Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. April 2006
Aktenzeichen: 27 W (pat) 112/05

(BPatG: Beschluss v. 11.04.2006, Az.: 27 W (pat) 112/05)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat entschieden, dass die angefochtene Entscheidung der Markenstelle, die die Anmeldung einer Bildmarke für "Taschen, Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen" zurückgewiesen hatte, aufgehoben wird. Die Markenstelle hatte die Anmeldung als nicht unterscheidungskräftige Angabe abgelehnt, da die angemeldete Abbildung nur eine Nahtlinie zeigt, die typisch für Bekleidungsstücke, Schuhe und Taschen ist. Die Anmelderin war anderer Meinung und argumentierte, dass die Darstellung keine Teile der beanspruchten Waren wiedergibt und sich erheblich von üblichen Nähmustern unterscheidet. Das Bundespatentgericht stimmte der Anmelderin zu und kam zu dem Schluss, dass die angemeldete Bildmarke das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft besitzt. Die Entscheidung der Markenstelle wurde daher aufgehoben.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 11.04.2006, Az: 27 W (pat) 112/05


Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 7. Februar 2005 und 3. Mai 2005 aufgehoben.

Gründe

I Die Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit den angefochtenen Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren erging, die Anmeldung der für "Taschen, Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen" als Bildmarke beanspruchten Kennzeichnung Grafiknach § 37 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG als nicht unterscheidungskräftige Angabe zurückgewiesen, weil die angemeldete Abbildung keine über die typische Gestaltung der beanspruchten Waren hinausreichenden Merkmale aufweise; vielmehr werde der angesprochene Verkehr hierin nur eine Nahtlinie und damit ein typisches Ausstattungsmerkmal von Bekleidungsstücken, Schuhen und Taschen sehen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie ist der Ansicht, dass der angemeldeten Darstellung, die ausdrücklich nur als Bild- und nicht als dreidimensionale Marke angemeldet worden sei, ähnlich wie bei der vom Bundesgerichtshof für schutzfähig erachteten Jeans-Hosentasche (BGH GRUR 2001, 734) die erforderliche Unterscheidungskraft nicht fehle. Sie stelle weder die beanspruchten Waren noch deren Teile dar. Auch unterscheide sich die Darstellung erheblich von den allgemein üblichen oder gängigen Nähten auf Gesäßtaschen; die nicht näher belegte Annahme der Markenstelle, der Verkehr sei an Nähte oder Aufmachungen gewöhnt, welche der angemeldeten Darstellung entspreche, träfe ebenfalls nicht zu.

In der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin ihren Standpunkt aufrechterhalten und vertieft.

II Die zulässige Beschwerde ist begründet, weil entgegen der Auffassung der Markenstelle der angemeldeten zweidimensionalen Darstellung das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG letztlich nicht abgesprochen werden kann.

1. Unterscheidungskraft im Sinne dieser Vorschrift ist nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH MarkenR 2003, 187, 190 [Rz. 41] - Gabelstapler, WRP 2002, 924, 930 [Rz. 35] - Philips/Remington) und des Bundesgerichtshofs (vgl. (BGH GRUR 2000, 502, 503 - St. Pauli Girl; GRUR 2000, 720, 721 - Unter Uns) die Eignung einer Marke, vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher (vgl. EuGH GRUR 2003, 604, 605 - Libertel; GRUR 2004, 943, 944 - SAT.2) als Unterscheidungsmittel für die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden. Trotz des grundsätzlich gebotenen großzügigen Maßstabs (st. Rspr., vgl. BGH, GRUR 1995, 408 [409] - PROTECH; BGH GRUR 2001, 413, 415 - SWATCH) fehlt einer Kennzeichnung die Unterscheidungskraft stets dann, wenn die angesprochenen Verkehrskreise in ihr keinen Hinweis auf die Herkunft der beanspruchten Waren oder Dienstleistungen aus einem bestimmten Unternehmen sehen, was etwa bei einem für die fraglichen Waren oder Dienstleistungen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt (vgl. BGH GRUR 2001, 1151, 1153 - marktfrisch; GRUR 2003, 1050, 1051 - City-Service; BGH, GRUR 2001, 162, 163 m. w. N. - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION) oder bei Werbeaussagen allgemeiner Art (vgl. BGH MarkenR 2000, 262, 263 - Unter uns; WRP 2000, 298, 299 - Radio von hier; WRP 2000, 300, 301 - Partner with the best; GRUR 2001, 1047, 1048 - LOCAL PRESENCE, GLOBAL POWER; GRUR 2001, 735, 736 - "Test it."; GRUR 2002, 1070, 1071 - Bar jeder Vernunft) der Fall ist. Diese Grundsätze gelten auch für ein als Marke angemeldetes Bildzeichen, das nur dann nicht mehr unterscheidungskräftig ist, wenn es die im Warenverzeichnis genannten Waren naturgetreu bildlich wiedergibt (BGH WRP 1997, 755 - Autofelge; WRP 1999, 526 - Etiketten, mit weiteren Nachw.) oder wenn es sich bei ihm um eine einfache geometrische Form oder ein sonstiges einfaches graphisches Gestaltungselement handelt, die - wie dem Verkehr aus Erfahrung bekannt ist - in der Werbung, auf der Ware, ihren Verpackungen oder auf Geschäftsbriefen üblicherweise in bloß ornamentaler, schmückender Form verwendet werden (vgl. BGH GRUR 2000, 502, 503 - St. Pauli Girl; GRUR 2001, 734, 735 - Jeanshosentasche; HABM Mitt. 2001, 273, 275 - M-förmige Steppnähte). Nach diesen Grundsätzen verfügt das hier in Rede stehende Bildzeichen über das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft.

2. Entgegen der Auffassung der Markenstelle kann die Unterscheidungskraft der vorliegend als bloßer Bildmarke angemeldeten Kennzeichnung nicht mit der Begründung verneint werden, bei der darin wiedergegebenen Strichführung handele es sich um die Wiedergabe eines Nahtmusters als Bestandteile der beanspruchten Kleidungsstücke, Schuhe und Kopfbedeckungen.

a) Soweit damit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass sie unmittelbarer Teil der betreffenden Kleidungsstücke, Schuhe und Kopfbedeckungen sein könne, diese also entsprechend gestaltete Nähte aufweisen können, kann dies einen Ausschluss der Schutzfähigkeit der angemeldeten Bezeichnung nicht begründen; denn dies würde eine dreidimensionale Verwendung der Anmeldemarke voraussetzen, von der aber bei der hier als bloßer Bildmarke angemeldeten Kennzeichnung nicht ausgegangen werden kann.

Der Prüfung, ob eine Kennzeichnung vom Verkehr als warenbeschreibend oder als einfaches Ornament, nicht aber als Herkunftshinweis angesehen wird, sind zwar alle möglichen Verwendungen zugrundezulegen, die bei markenmäßigen Kennzeichnungen üblich sind. Dabei ist aber zu beachten, dass die Art und Weise einer Verwendung als Marke nicht bei allen Markenformen gleich sind. So sind etwa die Möglichkeiten zur Kennzeichnung einer Ware mit einer Positions- oder Aufmachungsmarke ganz erheblich gegenüber denjenigen bei Wort- oder Bildmarken eingeschränkt. Aber auch die Verwendung einer dreidimensionalen Marke weicht nicht unerheblich von einer bloßen Bildmarke ab, weil letztere als bloße zweidimensionale Kennzeichnung dreidimensionale Formen nur als Projektion - also statt in drei nur in zwei Dimensionen - wiedergeben kann; die Projektion eines dreidimensionalen Objekts auf eine (zweidimensionale) Fläche führt aber zwingend zu einer erkennbaren Veränderung der in dem dreidimensionalen Objekt vorhandenen Proportionen.

Da es somit ausgeschlossen ist, dass eine Bildmarke eine dreidimensionale Form annehmen kann, kommt bei ihr als Verwendung bei Waren, die - wie die hier in Rede stehenden - nur in dreidimensionaler Form denkbar sind, nur ihre zweidimensionale Wiedergabe, etwa als aufgedrucktes oder aufgenähtes Bild, in Betracht; demgegenüber ist eine Verwendung als unmittelbarer Teil dieser Waren - bei den vorliegend beanspruchten Kleidungsstücken, Schuhen und Kopfbedeckungen etwa in Form einer Ärmel-, Hosen- oder Schuhnaht - von vornherein nicht möglich, weil eine Naht als Bestandteil dieser (dreidimensionalen) Waren nur in einer dreidimensionalen Form herstellbar ist. Zwar ist es durchaus denkbar, dass die angemeldeten Bekleidungsstücke, Schuhwaren und Kopfbedeckungen Nähte aufweisen, welche eine Gestaltung - insbesondere eine Linienführung - aufweisen, die der in der angemeldeten Bildmarke wiedergegebenen Form entspricht. Da eine Bildmarke aber wie vorliegend ausgeführt keine dreidimensionale Form haben kann, würde es sich bei einer solchen Nahtführung nicht mehr um die Wiedergabe der hier zu beurteilenden Bildmarke, sondern um eine Verwendungsweise handeln, welche von dieser erheblich abweicht; damit würde eine solche Ausstattung der beanspruchten Waren - soweit die angesprochenen Verkehrskreise hierin überhaupt eine kennzeichenmäßige Verwendung sehen sollten - den kennzeichnenden Charakter der angemeldeten Bildmarke erheblich i. S. d. § 26 Abs. 3 MarkenG verändern, so dass eine solche (kennzeichenmäßige) Verwendung vom Verkehr nicht mehr als mit der zu beurteilenden Bildmarke identisch angesehen werden würde; denn bei einer solchen Verwendung erhielten die auf der zweidimensionalen Wiedergabe in Projektion erkennbaren Rundungen, die sich bei ihrer "Auflösung" in drei Dimensionen erkennbar verändern, ein hiervon deutlich abweichendes Erscheinungsbild.

b) Die erforderliche Unterscheidungskraft kann der Anmeldemarke aber auch nicht mit der Begründung abgesprochen werden, der Verkehr sehe in ihr auch bei einer zweidimensionalen Wiedergabe keinen Hinweis auf die Herkunft der gekennzeichneten Waren der Klasse 25 aus einem bestimmten Unternehmen. Es lässt sich nämlich weder feststellen, dass sie die beanspruchten Waren oder deren Bestandteile für den Verkehr erkennbar wiedergibt noch handelt es sich bei ihr um eine im betroffenen Bekleidungssektor übliche einfache ornamentale Gestaltung, welcher der Verkehr in der Regel keinen Herkunftshinweis entnimmt.

Zwar ist auch bei der zweidimensionalen Wiedergabe der Marke - also in Form eines aufgedruckten oder aufgenähten Bildes - nicht ausgeschlossen, dass sie den angesprochenen Verkehrskreisen - dies ist vorliegend wegen der Art der beanspruchten Waren die Allgemeinheit - nicht nur in Form eines üblichen Etiketts, sondern auch als Bestandteil der beanspruchten Kleidungsstücke, Schuhe oder Kopfbedeckungen entgegentritt, indem etwa bei Sakkos oder Hemden eine aufgenähte Tasche oder bei Schuhen ein an deren Seite aufgenähtes Leder- oder Stoffteil die angemeldete Darstellung wiedergeben. In allen diesen Fällen hat der Verkehr aber keine Veranlassung, das angemeldete Bildzeichen als bloße bildliche (d. h. zweidimensionale) Wiedergabe eines üblichen Ziermusters oder eine übliche Ziernaht und damit als bloße die beanspruchten Waren oder deren mögliche Bestandteile beschreibende Darstellung anzusehen.

Allerdings pflichtet der Senat der Auffassung der Markenstelle bei, dass die in der Marke erkennbare Linienführung einfach gehalten ist, da sie sich auf eine waagerechte Linie beschränkt, von deren rechter Ecke eine konvexe kreisförmige Linie nach links unten weggeht. In dieser Form entspricht sie einfachsten Nahtführungen, was auch durch den für maschinell hergestellte Nähte typischen Ansatz der konvexen Linie an der rechten Ecke der oberhalb liegenden waagerechten Naht hervorgehoben wird. Der Gesamteindruck der angemeldeten Darstellung beschränkt sich aber nicht auf diese einfache und übliche Gestaltung einer typischen Kleidungsnaht. Denn dabei bliebe unbeachtet, dass die Linienführung, auch wenn sie für sich selbst betrachtet einfach erscheint, sich zu einem Bild zusammenfügt, das sehr stark an die Wiedergabe der Ziffer "7" erinnert. Diese Anlehnung an die Wiedergabe einer Zahl vermittelt aber dem Gesamtbild einen über die bloße Nahtführung hinausgehenden Gesamteindruck, der den Verkehr von dem Gedanken wegführt, in ihr die bloße bildliche Wiedergabe eines Ziermusters oder einer Ziernaht und damit eine rein beschreibende Darstellung von Teilen der beanspruchten Waren zu erkennen. Gerade infolge dieses "überschießenden" Gesamteindrucks wird es für den Verkehr daher nahe liegen, in ihr nicht nur ein übliches Gestaltungsmerkmal, sondern vielmehr einen Hinweis auf die Herkunft der damit gekennzeichneten Waren aus einem bestimmten Unternehmen zu sehen. Sind aber Anhaltspunkte dafür nicht erkennbar, dass der Verkehr die angemeldete Darstellung ausschließlich als Muster oder Verzierung ansieht, kann ihr das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft letztlich nicht abgesprochen werden.

3. Da auch nicht erkennbar ist, dass die Anmeldemarke zugunsten von Mitbewerbern i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG freizuhalten wäre, war der ihr die Eintragung versagende Beschluss der Markenstelle auf die Beschwerde der Anmelderin aufzuheben.






BPatG:
Beschluss v. 11.04.2006
Az: 27 W (pat) 112/05


Link zum Urteil:
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