Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. November 2002
Aktenzeichen: 17 W (pat) 41/01

(BPatG: Beschluss v. 12.11.2002, Az.: 17 W (pat) 41/01)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Die vorliegende Gerichtsentscheidung betrifft eine Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Patentantrags für ein Verfahren zur Sprachanalyse. Das Patentamt hatte den Antrag zurückgewiesen, da dem Verfahren kein technischer Charakter zukomme. Die Anmelderin hat daraufhin Beschwerde eingelegt und argumentiert, dass das Verfahren in elektronischen Call-Centern Anwendung finden könne, um eingehende Anrufe zu analysieren und passende Antworten zu geben. Die Beschwerde wurde jedoch vom Bundespatentgericht zurückgewiesen.

Das Gericht stellte fest, dass das Verfahren keine technische Erfindung darstellt, da es sich ausschließlich mit sprachlichen Aspekten befasst. Zwar wird das Verfahren mit Hilfe eines Computers implementiert, dies allein rechtfertigt jedoch keine Patentierbarkeit. Laut Bundesgerichtshof müssen die prägenden Anweisungen einer patentierbaren Lehre der Lösung eines konkreten technischen Problems dienen. Da das Verfahren ausschließlich sprachliche Aspekte behandelt und von einem Sprachwissenschaftler entwickelt würde, fehlt es an dem erforderlichen technischen Charakter. Auch die Ergänzung des Verfahrens um das Merkmal "Stack" ändert nichts an dieser Einschätzung.

Die Anmelderin argumentiert auch, dass das Verfahren einen hohen Entwicklungsaufwand erfordert und daher ein Patent gerechtfertigt sei. Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass das Patentrecht nur Erfindungen mit technischem Charakter schützen soll und nicht alle Investitionen. Es kann also kein Patent erteilt werden, selbst wenn das Verfahren einen Entwicklungsaufwand erfordert.

Das Gericht weist schließlich darauf hin, dass keine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, die die Zulassung einer Rechtsbeschwerde rechtfertigen würde. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zu Datenverarbeitungsvorrichtungen und computerimplementierten Verfahren genügten bereits, um die Frage der Patentierbarkeit zu klären.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 12.11.2002, Az: 17 W (pat) 41/01


Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die vorliegende Patentanmeldung ist beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Bezeichnung:

"Verfahren zur Sprachanalyse"

angemeldet worden.

Sie wurde von der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts durch Beschluss vom 7. Mai 2001 mit der Begründung zurückgewiesen, dass dem beanspruchten Verfahren zur Sprachanalyse kein technischer Charakter zukomme.

Die Anmelderin hat Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 12 vom 9. Februar 2001, eingegangen am 12. Februar 2001, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Offenlegungsschrift, hilfsweisemit "Hilfsantrag 1" bezeichnete Patentansprüche 1 bis 10 und Beschreibung, beides überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2002, weiter hilfsweise mit "Hilfsantrag 2" bezeichnete Patentansprüche 1 bis 10, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2001 und vorgenannte Beschreibung.

Ferner regte die Anmelderin hilfsweise an, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Der Anspruch 1 vom 9. Februar 2001 (Hauptantrag) - mit einer Gliederung versehen - lautet:

"Verfahren zur rechnergestützten Sprachanalyse, bei dem einer sprachlichen Äußerung eine syntaktische Struktur zugeordnet wird, mita) einem Kontext im engeren Sinn für Kombinationen von Zuständen und Spracheinheiten, der aus Sprachkategorien, Zuständen, einschließlich Folgezuständen, und Aktionen besteht, b) einem erweiterten Kontext für die Kombinationen von Zuständen und Spracheinheiten, der syntaktische Größen enthält, die nicht im Kontext im engeren Sinne enthalten sind, und mit folgenden Schrittenc) Unterteilen der Äußerung in die Spracheinheiten, d) Zuordnen der Spracheinheiten zu den Sprachkategorien, e) Bestimmen eines Zustands, f) Kombinieren des Zustands mit der Sprachkategorie einer Spracheinheit, g) Zuordnen einer oder mehrerer Aktionen zur Kombination von Zustand und Sprachkategorie mit einer Wahrscheinlichkeit, die vom erweiterten Kontext abhängt, h) Bestimmen einer Anzahl von Folgezuständen durch Ausführung der Aktionen undi) erneutes Ausführen des Verfahrens ab dem Kombinieren des Zustands mit der Sprachkategorie einer Spracheinheit für zumindest einen der Folgezustände, so dass weitere Spracheinheiten der Äußerung abgearbeitet werden."

Der Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag - mit einer Gliederung versehen - lautet:

"Verfahren zur rechnergesteuerten Sprachanalyse, bei dem einer sprachlichen Äußerung eine syntaktische Struktur zugeordnet wird, mita) einem Kontext im engeren Sinn für Kombinationen von Zuständen und Spracheinheiten, der aus Sprachkategorien, Zuständen, einschließlich Folgezuständen, und Aktionen besteht, b) einem erweiterten Kontext für die Kombinationen von Zuständen und Spracheinheiten, der syntaktische Größen enthält, die nicht im Kontext im engeren Sinne enthalten sind, b1) wobei das Verfahren ein stochastisches Parsing ist und einen Stack verwendet, und mit folgenden Schrittenc) Unterteilen der Äußerung in die Spracheinheiten, d) Zuordnen der Spracheinheiten zu den Sprachkategorien, e) Bestimmen eines Zustands, f) Kombinieren des Zustands mit der Sprachkategorie einer Spracheinheit, g) Zuordnen einer oder mehrerer Aktionen zur Kombination von Zustand und Sprachkategorie mit einer Wahrscheinlichkeit, die vom erweiterten Kontext abhängt, h) Bestimmen einer Anzahl von Folgezuständen durch Ausführung der Aktionen undi) erneutes Ausführen des Verfahrens ab dem Kombinieren des Zustands mit der Sprachkategorie einer Spracheinheit für zumindest einen der Folgezustände, so dass weitere Spracheinheiten der Äußerung abgearbeitet werden."

Der Anspruch 1 gemäß dem zweiten Hilfsantrag - mit einer Gliederung versehen - lautet:

"Verfahren zur rechnergesteuerten Sprachanalyse, bei dem einer sprachlichen Äußerung mit alternativen syntaktischen Strukturen eine syntaktische Struktur zugeordnet wird, mita) einem Kontext im engeren Sinn für Kombinationen von Zuständen und Spracheinheiten, der aus Sprachkategorien, Zuständen, einschließlich Folgezuständen, und Aktionen besteht, b) einem erweiterten Kontext für die Kombinationen von Zuständen und Spracheinheiten, der syntaktische Größen enthält, die nicht im Kontext im engeren Sinne enthalten sind, b1) wobei das Verfahren ein stochastisches Parsing ist und einen Stack verwendet, und mit folgenden Schrittenc) Unterteilen der Äußerung in die Spracheinheiten, d) Zuordnen der Spracheinheiten zu den Sprachkategorien, e) Bestimmen eines Zustands, f) Kombinieren des Zustands mit der Sprachkategorie einer Spracheinheit, g) Zuordnen einer oder mehrerer Aktionen zur Kombination von Zustand und Sprachkategorie mit einer Wahrscheinlichkeit, die vom erweiterten Kontext abhängt, h) Bestimmen einer Anzahl von Folgezuständen durch Ausführung der Aktionen undi) erneutes Ausführen des Verfahrens ab dem Kombinieren des Zustands mit der Sprachkategorie einer Spracheinheit für zumindest einen der Folgezustände, so dass weitere Spracheinheiten der Äußerung abgearbeitet werden, j) Multiplizieren der Wahrscheinlichkeiten der aufeinanderfolgenden Aktionen für die jeweiligen Alternativen miteinander, k) Zuordnen jeweils einer Gesamtwahrscheinlichkeit zu gefundenen alternativen Strukturen, l) Auswahl einer wahrscheinlichsten Struktur, m) maschinelle Übersetzung oder Sprachsynthese der Äußerung auf Grundlage der wahrscheinlichsten Struktur."

Zur Begründung ihrer Beschwerde führt die Anmelderin aus, dass das beanspruchte Verfahren zur rechnergestützten Sprachanalyse bspw in elektronischen Call-Centern angewandt werden könne, um den Inhalt eingehender Anrufe zutreffend zu analysieren und ggf geeignete Antworten zu geben. Äußerungen in menschlicher Sprache wiesen bisweilen Mehrdeutigkeiten auf, die durch die Berücksichtigung grammatikalischer Regeln allein nicht beseitigt werden könnten. Der Patentanspruch 1 schlage dazu vor, einen erweiterten Kontext zu berücksichtigen, um diese Mehrdeutigkeiten zu beseitigen. Unter dem "erweitertem Kontext" sei der Dialogakt oder der Sprachstil der Äußerung zu verstehen, bspw ob eine Frage oder eine Feststellung vorliege. Die im Anspruch genannte Zuordnung einer bestimmten Wahrscheinlichkeit für die verschiedenen Analysemöglichkeiten werde vorab vom Fachmann vorgenommen, denn dieser wisse, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte sprachliche Interpretation zutreffe. Wesentlich für den Anspruch sei aber nicht, wie die Wahrscheinlichkeiten zu bestimmten Konstellationen zuzuordnen seien, sondern die Aussage, dass Wahrscheinlichkeiten zu berücksichtigen seien. Insoweit sei anzuerkennen, dass das beanspruchte Verfahren eine nachvollziehbare und vollständige Lehre vermittle.

Hinsichtlich des technischen Charakters führt die Anmelderin an, dass das beanspruchte Verfahren einem herkömmlichen Gebiet der Technik zuzuordnen und daher patentierbar sei. In der Entscheidung "Suche fehlerhafter Zeichenketten" habe der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass Ansprüche, die zur Lösung eines Problems, das auf den herkömmlichen Gebieten der Technik bestehe, die Abarbeitung bestimmter Verfahrensschritte durch einen Computer vorschlügen, grundsätzlich patentierbar seien. Dabei habe der Bundesgerichtshof auch die Biologie zu den Gebieten der Technik gezählt. Sprache sei eine natürliche Größe im Bereich der Biologie, deren Anwendung technisch sei. Das beanspruchte Verfahren zeichne sich weiterhin durch eine Eigenheit aus, die unter Berücksichtigung der Zielsetzung des patentrechtlichen Schutzes eine Patentierbarkeit rechtfertige. Zweck des Patentrechts sei es, Investitionen zu schützen. Das vorliegende Verfahren erfordere einen großen Entwicklungsaufwand. Daher sei es gerechtfertigt, ein Patent dafür zu erteilen. Der technische Charakter ergebe sich aber auch aus der Lehre nach dem Anspruch selbst. Denn kein Linguist würde in der vorgeschlagenen Weise einen Satz analysieren. Der vorgeschlagene Algorithmus arbeite sequentiell und weise Schleifen auf, wie sie typisch für die Datenverarbeitung durch einen Computer seien.

Noch zweifelsfreier ergebe sich der technische Charakter durch das im ersten Hilfsantrag ergänzte Merkmal, dass ein Stack verwendet werde. Dieses Merkmal stelle klar heraus, dass eine technische Lehre beansprucht werde. Im zweiten Hilfsantrag sei zudem ergänzt, dass das vorgeschlagene Verfahren zur maschinellen Übersetzung oder Sprachsynthese verwendet werde. Hierdurch werde der technische Charakter weiter verdeutlicht.

II.

Die in rechter Frist und Form erhobene Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, da der Gegenstand des Patents in den nachgesuchten Fassungen keine Erfindung iSd § 1 Abs 1 PatG ist.

1. Zum Patentanspruch 1 nach dem Hauptantrag:

1.1 Gegenstand dieser Anspruchsfassung ist ein computerimplementiertes Verfahren zur Sprachanalyse, bei dem einer sprachlichen Äußerung, bspw dem Satz "Die Frau sah das Kind mit dem Fernglas", eine zutreffende syntaktische Struktur zugeordnet werden soll. Wie von der Anmelderin erläutert, soll ein solches Verfahren so verbessert werden, dass auch bei mehrdeutigen Äußerungen eine zutreffende Analyse vorgenommen wird (vgl auch S 2, Abs 3 der Beschreibung).

Der Anspruch lehrt hierzu nach den Merkmalen a), c), d), e), f), h) und i), die sprachliche Äußerung (bspw einen Satz) in Spracheinheiten (bspw Worte) zu unterteilen, den Spracheinheiten Sprachkategorien (bspw Substantiv) zuzuordnen und unter sequentieller Anwendung von Aktionen (Grammatikregeln) der Äußerung mögliche syntaktische Strukturen zuzuordnen. Für den oben genannten Beispielsatz sind die beiden möglichen Zuordnungen in den Figuren 3 und 4 dargestellt. Um unter den möglichen syntaktischen Strukturen die zutreffende auszuwählen, wird nach den Merkmalen b) und g) ein "erweiterter Kontext" verwendet, mit dem den verschiedenen möglichen syntaktischen Strukturen oder Teilstrukturen eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für ihre Richtigkeit zugeordnet werden soll. Unter "erweitertem Kontext" ist nach den Angaben der Anmelderin der Dialogakt oder der Sprachstil der Äußerung zu verstehen, bspw ob die Äußerung eine Frage oder eine Feststellung ist.

1.2 Wie die Anmelderin einräumt, kann dem Anspruch nicht entnommen werden, nach welchen Gesichtspunkten den möglichen syntaktischen Strukturen einer konkreten Äußerung - unter Bezug auf das og Beispiel also der einen Interpretation, dass die Frau das Kind durch das Fernglas sah oder der anderen, dass die Frau das Kind sah, das ein Fernglas trug - eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für ihre Richtigkeit zuzuordnen ist. Nachdem eine solche Regel sich auch in den übrigen Unterlagen nicht findet, soll nach Auffassung der Anmelderin das Wesentliche der beanspruchten Lehre darin gesehen werden, dass den nach der grammatikalischen Zerlegung möglichen syntaktischen Strukturen in Abhängigkeit vom erweiterten Kontext Wahrscheinlichkeiten für ihre Richtigkeit zugeordnet werden.

1.3 Auch wenn zu Gunsten der Anmelderin unterstellt wird, dass das Verfahren nach dem Anspruch 1 eine vollständige Lehre vermittelt, so kann diese Lehre nicht als patentierbar erkannt werden, da sie jedenfalls nicht auf technischem Gebiet liegt.

1.3.1 Gegenstand des in Rede stehenden Verfahrens ist zweifelsfrei die Analyse einer sprachlichen Äußerung nach grammatikalischen Gesichtspunkten, zB den Satzbauregeln. Um auch bei mehrdeutigen Äußerungen die zutreffende Alternative herausfinden zu können, lehrt der Anspruch die Berücksichtigung des "erweiterten Kontexts", dh sprachlicher Eigenschaften der Äußerung, und davon abhängig die Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Möglichkeiten. Die Lehre gemäß dem Anspruch 1 setzt sich sonach durchwegs mit den Eigenheiten der menschlichen Sprache auseinander und ist allein durch diese bestimmt. Einen Ansatz für technische Überlegungen lässt das Verfahren nicht erkennen. Dies zeigt sich auch daran, dass als zuständiger Fachmann für die Zuordnung der Wahrscheinlichkeiten ein Sprachwissenschaftler anzusehen ist und kein Techniker.

Dass die auf linguistischem Gebiet liegende Lehre von einem Programmierer in computerverständlicher Form, dh einer Programmiersprache formuliert wird und zur Ausführung durch einen Computer bestimmt ist, kann den technischen Charakter des Verfahrens allein nicht begründen. Der Bundesgerichtshof stellt hierzu in der Entscheidung "Suche fehlerhafter Zeichenketten" (GRUR 2002, 143, 144) fest, dass nicht jede in computergerechte Anweisungen gekleidete Lehre als patentierbar erachtet werden kann, und setzt für die Patentierbarkeit voraus, dass die prägenden Anweisungen der beanspruchten Lehre der Lösung eines konkreten technischen Problems dienen müssen. Da die den Anspruch 1 prägenden Anweisungen, wie erläutert, in der Zuweisung von Wahrscheinlichkeiten zu alternativen syntaktischen Strukturen nach sprachlichen und nicht nach technischen Gesichtspunkten bestehen, kann die Lehre nicht als auf technischem Gebiet liegend anerkannt werden.

Hiergegen führt die Anmelderin an, dass der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung den Ansprüchen, die zur Lösung eines Problems, das auf den herkömmlichen Gebieten der Technik, ua der Biologie besteht, die Abarbeitung bestimmter Schritte vorschlagen, grundsätzlich Patentierbarkeit zugebilligt habe. Sie vertritt die Auffassung, dass die Sprache eine natürliche Größe im Bereich der Biologie sei, deren Auswertung folglich als technisch anzusehen sei.

Dieser Auffassung wäre dann zu folgen, wenn die Problemstellung etwa darin bestünde, die von einem Sprecher verursachten Schallschwingungen mit technischen Mitteln zu analysieren und ihnen bspw eine Folge von Lauten zuzuordnen. Im vorliegenden Fall besteht die Problemstellung jedoch darin, den verschiedenen Möglichkeiten der inhaltlichen Interpretation einer als Text vorliegenden Äußerung Wahrscheinlichkeiten für ihr Zutreffen nach sprachlichen Gesichtspunkten zuzuordnen. Diese Problemstellung und auch deren Lösung ist nicht den herkömmlichen Gebieten der Technik zuzurechnen.

1.3.2 Auch dem Argument der Anmelderin, dass sich die auf Datenverarbeitung mittels eines Computers gerichtete Lehre nach dem Anspruch 1 durch eine Eigenheit auszeichne, die unter Berücksichtigung der Zielsetzung patentrechtlichen Schutzes eine Patentierbarkeit rechtfertige, ist nicht zu folgen. Die Anmelderin macht hierzu geltend, dass das vorliegende Verfahren einen hohen Entwicklungsaufwand erfordert habe und es Zweck des Patentrechts sei, Investitionen zu schützen.

Diesem Argument ist entgegenzuhalten, dass nach allgemeiner Auffassung das Patentrecht nicht Schutz für wirtschaftliche Investitionen aller Art bieten soll, sondern nur ein Schutzrecht für Erfindungen mit technischem Charakter ist (vgl Busse, PatG, 5. Aufl., § 1 Rdn 19 - 21 mwH) oder, mit anderen Worten, für Erfindungen auf technischem Gebiet (vgl TRIPS Art 27, Nr 1).

Auch die übrigen von der Anmelderin vorgebrachten Argumente hinsichtlich einer auf technischem Gebiet liegenden Eigenart, die eine Patentierbarkeit des Verfahrens rechtfertigen sollen, vermögen nicht zu überzeugen.

Die sequentielle Abarbeitung der im Anspruch angegebenen Verfahrenschritte und die in Merkmal i) angegebene Schleife stellen keine Aspekte dar, die dem beanspruchten Verfahren technischen Charakter verleihen könnten. Denn ein gezieltes schrittweises Vorgehen und auch eine iterative Wiederholung von bestimmten Schritten ist nicht ein besonderes Kennzeichen technischer Verfahrensabläufe, sondern trifft ebenso für jedes gezielte menschliche Handeln zu, bspw für eine Multiplikation, die "im Kopf" oder lediglich unter Zuhilfenahme von Papier und Bleistift durchgeführt wird. Dass sich, wie die Anmelderin geltend macht, ein Mensch bei der Ausführung solcher Verfahrensabläufe - ob bei der Durchführung einer Multiplikation oder bei der Analyse einer sprachlichen Äußerung - nicht stets der erlernten Verfahrensschritte bewusst ist, sondern diese Schritte gewissermaßen automatisch ausführt, spricht nicht gegen diese Auffassung. Die schrittweise Anwendung von Satzbauregeln und ggf auch deren wiederholte Anwendung bei der inhaltlichen Analyse einer Äußerung gehört jedenfalls zum Betätigungsfeld des Linguistiken. Eine Eigenheit, die zwar nicht auf den herkömmlichen Gebieten der Technik liegt, aber dennoch unter Berücksichtigung der Zielsetzung patentrechtlichen Schutzes eine Patentierbarkeit rechtfertigen könnte, ist hierin jedenfalls nicht erkennbar.

Der Gegenstand nach Patentanspruch 1 gemäß dem Hauptantrag weist daher keinen technischen Charakter auf und ist deshalb nicht patentfähig.

2. Zum Patentanspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag:

Diese Fassung des Anspruchs 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag durch das Merkmal b1), nach dem bei der rechnergestützten Sprachanalyse ein stochastisches Parsing und ein Stack verwendet werden sollen.

Unter dem Begriff "stochastisches Parsing" ist eine bestimmte Abfolge der Schritte bei der syntaktischen, dh den Satzbau betreffenden Analyse einer Äußerung zu verstehen, wie sie sich bereits aus den übrigen Merkmalen des Anspruchs 1 ergibt.

Unter "Stack" versteht der mit der Computerimplementierung des auf sprachlichem Gebiet liegenden Verfahrens betraute Programmierer eine Datenstruktur in Form einer Liste, bei der alle Ein- und Austragungen an einem Ende der Liste erfolgen, so dass der letzte Eintrag als erster wieder ausgegeben wird. Solche Datenstrukturen dienen einem Programmierer zur abkürzenden Bezeichnung eines abstrakten logischen Zusammenhangs zwischen mehreren Daten, im Falle eines "Stacks" den Elementen einer Liste mit beliebigem Inhalt, die in bestimmter Weise verwaltet wird. Der Auffassung, dass die Verwendung eines bestimmten strukturellen Zusammenhangs von Daten bei der Implementierung eines nichttechnischen Verfahrens - jedenfalls in der im Anspruch dargelegten generellen Weise - dessen Technizität begründen könne, ist nicht zu folgen, denn die bloße Verwendung einer Datenstruktur sagt nichts über deren technische Realisierung aus.

Die Anmelderin führt hiergegen an, dass ein Stack eine technische Vorrichtung sei, die den technischen Charakter des Verfahrens belege.

Selbst wenn zu Gunsten der Anmelderin unterstellt wird, dass aus dem Merkmal b1) entnehmbar ist, dass der zur Ausführung des Verfahrens verwendete Computer mit einem Stack als Hardwarebauteil (Stapelspeicher) auszustatten ist, so vermag die beiläufige Nennung eines solchen Vorrichtungsmerkmals den technischen Charakter des nichttechnischen Verfahrens nicht zu begründen. Denn im Vordergrund der Lehre nach dem Anspruch sind nach wie vor die (nichttechnischen) Verfahrensschritte zu sehen, mit denen die gewünschte Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten zu den verschiedenen syntaktischen Strukturen bewirkt wird. Hingegen enthält der Anspruch keine Angaben, die sich auf eine besondere technische Ausgestaltung des als Vorrichtung gesehenen Stacks beziehen und auf eine in technischer Hinsicht außergewöhnliche Verfahrensausführung schließen lassen.

Das im Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag ergänzte Merkmal b1) bietet sonach keinen Anlass, das beanspruchte Verfahren als auf technischem Gebiet liegend anzuerkennen.

3. Zum Patentanspruch 1 gemäß dem zweiten Hilfsantrag:

Gegenüber dem Anspruch 1 nach dem ersten Hilfsantrag sind in der Fassung nach dem zweiten Hilfsantrag die Merkmale j) bis m) ergänzt. Danach sollen die zu den möglichen syntaktischen Teilstrukturen ermittelten Wahrscheinlichkeiten miteinander multipliziert werden, um für jede der möglichen (Gesamt-) Strukturen eine Gesamtwahrscheinlichkeit für deren Zutreffen zu bilden, und die wahrscheinlichste Struktur für eine maschinelle Übersetzung oder Sprachsynthese verwendet werden.

Die in dieser Anspruchsfassung zusätzlich genannten Merkmale wurden von einem Sprachwissenschaftler bereits beim Nachvollzug der vorhergehend abgehandelten Fassungen nach Hauptantrag und ersten Hilfsantrag mitgelesen. Denn nachdem gemäß Merkmal g) den Kombinationen von Zustand und Sprachkategorie, dh Teilstrukturen der Äußerung (Satz) eine Wahrscheinlichkeit zugeordnet war, war die Lösung der Aufgabe, unter mehrdeutigen (Gesamt-) Äußerungen die (am wahrscheinlichsten) zutreffende herauszufinden, noch nicht erreicht. Der Sprachwissenschaftler war deshalb gefordert, diese Angabe dahingehend zu ergänzen, dass eine (Gesamt-) Wahrscheinlichkeit für das Zutreffen der (Gesamt-) Äußerung gebildet wurde, wofür die Wahrscheinlichkeiten der Teilstrukturen miteinander zu multiplizieren waren. Ebenso war für den Sprachwissenschaftler selbstverständlich, dass ein sprachliches Analyseverfahren für Übersetzungen oder Sprachsynthesen brauchbar ist. Die Merkmale j) bis m) fügen der verständig interpretierten Fassung nach dem ersten Hilfsantrag letztlich nichts hinzu, so dass diese Anspruchsfassung ebenso zu bewerten ist wie die vorhergehenden Fassungen.

Dem Antrag der Anmelderin auf Erteilung eines Patents ist sonach nicht zu folgen, weil keine der Fassungen des Patentanspruchs 1 eine auf technischem Gebiet liegende Erfindung zum Gegenstand hat.

Die Beschwerde der Anmelderin ist daher zurückzuweisen.

4. Zur Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde:

Die Anmelderin hat angeregt, die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nach § 100 PatG zuzulassen. Sie führt hierzu an, dass jedenfalls den Fassungen des Anspruchs 1 nach dem ersten und zweiten Hilfsantrag technischer Charakter zugestanden werden müsse, weil in diesen ein Vorrichtungsmerkmal genannt sei, nämlich ein Stack. Denn nach den Ausführungen in der Entscheidung "Sprachanalyseeinrichtung" des Bundesgerichtshofs komme einer Vorrichtung, mithin einer Datenverarbeitungsanlage, stets technischer Charakter zu.

Die von der Anmelderin in Hinsicht auf die Zulassung der Rechtsbeschwerde vorgebrachte Argumentation krankt, wie unter Abschnitt 2. erläutert, schon daran, dass ein Programmierer den in Merkmal b1) genannten "Stack" nicht als schaltungsmäßige Vorrichtung versteht, sondern als per Software implementierte Datenstruktur. Aber selbst wenn zu Gunsten der Anmelderin davon ausgegangen wird, dass der in Merkmal b1) genannte Stack nicht softwaremäßig implementiert, sondern als zusätzliches Hardwarebauteil realisiert ist und der Anspruch somit ein Vorrichtungsmerkmal enthält, so kann kein Grund erkannt werden, der die Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigt.

Nach § 100 Abs 2 PatG ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordern.

Zu den grundsätzlichen Rechtsfragen im Zusammenhang mit Datenverarbeitungsvorrichtungen und computerimplementierten Verfahren hat der Bundesgerichtshof in jüngerer Zeit bereits mehrfach grundsätzlich Stellung bezogen, insbesondere in der Entscheidung "Suche fehlerhafter Zeichenketten". Die in dieser Entscheidung für die Patentierbarkeit des beanspruchten Verfahrens relevanten Kriterien wurden oben abgehandelt.

Den von der Anmelderin geltend gemachten Widerspruch von Ausführungen in dieser Entscheidung zu Ausführungen in der Entscheidung "Sprachanalyseeinrichtung" (GRUR 2000, 1007) kann der Senat nicht sehen. Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung ausgeführt, dass einer Vorrichtung ohne weiteres technischer Charakter zukomme. In der späteren Entscheidung "Suche fehlerhafter Zeichenketten" hat er unter ausdrücklichem Bezug auf die Entscheidung "Sprachanalyseeinrichtung" hierzu präzisiert, dass es keinen Grund gebe, "die Frage, ob ein angemeldeter Patentanspruch die erforderliche Patentfähigkeit aufweist, allein nach der Kategorie dieses Anspruchs und unabhängig davon zu beantworten, was nach der beanspruchten Lehre im Vordergrund steht" (vgl aaO S 145).

Im Vordergrund des Patentanspruchs 1 in seinen verschiedenen Fassungen stehen Verfahrensschritte zur zutreffenden Zuordnung einer syntaktischen Struktur zu einer sprachlichen Äußerung, die von einem Rechner ausgeführt werden sollen. Dass zur Ausführung dieser Verfahrensschritte möglicherweise auch ein als Hardwarebauteil realisierter "Stack" verwendet werden kann, vermag den grundsätzlichen Charakter der beanspruchten Lehre nicht auf eine Vorrichtung hin zu wenden. Die Ausführungen in der Entscheidung "Sprachanalyseeinrichtung", die sich allein auf eine vorrichtungsmäßige Ausgestaltung einer Datenverarbeitungsanlage beziehen, sind daher für die vorliegenden Ansprüche nicht relevant. Da sonach ein Widerspruch zwischen den Ausführungen in den beiden genannten Entscheidungen nicht besteht, ist auch insoweit kein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu erkennen.

Grimm Dr. Schmitt Bertl Prasch Bb






BPatG:
Beschluss v. 12.11.2002
Az: 17 W (pat) 41/01


Link zum Urteil:
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