Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 30. Juli 2002
Aktenzeichen: 9 U 196/01

(OLG Köln: Urteil v. 30.07.2002, Az.: 9 U 196/01)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

In dem vorliegenden Fall geht es um eine Klage auf Freistellung von Anwaltskosten. Die Klägerin wurde vom Landkreis N. mit 37 Bußgeldbescheiden über insgesamt 1,3 Mio. DM belegt, da sie gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit verstoßen haben soll. Die Klägerin ließ daraufhin Einspruch einlegen und alle 37 Verfahren wurden schließlich eingestellt. Nun fordert die Klägerin von der Beklagten, dass diese ihre Anwaltskosten übernimmt. Die Beklagte beruft sich auf die Gebührenvorschriften des Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) und argumentiert, dass die Kostenforderung des Anwalts der Klägerin nicht mit den Vorschriften der BRAGO übereinstimmt. Es werden mehrere Varianten von Kostennoten vorgelegt, von denen keine den Anforderungen des § 18 BRAGO entsprechen. Die Klägerin behauptet, dass ihr Anwalt den gleichen Aufwand für alle 37 Fälle hatte, was jedoch nicht nachvollziehbar ist. Das Gericht entscheidet, dass die Gebührenforderungen des Anwalts nicht angemessen sind, da wesentliche Kriterien wie die Bedeutung und der Umfang der einzelnen Fälle nicht berücksichtigt wurden. Der Hauptantrag und der Hilfsantrag der Klägerin werden beide abgelehnt. Das Gericht weist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Köln zurück. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 6.242,87 EUR.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OLG Köln: Urteil v. 30.07.2002, Az: 9 U 196/01


Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 20.07.2001 - Az.: 89 O 38/01 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige, insbesondere statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht ein Anspruch aus § 1 I VVG in Verbindung mit §§ 1, 2 I a), 14 II, 24 II c) ARB 75 - der einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage - nicht zu.

1998 erließ der Landkreis N. gegen die Klägerin 37 Bußgeldbescheide mit Bußgeldern zwischen 2.000 und 280.000 DM - insgesamt ca. 1,3 Mio. DM - wegen des Vorwurfs, sie habe gegen § 1 I Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit verstoßen. Die Klägerin ließ durch ihren Rechtsanwalt Dr. L. aus K. 37 Einsprüche einlegen. Das Amtsgericht N. hat letztlich alle 37 Verfahren eingestellt, die Kosten der Verfahren allerdings der Klägerin auferlegt. Die Klägerin begehrt mit der vorliegende Klage von der Beklagten Freistellung von ihren Anwaltskosten.

Nach § 1 I 1 ARB 75 hat der Versicherer nach dem Eintritt des Versicherungsfalles für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers zu sorgen, soweit sie notwendig ist, und die hierbei entstehenden Kosten zu tragen. Der Umfang der zu tragenden Kosten wird durch § 2 ARB 75 geregelt. Danach übernimmt der Versicherer insbesondere die "gesetzliche Vergütung eines für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwaltes". Dies bedeutet, dass der Versicherer nur solche Anwaltskosten zu tragen hat, die den gesetzlichen Gebührenvorschriften der BRAGO entsprechen. Die vorliegenden Klage kann im Ergebnis deshalb keinen Erfolg haben, weil die streitgegenständliche Gebührenforderung des Rechtsanwalts Dr. L. aus K. sich nicht in Übereinstimmung mit den Vorschriften der BRAGO befindet.

Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich um die "gesetzliche" Vergütung handelt, ist von den Gebühren auszugehen, die der Rechtsanwalt gem. § 18 BRAGO konkret abgerechnet hat. Die Richtigkeit des Gebührenansatzes unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung (Harbauer ARB 75 § 2 Rn 82). Der Freistellungsanspruch gegen den Versicherer wird gem. § 2 II ARB 75 erst fällig, wenn der Versicherungsnehmer zu Recht in Anspruch genommen wird. Dies setzt gem. § 18 BRAGO eine wirksame Kostennote voraus (Harbauer ARB 75 § 2 Rn 154). Die gerichtliche Nachprüfung erstreckt sich also zum einen darauf, ob die "richtigen" Gebühren abgerechnet wurden, und zum anderen auf die Wirksamkeit der Kostennote(n) in formaler Hinsicht.

Die Klägerin hat insgesamt drei verschiedene Varianten von Kostennoten vorgelegt. Die Kostennoten vom 15.11.1999 (Anlagenkonvolut BB 5) genügen indes bereits in formaler Hinsicht nicht den Anforderungen des § 18 BRAGO. In diesen Kostennoten werden Gebührenvorschriften lediglich zu den vergleichsweise wenig bedeutsamen Auslagen zitiert. Die primär geforderte Gebühr wird hingegen nicht mit einer Gebührenvorschrift verknüpft. Hinzu kommt, dass diese Abrechnungen überholt sind, da es auch Rechnungen vom 16.11.2001 gibt, die denselben Vorgang betreffen.

Unter dem Datum vom 16.11.2001 wurden zwei unterschiedliche Varianten von Kostennoten zur Akte gereicht. Die erste Variante (Anlagenkonvolut BB 6) macht jeweils eine "Vorverfahrensgebühr" und eine Gebühr für das "gerichtliche Verfahren" geltend - je 300 DM. Auch in dieser Variante der Abrechnungen werden indes keine Gebührenvorschriften zitiert. Zudem werden die Rechnungen durch die im Berufungsverfahren vorgelegte - insgesamt dritte - Variante der Kostennoten, die ebenfalls auf den 16.11.2001 (Bl. 140 ff. GA) datieren, erneut inhaltlich überholt. Diese zuletzt zur Akte gereichten Kostennoten erfüllen erstmals die Anforderung des § 18 BRAGO im Hinblick auf die Zitierung von Gebührenvorschriften und machen eindeutig lediglich eine Gebühr nach § 84 II Nr. 1 BRAGO in Höhe von 600 DM pro Verfahren geltend.

Gleichwohl hat der Senat auch bei dieser jüngsten Variante der Gebührenrechnungen vom 16.11.2001 Bedenken hinsichtlich ihrer formalen Korrektheit als Kostennoten im Sinne des § 18 BRAGO. Rechtsanwalt Dr. L. macht nämlich jeweils eine Rahmengebühr nach § 12 BRAGO geltend, ohne in seinen Abrechnungen die Bemessungskriterien für die konkret verlangte Gebühr von 600 DM zu benennen. Aus dem Zweck einer anwaltlichen Gebührenabrechnung gem. § 18 BRAGO, dem Mandanten eine Nachprüfung der Gebührenhöhe zu ermöglichen, ergibt sich, dass ein Rechtsanwalt bei einer Rahmengebühr die Kriterien für deren konkrete Festsetzung in der Regel zumindest stichwortartig angeben muss (Harbauer ARB 75 § 2 Rn 155). Andernfalls ist seine rechtsgestaltende Erklärung (§ 315 BGB) nicht nachprüfbar. Letztlich kann die Frage, ob die Kostennoten formal den Anforderungen des § 18 BRAGO entsprechen, jedoch offen bleiben, weil die Gebührenrechnungen sich auch mit dem materiellen Gebührenrecht der BRAGO nicht in Einklang befinden und es auf diesen formalen Aspekt daher nicht mehr ankommt.

Die von Rechtsanwalt Dr. L. herangezogene Gebührenvorschrift des § 84 II BRAGO verweist auf § 83 BRAGO. Zusätzlich bestimmt § 105 II 1 BRAGO, der der Vollständigkeit halber in den Kostennoten ebenfalls hätte erwähnt werden müssen, dass bei Bußgeldsachen der Gebührenrahmen des § 83 I Nr. 3 BRAGO einschlägig ist. Dieser reicht von 100 bis 1.300 DM. Die verlangten 600,- DM pro Verfahren liegen demnach innerhalb des Gebührenrahmens knapp unterhalb der Mittelgebühr (700,- DM).

Gemäß § 12 I 2 BRAGO ist eine geltend gemachte Gebühr indes nicht zu ersetzen, wenn sie unbillig ist. Die Beweislast für die Unbilligkeit liegt im Regelfall beim "Dritten", der die Gebühr zu "ersetzen" hat. Es ist allerdings anerkannt, dass diese dem Rechtsanwalt günstige Beweislastverteilung nicht gilt, wenn ein Rechtsschutzversicherer die Gebühr tragen soll, da dieser nicht die Gebühr "ersetzt" (Gerold / Schmidt / v. Eicken - Madert § 12 BRAGO Rn 6). In diesen Fällen liegt die Beweislast für die Angemessenheit vielmehr beim Rechtsanwalt. Ohnehin muss dieser zur Höhe seiner Forderungen zunächst einmal substanziiert vortragen. Hat er sein Bestimmungsrecht ermessensfehlerhaft ausgeübt, so ist seine Gebührenforderung allein deshalb unverbindlich (Harbauer ARB 75 § 2 Rn 156). Maßgebliche Kriterien für die Angemessenheit einer Rahmengebühr sind nach § 12 I 1 BRAGO

- die Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten,

- ihr Umfang,

- ihre Schwierigkeit und

- die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Mandanten.

Ein zur Unwirksamkeit der Gebührenforderung führender Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn wesentliche Aspekte bei der Bestimmung der Gebühr missachtet wurden. Im Streitfall muss regelmäßig unter den Voraussetzungen des § 12 II BRAGO ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer eingeholt werden. Dies gilt allerdings nicht für Rechtsstreite gegen den Rechtsschutzversicherer (Gerold / Schmidt / v. Eicken - Madert § 12 BRAGO Rn 20), da § 12 II BRAGO nur auf Prozesse zwischen Rechtsanwalt und Mandant anwendbar ist.

Misst man die von Rechtsanwalt Dr. L. in allen 37 Einzelfällen verlangte Rahmengebühr von 600,- DM an den vorgenannten Kriterien, so erweist sie sich als ermessenfehlerhaft und damit unwirksam. Es ist bereits fraglich, ob die Klägerin zur Angemessenheit der Gebührenforderungen überhaupt ausreichend substanziiert vorträgt. Sie hat in der Berufung versucht, ihren unzureichenden erstinstanzlichen Vortrag zu präzisieren. Sie beschreibt die Tätigkeit ihres Rechtsanwalts dabei so, dass dieser zwei Strategien verfolgt habe. Zum einen sei er der Frage nachgegangen, ob Trockenbau ein eintragungspflichtiges Handwerk sei. Seine diesbezügliche Tätigkeit wird als Führung von Gesprächen zur Unterstützung "aktueller Gesetzgebungsbestrebungen" beschrieben. Dieser Tätigkeitskomplex kann indes nicht als "notwendige Rechtsverteidigung" im Sinne des § 1 I 1 ARB 75 gegen die Bußgeldbescheide anerkannt werden. Von einer Einflussnahme auf das "Recht von morgen" konnte die Klägerin sich hinsichtlich ihrer aktuellen Bußgeldbescheide keinen unmittelbaren Vorteil erhoffen.

Zum anderen soll Rechtsanwalt Dr. L. die Bemessungsgrundlage der Bußgelder untersucht haben. Dazu - so behauptet die Klägerin - habe er für jeden einzelnen Bescheid untersucht, welcher Teil des Gesamtumsatzes tatsächlich auf konkrete Trockenbauarbeiten entfallen sei, da die Höhe der Bußgelder sich am Umsatz des jeweiligen Bauvorhabens orientiert habe; er habe sich dabei die Belege aus 53 Aktenordnern zusammensuchen müssen und je zwei Stunden pro Bescheid benötigt; diese Arbeit habe er zweimal gemacht. Wirklich konkret hat die Klägerin allerdings nur die Vorgehensweise bei zwei Bescheiden beschrieben. Im übrigen - so behauptet sie - sei er entsprechend vorgegangen.

Selbst wenn man das Vorbringen der Klägerin zum Arbeitsumfang ihres Rechtsanwalts noch als ausreichend substanziiert betrachtet, wozu der Senat neigt, so ist es doch insgesamt nicht nachvollziehbar, dass die nach § 12 I 1 BRAGO gebotene Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls in allen 37 Fällen zu einer exakt gleich hohen Gebühr von je 600,- DM führen soll. Die Bedeutung der einzelnen Bescheide war wegen der starken Unterschiede in der Bußgeldhöhe sehr unterschiedlich, was auch die Klägerin einräumt. Einige Bescheide besaßen ein existenzbedrohendes Potenzial, andere waren vergleichsweise unbedeutend. Dieser Umstand spiegelt sich in den verlangten Gebühren in keiner Weise wider.

Die Klägerin behauptet zwar, ihr Rechtsanwalt habe gleichwohl praktisch in allen 37 Fällen den gleichen Aufwand gehabt. Auch das ist indes nicht nachvollziehbar und steht im übrigen auch im Widerspruch zur beispielhaft beschriebenen Vorgehensweise von Rechtsanwalt Dr. L.. Der Umfang seiner Tätigkeit muss nach der Einschätzung des Senats zwangsläufig unterschiedlich groß gewesen sein, da der Arbeitsaufwand von der Anzahl der dem Gesamtumsatz des konkreten Bauvorhabens zugrunde liegenden Einzelrechnungen abhing und die Menge des Rechnungsmaterials teilweise von der Größe des Gesamtprojekts abhängig ist. Es mag zwar zutreffend sein, dass der Arbeitsumfang nicht zwangsläufig proportional zur Höhe des vom jeweiligen Projektumsatz abhängigen Bußgeldes anstieg. Gleichwohl spricht vieles dafür, dass die umsatzreicheren Bauvorhaben in der Regel auch umfangreicheres Abrechnungsmaterial hervorgebracht haben, dessen Sichtung dementsprechend einen größeren Zeitaufwand nötig machte. Deshalb erschließt sich nicht, dass für alle 37 Bescheide exakt zwei Stunden an Abrechungsaufwand angefallen sein können, wie die Klägerin behauptet. Sie trägt selbst vor, dass in einer Reihe von Fällen das vorgelegte Rechnungsmaterial ohne Rücksprache für ihren Rechtsanwalt nicht verständlich war. Allein durch den nur bei einigen Bauvorhaben eingetretenen zusätzlichen Besprechungsbedarf erscheint die Annahme eines in allen Fällen gleich großen Arbeitsaufwands wenig lebensnah und ist geradezu auszuschließen.

Im Ergebnis muss die einheitliche Bemessung von je 600,- DM pro Bußgeldbescheid daher als ermessensfehlerhaft angesehen werden, da gleich zwei wesentliche Kriterien - Bedeutung und Umfang der einzelnen Sache - nicht differenziert berücksichtigt wurden. Der Hauptantrag konnte daher keinen Erfolg haben.

Auch der Hilfsantrag der Klägerin ist nicht begründet. Mit ihrem "Hilfsantrag" macht die Klägerin 1.350 DM nebst Zinsen geltend, die sie allein aus einem "führenden" Vorverfahren und einem "führenden" Gerichtsverfahren herleiten will. Ein derartiger Gebührenanspruch scheitert indes bereits daran, dass der Rechtsanwalt der Klägerin ihr gegenüber in dieser Weise nie wirksam abgerechnet hat. Es gibt keine Kostennoten über eine solche Forderung, die den Anforderungen des § 18 BRAGO entsprechen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO n.F.

Ein Anlass, gemäß § 543 II ZPO n.F. die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, die Revision sei zuzulassen, um eine höchstrichterliche Entscheidung zum Umfang des gem. § 18 BRAGO erforderlichen Begründungsaufwandes einer Kostennote für eine Rahmengebühr herbeizuführen, ist dieser rechtliche Aspekt vorliegend nicht entscheidungserheblich geworden.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 6.242,87 EUR






OLG Köln:
Urteil v. 30.07.2002
Az: 9 U 196/01


Link zum Urteil:
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