Oberlandesgericht Hamburg:
Beschluss vom 4. September 2013
Aktenzeichen: 8 W 17/13
(OLG Hamburg: Beschluss v. 04.09.2013, Az.: 8 W 17/13)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
In der vorliegenden Gerichtsentscheidung geht es um die Festsetzung von Kosten, die im Rahmen eines vorangegangenen Sicherungs- und Auskunftsverfahrens angefallen sind. Die Klägerin hatte vor dem Landgericht Köln ein Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG durchgeführt, um Auskunft über die Inhaber bestimmter IP-Adressen zu erhalten, die ein von ihr vertriebenes Computerspiel illegal im Internet angeboten oder heruntergeladen hatten. Mit den erhaltenen Daten forderte die Klägerin die Beklagte außergerichtlich zur Abgabe einer Unterlassungserklärung und zur Zahlung eines Pauschalbetrags auf. Da die Beklagte eine unzureichende Unterlassungserklärung abgab, erhob die Klägerin Klage auf Unterlassung und Ersatz der Abmahnkosten. Der Rechtsstreit wurde durch einen Vergleich beendet, in dem die Beklagte sich zur Zahlung der Kosten des Rechtsstreits verpflichtete. Der Rechtspfleger des Landgerichts setzte die Kosten fest, jedoch wurden die Kosten für das vorherige Auskunftsverfahren nicht berücksichtigt. Die Klägerin legte dagegen sofortige Beschwerde ein und forderte die Festsetzung der Auskunftskosten. Das Oberlandesgericht Hamburg wies die Beschwerde jedoch zurück. Nach Ansicht des Gerichts sind die Kosten des Auskunftsverfahrens keine notwendigen Kosten des vorliegenden Rechtsstreits im Sinne von § 91 ZPO. Die Klägerin könne sich nicht auf eine prozessbezogene Notwendigkeit berufen, da die Kosten für das Vorverfahren in Form einer Abmahnung entstanden seien und nicht der Vorbereitung eines konkreten Rechtsstreits gedient hätten. Außerdem sei die Beklagte durch die IP-Adressen nicht eindeutig identifizierbar gewesen. Die Kostenentscheidung beruhe auf § 97 Abs. 1 ZPO und die Rechtsbeschwerde wurde zugelassen, da die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung sei.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Hamburg: Beschluss v. 04.09.2013, Az: 8 W 17/13
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 05.02.2013, Aktenzeichen 310 O 142/12, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Beschwerdewert von 739,23 Euro zu tragen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde wendet sich die Klägerin dagegen, dass der Rechtspfleger des Landgerichts mit dem angefochtenen Beschluss die Festsetzung von weiteren Kosten in Höhe von 739,23 Euro abgelehnt hat. Bei diesen weiteren Kosten handelt es sich um die Kosten für ein vor dem Landgericht Köln geführtes Sicherungs- und Auskunftsverfahren gemäß § 101 Abs. 9 UrhG für eine Auskunft unter Verwendung von Verkehrsdaten. Diese Kosten setzen sich zusammen aus Gerichtskosten, Anwaltskosten und Kosten des Internet-Service-Providers. In jenem Verfahren ist Auskunft über insgesamt 32 IP-Adressen erteilt worden, von denen zwei der Beklagten zuzuordnen sind.
Die Klägerin führte zunächst vor dem LG Köln ein Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG, um Auskunft über die Inhaber bestimmter IP-Adressen zu erhalten, die ein von ihr vertriebenes Computerspiel illegal im Internet angeboten oder heruntergeladen hatten. Aufgrund der in diesem Verfahren erlangten Daten wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 07.06.2012 an die Beklagte und forderte sie außergerichtlich zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zur Zahlung von einem "Pauschalbetrag zur Abgeltung aller Ansprüche" in Höhe von 800,00 Euro auf. Die Beklagte gab sodann eine aus Sicht der Klägerin nicht ausreichende Unterlassungserklärung ab. Hierauf erhob die Klägerin vor dem Landgericht Hamburg Klage auf Unterlassung und Ersatz der Abmahnkosten.
Mit Vergleich vom 28.08.2012 wurde der Rechtsstreit beendet. Im Vergleich verpflichtete sich die Beklagte, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (Bl. 24 f. d. A.).
Mit Beschluss vom 20.09.2012 setzte der Rechtspfleger des Landgerichts die von der Beklagten zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf EUR 1.952,25 fest (Bl. 39 d. A.). Kosten für das vor dem Landgericht Köln geführte Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG waren hierin nicht enthalten. Sie waren zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht zur Festsetzung beantragt.
Den weiteren Antrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 01.10.2012 (Bl. 48 ff. d. A.) auf Festsetzung der Kosten für das Anordnungs- und Gestattungsverfahren vor dem LG Köln lehnte der Rechtspfleger des Landgerichts mit dem angefochtenen Beschluss vom 05.02.2013 der Sache nach ab. Zur Begründung stellte er maßgeblich darauf ab, dass es sich bei den Kosten der Verfahren gemäß § 101 Abs. 9 UrhG nicht um notwendige Kosten des vorliegenden Rechtsstreits im Sinne von § 91 ZPO handele.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin, mit der sie die Festsetzung sämtlicher im Verfahren gemäß § 101 Abs. 9 UrhG entstandener Kosten in Höhe von 739,23 Euro zuzüglich Zinsen, hilfsweise die Festsetzung der von den insgesamt beauskunfteten 32 IP-Adressen auf die beiden IP-Adressen der Klägerin entfallenden Kosten von 53,54 Euro zuzüglich Zinsen begehrt.
Zur Begründung führt die Klägerin im Wesentlichen an, die grundsätzliche Kostenregelung nach § 101 Abs. 9 Satz 5 UrhG im Verfahren gemäß § 101 Abs. 9 UrhG, nach der sie die Kosten des Auskunftsverfahrens zu tragen habe, stehe der Festsetzung nicht entgegen, weil sie zwingende Folge aus dem Gesetz sei und nichts darüber besage, ob insoweit nicht ein Kostenerstattungsanspruch gegen einen (oder mehrere) durch die Auskunft konkretisierten Verletzer bestehe.
Überdies handele es sich um konkrete Kosten der Rechtsverfolgung, was die Beschwerdebegründung näher ausführt. Insbesondere habe sie spätestens mit dem Antrag auf Sicherung der Verkehrsdaten zu den IP-Adressen der Beklagten gegen diese konkreten Rechtschutz begehrt, weil sie ihre Gegnerin nur so habe identifizieren und individualisieren können. Die konkreten Kosten und Gebühren der Beschwerdeführerin hätten sich schon damals gegen eine konkrete Verletzerin, die Beklagte, gerichtet. Sämtliche Kosten seien durch die Beklagte adäquat kausal verursacht worden. Sie wären auch in dieser Höhe entstanden, wenn die Beklagte der Klägerin allein gegenüber gestanden hätte. Die Beklagte könne sich im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs an den Inhabern der anderen beauskunfteten IP-Adressen schadlos halten.
Der Rechtspfleger des Landgerichts hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 26.02.2013 nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO zulässig. In der Sache hat sie aber keinen Erfolg.
Der Rechtspfleger des Landgerichts hat die Festsetzung der von der Klägerin für das Sicherungs- und Auskunftsverfahren gemäß § 101 Abs. 9 UrhG aufgewandten gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten zu Recht abgelehnt.
1. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung können Vorbereitungskosten, wie beispielsweise Kosten für Detektivermittlungen oder Testkäufe, im Rahmen von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich dann erstattungsfähig sein, wenn sie für einen konkret bevorstehenden Rechtsstreit getätigt worden sind (s. nur BGH NJW-RR 2006, 501 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Auch im Hinblick auf Privatgutachten besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass Kosten für vorprozessual erstattete Privatgutachten ausnahmsweise als Kosten des Rechtsstreits angesehen werden können €nämlich dann, wenn sie sich auf den konkreten Prozess beziehen und gerade mit Rücksicht auf diesen in Auftrag gegeben worden sind; der Rechtsstreit muss sich bereits bei Veranlassung des Gutachtens einigermaßen konkret abzeichnen (BGH NJW 2003, 1398 ff.). Abzugrenzen sind davon allgemeine, eher routinemäßige Prüfungen, ob überhaupt eine Einstandspflicht besteht, denn dies hat die Partei grundsätzlich in eigener Verantwortung vorzunehmen (NJW 2008, 1597-1598). Die Kosten einer Abmahnung gehören nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu den einen Rechtsstreit unmittelbar vorbereitenden Kosten. Die Abmahnung hat eine doppelte Funktion. Sie dient der Streitbeilegung ohne Inanspruchnahme der Gerichte und mit ihr verfolgt der Gläubiger das weitere Ziel, dem Schuldner die Möglichkeit zu verwehren, den gerichtlich geltend gemachten Anspruch mit der Kostenfolge des § 93 ZPO anzuerkennen. Auch dieser letztgenannte Zweck hat keine den Prozess unmittelbar vorbereitende Funktion. Zulässigkeit und Begründetheit der Klage hängen nicht von einer vorangegangenen Abmahnung ab (zu allem BGH NJW-RR 2006, 501, 502).
Auch hat der Bundegerichtshof verschiedentlich darauf hingewiesen, dass bei der Prüfung, ob eine Rechtsverfolgung- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 ZPO ist, eine typisierende Betrachtungsweise geboten ist (BGH NJW 2003, 902; BGH NJW-RR 2005, 1662; BGH NJW 2007, 2048), weil es sich bei dem Kostenfestsetzungsverfahren um ein Massenverfahren handelt, das einer zügigen und möglichst unkomplizierten Abwicklung bedarf. Der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall darüber gestritten werden kann, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind (s. nur BGH NJW 2007, 2048, 2049).
Normativer Ausgangspunkt der Betrachtung ist insoweit stets die prozessbezogene Notwendigkeit der Entstehung der aufgewendeten Kosten gemäß § 91 ZPO.
2. In Anwendung vorgenannter Maßstäbe gelangt der Senat vorliegend zu dem Ergebnis, dass die von der Klägerin zur Festsetzung angemeldeten Kosten des Sicherungs- und Gestattungsverfahrens im Sinne des § 101 Abs. 9 UrhG nicht festsetzungsfähig sind.
Zwar geht die Literatur bezüglich des Sicherungs- und Gestattungsverfahrens bei der Anschlussermittlung von IP-Adressen der Begründung des Gesetzgebers folgend von einer Erstattungsfähigkeit im späteren Verfahren gegen den Anschlussinhaber/Urheberrechtsverletzer aus (vgl. Backhaus in: Mestmäcker/Schulze, Urheberrechtskommentar, § 101 Rn. 69 m. w. N.). Die amtliche Begründung zu § 101 Abs. 9 UrhG im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums v. 20.04.2007 führt insoweit aus, dass zunächst der Verletzte die Kosten für die richterliche Anordnung tragen solle, er sie aber später "als Schaden gegenüber dem Verletzer geltend machen" könne (BT-Drs. 16/5048, S. 49 unter Verweis auf die Begründung zu § 140b PatentG, dort zu Abs. 9 S. 39, 40). Dies besagt aber nichts darüber, dass der Gesetzgeber insoweit von einer Kostenerstattung nach § 91 ZPO auf Grundlage eines prozessualen Kostenerstattungsanspruchs ausgegangen ist, weil es sich insoweit ohne weiteres auch um einen bloßen materiell-rechtlichen Anspruch handeln kann.
Unmittelbare Prozessbezogenheit der hier konkret von der Klägerin für das Sicherungs- und gestattungsverfahren veranlassten Kosten vermag der Senat vorliegend nicht festzustellen. Dies folgt bereits daraus, dass die Klägerin das Ergebnis des von ihr betriebenen Sicherungs- und Auskunftsverfahrens vor Klagerhebung in einer Abmahnung verwendet hat. Dies wäre ihr ohne die erhaltenen Auskünfte nicht möglich gewesen. Angesichts des Umstandes, dass nach den Grundsätzen der höchstrichterliche Rechtsprechung bereits die Kosten des Abmahnverfahrens im Hinblick auf einen im Anschluss geführten Rechtsstreit keine notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung sind (s.o.), gilt dies erst recht, wenn die getätigten Aufwendungen wie hier - nicht der Vorbereitung eines konkreten Rechtsstreits, sondern einer dem konkreten Rechtstreit vorangehenden Abmahnung dienen. Der Senat teilt insoweit nicht die Auffassung der Klägerin, es gehe bei den in Rede stehenden Kosten "um zwingend notwendige Kosten und Gebühren zum Zwecke des Nachweises der Rechtsverletzung und damit der Beweissicherung für das, ebenfalls regelmäßig notwendig werdende, streitige Verfahren" (Bl. 77 d.A.). Ob dies in Fällen anders zu beurteilen ist, in denen Unterlassungsansprüche ohne vorherige Abmahnung unmittelbar im Klagewege geltend gemacht werden, kann dahinstehen. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Daran muss sich die Klägerin festhalten lassen.
Dem kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, durch die Festsetzung im gegenüber einem Hauptsacheverfahren wesentlich einfacheren Kostenfestsetzungsverfahren könne die knappe Ressource Recht besser bewirtschaftet werden. Dem steht entgegen, dass die Prüfung der Berechtigung von Ansprüchen der hier in Rede stehenden Art in einem schematisierten Massenverfahren den komplizierten Fragen der Berechtigung solcher Ansprüche nicht gerecht würde. Insbesondere folgt aus dem Umstand, dass eine Rechtsverletzung über eine IP-Adresse erfolgt ist, noch nicht, dass der Anschlussinhaber für eine über diesen Anschluss begangene Urheberrechtsverletzung verantwortlich ist und Abmahnkosten und Schadensersatz zu leisten hat (s. z.B. zur eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit von Eltern für Urheberrechtsverletzungen ihrer Kinder über den elterlichen Internetanschluss: BGH NJW 2013, 1441 ff.). Dementsprechend ist auch in jedem Einzelfall zu prüfen, ob gegen den Anschlussinhaber ein materieller Erstattungsanspruch bezüglich des Verfahrens nach § 101 Abs. 9 UrhG besteht. Diese Prüfung kann nicht durch die pauschale Zuerkennung eines prozessualen Kostenerstattungsanspruchs unterlaufen werden.
Überdies vermag der Senat der Klägerin nicht darin zu folgen, dass es sich bei dem kostenauslösenden Gerichtsverfahren lediglich um das Verfahren zur Herausgabe von Namen und Anschrift eines bereits feststehenden Gegners handelt. Entgegen der klägerischen Auffassung ist die Gegnerin nämlich durch die dynamische IP-Adresse nicht zweifelsfrei identifizierbar oder individualisierbar. IP-Adressen haben gerade keine Identitätsfunktion, sondern sie sind nur vorübergehend einem Anschlussinhaber zugeordnet, der auch befugt ist, den Internetzugang Dritten zur Verfügung zu stellen; es besteht insoweit lediglich eine tatsächliche Vermutung, die eine sekundäre Darlegungslast auslöst (BGH NJW 2010, 2061 ff.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
4. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil er die Rechtssache für eine solche von grundsätzlicher Bedeutung hält, § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
OLG Hamburg:
Beschluss v. 04.09.2013
Az: 8 W 17/13
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