Bundesgerichtshof:
Urteil vom 27. Mai 2014
Aktenzeichen: X ZR 1/13
(BGH: Urteil v. 27.05.2014, Az.: X ZR 1/13)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 27. Mai 2014 (Aktenzeichen X ZR 1/13) das Urteil des Bundespatentgerichts vom 2. Oktober 2012 aufgehoben. Es handelte sich um einen Fall, bei dem es um ein deutsches Patent für einen Delta-Sigma-Analog-Digital-Wandler ging. Die Klägerin hatte argumentiert, dass das Patent über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinausgehe und nicht patentfähig sei. Das Bundespatentgericht hatte dem zugestimmt und das Patent für nichtig erklärt. Die Beklagte, Inhaberin des Patents, legte Berufung ein und verteidigte das Patent in seiner erteilten Fassung und in zwei geänderten Fassungen.
Der Bundesgerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass das Patent nicht über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinausgehe. Es ging um die Auslegung von zwei Merkmalen des Patents. Zum einen ging es um die Frage, ob der Begriff "Buffer" im Merkmal 2 a sowohl analoge als auch digitale Schaltungen umfasse. Der Bundesgerichtshof befand, dass in den ursprünglichen Unterlagen sowohl Ausführungsformen mit digitalen Signalbuffern als auch solche ohne spezifische Buffer-Typen offenbart wurden. Daher sei der Begriff "Buffer" in diesem Fall allgemein zu verstehen und umfasse sowohl analoge als auch digitale Schaltungen.
Zum anderen ging es um die Frage, ob das Merkmal 2 b eine betriebsspannungsmäßige getrennte Versorgung der Buffer vorsehe. Das Bundespatentgericht war zu dem Schluss gekommen, dass nur der Einsatz spezifischer Mittel wie Stabilisierungsmaßnahmen oder Siebmittel als Trennung der Betriebsspannung in Frage komme. Der Bundesgerichtshof widersprach dieser Auffassung und erklärte, dass auch andere Maßnahmen geeignet seien, die Entkopplung zwischen dem analogen Frontend und dem Halbleiterchip zu erreichen. Diese anderen Maßnahmen könnten ebenfalls unter das Merkmal 2 b fallen, solange sie die Funktion der Entkopplung erfüllten.
Da das Patentgericht zu den anderen geltend gemachten Nichtigkeitsgründen keine Feststellungen getroffen hatte, hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurück.
Bundesgerichtshof: Urteil vom 27. Mai 2014, Aktenzeichen X ZR 1/13
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BGH: Urteil v. 27.05.2014, Az: X ZR 1/13
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 2. Oktober 2012 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Patentgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents 101 48 799 (Streitpatents), das am 2. Oktober 2001 angemeldet wurde und einen Delta-Sigma-Analog-Digital-Wandler betrifft. Patentanspruch 1, auf den fünf weitere Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet:
Delta-Sigma Analog-/Digital-Wandler, dessen analoges Frontend aus einem Eingangswiderstand (1), einem Rückkopplungswiderstand (2), einer Integrator-Kapazität (3) und einem Flip-Flop (4) besteht, dadurch gekennzeichnet, dass ein vor dem D-Eingang des Flip-Flops (4) befindlicher Buffer (5) (7) und/oder ein hinter dem Ausgang des Flip-Flops (4) im Rückkopplungspfad befindlicher Buffer (6) (8) betriebsspannungsmäßig getrennt von dem die digitalen Schaltungsteile beinhaltenden Halbleiterchip versorgt wird, damit eine Entkopplung zwischen Halbleiterchip und analogem Frontend eintritt.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Zudem sei der Gegenstand von Patentanspruch 5 nicht so deutlich offenbart, dass ein Fachmann die Erfindung ausführen könne.
Das Patentgericht hat das Streitpatent wegen unzulässiger Erweiterung für nichtig erklärt. Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in zwei geänderten Fassungen verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht.
I. Das Streitpatent betrifft einen Delta-Sigma-Analog-Digital-Wandler.
1. In der Streitpatentschrift wird ausgeführt, Analog-/Digital-Wandler, mit denen das Eingangssignal mittels Integratoren, Komparatoren und digitalen Filtern in ein digitales Ausgangssignal umgewandelt werde, seien im Stand der Technik bekannt gewesen. Bei sehr einfachen Wandlern dieser Art werde die Versorgungsspannung als Referenzspannung genutzt. Deshalb sei die Auflösung des Wandlers direkt abhängig von der Qualität der Versorgungsspannung. Damit sei ohne weitere Maßnahmen lediglich eine Auflösung von etwa sieben Bit möglich. Für gängige Audio-Codecs werde hingegen eine Auflösung von mindestens dreizehn Bit benötigt.
Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, einen Wandler zur Verfügung zu stellen, der bei einfachem Aufbau eine Auflösung von mindestens dreizehn Bit ermöglicht.
2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 einen Wandler vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
1. Es handelt sich um einen Delta-Sigma-Analog-Digital-Wandler, dessen analoges Frontend aus einem Eingangswiderstand (1), einem Rückkopplungswiderstand (2), einer Integrator-Kapazität (3) und einem Flip-Flop (4) besteht.
2. Damit eine Entkopplung zwischen dem Halbleiterchip und dem analogen Frontend eintritt, ist die Schaltung wie folgt ausgeführt:
a) Vor dem D-Eingang und/oder im Rückkopplungspfad hinter dem Ausgang des Flip-Flops (4) befindet sich ein Buffer (5, 6, 7, 8), b) der betriebsspannungsmäßig getrennt vom Halbleiterchip versorgt wird.
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus. Dort seien nur digitale Signalbuffer offenbart. Die verallgemeinernde Angabe "Buffer" gehe über diesen Offenbarungsgehalt hinaus.
Ferner sei eine betriebsspannungsmäßige Trennung als Entkopplungsmaßnahme ursprünglich nur in der konkreten Gestalt einer Spannungsstabilisierung und Verschaltung von Siebmitteln offenbart. Diese Mittel führten nicht zwangsweise zu einer betriebsspannungsmäßigen Trennung im Sinne von Patentanspruch 1. Entsprechendes gelte für das Herausführen der Versorgungsspannungsleitungen aus dem Halbleiterchip für den Anschluss des analogen Frontends. Die in den ursprünglichen Unterlagen ebenfalls offenbarte getrennte Spannungsversorgung eröffne zwar die Möglichkeit einer betriebsspannungsmäßigen Trennung. Daraus folge aber nicht zwangsweise eine Entkopplung zwischen Halbleiterchip und analogem Frontend, weil zwischen dem Rest des Halbleiterchips und dem Frontend trotz dieser Maßnahme weiter eine betriebsspannungsmäßige Kopplung bestehen könne.
III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.
1. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts geht der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 nicht deshalb über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinaus, weil in Merkmal 2 a nicht näher festgelegt ist, ob der Buffer als analoge oder als digitale Schaltung ausgeführt ist.
a) In den ursprünglich eingereichten Unterlagen - deren Inhalt mit der Offenlegungsschrift übereinstimmt - sind nicht nur Ausführungsformen mit digitalen Signalbuffern als zur Erfindung gehörend offenbart.
In der Beschreibung der Anmeldung wird zwar dargelegt, zur Stabilisierung und Entstörung der Betriebsspannung könnten digitale Signalbuffer in den Rückkopplungspfad und vor den D-Eingang des Flip-Flops eingefügt werden (Offenlegungsschrift Abs. 13). Diesen Ausführungen ist aber der allgemeine Hinweis vorangestellt, eine Entkopplung zwischen Halbleiterchip und analogem Frontend könne durch Einsatz von Buffern erzielt werden (Abs. 13 Z. 18). Der in der Anmeldung enthaltene Anspruch 4 ist ebenfalls auf den Einsatz von Buffern gerichtet und nicht auf den Einsatz von digitalen Signalbuffern beschränkt. Angesichts dessen sind die in der Beschreibung erwähnten digitalen Signalbuffer nur als bevorzugte Ausführungsform eines Buffers im Sinne der Anmeldung anzusehen.
Damit besteht insoweit keine Abweichung zwischen dem Inhalt der Anmeldung und dem Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1.
b) Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass Anspruch 4 der Anmeldung nur auf externe Buffer gerichtet ist.
In der Beschreibung der Anmeldung wird angeführt, das mit Anspruch 4 angestrebte Ziel könne auch mit Buffern erreicht werden, die auf dem Halbleiterchip angeordnet sind (Abs. 14 Z. 32-36). Auch in diesem Zusammenhang ist allgemein von Buffern die Rede, nicht nur von digitalen Signalbuffern. Der Gegenstand der Anmeldung ist deshalb auch für Ausführungsformen mit internen Buffern nicht auf Schaltungen beschränkt, bei denen digitale Signalbuffer zum Einsatz kommen.
2. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts geht der Gegenstand des Streitpatents auch nicht deshalb über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus, weil Merkmal 2 b eine betriebsspannungsmäßig getrennte Versorgung der Buffer vorsieht.
a) Zu Recht ist das Patentgericht allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass Merkmal 2 b auch Ausführungsformen umfasst, bei denen die Buffer und der Halbleiterchip jeweils aus separaten Spannungsquellen versorgt werden.
Merkmal 2 b enthält die allgemeine Vorgabe, die Buffer einerseits und den Halbleiterchip andererseits getrennt mit Betriebsspannung zu versorgen. Wie diese Trennung erreicht wird, bleibt dem Fachmann überlassen. Aus der Funktionsangabe in Merkmal 2 ergibt sich insoweit allerdings, dass die getrennte Spannungsversorgung geeignet sein muss, eine Entkopplung zwischen dem analogen Frontend und dem Halbleiterchip herbeizuführen. Diese Funktion kann nach den von den Parteien insoweit nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen des Patentgerichts auch durch Einsatz von zwei getrennten Spannungsquellen verwirklicht werden. Damit gehören auch solche Ausführungsformen zum Gegenstand von Patentanspruch 1.
b) Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass andere Maßnahmen zur getrennten Versorgung mit Betriebsspannung, die ebenfalls geeignet sind, die in Merkmal 2 vorgesehene Entkopplung zu bewirken, nicht unter Merkmal 2 b fallen.
Nach den Feststellungen des Patentgerichts kann eine Entkopplung durch betriebsspannungsmäßige Trennung auch dadurch herbeigeführt werden, dass alle Bauteile aus derselben Spannungsquelle versorgt werden, die den Buffern zugeführte Spannung aber durch Stabilisierungsmaßnahmen oder Siebmittel modifiziert wird, wie dies in der Anmeldung (Abs. 13) ausgeführt wird. Solche Maßnahmen werden auch in der Beschreibung des Streitpatents erwähnt und als geeignet angesehen, den negativen Einfluss der digitalen Halbleiterschaltung und andere Störeinflüsse vom analogen Frontend fernzuhalten (Abs. 10).
Angesichts dessen ist Patentanspruch 1 dahin auszulegen, dass Maßnahmen dieser Art ausreichen, um Merkmal 2 b zu verwirklichen, sofern sie so ausgeführt werden, dass die in Merkmal 2 vorgegebene Funktion verwirklicht wird. Dass es hierzu nach den Feststellungen des Patentgerichts einer besonderen Ausgestaltung der Stabilisierungsmaßnahmen oder Siebmittel bedarf, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Der Fachmann wird schon durch Merkmal 2 darauf aufmerksam gemacht, dass er eine solche Ausgestaltung wählen muss.
Der Umstand, dass in den - in der Anmeldung nicht enthaltenen - Figuren 2 und 3 des Streitpatents die Versorgungsleitung der Buffer mit einer Spannungsquelle verbunden ist, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Zwar sind auch diese Figuren zur Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen. Allein aus der symbolischen Darstellung einer Spannungsquelle kann aber nicht abgeleitet werden, dass Merkmal 2 b abweichend von seinem Wortlaut und von den oben dargestellten Ausführungen in der Beschreibung dahin auszulegen ist, dass eine getrennte Spannungsquelle zwingend erforderlich ist. Dies gilt umso mehr, als in den Figuren 2 und 3 nicht dargestellt ist, aus welcher Quelle die übrigen Komponenten mit Betriebsspannung versorgt werden.
c) Eine unzulässige Erweiterung ergibt sich nicht daraus, dass in der Beschreibung der Anmeldung lediglich Stabilisierungsmaßnahmen oder Siebmittel als Mittel für die Trennung der Betriebsspannung genannt werden.
Den Ausführungen in der Anmeldung lässt sich entnehmen, dass die Trennung der Betriebsspannung eingesetzt wird, um eine Entkopplung zwischen Halbleiterchip und analogem Frontend herbeizuführen (Abs. 13). Aus dem Umstand, dass Siebmittel und Spannungsstabilisierungen als dafür geeignete Mittel angeführt werden, kann nicht gefolgert werden, dass der Einsatz anderer Mittel, die ebenfalls geeignet sind, die angestrebte Entkopplung zu bewirken, vom Gegenstand der Anmeldung ausgenommen sind. Siebmittel und Spannungsstabilisierungen werden nur beispielhaft aufgeführt, um dem Fachmann zu verdeutlichen, wie er das in der Anmeldung formulierte allgemeine Ziel einer Trennung der Betriebsspannung erreichen kann. Daraus wird hinreichend deutlich, dass der Einsatz anderer Mittel, die zur Erreichung dieses Ziels ebenfalls geeignet sind, vom Gegenstand der Anmeldung mit umfasst sein soll.
3. Entgegen der Auffassung der Klägerin geht der Gegenstand von Patentanspruch 1 auch nicht deshalb über den Inhalt der Anmeldung hinaus, weil es aufgrund des in Merkmal 2 a enthaltenen Worts "oder" ausreicht, wenn ein einziger Buffer vorhanden ist.
In der Anmeldung wird das Wort "Buffer" zwar stets im Plural benutzt. Hieraus kann jedoch nur entnommen werden, dass die Anzahl der Buffer nicht begrenzt ist. Hinweise darauf, dass erfindungsgemäß mindestens zwei Buffer vorhanden sein müssen, lassen sich hingegen weder der Beschreibung noch den in der Anmeldung formulierten Ansprüchen entnehmen. Angesichts dessen sind die Ausführungen zu den Buffern dahin zu verstehen, dass es erfindungsgemäß dem Ermessen des Fachmanns überlassen bleibt, wie viele Buffer er einsetzt.
IV. Gemäß § 119 Abs. 2 und 3 PatG ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. Eine Sachentscheidung durch den Senat gemäß § 119 Abs. 5 PatG erscheint nicht zweckmäßig, weil die Sache nicht entscheidungsreif ist und das Patentgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - zu den beiden anderen von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeitsgründen keine Feststellungen getroffen hat.
Gröning RiBGH Dr. Grabinski Bacher und RinBGH Schuster können ihre Unterschrift infolge urlaubsbedingter Ortsabwesenheit nicht beifügen.
Hoffmann Gröning Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 02.10.2012 - 5 Ni 40/10 -
BGH:
Urteil v. 27.05.2014
Az: X ZR 1/13
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/ea326c06b335/BGH_Urteil_vom_27-Mai-2014_Az_X-ZR-1-13