Urkundenfälschung eines für sie tätigen Versicherungsmaklers an den AVAD zur Verbreitung in der Branche melden dürfen. Da, wie indes der vorliegende Fall zeigt, bereits die Meldung eines Verdachts der Begehung einer Straftat, zu erheblichen Nachteilen für die Antragstellerin führt, darf eine solcher Verdacht aber erst dann ausgesprochen werden, wenn ein Mindestbestand von Beweisen die Begründetheit des Verdachts recherchiert wurde.

e) Danach ist hier festzustellen, dass die Antragsgegnerin gegen ihre Recherchierungspflicht verstoßen hat. Unstreitig hat die Antragsgegnerin außer dem Umstand, dass Versicherungsverträge des Versicherungsnehmers K. besonders häufig notleidend wurden und es eine Unterschriftsabweichung auf einem der abgeschlossenen Verträge gab, keine weiteren Anhaltspunkte dafür besessen, die eventuell für eine Fälschung der Verträge sprachen. Selbst wenn man zugunsten der Antragsgegnerin unterstellt, dass sie - um ihre und die Interessen der Branchenkollegen zu schützen € schnell handeln musste und sie den sich im Ausland aufhaltenden Versicherungsnehmer nicht erreichen konnte, wäre es möglich und angesichts der dürftigen Beweislage auch zumutbar gewesen, zumindest bei der Antragstellerin eine Nachfrage im Hinblick auf das Procedere bei Zustandekommen der Versicherungsverträge zu stellen. Die Abweichung einer Unterschrift kann vielfältige Ursachen haben und beruht nur im Ausnahmefall darauf, dass die Unterschrift gefälscht wurde. Beispielsweise kann eine Abweichung dadurch entstehen, dass eine andere Person die Unterschrift mit Erlaubnis desjenigen, der als Aussteller der Urkunde hervorgeht, vollzogen hat. Danach läge eine Urkundenfälschung nicht vor (vgl. Lackner, StGB KOM, 24. Aufl. 2001, § 267, Rz. 18). Auch die Tatsache, dass die Verträge des Versicherungsnehmers K. in besonders hohem Maße notleidend wurden, ist kein sicherer Anhaltspunkt dafür, dass dessen Verträge im Unternehmen der Antragstellerin gefälscht wurden, denn auch hierfür gibt es mehrere denkbare Gründe (z.B. wirtschaftliche Schwierigkeiten des Versicherungsnehmers). Keiner der ermittelten Gründe reichte für sich alleine betrachtet aus, eine Fälschung der Verträge durch die Antragstellerin anzunehmen. Gleiches gilt für eine Gesamtbewertung der beiden von der Antragsgegnerin ermittelten Anhaltspunkte, die keine ausreichende Häufung von Verdachtsmomenten darstellte, die den Verdacht einer Fälschung als hinreichend sicher hätten erscheinen lassen.

g) Etwas anderes hat für das Berufungsverfahren auch nicht deshalb zu gelten, weil die Staatsanwaltschaft das (erst) nach Abschluss der ersten Instanz eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den Mitarbeiter der Antragstellerin, Herrn K.H. G., wegen Betruges und Urkundenfälschung fortführt, wie sich aus dem vorgelegten Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 17.03.2009 (Anl. BB 2) ergibt. Danach steht zwar fest, dass die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht nach § 170 Abs. 2 StPO gegen Herrn K.H. Gieselmann besitzt und daher ihre Ermittlungen fortsetzt. Allerdings berechtigt dieser Anfangsverdacht die Antragsgegnerin nicht dazu, bereits diesen Verdacht, der sich noch nicht zu einer gewissen Verurteilungswahrscheinlichkeit verdichtet hätte, an den AVAD zu melden. Denn anders als staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, die auch bei den geringsten Verdachtsmomenten einsetzen, dafür jedoch zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, führt die Meldung an den AVAD zu einer breiten Streuung des Verdachts unter den Mitgliedsunternehmen der AVAD. Da die weitergegeben Informationen € soweit ersichtlich - nicht der Geheimhaltung unterliegen, besteht die naheliegende Vermutung, dass der geäußerte Verdacht über die Mitgliedsunternehmen hinaus in der gesamten Branche Verbreitung findet. Wegen der erheblichen Gefahren/Schäden, die eine derartige Verdachtsäußerung bei der betroffenen Antragsstellerin auszulösen vermag (s. o. Ziff. 4 c)) und angesichts des durchgängigen Bestreitens, eine Urkundenfälschung begangen zu haben, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung den Interessen der Antragstellerin, Vorrang einzuräumen. Allenfalls dann, wenn weitere belastbare Beweise vorgelegen hätten, die etwa die Erhebung einer Anklage der Staatsanwaltschaft wahrscheinlich machten, müssten die Interessen der Antragstellerin, als ehrbares Unternehmen zu gelten, unter Umständen weichen.

5. Zudem besteht nach Auffassung des Senates die erforderliche Wiederholungsgefahr. Wiederholungsgefahr ist die auf Tatsachen gegründete objektive ernsthafte Besorgnis weiterer Störungen (Palandt, 67. Aufl. 2008, § 1004, Rz. 32 m.w.N.). Wiederholungsgefahr wird aufgrund einer voran gegangenen rechtswidrigen Beeinträchtigung tatsächlich vermutet. Die Vermutung besteht dafür, dass in Zukunft mit kerngleichen Verstößen zu rechnen ist. Die widerlegliche Vermutung wird in der Regel nur durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung entkräftet (BGH GRUR 2001, 453 € TCM Zentrum), die hier nicht abgegeben wurde. Ein Ausnahmefall, wonach gleichwohl nicht von einer Wiederholungsgefahr auszugehen wäre, liegt nicht vor.

a) Die Gefahr der weiteren Verbreitung des Verdachts auch an andere Dritte besteht aufgrund der rechtsverletzenden Verdachtsmeldung an den AVAD. Die Erklärung der Antragsgegnerin, sich keinesfalls gegenüber anderen Versicherungsunternehmen in der beanstandeten Weise zu äußern oder generell den Verdacht innerhalb der Versicherungsbranche zu verbreiten, bleibt vor dem Hintergrund, dass die Versicherungswirtschaft ein generelles Interesse daran hat, vor €schwarzen Schafen€ gewarnt zu werden, ohne jegliche Überzeugungskraft und ist nicht ausreichend, die indizierte Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin auf eine konkrete Anfrage eines anderen Versicherungsunternehmens, die streitgegenständliche oder kerngleiche Äußerungen wiederholt.

b) Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, sich zur Mitteilung des Beendigungsgrundes für verpflichtet gehalten zu haben, obwohl sie dies tatsächlich nicht war, rechtfertigt dieser Umstand unter dem Gesichtspunkt eines Rechtsirrtums ebenfalls nicht, die Wiederholungsgefahr zu verneinen. Zum einen sind bereits Zweifel angebracht, ob die Antragsgegnerin sich tatsächlich im Rechtsirrtum befunden hat. Denn bereits die in einem gesonderten Feld vorhandene Frage im Mitteilungsformular (vgl. Anl. AS 3), €Gegebenenfalls besondere Gründe für die Beendigung der Courtagezuge€€, ist nach objektivem Empfängerhorizont nicht so zu verstehen, dass Beendigungsgründe auf jeden Fall anzugeben wären. Auf dem Formular befindet sich zudem auch kein Hinweis darauf, dass alle Fragen vollständig zu beantworten wären. Die Entscheidung der Frage, ob ein Rechtsirrtum vorlag, kann jedoch dahinstehen, weil nach überwiegend vertretener Auffassung Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt, Rechtsirrtümer nicht geeignet sind, die Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen (vgl. Hefermehl, Köhler, Bornkamm, a.a.O., § 8, Rz. 1.42).

c) Auch die Rechtsprechung des BGH zur Einmaligkeit eines Verstoßes, die ausnahmsweise die Wiederholungsgefahr in der Entscheidung €Jubiläumsverkauf€ (BGH GRUR 1992, 318, 319) entfallen ließ, ist nicht auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Der Entscheidung lagen Verstöße gegen die Preisangabenverordnung anlässlich eines Jubiläumsverkaufes zugrunde. Angesichts der Tatsache, dass erst in 25 Jahren mit einem weiteren Jubiläumsverkauf und damit auch mit Verstößen gegen die Preisangabenverordnung zu rechnen war, sah der BGH solche weiteren Verstöße als fernliegend an. Die besondere zeitliche Komponente, auf die der BGH bei der vorgenannten Entscheidung zur Verneinung der Wiederholungsgefahr abgestellt hat, fehlt indes im hier zu entscheidenden Sachverhalt.

d) Der Umstand, dass die Meldung zwischenzeitlich gesperrt ist, lässt € entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - die Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Allenfalls ist durch die Sperrung die Gefahr der Weiterleitung der Meldung durch den AVAD beseitigt. Unabhängig hiervon führt der Wegfall einer Störung nach Rechtsprechung des BGH nicht zum Wegfall der Wiederholungsgefahr (Hefermehl, Köhler, Bornkamm, UWG, 27. Aufl. 2009, § 8, Rz. 1.39, BGH Z 1 241, 248 € Piekfein).

e) Der Inhalt der eidesstattlichen Versicherung, die mit Schriftsatz der Antragstellerin vom 14.04.2009 eingereicht wurde (Faxeingang: 14.04.2009, 16.43 Uhr), ist bei der Entscheidung nicht berücksichtigt worden, weil der Schriftsatz dem Senat erst nach der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2009 vorgelegt wurde. Auch ist unklar geblieben, ob der Schriftsatz der Antragsgegnerin überhaupt zur Kenntnis gelangt ist, weil kein Originalschriftsatz mit den erforderlichen Abschriften für den Gegner zur Akte gereicht wurde und der Schriftsatz der Antragstellerin vom 14.04.2009 keinen Hinweis darauf enthält, dass eine direkte Übermittlung von Anwalt zu Anwalt stattgefunden hätte.

5. Die Voraussetzungen der Dringlichkeit liegen hier unzweifelhaft vor und werden auch von der Antragsgegnerin nicht in Frage gestellt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.1 ZPO.






OLG Hamburg:
Urteil v. 06.05.2009
Az: 5 U 155/08


Link zum Urteil:
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