Oberlandesgericht Hamburg:
Beschluss vom 7. November 2006
Aktenzeichen: 5 W 156/06
(OLG Hamburg: Beschluss v. 07.11.2006, Az.: 5 W 156/06)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht Hamburg hat in einem Beschluss vom 7. November 2006 entschieden, dass eine zögerliche vorprozessuale Anspruchsdurchsetzung nicht gerechtfertigt ist, wenn eine Partei eine wertvolle Geschäftsbeziehung nicht unnötig belasten möchte. Das Bestreben einer einverständlichen Streitbeilegung und die Notwendigkeit einer nachhaltigen gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung lassen sich oft nicht miteinander vereinbaren. Wiederholte Abmahnungen und Vergleichverhandlungen sind nur dann dringlichkeitsschädlich, wenn sie der zügigen Rechtsverfolgung nicht dienen. Wenn der Verletzte den Weg einer allgemeinen vorprozessualen Beanstandung wählt, kann er seine Beanstandung später nicht mehr auf konkrete Einzelprodukte stützen, wenn er durch sein zögerliches vorprozessuales Verhalten die Voraussetzungen für ein Eilverfahren verloren hat. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts wurde zurückgewiesen und die Antragstellerin wurde zur Zahlung der Kosten des Beschwerdeverfahrens verurteilt. Die Entscheidung des Landgerichts wurde bestätigt und die Antragstellerin hat die Möglichkeit, ihre Ansprüche in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Hamburg: Beschluss v. 07.11.2006, Az: 5 W 156/06
1. Der Wunsch einer Partei, eine wertvolle Geschäftsbeziehung nicht unnötig durch den Vorwurf einer Rechtsverletzung zu belasten, kann im Rahmen von § 12 Abs. 2 UWG eine zögerliche vorprozessuale Anspruchsdurchsetzung nicht rechtfertigen. Das Bestreben einer möglichst einverständlichen Streitbeilegung und die Notwendigkeit einer nachhaltigen gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung sind dabei häufig nicht miteinander in Einklang zu bringen. Wiederholte Abmahnungen und Vergleichsverhandlungen sind in diesem Rahmen nur in dem Umfang dringlichkeitsschädlich, wie sie der gebotenen zügigen Rechtsverfolgung dienen.
2. Wählt der Verletzte den Weg einer allgemeinen, umfassenden vorprozessualen Beanstandung einer bestimmten Produktgestaltung, so ist er unter Dringlichkeitsgesichtspunkten gehindert, seine Beanstandung später auf konkrete Einzelprodukte zu stützen, wenn er durch sein zögerliches vorprozessuales Verhalten die Voraussetzungen für ein Eilverfahren im Hinblick auf die Gesamtbeanstandung verloren hat. Der Aspekt einer Intensivierung/Erneuerung der (späteren) Verletzungshandlung ist insoweit ohne Relevanz.
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 10.10.06 gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 8, vom 06.10.06 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Beschwerdewert entspricht den in erster Instanz entstandenen Kosten.
Gründe
Die gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zu Recht und mit überzeugender Begründung zurückgewiesen. Die Ausführungen der Antragstellerin in der Beschwerdeschrift rechtfertigen keine abweichende Entscheidung. Der Senat kann sich auf folgende ergänzende Ausführungen beschränken:
1.
Die Gesamtwürdigung des vorprozessualen Verhaltens der Antragstellerin ergibt auch nach Auffassung des Senats, dass die Antragstellerin die von ihr behaupteten Ansprüche nicht mit dem erforderlichen Nachdruck verfolgt hat, so dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Durchsetzung ihres Unterlassungsanspruchs nicht vorliegen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei der Verfolgung urheber- geschmacksmuster- bzw. vertragsrechtlicher Ansprüche - um die es im vorliegenden Fall in erster Linie geht - keine von dem Prozessgegner zu widerlegende Dringlichkeitsvermutung entsprechend § 12 Abs. 2 UWG für den Antragsteller streitet. Vielmehr hat die antragstellende Partei die Voraussetzungen einer besonderen Eilbedürftigkeit für eine Anspruchsdurchsetzung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß §§ 935, 940 ZPO nachvollziehbar darzulegen. Dies ist der Antragstellerin nicht gelungen. Der Umstand, dass die Antragstellerin ihre Ansprüche nachrangig auch auf wettbewerbsrechtliche Grundlagen gestützt hat, führt jedenfalls bei der vorliegenden Fallgestaltung, bei der die Parteien in erster Linie vertraglich verbunden sind, nicht dazu, dass damit die Dringlichkeitsvermutung Anwendung findet.
2.
Der für die Anspruchsdurchsetzung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erforderliche Verfügungsgrund liegt nicht vor.
a.
Für die Frage, ob ein Verfügungsgrund vorliegt, kommt es nach der Rechtsprechung des Senats nicht entscheidend darauf an, ob das beanstandete Verhalten noch innerhalb bestimmter Dringlichkeitsfristen liegt. Bei der Beurteilung einer etwaigen Selbstwiderlegung der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG - für die Fälle nach §§ 935, 940 ZPO gilt dies erst recht - ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung des vorprozessualen und prozessualen Verhaltens der Antragstellerin geboten. Eine isolierte Betrachtung einzelner Verfahrensabschnitte ohne Rücksicht auf vorangegangenes und nachfolgendes - zeitverzögerndes - Verhalten verfehlt die dem § 12 Abs. 2 UWG zu Grunde liegende gesetzliche Intention. Eine sachgerechte, am Gesetzeszweck des § 12 Abs. 2 UWG ausgerichtete Anwendung dieser Vorschrift erfordert deshalb eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtwürdigung (Senat OLGRep 06,683 - Tarif-Stress), bei der bestimmte Zeiträume allenfalls eine absolute Obergrenze für dringliches Verhalten bilden, aber nicht dazu führen, dass sich ein Handeln im Rahmen dieser Fristen stets oder im Regelfall als nicht dringlichkeitsschädlich darstellt. Hieran sind auch die an das Verhalten der Antragstellerin zu stellenden Anforderungen zu messen.
b.
Die Antragstellerin hatte bereits im Mai 2006 vollständige Kenntnis derjenigen Tatsachen, die ihr eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Wegen des einstweiligen Rechtsschutzes ermöglicht hätte. Indes hat die Antragstellerin aus der vorgerichtlichen anwaltlichen Abmahnung vom 16.05.06 (Anlage ASt11) nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen, sondern die Verfolgung ihrer Ansprüche bis zu der erneuten Abmahnung durch ihre Prozessbevollmächtigten vom 12.09.06 (Anlage ASt14) letztlich wieder im Sande verlaufen lassen. Selbst sich wenn die Antragstellerin in dieser Zeit von ca. 4 Monaten in ununterbrochenen Vergleichsverhandlungen befunden haben sollte, ändert dies an der Rechtslage nichts. Ein derartiges Vorgehen mag aus ihrer Sicht sinnvoll und zweckmäßig gewesen sein, um eine sachgerechte Lösung zu finden. Es hält indessen nicht dem Gebot dringlicher Rechtsverfolgung gefährdeter Urheberrechte im Rahmen von §§ 935, 940 ZPO Stand.
c.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Verhalten der Antragstellerin maßgebend auch von dem Bestreben geprägt gewesen ist, eine wertvolle Geschäftsbeziehung nicht unnötig durch den Vorwurf einer Rechtsverletzung zu belasten. Ein derartiges Verhalten ist zwar ohne Weiteres nachvollziehbar. Es steht indes in einer im Einzelfall schwer zu lösenden Konkurrenz zu dem Gebot zügigen Handelns, das für die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes erforderlich ist. Wenn es die Antragstellerin für geboten und vorzugswürdig gehalten hat, bestehende Vertragsverhältnisse nicht zu stören, so mag dies unter geschäftstaktischen Gesichtspunkten vernünftig gewesen sein. Gleiches gilt für das Bestreben, der Antragsgegnerin Gelegenheit zu geben, ihren abweichenden Rechtsstandpunkt zu überdenken. Bei einer derartigen Sachlage wird sich die Antragstellerin allerdings in angemessen kurzer Frist entscheiden müssen, ob sie dem Bestreben einer möglichst einverständlichen Beilegung des Streites oder einer nachhaltigen gerichtlichen Anspruchswahrung erste Priorität beimisst. Beide Ziele werden sich jedenfalls im Anwendungsbereich von §§ 935, 940 ZPO im Regelfall nicht gleichzeitig verwirklichen lassen. So verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Der verstrichene Zeitraum von ca. 4 Monaten ist bei weitem zu lang, um das Interesse der Antragstellerin an einer zügigen Rechtsdurchsetzung belegen zu können.
3.
Die Auffassung der Antragstellerin, Gegenstand der Abmahnung vom 16.05.06 und der gerichtlichen Geltendmachung mit Antrag vom 28.09.06 seien unterschiedliche Sachverhalte gewesen, erweist sich im Ergebnis als unzutreffend. Dabei muss der Senat nicht zu der Frage Stellung nehmen, ob ein nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster in Form der Gestaltung des Produkts "XXX" (Anlage ASt12) - die Voraussetzungen eines urheberrechtlichen Schutzes hat die Antragstellerin nicht hinreichend dargelegt - bereits durch eine (früher festgestellte) Produktgestaltung "YYY" (Anlage ASt17) oder durch eine (später festgestellte) Produktgestaltung "ZZZ" (Anlage ASt1) verletzt ist.
a.
Denn die Antragstellerin hatte mit ihrem vorprozessualen Anwaltsschreiben vom 16.05.06 eine Rechtsverletzung der Antragsgegnerin pauschal abgemahnt. Sie hatte dabei weder nach dem konkreten Schutzgegenstand - also der Einzelproduktgestaltung, die kopiert worden ist - noch nach dem individuellen Verletzungsmuster - also der konkret übernommenen Produktgestaltung - differenziert. Vielmehr hatte die Antragstellerin die Verletzung in allgemeiner Form beanstandet ("... dass einige Produkte genau das Design tragen, welches unsere Mandantin bereits für einige andere Produkte entwickelt hat..."). Damit hat die Antragstellerin erkennbar keine konkrete Verletzung bestimmter Urheber- bzw. Geschmacksmuster beanstandet, sondern der Antragsgegnerin in erster Linie vertragsbrüchiges Verhalten vorgeworfen, welches sich letztlich (auch) in einer Mehrzahl von Urheberrechtsverletzungen ausgewirkt hat. Die Abmahnung war unbeschadet dessen ernsthaft und unmissverständlich, denn die Antragstellerin hat ihrem Standpunkt Ausdruck verliehen, dieses Verhalten nicht akzeptieren zu wollen und die Antragsgegnerin für den Verstoß schadensersatzpflichtig gemacht.
b.
Wählt ein Verletzer diesen Weg einer allgemeinen, umfassenden vorprozessualen Beanstandung, so ist er unter Dringlichkeitsgesichtspunkten gehindert, seine Beanstandung später auf konkrete Einzelprodukte zu stützen, wenn er durch sein zögerliches vorprozessuales Verhalten die Voraussetzungen für ein Eilverfahren im Hinblick auf die Gesamtbeanstandung verloren hat. Denn jedenfalls bei einer vertraglichen Bindung der Parteien waren alle konkreten, auch erst später entdeckten Einzelverstöße bereits von der ersten Abmahnung mit umfasst. Dementsprechend kann es insoweit auch nicht auf den Aspekt einer Intensivierung/Erneuerung der (späteren) Verletzungshandlung ankommen, auf die die Antragstellerin abstellt unter dem Gesichtspunkt eines Wiederauflebens der Dringlichkeit (siehe dazu Senat, Urt. vom 11.08.05, 5 U 19/05) abstellt. Für den Bereich des Wettbewerbsrechts hat das OLG Frankfurt in einem vergleichbaren Fall zutreffend entschieden, dass die Dringlichkeitsvermutung widerlegt ist, wenn der Antragsteller mehrere Wettbewerbsverstöße innerhalb einer Zeitungsanzeige (später) isoliert angreift, nachdem er unmittelbar zuvor die Gesamtanzeige angegriffen und diesen Angriff mit den Wettbewerbsverstößen innerhalb der Anzeige begründet hatte (OLG Frankfurt MD 06, 1175). Entsprechend verhält es sich im vorliegenden Fall, wenn die Antragstellerin zunächst ein vertragswidriges Gesamtverhalten abmahnt und erst später konkrete - ebenfalls vertragswidrige - Einzelverstöße angreift.
c.
Hierdurch wird die Antragstellerin in ihrer Rechtsdurchsetzung auch nicht unangemessen beeinträchtigt. Denn ihr steht unverändert die Möglichkeit einer Anspruchsverfolgung in einem Hauptsacheverfahren zur Seite.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
OLG Hamburg:
Beschluss v. 07.11.2006
Az: 5 W 156/06
Link zum Urteil:
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