Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 10. Mai 2000
Aktenzeichen: 1 BvR 1864/95

(BVerfG: Beschluss v. 10.05.2000, Az.: 1 BvR 1864/95)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss entschieden, dass eine Verfassungsbeschwerde abgelehnt wird. Die Beschwerde betraf die Frage, ob klinische Versuche mit einem patentgeschützten Wirkstoff als patentfreie Benutzungshandlungen zu werten sind. Die Beschwerdeführerin war exklusive Lizenznehmerin eines europäischen Patents für einen mit Gentechnologie gewonnenen Wirkstoff. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens führten klinische Versuche mit dem patentierten Wirkstoff durch. Das Landgericht gab der Klage der Beschwerdeführerin teilweise statt, das Oberlandesgericht entschied zugunsten der Beschwerdeführerin. Der Bundesgerichtshof wies die Klage jedoch ab und entschied, dass klinische Versuche als rechtmäßige Handlungen zu Versuchszwecken angesehen werden können.

Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass dies eine Verletzung ihres Eigentumsrechts nach Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes darstellt. Das Bundesverfassungsgericht stellte jedoch fest, dass die Auslegung des Bundesgerichtshofs des Versuchsprivilegs nicht gegen das Eigentumsrecht verstößt. Die gesetzliche Regelung des Versuchsprivilegs im Patentgesetz stellt eine zulässige Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums im Sinne von Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes dar. Der Gesetzgeber hat einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Ausschließlichkeitsinteresse des Patentinhabers und dem Interesse der Allgemeinheit an der Forschung und Entwicklung der patentierten Erfindung geschaffen. Das Bundesverfassungsgericht kam daher zu dem Schluss, dass die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat und nicht zur Entscheidung angenommen wird.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BVerfG: Beschluss v. 10.05.2000, Az: 1 BvR 1864/95


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob es mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu vereinbaren ist, klinische Versuche mit einem patentgeschützten Wirkstoff als patentfreie Benutzungshandlungen zu werten.

I.

1. Die Beschwerdeführerin ist für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausschließliche Lizenznehmerin des europäischen Patents, das ein mit Mitteln der Gentechnologie gewonnenes Polypeptid mit Human-Immuninterferon (IFN-gamma)-Eigenschaften mit einer bestimmten Aminosäuresequenz betrifft. Das Patent ist am 18. Oktober 1982 angemeldet worden. Die Erteilung des Patents wurde am 28. Juni 1989 veröffentlicht. Auf das entsprechende deutsche Patent, dessen ausschließliche Lizenznehmerin die Beschwerdeführerin ebenfalls war, hat die Patentinhaberin mit Erklärung vom 13. Februar 1995 verzichtet.

Die Beklagte zu 4. des Ausgangsverfahrens bezog aus dem Ausland Interferon-gamma, dessen Aminosäuresequenz derjenigen der Klagepatente entspricht, und stellte daraus das vom Bundesgesundheitsamt mit Beschluss vom 24. Januar 1989 zugelassene Arzneimittel "Polyferon" zur Behandlung der klassischen rheumatoiden Arthritis her. Anschließend lieferte sie das Produkt an eine weitere Beklagte, die dieses vertrieb. Das Bundespatentgericht erteilte der Beklagten zu 4. an den Klagepatenten eine Zwangslizenz, wonach diese befugt war, Polyferon herzustellen, für die zugelassene Indikation anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder den Wirkstoff einzuführen oder zu besitzen.

Ferner betrieben die Beklagten des Ausgangsverfahrens klinische Versuche mit dem Wirkstoff Interferon-gamma im Hinblick auf weitere für möglich gehaltene Indikationen.

Das Landgericht gab der auf Unterlassung einer Benutzung der Klagepatente gerichteten Klage gegen die Beklagten zu 1. bis 6. statt, verurteilte die Beklagten zu 1., 2., 4. und 5. zur Rechnungslegung und stellte fest, dass die Beklagten zu einer angemessenen Entschädigung verpflichtet seien. Das auf Feststellung der Schadensersatzpflicht und Rechnungslegung im Hinblick auf einen Schadensersatzanspruch gerichtete Klagebegehren wies es jedoch ab. Im Berufungsverfahren erklärten die Parteien des Ausgangsverfahrens die Klageansprüche, soweit sie von der Zwangslizenz betroffen wurden, übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Das Oberlandesgericht gab dem von der Beschwerdeführerin noch verfolgten Begehren statt und wies die Berufung der Beklagten zurück.

Auf die Revision der Beklagten wies der Bundesgerichtshof die Klage mit Urteil vom 11. Juli 1995 (BGHZ 130, 259) überwiegend ab. Die Beschwerdeführerin habe keinen Anspruch auf Unterlassung der klinischen Studien zur Ermittlung weiterer Indikationen des Arzneimittels Polyferon. Der Bundesgerichtshof vertritt in der angefochtenen Entscheidung - in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 11 Nr. 2 des Patentgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 (- PatG -, BGBl 1981 I S. 1) - die Auffassung, dass eine rechtmäßige Handlung zu Versuchszwecken im Sinne der genannten Vorschrift vorliegen könne, wenn ein patentierter Arzneimittelstoff bei klinischen Versuchen mit dem Ziel eingesetzt werde, zu erfahren, ob und gegebenfalls in welcher Form er geeignet sei, bestimmte weitere Krankheiten beim Menschen zu heilen oder zu lindern.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.

Das Urteil des Bundesgerichthofs verstoße gegen die grundgesetzliche Garantie des Eigentums, da die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung des Versuchsprivilegs des § 11 Nr. 2 PatG dazu führe, dass der Patentinhaber seines Ausschließlichkeitsrechts am Gegenstand des Patents beraubt werde.

Das Bundesministerium der Justiz, die Beklagten des Ausgangsverfahrens und der Verband Forschender Arzneimittelhersteller haben Gelegenheit erhalten, zu der Verfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen.

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller ist der Auffassung, dass die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung des Versuchsprivilegs nicht dem vom Gesetzgeber vorgesehenen vernünftigen Ausgleich zwischen dem Ausschließlichkeitsinteresse des Patentinhabers einerseits und dem Interesse der Allgemeinheit sowie von Forschung und Lehre an der Verifizierung, Vervollkommnung und Weiterentwicklung der patentierten Erfindung andererseits entspreche. Mit der Ausweitung des Versuchsprivilegs werde nicht die wissenschaftliche Forschung seitens der Nachahmerindustrie zum Wohle der Allgemeinheit gefördert, sondern die innovative Forschung seitens der forschenden Arzneimittelindustrie zu Lasten der Allgemeinheit gehemmt. Denn der Innovator werde in zunehmendem Maße der Möglichkeit beraubt, seine hohen Investitionen durch Einnahmen während der Laufzeit des Patents und gegebenfalls des anschließenden Zertifikatschutzes zu amortisieren und die finanziellen Mittel für die Aufrechterhaltung seiner Forschungs- und Entwicklungstätigkeit bereit zu stellen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Diese ist nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lässt und noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt oder durch veränderte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig geworden ist (vgl. BVerfGE 90, 22 <24>).

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass das vom Urheber geschaffene Werk und die darin verkörperte Leistung Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sind, dass aus seiner verfassungsrechtlichen Gewährleistung dem Urheber die Befugnis erwächst, dieses "geistige" Eigentum wirtschaftlich zu nutzen, und dass dem Gesetzgeber im Rahmen des Regelungsauftrags nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die Aufgabe obliegt, sachgerechte Maßstäbe festzulegen, die eine der Natur und sozialen Bedeutung des Rechts entsprechende Nutzung und angemessene Verwertung sicherstellen (vgl. BVerfGE 31, 229 <238 ff.>; 49, 382 <392>). Diese Grundsätze gelten entsprechend für das Patentrecht (vgl. BVerfGE 36, 281 <290 f.>: für das technische Urheberrecht des Erfinders, das noch nicht zum Patentrecht erstarkt ist).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung des als verletzt bezeichneten Grundrechts angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Denn die Verfassungsbeschwerde ist im Ergebnis ohne hinreichende Aussicht auf Erfolg.

a) Die Verfassungsbeschwerde ist zwar zulässig. Die Beschwerdeführerin kann eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geltend machen, da sie als Lizenznehmerin, soweit die Lizenz reicht, Dritten gegenüber gemäß § 15 Abs. 2 PatG in das ausschließliche Benutzungsrecht des Patentinhabers einrückt (vgl. Keukenschrijver, in: Busse, Patentgesetz, 5. Auflage, 1999, § 15 PatG Rn. 60). Diese Lizenz ist damit eine eigentumsfähige Position im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Beschränkungen des patentrechtlichen Ausschlussrechts wirken sich unmittelbar auf das Lizenzrecht aus, so dass die Beschwerdeführerin durch die Auslegung der patentrechtlichen Vorschrift des § 11 Nr. 2 PatG im angegriffenen Urteil in ihrem Eigentumsrecht betroffen ist.

b) Die Verfassungsbeschwerde ist aber unbegründet. Das Urteil des Bundesgerichtshofs verstößt nicht gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.

aa) § 11 Nr. 2 PatG, auf dem die angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs maßgeblich beruht, verletzt selbst nicht das Eigentumsrecht. Diese Vorschrift begrenzt zwar die Wirkungen des Patents, sie stellt jedoch eine zulässige Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.

Gemäß Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes über das Gemeinschaftspatent und zur Änderung patentrechtlicher Vorschriften (Gemeinschaftspatentgesetz - GPatG -) vom 26. Juli 1979 (BGBl I S. 1269) ist § 11 PatG nur auf die Patente anzuwenden, die seit dem 1. Januar 1981 beim Deutschen Patentamt angemeldet worden sind. Dies gilt gemäß Art. 64 Abs. 1 des Übereinkommens vom 5. Oktober 1973 über die Erteilung europäischer Patente (- EPÜ -, BGBl 1976 II S. 649, 826) entsprechend auch für europäische Patente (vgl. Keukenschrijver, in: Busse, Patentgesetz, a.a.O., § 11 Rn. 4, § 9 Rn. 9). Der Gesetzgeber hat mithin durch die Begrenzung der Patentwirkungen nicht in bestehende Patente eingegriffen, sondern den Inhalt und die Schutzwirkungen künftiger Patente geregelt. Soweit Patente seit dem 1. Januar 1981 begründet worden sind, ist den Inhabern von vornherein nur eine in dieser Weise eingeschränkte Rechtsposition eingeräumt worden (vgl. BVerfGE 58, 300 <336>).

Der Gesetzgeber ist aber auch bei der Bestimmung des Eigentumsinhalts für die Zukunft an verfassungsrechtliche Schranken gebunden. Er kann bei der Ausgestaltung des Patentrechts nicht beliebig verfahren. Er muss bei der Festlegung der Befugnisse und Pflichten, die den Inhalt des Rechts ausmachen, den grundlegenden Gehalt der Eigentumsgarantie wahren, sich aber auch mit allen anderen Verfassungsnormen in Einklang halten (vgl. BVerfGE 31, 229 <240>).

Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet zunächst das Privateigentum als Rechtsinstitut, das im Wesentlichen durch die Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsfähigkeit über das Eigentumsobjekt gekennzeichnet ist (vgl. BVerfGE 24, 367 <389 f.>; 26, 215 <222>; 31, 229 <240>). Das bedeutet für das Patentrecht: Zu den konstituierenden Merkmalen des Patentrechts als Eigentum im Sinne der Verfassung gehören die grundsätzliche Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung an den Patentinhaber im Wege privatrechtlicher Normierung und seine Freiheit, in eigener Verantwortung darüber verfügen zu können. Das macht den grundgesetzlich geschützten Kern des Patentrechts aus.

Diese grundsätzliche Zuordnung der vermögenswerten Seite des Patentrechts an den Inhaber zur freien Verfügung bedeutet aber nicht, dass damit jede nur denkbare Verwertungsmöglichkeit verfassungsrechtlich gesichert sei. Die Institutsgarantie gewährleistet einen Grundbestand von Normen, der gegeben sein muss, um das Recht als "Privateigentum" bezeichnen zu können. Im Einzelnen ist es Sache des Gesetzgebers, im Rahmen der inhaltlichen Ausprägung des Patentrechts nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sachgerechte Maßstäbe festzulegen, die eine der Natur und der sozialen Bedeutung des Rechts entsprechende Nutzung und angemessene Verwertung sicherstellen (vgl. BVerfGE 31, 229 <240 f.>).

Eine diesen prinzipiellen Forderungen der Eigentumsgarantie gemäße Regelung hat der Gesetzgeber in dem Ausschließlichkeitsrecht der §§ 9, 10 PatG getroffen. Dem Patentrecht sind in § 11 PatG Schranken gezogen, da die Wirkungen des Patents für bestimmte Bereiche ausgeschlossen werden. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der gesetzlichen Schranken des § 11 Nr. 2 PatG ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht nur die Individualbelange zu sichern hat, sondern ihm auch aufgetragen ist, den individuellen Berechtigungen und Befugnissen die im Interesse des Gemeinwohls erforderlichen Grenzen zu ziehen; er muss den Bereich des Einzelnen und die Belange der Allgemeinheit in einen gerechten Ausgleich bringen (vgl. BVerfGE 31, 229 <241 f.>).

Soweit ersichtlich, wird weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur bestritten, dass das Versuchsprivileg des § 11 Nr. 2 PatG eine nach diesen Maßgaben verfassungsgemäße Inhaltsbestimmung des Patentrechts ist. Forschung und Fortentwicklung von Wissenschaft und Technik sind nur mittels Versuchen möglich, die jeweils auf den neuesten Forschungsergebnissen aufbauen. Von Verfassungs wegen ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die Interessen des Patentinhabers hinter diesen Belangen insoweit zurücktreten lässt. Davon geht auch die Beschwerdeführerin aus. Der Gesetzgeber habe - so die Beschwerdeführerin - einen vernünftigen Ausgleich zwischen dem Ausschließlichkeitsinteresse des Erfinders bzw. Patentinhabers einerseits und dem Interesse der Allgemeinheit sowie von Forschung und Lehre an der Verifizierung der patentierten Erfindung sowie ihrer Vervollkommnung und Weiterentwicklung vorgenommen.

bb) Entsprechend richtet sich das Beschwerdevorbringen der Beschwerdeführerin auch nicht unmittelbar gegen die gesetzliche Vorschrift des § 11 Nr. 2 PatG, sondern ausschließlich gegen die vom Bundesgerichtshof vorgenommene - nach Ansicht der Beschwerdeführerin zu weit reichende - Auslegung dieser Norm.

Die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>). Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erst erreicht, wenn die Auslegung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 89, 1 <10> m.w.N.).

Dafür, dass der Bundesgerichtshof in dem angegriffenen Urteil die Bedeutung und Tragweite des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verkannt hätte, bestehen keine Anhaltspunkte.

Der Bundesgerichtshof hat zwar nicht ausdrücklich das Patentrecht als geschütztes Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bezeichnet, er hat aber klargestellt, dass die Rechtsordnung dem Erfinder als angemessenen Lohn für die Bereicherung der Allgemeinheit ein ausschließliches Nutzungsrecht gewährt. Der Bundesgerichtshof hat auch, wie den anschließenden Ausführungen zur Rechtfertigung der Patentrechtsbeschränkungen im Hinblick auf die "Sozialbindung des Eigentums" zu entnehmen ist, den verfassungsrechtlichen Schutz des Patentrechts als Eigentum gesehen.

Der Bundesgerichtshof ist ebenso bei der Abwägung der widerstreitenden Belange der Bedeutung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gerecht geworden. Er hat das von ihm im Wege der Auslegung des § 11 Nr. 2 PatG nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte gewonnene Ergebnis anschließend daraufhin überprüft, ob es insbesondere auch mit dem Recht des Patentinhabers zu vereinbaren ist. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass ein uneingeschränkter Schutz des Patents mit Rücksicht auf die Grundsätze der Freiheit der Forschung und die Sozialbindung des Eigentums dort nicht gerechtfertigt sei, wo die Weiterentwicklung der Technik gehindert werde. Dem Zweck des Patentrechts, den technischen Fortschritt zu fördern und den Erfindergeist für das Gewerbe in nutzbringender Weise anzuregen, liefe es zuwider, wenn Versuchshandlungen ausgeschlossen würden, die der Forschung und Fortentwicklung der Technik dienten. Da die Wirkung von gentechnisch gewonnenen Arzneimitteln nur durch Erprobung am Menschen ermittelt werden könne, sei es im Interesse der Allgemeinheit geboten, klinische Erprobungen und Untersuchungen mit Wirkstoffen an Menschen als Versuchshandlungen soweit frei zu stellen, als diese Versuche unmittelbar auf die Gewinnung von Erkenntnissen gerichtet seien. Dem stehe nicht entgegen, dass solche klinischen Versuche auf eine arzneimittelrechtliche Zulassung zielten, da sie nach dem Arzneimittelgesetz nur bei dieser Zielvorgabe zulässig seien.

Der Bundesgerichtshof hat dabei auch erkannt, dass eine solche weite Auslegung des Versuchsprivilegs dazu führen kann, dass der Inhaber eines Stoffpatents im Arzneimittelbereich Gefahr läuft, in der ausschließlichen Nutzung seines Patents durch eine Massierung von Versuchsprojekten empfindlich beeinträchtigt zu werden. Dies gilt vor allem dann, wenn Dritte aufgrund der gefundenen Versuchsergebnisse Verwendungspatente anstreben und erzielen. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs sind diese Beeinträchtigungen hinzunehmen, da der Patentinhaber eines Erzeugnisses durch Gewährung des Patentschutzes nur für den Beitrag belohnt werden soll, den er zur Bereicherung der Technik durch die Bereitstellung dieses Erzeugnisses beigetragen hat. Es sei nicht geboten, ihm allein den vollen Lohn auch für solche Verwendungsarten seines Erzeugnisses zuzuweisen, zu deren Auffindung es erst noch der erfinderischen Tätigkeit eines Dritten bedürfe. Zudem könne der Inhaber des jüngeren Verwendungspatents zwar den Inhaber des älteren Erzeugnispatents von der geschützten Verwendung ausschließen, sein Verwendungspatent sei aber von dem Erzeugnispatent abhängig. Da der Inhaber des jüngeren Verwendungspatents in dessen Schutzbereich eingreife, könne er ohne Zustimmung des Inhabers des Erzeugnispatents dieses nicht verwerten. Das Stoffpatent behalte vielmehr in Folge der Abhängigkeit des Verwendungspatents seinen wirtschaftlichen Wert, weil der Inhaber des jüngeren Patents zu dessen Benutzung die Zustimmung des Inhabers des älteren Patents benötige und das ältere Patent gegenüber Dritten auch bezüglich der durch das jüngere Patent geschützten Verwendung seine volle Geltung behalte.

Auch diese Ausführungen des Bundesgerichtshofs begegnen keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Dabei ist davon auszugehen, dass der Patentinhaber - wie der Urheber (vgl. BVerfGE 31, 229 <243>) - nach dem Inhalt der Eigentumsgarantie grundsätzlich einen Anspruch darauf hat, dass ihm der wirtschaftliche Nutzen seiner Arbeit zugeordnet wird, soweit nicht Gründen des gemeinen Wohls der Vorrang vor den Belangen des Patentinhabers zukommt. Entsprechend wäre es mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren, wenn der Patentinhaber nicht nur im Interesse der Allgemeinheit gezwungen wäre, klinische Versuche mit seiner patentierten Erfindung zu dulden, sondern ohne gesteigertes öffentliches Interesse auch noch auf den wirtschaftlichen Wert seiner Erfindung zu verzichten (vgl. BVerfGE 31, 229 <243>). Die Einbußen, die unmittelbar durch die klinischen Versuche beim Patentinhaber eintreten, sind aber hinnehmbar, weil sie sich, wenn und solange es sich tatsächlich um Versuche handelt, in Grenzen halten werden. Unverhältnismäßige Einbußen wären nur dann zu erwarten, wenn unter missbräuchlicher Ausnutzung des Versuchsprivilegs die tatsächliche Verwertung des Wirkstoffs betrieben würde. Die Erstreckung des Versuchsprivilegs auf solche Missbrauchsfälle wäre mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht mehr zu vereinbaren. Im Ausgangsverfahren bestand für den Bundesgerichtshof kein Anlass, den Ausschluss derartiger Missbrauchsfälle vom Versuchsprivileg ausdrücklich festzustellen. In seinem Urteil vom 17. April 1997 hat er jedoch eine Klarstellung in diesem Sinne vorgenommen. Nach dieser Entscheidung liegen keine zulässigen Versuchshandlungen im Sinne des § 11 Nr. 2 PatG vor, wenn der Versuch selbst keinen Bezug zur technischen Lehre hat oder wenn Erprobungen in einem vom Versuchszweck nicht mehr gerechtfertigten großen Umfang vorgenommen oder in der Absicht durchgeführt werden, den Absatz des Erfinders mit seinem Produkt zu stören oder zu hindern (vgl. BGHZ 135, 217, Leitsatz c). Werden die wirtschaftlichen Einbußen für den Patentinhaber durch die Versuche als solche, soweit sie im zulässigen Rahmen verbleiben, regelmäßig vergleichsweise gering bleiben, würde es sich umgekehrt als Hindernis für weitere Forschungen durch Dritte auswirken, wenn bereits der Versuch mit dem patentierten Wirkstoff nur gegen ein Entgelt zulässig wäre, zumal wenn der Erfolg des Versuchs ungewiss ist.

Gewichtiger sind die Rechtsfolgen, die sich nach erfolgreichem Abschluss der Versuche gegebenenfalls aus der Erteilung von Verwendungspatenten an Dritte und deren wirtschaftlicher Verwertung ergeben. Beruhen die wirtschaftlichen Einbußen des Inhabers des Erzeugnispatents in diesem Falle zwar letztlich - wie auch der Bundesgerichtshof betont hat - auf der Erteilung der Verwendungspatente und nicht unmittelbar auf der Zulassung der Versuche, so ist doch nicht zu verkennen, dass ohne die Ausnutzung des Versuchsprivilegs die Erteilung eines Verwendungspatents während der Laufzeit des Erzeugnispatents nicht möglich wäre. Allerdings kann - worauf der Bundesgerichtshof ausdrücklich hingewiesen hat - der Inhaber des jüngeren Verwendungspatents dieses ohne Zustimmung des Inhabers des Erzeugnispatents nicht verwerten. Der Inhaber des Erzeugnispatents partizipiert, da er für seine Zustimmung ein entsprechendes Entgelt erhalten wird, somit an dem wirtschaftlichen Wert des Verwendungspatents. Damit erhält er zugleich einen finanziellen Ausgleich dafür, dass er die Versuchshandlungen, die auf Erlangung des Verwendungspatents zielten, dulden musste. Insoweit bleibt der wirtschaftliche Wert des Erzeugnispatents seinem Inhaber - wie grundsätzlich von Art. 14. Abs. 1 Satz 1 GG gefordert (vgl. BVerfGE 31, 229 <243>) - zugeordnet. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn auch dem Dritten für solche Verwendungsarten, zu deren Auffinden es noch dessen erfinderischer Tätigkeit bedurfte, ein Anteil am wirtschaftlichen Erfolg zugesprochen wird. Denn der wirtschaftliche Wert des Verwendungspatents beruht gerade auch auf seiner Tätigkeit.

Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung des § 11 Nr. 2 PatG verstößt auch nicht deshalb gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, weil ein Dritter, der nach Abschluss der Versuche ein Verwendungspatent erhalten hat, den Inhaber des Erzeugnispatents von Verwendungshandlungen im Bereich dieses Verwendungspatents ausschließen kann. Abgesehen davon, dass dies auch nur eine mittelbare Folge des Versuchsprivilegs ist, bestünde im Übrigen für Dritte, soweit sie - wie die Beklagten des Ausgangsverfahrens - gewerblich tätig sind, kein Anreiz, andere Verwendungsarten zu erforschen, wenn ihr Verwendungspatent nicht auch gegenüber dem Inhaber des Erzeugnispatents geschützt wäre. Gerade wenn es um die Bekämpfung von Krankheiten geht, hat die Allgemeinheit aber ein erhebliches Interesse daran, dass entsprechende Anreize zur Forschung nicht entfallen.

Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass die Freistellung derartiger klinischer Versuche zu einer mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht mehr zu vereinbarenden Verkürzung der Patentschutzzeit führte. Zwar werden möglicherweise Konkurrenten des Stoffpatentinhabers, die während der Patentschutzzeit unter Ausnutzung des Privilegs des § 11 Nr. 2 PatG klinische Versuche betreiben, nach Ablauf der Patentschutzzeit früher konkurrierende Produkte anbieten können, als ihnen dies möglich wäre, wenn sie erst nach Ablauf des Patentschutzes die notwendigen Versuche unternehmen dürften. Unabhängig von der Frage, ob von Verfassungs wegen eine Mindestdauer des Patentschutzes von zwanzig Jahren (§ 16 Abs. 1 Satz 1 PatG) und ein sich gegebenenfalls nach § 16 a PatG anschließender ergänzender Schutz von bis zu fünf Jahren vorgegeben sind, folgt aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG keinesfalls, dass der Patentinhaber auch nach Ablauf dieser gesetzlich festgelegten Zeit vor Konkurrenz geschützt werden müsste. Bei der so genannten faktischen Entwicklungssperre im Anschluss an die - gegebenenfalls mit Hilfe des Schutzzertifikats verlängerte - Patentschutzzeit handelt es sich lediglich um eine bloße Erwartung des Patentinhabers, dass er möglichst lange von Konkurrenz verschont bleiben möge. Wird diese Zeit des faktischen Konkurrenzschutzes dadurch verkürzt, dass bereits während der Patentlaufzeit Versuchshandlungen erlaubt sind, berührt dies nicht das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Patentrecht.

Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung des § 11 Nr. 2 PatG lässt mithin keine verfassungsspezifischen Rechtsfehler erkennen. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass der Bundesgerichtshof bei Anwendung der von ihm ohne Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ausgelegten Vorschrift das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin verkannt hätte.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.






BVerfG:
Beschluss v. 10.05.2000
Az: 1 BvR 1864/95


Link zum Urteil:
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