Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 11. März 2011
Aktenzeichen: 6 W 610/10
(OLG München: Beschluss v. 11.03.2011, Az.: 6 W 610/10)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht München hat in einem Beschluss entschieden, dass ein Beweissicherungsgutachten an die Antragstellerin herausgegeben werden muss. Das Gutachten wurde im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens von einem Sachverständigen erstellt. Der Antragsgegner hatte sich gegen die Herausgabe des Gutachtens gewehrt und darauf hingewiesen, dass bei der Untersuchung auch Inhalte einer Internetdomain einbezogen wurden, obwohl dies nicht im Beweisbeschluss vorgesehen war. Das Gericht entschied, dass das Gutachten grundsätzlich an die Antragstellerin herausgegeben werden muss, da der Antragsgegner keine schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen dargelegt hatte. Allerdings umfasst der Beweisbeschluss nur die Untersuchung der in den Geschäftsräumen vorhandenen Computer und Speichermedien und nicht die Inhalte der Internetdomain. Daher darf das Gutachten nur ohne diese Inhalte an die Antragstellerin ausgehändigt werden. Die Kosten des Verfahrens werden teilweise von der Antragstellerin und teilweise vom Antragsgegner getragen. Es wird eine Streitwertfestsetzung vorgenommen. Die Zulassung einer Rechtsbeschwerde ist nicht gegeben.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG München: Beschluss v. 11.03.2011, Az: 6 W 610/10
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 13.11.2009 abgeändert.
Die Herausgabe des Beweissicherungsgutachtens vom 7. August 2009 des Sachverständigen Prof. Dr. P. S. € abgesehen von den Abbildungen 4.1 und 4.2 auf den Seiten 10 und 11 des Gutachtens € an die Antragstellerin wird angeordnet.
2. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Verfahrens haben die Antragstellerin 1/4 und der Antragsgegner 3/4 zu tragen.
4. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf € 200.000,-- festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 30.7.2009 ordnete das Landgericht die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu der Frage an, ob auf den Festplatten der Personalcomputer, Laptops und Server sowie auf den Datensicherungsmedien des Antragsgegners Kopien und/oder Bearbeitungen der Katalogsoftware "M. O. der Antragstellerin gespeichert sind. Mit Beschluss vom selben Tage (21 O 14158/09) wurde dem Antragsgegner bei Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel geboten, die "Untersuchung sämtlicher Personalcomputer, Laptops, Server und Datensicherungsmedien in
...
c. den Geschäftsräumen der Firma K. Software und Service GmbH, ...
durch einen Sachverständigen zu dulden und dem jeweils zuständigen Gerichtsvollzieher zu diesem Zweck Zutritt zu den genannten Räumen zu gewähren sowie gegebenenfalls dem jeweiligen Sachverständigen das für die Inbetriebnahme des jeweiligen Personalcomputers, Laptops, Servers und/oder Datensicherungsmedium und/oder die Öffnung versperrter Festplatten und/oder Dateien erforderliche Password mitzuteilen." Für die Dauer der Untersuchung wurde die amtliche Verwahrung der vorgenannten Personalcomputer, Laptops, Server und Datensicherungsmedien durch den zuständigen Gerichtsvollzieher angeordnet (Nr. 2). Nach Nr. 3 des Beschlusses erstrecken sich die zu duldenden Untersuchungen "auf die Feststellung, ob auf den Festplatten der Personalcomputer, Laptops und Server sowie auf den Datensicherungsmedien Kopien und/oder Bearbeitungen der Katalogsoftware "M. O." der Antragstellerin gespeichert sind. Dazu wird dem Sachverständigen gestattet:
a. Jeden Personalcomputer, Laptop und Server in Betrieb zu nehmen und an einen Drucker anzuschließen,
b. Einsicht in das Inhaltsverzeichnis der ausführenden Programmdateien und Datenbanken der jeweiligen Festplatte und des jeweiligen Datensicherungsmediums zu nehmen,
c. die auf dem Bildschirm erscheinende Auflistung von auf der jeweiligen Festplatte und dem jeweiligen Datensicherungsmedium gespeicherten Dateien auf einen von hm mitgebrachten Datenträger zu übertragen und zu sichern,
d. eventuell aufgefundene Programme der Antragstellerin zu starten und eine eventuell vorgefundene Seriennummer oder einen eventuell dort vermerkten Lizenznehmer zu notieren,
e. zu prüfen, ob und welche der auf der jeweiligen Festplatte und dem jeweiligen Datensicherungsmedium gespeicherten Computerprogramme oder Datenbanken die in Anlage AST 1 wiedergegebene Datei enthalten.
f. den Inhalt der jeweiligen Festplatte und des jeweiligen Datensicherungsmediums auf einen von dem Sachverständigen mitgebrachten Datenträger zu übertragen und zu sichern, insbesondere Computerprogramme, die mindestens eines der nachfolgend genannten Merkmale aufweisen:
...
g. die für jeden Personalcomputer, Laptop, Server und/oder jedes Datensicherungsmedium ermittelte Auflistung der ausführbaren Dateien auszudrucken.
h. dem Antragsgegner wird ferner aufgegeben, sämtliche Lizenzverträge, Kaufbelege und Rechnungen über die sich auf dem Personalcomputern und/oder Laptops befindlichen Computerprogramme gemäß Ziffer 3.f dem jeweiligen Gerichtsvollzieher zur Verwahrung herauszugeben.
Der Beschluss in vorliegendem Verfahren und der Beschluss im Verfahren 21 O 14158/09 wurde mit Beschluss vom 10.9.2009 hinsichtlich der Verpflichtung der Verschwiegenheit hinsichtlich des Sachverständigen und der Rechtsanwälte Dr. D. und B. ergänzt.
Über das Ergebnis der Besichtigung in den Räumen des Antragsgegners in München ... erstattete der beauftragte Sachverständige Prof. Dr. S. ein schriftliches Gutachten vom 7.8.2009.
Mit Verfügung vom 10.9.2009 wurde den anwaltlichen Vertretern der Antragstellerin das Gutachten übersandt.
Mit Schriftsatz vom 7.9.2009 erklärte der Antragsgegner, er stimme einer Herausgabe des Gutachtens an die Antragstellerin nicht zu. Er machte geltend, bei den Untersuchungen am 4.8.2009 habe der Gutachter auch die Inhalte der Internetdomain www.k...com, welche bei dem Internetprovider 1&1 gekostet sei, einbezogen. Dies sei von dem Gutachtensauftrag nicht gedeckt gewesen. Der hiergegen vorgebrachte Einwand sei nicht beachtet worden.
Mit Schriftsatz vom 13.10.2009 beantragte die Antragstellerin, ihr das Gutachten zugänglich zu machen. Von Seiten des Antragsgegners seien keine berechtigten Geheimhaltungsinteressen geltend gemacht worden. Könne sich der Antragsgegner nicht auf Geheimhaltungsinteressen berufen, sei der Einwand, die Besichtigung der bei dem Internetprovider gehosteten Inhalte sei nicht umfasst gewesen, von vornherein irrelevant. Im Übrigen greife der Einwand auch nicht durch, da der Beschluss auch die bei dem Internetprovider gehosteten Inhalte umfasst habe. Gegenstand der Untersuchung seien "sämtliche Personalcomputer, Laptops, Server und Datensicherungsmedien" gewesen. Damit sei naturgemäß auch die Untersuchung solche Server und Datensicherungsmedien erfasst, mit denen diese in Verbindung stünden. Es sei lebensfremd, externe Datenspeicher, auf die Daten ausgelagert worden seien und auf die über besagte Geräte regelmäßig zugegriffen werde, nicht mit einzubeziehen. Die Auslagerung von Dateien auf Servern an unbekannten Orten auf der Welt, sei gängige Praxis. Entscheidend sei also nur, zu welchen (virtuellen) Speicherorten besagte Computer/Laptops in Verbindung stehen. Dies sei auch der Antragsschrift auf Seite 19 zu entnehmen. Dass der Einwand des Antragsgegners nicht beachtet worden sei, sei unzutreffend. Der Antragsgegner habe sich dem Aufruf des Datenspeichers bei dem Internetprovider trotz der Anwesenheit seines Prozessbevollmächtigten nicht widersetzt.
Hierzu nahm der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 2.11.2009 Stellung, in dem er seine Einwände gegen die Herausgabe des Gutachtens wiederholte und ergänzte.
Mit Beschluss vom 13.11.2009, der Antragstellerin zugestellt am 25.11.2009, wies das Landgericht den Antrag auf Herausgabe des Gutachtens zurück, da keine schutzwürdigen Interessen der Antragstellerin an der Herausgabe des Gutachtens zu erkennen seien. Bei der Überprüfung habe der Sachverständige zwar eine Verzeichnisstruktur mit möglicherweise, aber nicht sicher relevanten Verzeichnisnamen entdeckt. Weitere Untersuchungen seien aber nicht möglich gewesen. Diese Feststellungen erlaubten keine schlüssigen Ergebnisse hinsichtlich der dem Antragsgegner vorgeworfenen Urheberrechtsverletzung durch von Verwendung von Dateien der Software der Antragstellerin über bloße Verdachtsmomente hinaus. Es sei weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, welche weiteren erfolgversprechenden Schritte die Antragstellerin im Hinblick auf ihre sich auch durch das Gutachten nicht entscheidend veränderte Beweisnot auch und gerade mit Hilfe des Gutachtens unternehmen könnte, um weitere Erkenntnisse bezüglich der Beweisfrage zu gewinnen. Daher gebiete es die nach § 101 a UrhG insbesondere im Hinblick auf Art. 12 und 13 GG zu treffende Abwägung zwischen den jeweiligen schutzwürdigen Interessen der Parteien eine Kenntnisnahme der Antragstellerin selbst von den bei der Durchführung des Besichtigungstermins gewonnenen Erkenntnissen nicht zu ermöglichen, die immerhin Erkenntnisse über Einzelheiten des Programms des Antragsgegners enthielten, die ihr vorher nicht bekannt gewesen seien. Auf die Frage, ob die Beschlüsse des Gerichts, die insoweit nicht eindeutig auch externe Server umfassten, zu weit ausgelegt worden seien, komme es nicht an.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der am 4.12.2009 eingelegten sofortigen Beschwerde. Sie macht geltend:
Die Argumentation des Landgerichts, das Gutachten helfe € nach der Einschätzung des Gerichts € der Antragstellerin nicht weiter und müsse deshalb nicht herausgegeben werden, sei unzutreffend. § 101 a Abs. 3 Satz 2 UrhG setze die Darlegung von Geheimhaltungsinteressen voraus. Erst dann habe das Gericht diese mit den Interessen der Antragstellerin abzuwägen und darüber zu entscheiden, ob die Herausgabe zu verweigern ist oder ob zumindest die relevanten, vom Antragsgegner als geheimhaltungsbedürftig bezeichneten Passagen des Gutachtens unkenntlich gemacht werden. Das Landgericht habe demgegenüber den umgekehrten Weg beschritten, wenn es zunächst von der Antragstellerin die Darlegung verlange, weshalb sie ein schutzwürdiges Interesse an dem Gutachten habe. Es verlange sogar, dass sie darlege, wie ihr das Gutachten weiterhelfen könne. Dies sei aber der Antragstellerin logischerweise nicht möglich, da sie das Gutachten ja gerade nicht kenne. Erst dann prüfe das Gericht Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners.
Da der Antragsgegner auch im Schriftsatz vom 2.11.2009 lediglich pauschal ein Geheimhaltungsinteresse behaupte, das sich allein aus seinen Grundrechten ergeben solle, bestehe ein Anspruch auf Herausgabe des Gutachtens.
Sie beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Antrag gemäß Schriftsatz vom 13.10.2009 stattzugeben.
Der Antragsgegner beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt die Entscheidung des Landgerichts. Der Schutzbereich eines Grundrechts verbiete grundsätzlich jeglichen Eingriff in die geschützten Rechtsgüter. Nur ausnahmsweise gewährten Vorbehalte die Möglichkeit eines zulässigen Eingriffs. § 101 a UrhG i. V. m. dem Beschluss vom 30.7.2009 komme hierfür jedoch nicht in Betracht, da die darin gesetzten Grenzen missachtet worden seien. Von Seiten der Antragstellerin sei Einsicht auch in die Inhalte der Domain www.k...com genommen worden, obwohl dies in der einstweiligen Verfügung ausdrücklich nicht gestattet worden sei. Deshalb sei die Erstellung des Gutachtens grundrechtswidrig. Allein dies rechtfertige die Verweigerung der Herausgabe des Gutachtens. Der Darlegung weiterer schutzwürdiger Interessen bedürfe es nicht.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 22.12.2009 nicht abgeholfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft, da mit dem angefochtenen Beschluss ein das Verfahren betreffendes Gesuch € Herausgabe des Gutachtens € abgelehnt wurde (OLG Düsseldorf InstGE 8, 186; OLG Düsseldorf InstGE 9, 41; Kühnen, Mitt. 2009, 211, 217). Die sofortige Beschwerde ist auch zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1 und 2 ZPO).
29In der Sache ist sie jedoch nur teilweise begründet. Da Geheimhaltungsinteressen von Seiten des Antragsgegners nicht dargetan wurden (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 16.11.2009 € X ZB 37/08 € Lichtbogenschnürung) ist das eingeholte Sachverständigengutachten grundsätzlich an die Antragstellerin auszuhändigen. Dies gilt jedoch nicht für Inhalte, auf die sich der Beweisbeschluss gar nicht bezieht.
1. Die Beweisaufnahme im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens erfolgt gemäß § 492 Abs. 1 ZPO nach den für die Aufnahme des betreffenden Beweismittels geltenden Vorschriften € hier nach den Bestimmungen der §§ 402 ff ZPO über den Beweis durch Sachverständige. Nach der Regelung des § 411 Abs. 1 ZPO hat der Sachverständige das schriftlich erstellte Gutachten an das Gericht zu übermitteln (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 411 Rdn. 3). Das Gericht muss, wie sich aus den Bestimmungen der Regelung in § 411 Abs. 3 und 4 ZPO ergibt, das schriftliche Gutachten an jede Partei in einer Abschrift übersenden (vgl. Zöller/Greger aaO Rdn. 4; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 492 Rdn. 4; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rdn. 586). Eine abweichende Handhabung ist auch für das Beweissicherungsverfahren nicht vorgesehen (vgl. BGH aaO Tz. 35 € Lichtbogenschnürung; Reichold, in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl., § 492 Rdn. 3). Nach allgemeiner Auffassung endet das selbständige Beweisverfahren in der Regel mit dem Zugang des Sachverständigengutachten an die Parteien (vgl. BGH NJW 2002, 1640). Folglich kann das Gericht die Aushändigung des Gutachtens an die beweispflichtige Partei bzw. den Antragsteller des Beweissicherungsverfahrens nicht davon abhängig machen, ob der Inhalt des Gutachtens die Beweisbehauptung € aus der Sicht des Gerichts € bestätigt hat oder nicht. Kann der Antragsgegner keine Geheimhaltungsinteressen an dem Inhalt des Gutachtens darlegen, kommt es auf die Frage, ob das Gutachten die geltend gemachte Schutzrechtsverletzung zu belegen vermag, nicht an.
312. Die Aushändigung des vollständigen Gutachtens kann vorliegend jedoch deshalb nicht erfolgen, weil der Beweisbeschluss, mit dem die Einholung des Sachverständigengutachtens in Auftrag gegeben wurde, nicht die Feststellung zu Inhalten der Domain www.k...com umfasst. Dies ergibt sich weder aus dem Inhalt des Beweisbeschlusses in dem vorliegenden Verfahren bzw. der hierzu ergangenen Duldungsverfügung in dem Verfahren 21 O 14158/09 noch aus der Begründung des Antrags der Antragstellerin.
32a. Der Beweisbeschluss bezieht sich seinem Wortlaut nach € wie unter I. wiedergegeben € nur auf die Untersuchung der Festplatten der in den genannten Geschäftsräumen vorhandenen Personalcomputer, Laptops, Server und der sonstigen Datensicherungsmedien. Gleiches gilt für die gleichzeitig ergangene Sicherungsverfügung, mit der der Antragsgegner zur Duldung der Untersuchung sowie zur Mitwirkung angehalten wurde. Auch das Gebot, dem jeweiligen Sachverständigen das für die Inbetriebnahme des jeweiligen Personalcomputers, Laptops, Servers und/oder Datensicherungsmedium und/oder für die Öffnung versperrter Festplatten und/oder Dateien erforderliche Password mitzuteilen, betrifft nur die in den Geschäftsräumen körperlich vorhandenen Computer sowie Speichermedien. Auch die Gestattung gegenüber dem Sachverständigen (siehe die Aufzählung unter I.) bezieht sich nicht auf die Herstellung einer Internetverbindung zu auf bei Providern ausgelagerten Inhalten. Ebenso wenig gibt die Begründung des Antrags Anlass für die von der Antragstellerin gewollte erweiterte Auslegung. Insbesondere wird auf Seite 19 der Antragsschrift nicht auf bei Providern gehostete Inhalte abgestellt, sondern es werden € theoretische € Ausführungen dazu gemacht, ob sich der Antragsgegner den "Datenträger, auf dem die kopierte Software gespeichert ist, beschaffen kann", ohne dass ein konkreter Bezug zu der vorliegenden Fallgestaltung erkennbar wird, worauf bereits in der Verfügung vom 8.1.2010 hingewiesen wurde.
b. Der Auffassung der Antragstellerin, dass der Beweisbeschluss, obwohl er sich € wie beantragt € nur auf die in den bezeichneten Räumen des Antragsgegners befindlichen Festplatten von Computern und von Servern und auf Speichermedien bezieht, auch solche Datenspeicher erfasst, "die sich zwar physisch an einem anderen Ort befinden, aber tatsächlich nichts anderes als eine weitere, externe Festplatte des zu besichtigenden Computers/Laptops/Servers etc. darstellen", ist mit den Grundsätzen der Bestimmtheit von gerichtlichen Entscheidungen und deren Auslegung nicht mehr zu vereinbaren, da sich eine dahingehende Reichweite weder aus dem Wortlaut noch aus der Begründung des Antrags entnehmen lässt.
34Nach § 101 a Abs. 1 UrhG kann unter den dort genannten Voraussetzungen die Vorlage einer Urkunde oder die Besichtigung einer Sache von einem vermeintlichen Verletzer verlangt werden. Nach Abs. 3 kann der Anspruch auch im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden € hier in Gestalt der einstweiligen Verfügung in dem Verfahren 21 O 14158/09. Zu Recht ist das Landgericht (unausgesprochen) davon ausgegangen, dass es sich bei der Festplatte eines Computers bzw. eines Server sowie bei sonstigen Speichermedien, die sich in den genannten Räumen befinden, um "Sachen" im Sinne des § 101 a Abs. 1 UrhG handelt, die in der Verfügungsgewalt des Besichtigungsschuldners stehen. Dass ein Datenträger, auf dem Software gespeichert ist, als Sache anzusehen ist, entspricht der allgemeinen Auffassung (vgl. Czychowski, in Fromm/Nordemann, UrhG, 10. Aufl., § 101 a Rdn. 4; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 140 c Rdn. 32; Hacker, in Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 19 a Rdn. 9; jeweils m. w. N.; vgl. auch Müller-Stoy, Nachweis und Besichtigung des Verletzungsgegenstandes im deutschen Patentrecht, 2008, Rdn. 111, Seite 67). Inwieweit diese Voraussetzungen auch für Software zutrifft, die nicht auf Datenträger gespeichert ist, die sich in den Räumlichkeiten des Antragsgegners befinden, sondern von einem in den fraglichen Geschäfträumen befindlichen Computer (wie auch von jedem sonstigen Computer aus, vgl. den Schriftsatz der Antragstellerin vom 20.1.2010 zum Begriff der "Verbindung" als Stellungnahme auf den Hinweis des Gerichts vom 8.1.2010) über einen Internetanschluss abrufbar ist, hat das Landgericht mangels dahingehenden Antrags und Vortrags von Seiten der Antragstellerin (vgl. zur Verpflichtung der genauen Bezeichnung der zu besichtigenden Sache Hacker aaO Rdn. 11; Dreier, in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 101 a Rdn. 4, 5; Wandtke/Bullinger/Ohst, UrhG, 3. Aufl., § 101 a Rdn. 15; jeweils m. w. N.; Schulte/Kühnen aaO Rdn. 42) nicht geprüft. Insbesondere kann aufgrund der detaillierten Auflistung der Befugnisse des Sachverständigen (siehe unter I.), die sich nur auf die Untersuchung der genannten Festplatten und Speichermedien in den Räumen des Antragsgegners beziehen, nicht eine Erweiterung des Beweisbeschlusses dahingehend vorgenommen werden, dass dem Sachverständigen darüber hinaus auch die Befugnisse eingeräumt werden, wie sie seit der Neuregelung seit 2008 den Strafverfolgungsbehörden durch § 110 Abs. 3 StPO bei der Durchsicht eines elektronischen Speichermediums unter bestimmten Voraussetzungen auch in Bezug auf hiervon räumlich getrennten Speichermedien, sowie auf sie von dem Speichermedium aus zugegriffen werden kann, zur Verfügung stehen.
c. Folglich greift auch der Einwand der Antragstellerin, angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten und Entwicklungen € beispielsweise "Cloud Computing" (vgl. hierzu Obenhaus, NJW 2010, 651 ff) € könne dem Sinn und Zweck von § 101 a UrhG nur Rechnung getragen werden, wenn der Antragsteller auch solche "ausgelagerten" Datenspeicher besichtigen könne, nicht durch. Denn es ist zunächst allein Sache der Antragstellerin einen Antrag zu stellen, mit dem der Gegenstand des Verfahrens € hier die zu besichtigenden Sachen und die Befugnisse des Sachverständigen einschließlich der Duldungs- bzw. Mitwirkungspflichten des Besichtigungsschuldners € eindeutig festgelegt werden (Schulte/Kühnen aaO Rdn. 42).
d. Erfasst der Beweisbeschluss vom 30.7.2009 somit, wie vom Antragsgegner bei der Besichtigung am 4.8.2009 ohne Erfolg geltend gemacht (vgl. Schriftsatz vom 2.11.2009, Seite 3 f), nicht die Besichtigung von "ausgelagerten" Daten in Gestalt der Domain www.k...com, kann die Antragstellerin, da auch eine nachträgliche Erweiterung des Beweisbeschlusses nicht stattgefunden hat, nicht verlangen, die nicht vom Beweisbeschluss gedeckten Feststellung des Sachverständigen zu diesen Inhalten ausgehändigt zu bekommen. Folglich ist ihr das Gutachten nur ohne die auf den Seiten 11 und 12 wiedergegebenen Abbildungen 4.1 und 4.2 auszuhändigen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wurde gemäß § 47 Abs. 1 GKG festgesetzt.
5. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 3 ZPO) liegen nicht vor.
OLG München:
Beschluss v. 11.03.2011
Az: 6 W 610/10
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