Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. Januar 2000
Aktenzeichen: 6 W (pat) 4/99
(BPatG: Beschluss v. 27.01.2000, Az.: 6 W (pat) 4/99)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in dem Beschluss vom 27. Januar 2000 (Aktenzeichen 6 W (pat) 4/99) den Beschluss der Patentabteilung 25 des Deutschen Patentamtes vom 19. Oktober 1998 aufgehoben. Gleichzeitig wurde der Einspruch als unzulässig verworfen.
Die Patentabteilung hatte das angemeldete Patent mit dem Titel "Leiteinrichtung, bestehend aus lösbar zusammensetzbaren Einzelteilen" widerrufen, da sie keine erfinderische Tätigkeit erkennen konnte. Dagegen hatte die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt und argumentiert, dass der Einspruch nicht ausreichend substantiiert und daher unzulässig sei.
Die Einsprechende hatte ihren Einspruch jedoch mit einer Eingabe vom 7. Januar 2000 zurückgenommen. Infolgedessen wurde das Verfahren fortgesetzt, obwohl die Einsprechende nicht mehr beteiligt war. Die Beschwerde der Patentinhaberin wurde als zulässig erachtet.
Das Gericht stellte fest, dass die Begründung des Einspruchs den gesetzlichen Anforderungen nicht genügte. Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 4 des Patentgesetzes muss die Begründung eines Einspruchs die für die Widerrufsgründe maßgeblichen Umstände im Einzelnen darlegen. Die Einsprechende hatte zwar verschiedene Anlagen vorgelegt, jedoch nicht ausreichend dargelegt, wie der Inhalt dieser Anlagen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
Das Gericht betonte, dass die Einsprechende konkret angeben musste, wie und unter welchen Umständen die beteiligten Parteien Kenntnis von den Anlagen erhalten hatten und warum keine Verpflichtung zur Geheimhaltung bestand. Die vorgelegten Anlagen, wie Zeichnungen, Schriftstücke und Kalkulationslisten, wurden nicht ausreichend erklärt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die öffentliche Zugänglichkeit nicht substantiiert dargelegt wurde.
Aufgrund der unvollständigen Begründung des Einspruchs wurde dieser als unzulässig verworfen, ohne dass eine Sachprüfung stattfand.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 27.01.2000, Az: 6 W (pat) 4/99
Tenor
Der Beschluß der Patentabteilung 25 des Deutschen Patentamts vom 19. Oktober 1998 wird aufgehoben.
Der Einspruch wird als unzulässig verworfen.
Gründe
I Die Patentabteilung 25 des Deutschen Patentamts hat im Einspruchsverfahren das am 7. September 1989 angemeldete Patent 39 29 819, für das die Priorität der Voranmeldung in Deutschland (DE 89 03 821.5) vom 28. März 1989 in Anspruch genommen ist, mit Beschluß vom 19. Oktober 1998 mangels erfinderischer Tätigkeit widerrufen. Die Bezeichnung des Patents lautet: "Leiteinrichtung, bestehend aus lösbar zusammensetzbaren Einzelteilen".
Gegen den Beschluß der Patentabteilung richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Diese ist der Auffassung, daß der Einspruch nicht ausreichend substantiiert und damit unzulässig sei.
Die Patentinhaberin beantragt, den Beschluß der Patentabteilung 25 des Deutschen Patentamts vom 19. Oktober 1998 aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten.
Die Einsprechende hat ihren Einspruch mit Eingabe vom 7. Januar 2000 zurückgenommen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Das Verfahren ist von Amts wegen ohne die Einsprechende fortzusetzen, nachdem die Einsprechende den Einspruch zurückgenommen hat (PatG § 61 Abs 1 Satz 2).
Die Beschwerde ist zulässig. Sie führt dazu, daß der Einspruch unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ohne Sachprüfung als unzulässig verworfen wird.
Gemäß PatG § 59 Abs 1 Satz 4 hängt die Zulässigkeit eines Einspruchs u.a. davon ab, ob innerhalb der Einspruchsfrist die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im einzelnen angegeben wurden. Dieser Gesetzesvorschrift genügt die Begründung eines Einspruchs nur dann, wenn sie die für die Beurteilung der behaupteten Widerrufsgründe maßgeblichen Umstände "im einzelnen" so vollständig darlegt, daß der Patentinhaber und insbesondere das Patentamt daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können (BGH GRUR 1987, 513, 514 - Streichgarn; GRUR 1988, 113, 114 - Alkyldiarylphosphin; GRUR 1988, 364, 366 - Epoxidations-Verfahren).
Diesen Anforderungen werden die Ausführungen der Einsprechenden in dem Einspruchsschriftsatz vom 10. Februar 1995 nicht gerecht. Die Einsprechende hat angegeben, daß sie wegen des von ihr neu vorgelegten Materials den Gegenstand des Patents als offenkundig vorbenutzt und deshalb als nicht patentfähig ansieht. Sie hat es jedoch unterlassen, die Tatsachen anzugeben, aus denen sich die Zugehörigkeit des Inhalts der von ihr genannten und für ihre Argumentation unerläßlichen Zeichnungen und Schriftstücke gemäß Anlagen A bis K zum Stand der Technik ergibt.
Im einzelnen handelt es sich um folgende Zeichnungen und Schriftstücke:
Anlagen A bis C: Zwei Zeichnungen mit den Zeichnungsnummern "Kap. 12 Blatt 1" (Anlage A), und "Kap. 12 Blatt 2" (Anlage B), welche laut Legende eine "Außenkappe mit Stahlgleitwand" betreffen, sowie ein Detail "analog RZ Kap. 12" (Anlage C), zu denen die Einsprechende vorgetragen hat, es handle sich zweifelsfrei um Unterlagen aus dem Bundesverkehrsministerium.
Anlage D: Eine Kurzmitteilung der Patentinhaberin vom 7.4.1988 an die "V... GmbH & Co. KG" mit der Bitte um Abgabe eines Angebots.
Anlage E: Eine Zeichnung der Patentinhaberin, welche zwei Schnitte einer Leiteinrichtung zeigt und der Anlage E als Kopie beigelegen habe.
Anlage F: Eine Zeichnung vom 11.8.1988, in der die Anlage E mit zusätzlichen handschriftlich eingetragenen Maß- und Datumsangaben versehen wurde.
Anlage G: Drei Blatt Kalkulationslisten, die das Projekt A92 - K21/3 Donaubrücke Fischerdorf betreffen sollen.
Anlage H: Die Seite C 27 eines Text-/Preis-Verzeichnisses zum Projekt A 92 - K 21/3 Donaubrücke Fischerdorf.
Anlage I: Ein als Telefax angegebenes Angebot der "V... GmbH & Co. KG" an die "P... Co. GmbH & Co. KG" vom 8.6.88 mit einer beigefügten Skizze, Anlage K: Eine Zeichnung "BW Nr. 9051 Bl. Nr. 5" mit der Beschriftung Dilatationsstoß in Stahlgleitwand auf Bauwerk-467-, April 88.
Die Einsprechende hat für die Patentinhaberin und insbesondere das Patentamt nicht ohne eigene Recherchen nachvollziehbar dargelegt, auf welche Weise der Inhalt irgendeiner der Anlagen A bis K durch die von ihr erwähnten eingehenden Diskussionen oder Schriftwechsel im Sinne von § 3 Abs 1 Satz 2 PatG der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein soll.
Die Einsprechende macht in ihrem Einspruch zunächst geltend, daß die Außenkappe mit Stahlgleitwand gemäß den Anlagen A, B, C und K, die Entwürfe des Bundesverkehrsministeriums seien, lange vor dem Prioritätstag zwischen dem Bund/Länder-Fachausschuß Brücken- und Ingenieurbau im BMV, Abt. Stb einerseits und der S... GmbH (Patentinhaberin), der V... GmbH & Co. KG, der P... & Co. GmbH & Co. KG sowie der Saarlän- dischen Gesellschaft für Grubenausbau und Technik andererseits eingehend diskutiert worden sei. Die Diskussion habe "naturgemäß ohne Verpflichtung zur Geheimhaltung" stattgefunden; für diese letztgenannte Aussage benennt sie jeweils einen Zeugen aus jeder der genannten Firmen.
Dieser Vortrag läßt nicht erkennen, in welcher Weise, an welchem Ort und zwischen welchen Personen die Zeichnungen gemäß den Anlagen A bis C und K diskutiert worden sein sollen. Es fehlen Angaben darüber, unter welchen Umständen und wie eingehend an den Diskussionen Beteiligte von den Zeichnungen gemäß den Anlagen A bis C und K Kenntnis erlangten und weshalb bei diesen Diskussionen keinerlei Verpflichtung zur Geheimhaltung bestanden haben soll. Auch ist im einzelnen nicht ausgeführt, durch welche Handlungen der Beteiligten der Inhalt der Anlagen A bis C und K durch die Diskussionen der Öffentlichkeit, also einem beliebigen Personenkreis zugänglich gemacht worden sein sollen bzw wodurch ein solcher Personenkreis davon hätte Kenntnis nehmen können. Zur Darlegung der Zugehörigkeit des Inhalts der hier betrachteten Anlagen zum Stand der Technik hätte die Einsprechende im einzelnen angeben müssen, was gegen das als naturgemäß betrachtete Fehlen eines Geheimhaltungsinteresses sprechen könnte (vgl BPatGE 31, 174, 175).
Die Lebenserfahrung spricht nämlich für ein Geheimhaltungsinteresse der Beteiligten, das sich in der Regel auf Grund eines geschäftlichen Interesses ergibt (vgl BPatGE 31, 174, 175). Dies gilt grundsätzlich für Unternehmen bei einer Zusammenarbeit im Entwicklungsstadium. Aber auch für konkurrierende Firmen gilt dies, wenn sie in einem beschränkten Kreis mit der die Entwicklungsrichtung bestimmenden Behörde verhandeln, um letztlich allein oder gemeinsam mit anderen Teilnehmern Aufträge zu erlangen. Auch hier ist wegen der gleichen Interessenlage aller Beteiligten regelmäßig von einer stillschweigenden Geheimhaltungsvereinbarung auszugehen. Durch die Mitwirkung eines Bundesministeriums kann nichts anderes gelten, zumal die Einsprechende nicht ausgeführt hat, daß es sich bei den beteiligten Unternehmen nicht um bestimmte ausgewählte Unternehmen gehandelt habe. Die Teilnehmer an den Diskussionen repräsentieren also nicht die Öffentlichkeit. Es ist nichts vorgetragen und spricht auch nichts dafür, daß die von den Teilnehmern erlangten Kenntnisse über den engen Teilnehmerkreis hinaus an einen unbestimmten Personenkreis gelangten.
Die Anlage D, der laut Einsprechender die Anlagen A bis C sowie E beigefügt gewesen sein sollen, betrifft eine Anfrage der Patentinhaberin an zwei Unternehmen (u.a. die Einsprechende) mit der Bitte um ein Angebot. Bei solchen Anfragen handelt es sich regelmäßig um firmeninterne geschäftliche Vorgänge ohne irgendeine Außenwirkung, die - auch ohne ausdrückliche Verpflichtung zur Geheimhaltung - üblicherweise vertraulich behandelt werden und deshalb nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Es fehlt jeglicher Vortrag, warum in Abweichung von diesem Grundsatz der Inhalt der Anlagen öffentlich geworden sein soll.
Die Anlagen F und G betreffen firmeninterne Vorgänge der V... GmbH & Co. KG; Anlage F stellt die hausinterne Bearbeitung der Skizze nach Anlage E dar; Anlage G betrifft üblicherweise hausinternen Zwecken dienende Kalkulationslisten. Die Einsprechende hat somit auch hier nicht dargetan, wie beliebige Dritte außerhalb der Firma hiervon hätten Kenntnis erhalten können. Die in diesem Zusammenhang damit erwähnte Anlage H scheint ein Auszug einer Ausschreibung zu sein. Weder wird dazu etwas zur Öffentlichkeit gesagt noch ist ein eindeutiger Bezug zum Erfindungsgegenstand herstellbar. Inwieweit sie öffentlich zugänglich geworden sein soll, bleibt somit im Dunkeln.
Die Anlage I betrifft ein von der P... & Co. GmbH & Co. KG angefordertes An- gebot der V... GmbH & Co. KG. Beide Firmen waren nach dem Vortrag der Einsprechenden an den Diskussionen mit dem Bundesverkehrsministerium beteiligt, so daß sich bereits von daher Anhaltspunkte für Vertraulichkeit ergeben. Hinzu kommt, daß Angebote zwischen zwei Unternehmen üblicherweise nicht in die Öffentlichkeit gelangen. Dazu bedarf es keines ausdrücklichen Geheimhaltungsvermerks, wenn nicht ausnahmsweise besondere Gegebenheiten gegen eine Geheimhaltung sprechen würden (vgl. BPatG, Beschluß vom 15. September 1997, 11 W (pat) 35/96 - Fensterheber). Somit gibt auch dieser Vorgang keinen Anhaltspunkt, daß beliebige Dritte von dem Inhalt des Angebots hätten Kenntnis erhalten können.
Somit ist die öffentliche Zugänglichkeit des Inhalts der Anlagen A bis K innerhalb der Einspruchsfrist nicht substantiiert dargelegt worden. Die Zeugen sind immer nur zur Bestätigung ganz bestimmter Vorgänge genannt worden, deren Existenz nicht angezweifelt wird. Sollte die Einsprechende das Zeugenangebot allerdings als Ergänzung ihres Tatsachenvortrags ansehen, so sei bemerkt, daß ein Beweisantritt ausschließlich den Zweck verfolgen kann, die bereits innerhalb der Einspruchsfrist angegebenen Tatsachen zu bestätigen (BPatGE 22, 119; 40, 140). Die bloße Benennung von Zeugen kann nicht den erforderlichen substantiierten Sachvortrag ersetzten (BPatG BlPMZ 1991, 308, 309).
Der Einspruch ist somit formal unvollständig; er war daher ohne Sachentscheidung als unzulässig zu verwerfen.
Rübel Riegler Dr. Albrecht Sperling Cl
BPatG:
Beschluss v. 27.01.2000
Az: 6 W (pat) 4/99
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