Bundespatentgericht:
Beschluss vom 2. Februar 2000
Aktenzeichen: 7 W (pat) 74/98
(BPatG: Beschluss v. 02.02.2000, Az.: 7 W (pat) 74/98)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in einem Beschluss vom 2. Februar 2000 die Beschwerde der Patentinhaberin gegen den Widerruf ihres Patents zurückgewiesen. Das Patent mit der Bezeichnung "Verfahren und Vorrichtung zur Feuerungsregelung einer Dampferzeugungsanlage" wurde aufgrund mangelnder Patentfähigkeit widerrufen.
In dem Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt wurden verschiedene Entgegenhaltungen zum Stand der Technik genannt. Die Patentinhaberin ist der Meinung, dass der Stand der Technik die Lehren des Patents nicht nahelegt. Sie beantragt die Aufhebung des Beschlusses und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung.
Die Einsprechenden beantragen hingegen, die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Gericht stellt fest, dass der Patentgegenstand keine patentfähige Erfindung gemäß den patentrechtlichen Bestimmungen darstellt. Die Lehre des Patents beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Das Verfahren nach Anspruch 1 des Patents ist zwar neu und gewerblich anwendbar, aber nicht erfinderisch. Die darin genannte Aufgabe wird bereits durch den Stand der Technik gelöst.
Das Gericht stellt fest, dass die Berücksichtigung der räumlichen Temperaturverteilung und des Konzentrationsprofils bei der Feuerungsregelung bereits in einer anderen Patentschrift erwähnt wird. Daher kann die Lösung des Patents als naheliegend angesehen werden.
Auch die Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1 erfüllt nicht die erforderlichen Kriterien für eine Patentfähigkeit.
Mit dem Wegfall der Patentansprüche 1 und 7 sind auch die darauf bezogenen weiteren Patentansprüche nicht mehr rechtsbeständig. Es wurde kein eigener erfinderischer Gehalt für diese Ansprüche festgestellt.
Das Patent wird daher widerrufen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 02.02.2000, Az: 7 W (pat) 74/98
Tenor
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.
Gründe
I Die Beschwerde der Patentinhaberin ist gegen den auf vier Einsprüche ergangenen Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. Juli 1998 gerichtet, mit dem das am 15. März 1995 angemeldete und am 30. Januar 1997 veröffentlichte Patent 195 09 412 (DE 195 09 412 C2) mit der Bezeichnung Verfahren und Vorrichtung zur Feuerungsregelung einer Dampferzeugungsanlagemangels Patentfähigkeit seines Gegenstandes widerrufen worden ist.
Im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt sind zum Stand der Technik ua folgende Entgegenhaltungen genannt worden:
1. "Innovative Prozeßleittechnik in der thermischen Abfallbehandlung" von A. Jaeschke u.a., in 'Elektrotechnik und Informationstechnik' (e&i) 111. Jg. (1994) H. 9 Seiten 463 bis 469 (Entgegenhaltung D8)
2. deutsche Offenlegungsschrift 43 05 645 (D4).
Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, die Lehren der Gegenstände nach den erteilten, nebengeordneten Patentansprüchen 1 und 7 werden durch den im Verfahren aufgezeigten Stand der Technik dem Fachmann nicht nahegelegt. Sie stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.
Die in der mündlichen Verhandlung vertretenen Einsprechenden (III und IV) beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Patentanspruch 1 lautet:
"Verfahren zur Feuerungsregelung einer Dampferzeugungsanlage, bei dem die Temperatur und die Konzentration mindestens eines im Verbrennungsprozeß entstehenden Reaktionsproduktes ermittelt werden, dadurch gekennzeichnet, daß eine Anzahl von Sollwerten für die Zusammensetzung des dem Verbrennungsprozeß zuzuführenden Reaktionsgemisches mittels Fuzzy- oder Neuro-Fuzzy-Logik anhand der räumlichen Temperaturverteilung und des Konzentrationsprofils ermittelt wird."
Der Patentanspruch 7 lautet:
"Vorrichtung zur Feuerungsregelung einer Dampferzeugungsanlage, mit einem Verbrennungsraum, und mit einem mit mindestens zwei optischen Sensoren zur Aufnahme von Strahlungsdaten aus dem Verbrennungsraum verbundenen Datenverarbeitungssystem, zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 6, gekennzeichnet durch eine mit dem Datenverarbeitungssytem verbundene Regeleinrichtung, die einen Fuzzy- oder Neuro-Fuzzy-Reglerbaustein zur Ermittlung einer Anzahl an Sollwerten für die Zusammensetzung des dem Verbrennungsraum zuzuführenden Reaktionsgemisches aus den Strahlungsdaten umfaßt."
Zur Fortbildung des Verfahrens nach Anspruch 1 sind in den Patentansprüchen 2 bis 6 weitere Merkmale angegeben. Die Vorrichtung nach Patentanspruch 7 ist durch Merkmale in den Ansprüche 8 bis 10 weiter ausgebildet.
Wegen sonstiger Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.
II Die Beschwerde ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg.
Der Patentgegenstand stellt, wie die Patentabteilung zutreffend beurteilt hat, keine patentfähige Erfindung iSd §§ 1 bis 5 PatG dar.
Das Verfahren nach Patentanspruch 1 ist zwar neu und gewerblich anwendbar, es beruht aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Patentschrift nennt als Aufgabe, ein Verfahren zur Feuerungsregelung einer Dampferzeugungsanlage anzugeben, mit dem sowohl eine möglichst geringe Emission von bei der Verbrennung entstehenden Schadstoffen als auch eine besonders gleichmäßige Dampfproduktion und ein möglichst hoher Anlagenwirkungsgrad erreicht wird (Patentschrift Sp 2 Z 31 bis 37).
Zur Lösung dieser Aufgabe lehrt der Patentanspruch 1 im Kern, eine Anzahl von Sollwerten der dem Verbrennungsprozeß zuzuführenden Bestandteile (zB Brennstoff und Luft) mittels Fuzzy- oder Neuro-Fuzzy-Logik anhand der räumlichen Temperaturverteilung und des Konzentrationsprofils mindestens eines im Verbrennungsprozeß entstehenden Reaktionsproduktes (beispielsweise NOx) zu ermitteln.
Eine derartige Lehre ist für den Fachmann, hier einem Hochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Schwerpunkt Energie- und Kraftwerkstechnik, der mit der Gestaltung der Prozeßleittechnik für Energieerzeugungsanlagen seit mehreren Jahren befaßt ist, aufgrund des aufgezeigten Standes der Technik aber auffindbar, ohne daß er bei seinem Bemühen um eine Lösung der Aufgabe den Bereich fachlicher Routine verlassen müßte.
Die Patentschrift beschreibt schon als bekannt, zur Feuerungsregelung von der Fuzzy-Technologie Gebrauch zu machen, wenn - was bei Müllverbrennungsanlagen die Regel ist - die Zusammensetzung des Brennstoffs unzureichend bestimmbar ist (Sp 1 Z 53 bis 57). Gleiches entnimmt der Fachmann der Entgegenhaltung D8, in der zur wissensbasierten Prozeßführung in thermischen Prozessen, insbesondere bei der Abfallbehandlung bzw Müllverbrennung, aber neben der Fuzzy-Logik auch neuronale Netze und die Kombination der vorgenannten Methoden, nämlich die Neuro-Fuzzy-Logik, in Betracht gezogen sind (S 465 Kap.3.1, Text nach Abb.3). Die D8 führt zudem aus, daß Müllverbrennungsanlagen der Wärmegewinnung bzw Energieerzeugung - der Fachmann bezieht hier gedanklich die Dampferzeugung ein - dienen und daß in Übereinstimmung mit der Aufgabe gemäß Streitpatent hohe Anforderungen an derartige Anlagen im Hinblick auf geringe schädliche Emissionen und eine gleichmäßige Energieerzeugung bei hohem Anlagenwirkungsgrad zu stellen sind (S 464 Kap. 2 iVm Abb. 2).
Eine in D8 ausführlich beschriebene Prozeßführung bei der Müllverbrennung sieht den Einsatz neuronaler Netze vor (S 467 Kap. 4 u 4.2 iVm Abb. 5), welche gegenüber der Anwendung der Fuzzy-Logik noch den Vorteil der Lernfähigkeit des Prozeßführungssystems einschließt. In einem ersten Schritt werden aus Daten einer auf die Feuerung gerichteten Video- oder Infrarot-Kamera verdichtete Informationen hergeleitet und diese gemeinsam mit weiteren Prozeßmeßwerten - nach Abb. 5 aus der Verbrennungsluftzufuhr, den Reaktionsprodukten der Verbrennung (Rauchgas-Temperatur, Gas- u. Feststoffanteile) sowie dem Ausbrand - in einem weiteren Schritt einem neuronalen Netz übergeben, das lernt, den Müll zu klassifizieren, und zwar nach Kategorien (Feuchtegehalt, Brennwert), lokaler Brennleistung oder lokalem Ausbrandgrad. Auf der Basis dieser Klassifikation und der Meßwerte berechnet sodann ein weiteres neuronales Netz einen aktuellen Parametersatz, der dem eingesetzten Regler, zB für die lokale Erhöhung der Luftzufuhr im Falle der Ausbrandsteuerung oder - bei thermographischer Verfolgung der Müllmassenelemente und Summation über die gesamte Rostfläche - für die Verbrennungstemperaturregelung über die Zufuhr des Mülls (S 468 Kap. 4.2), aufgeprägt wird. Der Parametersatz bildet somit die Führungsgröße der Regelung und entspricht daher nach Überzeugung des Senats einem veränderlichen Sollwert, aus dem der Regler die Stellgröße ua für die Zufuhrmengen von Brennstoff oder Verbrennungsluft zur Feuerung bestimmt.
Demgegenüber verbleibt beim Verfahren nach Patentanspruch 1 unterschiedlich, daß die wissensbasierte Feuerungsregelung anhand der räumlichen Temperaturverteilung und des räumlichen Konzentrationsprofils mindestens eines bei der Verbrennung entstehenden Reaktionsproduktes ermittelt wird.
Dieser Unterschied vermag eine erfinderische Tätigkeit beim Verfahren nach Anspruch 1 jedoch nicht zu begründen, weil die Entgegenhaltung D4 (deutsche Offenlegungsschrift 43 05 645) bereits die Berücksichtigung derartiger Verteilungen und Profile zur Feuerungsregelung lehrt und der Fachmann Veranlassung hat, diese Meßwerterfassung, bei der mindestens zwei mit einem Datenerfassungssystem verbundene Sensoren zur Aufnahme von Strahlungsdaten im Verbrennungsraum einer Energieerzeugungsanlage verwendet werden (Fig u zugeh. Beschreibung), auch bei der wissensbasierten Prozeßführung nach D8 einzusetzen. In D4 ist nämlich ausgeführt, daß die Kenntnis der räumlichen Temperaturverteilungen und der räumlichen Konzentrationsprofile der Verbrennungsradikale (bzw Reaktionsprodukte) wesentliche Eigenschaften von Radikale bildenden Prozessen und Grundlagen zu deren Beurteilung und Kontrolle liefert, wodurch Aussagen über die lokalen Prozeßabläufe und gezielte Eingriffe in den lokalen Prozeßablauf möglich sind, beispielsweise durch Ansteuerung von Verbrennungsluftdüsen, durch entsprechende Brennstoffzufuhr und -verteilung, durch Einspritzung von NH3 ua (Sp 2 Z 17 bis 38), wobei die erfaßten Eigenschaften geeignet sind, direkt oder indirekt (zB nach Bildung einer Kennzahl) als Führungsgrößen für die Prozeßregelung eingesetzt zu werden (Sp 1 Z 13 bis 21). Damit entspricht die bekannte Prozeßführung grundsätzlich der Vorgehensweise beim Verfahren nach D8. Letztere erweitert die Prozeßführung nach D4 allerdings dahingehend, daß zusätzlich wissensbasierte mathematische Methoden eingesetzt sind, um einerseits die Meßdaten zu klassifizieren und andererseits aus diesen klassifizierten Daten und weiteren Prozeßmeßwerten Parametersätze oder Führungsgrößen abzuleiten. Bekanntermaßen soll hierdurch die Prozeßführung besser als bei Einsatz konventioneller Steuerungs- und Regelungssysteme (wie aus D4 bekannt) gelingen (vgl D8, S 465 liSp Abs 1 u 2). Der Fachmann, der von dem Verfahren nach D8 ausgeht, bei dem die Temperatur lediglich zweidimensional im Bereich des Brennguts und die Reaktionsprodukte offenbar nur als integraler Wert berücksichtigt sind, wird durch die D4 daher angeregt, ungeachtet der eingesetzten, auf Meßdaten angewendeten mathematischen Berechnungsmethoden die Datenbasis für die wissensbasierte Prozeßführung durch Erfassung der räumlichen Temperaturverteilung und des räumlichen Konzentrationsprofils eines oder mehrerer Reaktionsprodukte qualitativ zu verbessern, wodurch er unmittelbar zur Lehre des angegriffenen Patentanspruchs 1 gelangt.
Gegen die Ansicht der Patentinhaberin, die Entgegenhaltungen D4 und D8 führten den Fachmann nicht zur Lehre des Patentanspruchs 1, weil aus beiden nicht entnehmbar sei, Sollwerte für die Feuerungsregelung mittels wissensbasierter Methoden zu ermitteln, und gegen die Folgerung, der Fachmann hätte sich daher nach konventionellen Regelungskonzepten im Stand der Technik umgesehen, spricht neben obiger Begründung im übrigen auch der der D8 entnehmbare Hinweis, daß mit Bezug auf die segmentweise und wissensbasierte Einwirkung auf die Rostbewegungen (welche die Brennstoffzufuhr repräsentieren) eine Optimalwertregelung (feed forward control) möglich ist, die einen Sollwertangleich, also eine Sollwertermittlung bezweckt (S 468 li Sp le Abs).
Nach alledem hat der Patentanspruch 1 keinen Bestand.
Die im Patentanspruch 7 angegebene Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach Patentanspruch 1 erschließt sich dem Fachmann durch die das Verfahren nahelegenden Entgegenhaltungen D4 und D8 ohne Mühe. Es ist seitens der Patentinhaberin auch nicht geltend gemacht worden, daß den Vorrichtungsmerkmalen jeweils für sich oder in Kombination miteinander eine eigene erfinderische Bedeutung zukommt.
Der Patentanspruch 7 hat ebenfalls keinen Bestand.
Mit Wegfall der tragenden Patentansprüche 1 und 7 sind auch die auf sie rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 bzw 8 bis 10 nicht mehr rechtsbeständig. Ein selbständiger erfinderischer Gehalt ist für die Gegenstände dieser Ansprüche auch nicht geltend gemacht worden.
Dr. Schnegg Eberhard Hochmuth Frühauf Cl
BPatG:
Beschluss v. 02.02.2000
Az: 7 W (pat) 74/98
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/dfba2a5a5254/BPatG_Beschluss_vom_2-Februar-2000_Az_7-W-pat-74-98