Landgericht Berlin:
Urteil vom 1. Juni 2007
Aktenzeichen: 103 O 246/06

(LG Berlin: Urteil v. 01.06.2007, Az.: 103 O 246/06)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Landgericht Berlin hat in einem Urteil vom 1. Juni 2007 entschieden, dass die Anwaltskosten eines zu Unrecht Abgemahnten nicht gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG analog erstattungsfähig sind, auch nicht die nicht auf die Verfahrenskosten anrechenbare halbe Geschäftsgebühr. Die Klage wurde abgewiesen und die Klägerin wurde dazu verurteilt, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar und die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden, indem sie Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrags zuzüglich 10% leistet. Die Berufung wurde zugelassen.

Im Tatbestand wird dargelegt, dass die Klägerin die Erstattung von Anwaltskosten verlangt, die durch die Abwehr einer unbegründeten Abmahnung entstanden sind. Der Beklagte hatte die Klägerin wegen zweier Wettbewerbsverstöße in einer Fernsehwerbung abgemahnt. Die Klägerin gab daraufhin hinsichtlich eines Verstoßes eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, wies die Abmahnung im Übrigen jedoch zurück. Das Landgericht Bochum wies die daraufhin erhobene Unterlassungsklage ab und legte dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auf.

Die Klägerin forderte daraufhin die Zahlung der vorprozessual entstandenen Geschäftsgebühr vom Beklagten, die nicht auf die Gebühren des nachfolgenden Prozesses anrechenbar ist. Der Beklagte wies die Forderung zurück. Die Klägerin argumentierte, dass die Geschäftsgebühr durch die Tätigkeit zur Abwehr der Abmahnung entstanden sei und der Abmahnende gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG analog die Kosten der Abwehr der Abmahnung tragen müsse, falls sich herausstellt, dass die Abmahnung unbegründet war. Der Beklagte argumentierte, dass die vorprozessuale Tätigkeit der Anwälte der Klägerin nicht der Vorbereitung eines Prozesses gedient habe, sondern der Verhinderung eines Prozesses.

Das Landgericht Berlin entschied, dass die Klage nicht begründet ist. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Ersatz der ihr durch die Abwehr der unbegründeten Abmahnung entstandenen Kosten gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG analog. Auch ein Anspruch aus § 678 BGB oder § 823 BGB bestehe nicht. Die Abmahnung werde nicht als Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb angesehen und stelle keine gezielte Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 10 UWG dar. Die Benachteiligung des zu Unrecht Abgemahnten durch § 12 UWG stelle keinen Wertungswiderspruch dar.

Das Landgericht Berlin ließ die Berufung zu und begründete dies mit dem Hinweis auf die Fortbildung des Rechts.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LG Berlin: Urteil v. 01.06.2007, Az: 103 O 246/06


Anwaltskosten eines zu Unrecht Abgemahnten sind nicht gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG analog zu ersetzen, auch nicht die nicht auf die Verfahrenskosten anrechenbare halbe Geschäftsgebühr.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt die Erstattung von Anwaltskosten. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beklagte mahnte die Klägerin am 27.04.2006 wegen zweier Wettbewerbsverstöße in einer Fernsehwerbung der Klägerin ab. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 04.05.2006 gab die Klägerin hinsichtlich eines Verstoßes eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Im Übrigen wies sie die Abmahnung zurück, weil sie die angegriffene Aussage nicht für wettbewerbswidrig hielt.

Die anschließend erhobene Unterlassungsklage wies das Landgericht Bochum durch Urteil vom 20.07.2006 ab. Dem (hiesigen) Beklagten wurden die Kosten des Rechtsstreits nach einem Wert von 20.000,-- € auferlegt.

Mit Schreiben vom 26.07.2006 verlangte die Klägerin unter Fristsetzung zum 09.08.2006 die Zahlung der vorprozessual entstandenen Geschäftsgebühr, soweit diese nicht auf die Gebühren des nachfolgenden Prozesses anrechenbar ist, d. h. eine 0,65-fache Gebühr nach einem Gegenstandswert von 20.000,-- € = 419,90 € zuzüglich 20,-- € Post- und Telekommunikationspauschale. Mit Schreiben vom selben Tag wies der Beklagte die Forderung zurück.

Die Klägerin trägt vor: Die Geschäftsgebühr sei durch die Tätigkeit zur Abwehr der Abmahnung entstanden. Stelle sich heraus, dass die Abmahnung unbegründet war, müsse aus Gründen der Waffengleichheit der Abmahnende in analoger Anwendung von § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG die Kosten der Abwehr der Abmahnung tragen. Anderenfalls ergebe sich ein Wertungswiderspruch, weil im Fall der begründeten Abmahnung der Abgemahnte stets die Kosten der Abmahnung zu tragen habe.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 439,90 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 10.08.2006 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor: Die vorprozessuale Tätigkeit der Anwälte der Klägerin habe nicht der Vorbereitung eines Prozesses, sondern der Verhinderung eines Prozesses gedient. Die dafür entstandenen Kosten seien daher nicht erstattungsfähig.

Ein Wertungswiderspruch bestehe nicht. Die Ungleichbehandlung von Abmahnendem und Abgemahntem im Fall der unbegründeten Abmahnung sei eine vom Gesetzgeber gewollte Privilegierung des Abmahnenden, dessen Bemühungen, seine Rechte zu schützen, nicht schon durch das Kostenrisiko im Falle einer fahrlässigen Fehleinschätzung der Rechtslage erschwert werden sollten.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze Bezug genommen.

Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch die Vorsitzende Richterin einverstanden erklärt.

Gründe

Die Klage ist zulässig. Ihr mangelt es nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Dieses fehlt, wenn der Kläger sein Ziel auf einfacherem Weg erreichen könnte. Hier wäre an das Kostenfestsetzungsverfahren zu denken. Angesichts divergierender Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte zur Frage der Erstattungsfähigkeit und Festsetzbarkeit der zur Abwehr einer unbegründeten Abmahnung entstandenen Kosten (bejahend OLG Hamburg, Beschluss vom 07.06.2006, 8 W 16/06, verneinend OLG Stuttgart, MD 2007, 399) kann die Klägerin nicht auf den unsicheren Weg des Kostenfestsetzungsverfahrens verwiesen werden.

15Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG analog auf Ersatz der ihr durch die Abwehr der unbegründeten Abmahnung entstandenen Kosten.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der nicht auf die Verfahrensgebühr anzurechnende Teil der Geschäftsgebühr als Vorbereitungskosten gemäß § 91 ZPO festsetzbar wäre. Denn ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch wird durch die Regelungen der §§ 91 ff. ZPO nicht von vorn herein ausgeschlossen. Jedoch müssen die Voraussetzungen einer materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage erfüllt sein.

Auf eine analoge Anwendung von § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG kann sich die Klägerin nicht stützen. Die analoge Anwendung eines Gesetzes auf einen anderen, aber rechtsähnlichen Tatbestand setzt voraus, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält. Das kann nicht angenommen werden. Das Problem, ob dem zu Unrecht Abgemahnten Schadensersatzansprüche gegen den Abmahner zustehen, insbesondere weil er zur Abwehr der Abmahnung einen Anwalt eingeschaltet hat, ist seit langem bekannt und Gegenstand zahlreicher Entscheidungen (vgl. OLG Hamburg, NJW-RR 2003, 857, m.w.N.), in denen ein solcher Anspruch in der Regel verneint wurde. Der Gesetzgeber hätte daher bei der Neufassung des UWG ohne Weiteres eine diese Rechtsprechung ändernde Regelung treffen können. Dies ist jedoch nicht erfolgt. Eine planwidrige Regelungslücke besteht daher nicht.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch aus § 678 BGB. Sieht man in der Abmahnung eine Geschäftsführung ohne Auftrag des Abmahnenden für den Abgemahnten, wie dies vor Einführung des § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG angenommen wurde, um einen Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten zu begründen, so steht die Übernahme der Geschäftsführung bei unbegründeter Abmahnung zweifellos im Widerspruch mit dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherren, des Abgemahnten. Der Schadensersatzanspruch setzt aber weiter voraus, dass der Geschäftsführer dies erkennen konnte. Das ist dann nicht der Fall, wenn der Abmahnende eine Rechtsauffassung hat, die durchaus vertretbar ist, letztlich von dem angerufenen Gericht aber nicht geteilt wird. Gerade im hier betroffenen Bereich der Werbung für Lebensmittel mit Aussagen, die sich auf die Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten beziehen, bestehen erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten.

Es besteht auch kein Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB. Die unbegründete wettbewerbsrechtliche Abmahnung wird, anders als die unbegründete Schutzrechtsverwarnung, regelmäßig nicht als Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb angesehen. Ebenso wenig stellt sie eine gezielte Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 10 UWG dar, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten. Solche sind hier jedoch nicht erkennbar.

Die Benachteilung des zu Unrecht Abgemahnten durch § 12 UWG stellt keinen Wertungswiderspruch dar. Die deutsche Rechtsordnung kennt keinen generellen Kostenerstattungsanspruch gegen denjenigen, der sich unberechtigt eines Rechts berühmt. Mit unberechtigten Ansprüchen konfrontiert zu werden, gehört zum allgemeinen Lebensrisiko, soweit nicht die Voraussetzungen einer speziellen Haftungsnorm erfüllt sind (BGH VersR 2007, 507). Dies ist, wie dargelegt, nicht der Fall.

Insofern hat sich auch durch die Neuregelung des RVG nichts geändert. Auch wenn jetzt die vorgerichtlich entstandenen Anwaltsgebühren anders als früher nicht mehr vollständig auf die Gebühren des nachfolgenden Gerichtsverfahrens angerechnet werden, handelt es sich nach wie vor um das seit langem bekannte Problem, ob die Aufwendungen des zu Unrecht Abgemahnten vom Abmahnenden zu erstatten sind oder nicht.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO ist zur Fortbildung des Rechts die Berufung zuzulassen.






LG Berlin:
Urteil v. 01.06.2007
Az: 103 O 246/06


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/d7a9ac417335/LG-Berlin_Urteil_vom_1-Juni-2007_Az_103-O-246-06




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share