Anwaltsgerichtshof München:
Beschluss vom 24. März 2011
Aktenzeichen: BayAGH I - 35/08

(AGH München: Beschluss v. 24.03.2011, Az.: BayAGH I - 35/08)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Anwaltsgerichtshof München hat in einem Beschluss vom 24. März 2011 entschieden, dass die Zulassung einer Rechtsanwältin nicht wegen Vermögensverfalls widerrufen wird. Die Antragstellerin wurde 1987 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und hatte ihre Kanzlei mehrmals gewechselt. Im Oktober 2007 wurde ihr bestätigt, dass sie die Berufsbezeichnung "Rechtsanwältin" führen darf. Im März 2008 wurde jedoch ein Verfahren auf Widerruf der Zulassung eingeleitet, da sie im Insolvenzregister aufgeführt war. Die Antragsgegnerin argumentierte, dass die Vermutung des Vermögensverfalls durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und den Eintrag im Insolvenzregister gerechtfertigt sei. Die Antragstellerin führte jedoch an, dass die Kreissparkasse die Forderung gegen sie nicht vollstrecken könne und dass sie sich im Restschuldbefreiungsverfahren befinde. Der Anwaltsgerichtshof entschied, dass die Vermutung des Vermögensverfalls widerlegt sei, da die Antragstellerin die Restschuldbefreiung erhalten habe. Die Kosten des Verfahrens wurden der Antragstellerin auferlegt, da sie bis zur Erledigung des Verfahrens der Widerruf der Zulassung rechtmäßig war. Die Entscheidung des Gerichts folgt dem bisherigen Sach- und Streitstand und es erscheint angemessen, keine Gerichtsgebühren und Auslagen zu erheben. Der Geschäftswert wurde auf 50.000 Euro festgesetzt.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

AGH München: Beschluss v. 24.03.2011, Az: BayAGH I - 35/08


Tenor

1. Gerichtliche Gebühren und Auslagen werden nicht erhoben.

2. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

3. Der Geschäftswert wird auf 50.000,--Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wurde mit Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 11.06.1987 (Az. 4 pW1378) zur Rechtsanwaltschaft zugelassen.

Zunächst hatte sie ihre Kanzlei in K. eingerichtet. Im Mai 1990 wechselte sie in den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Nürnberg. Ihre Kanzlei richtete sie in Sozietät mit Rechtsanwalt W. zunächst in L, ab September 1991, weiterhin in Sozietät mit Rechtsanwalt W., in M. ein.

Im Oktober 2007 bestätigte ihr die Antragsgegnerin zur Vorlage bei €Solicitors Regulation Authority€, dass die Antragstellerin berechtigt sei, die Berufsbezeichnung Rechtsanwältin zu führen. Sie hatte telefonisch mitgeteilt, sie beabsichtige, die Führung der Bezeichnung €European Lawyer€ zu beantragen. Am 01.02.2008 teilte der Ehemann der Antragstellerin, Rechtsanwalt W., auf Anfrage mit, diese sei als angestellte Rechtsanwältin in M. in seiner Kanzlei tätig. Gewohnt habe sie im Jahr 2007 in London. Seit Januar 2008 lebe sie in B. in England.

Im März 2008 wurde die Antragsgegnerin darauf aufmerksam, dass die Antragstellerin in dem im Internet geführten €Individual Insolvency Register€ aufgelistet ist. Mit Schreiben vom 06.03.2008 wurde daher das Verfahren auf Widerruf der Zulassung eingeleitet. In diesem Schreiben wurde die Antragstellerin auf die Voraussetzungen des § 14 II Nr. 7 BRAO hingewiesen, insbesondere auch auf die Vermutung eines Vermögensverfalls bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Rechtsanwalts. Weiter erfolgte der Hinweis, dass es bei Vermutung des Vermögensverfalls Sache des Rechtsanwalts sei, im Einzelnen nachzuweisen, dass tatsächlich ein Vermögensverfall nicht mehr bestehe.

Mit Schreiben vom 25.03.2008 zeigte Rechtsanwalt O. die anwaltschaftliche Vertretung der Antragstellerin an und nahm zur Frage des Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls Stellung.

Er machte insbesondere geltend, Hintergrund für das am 12.12.2007 eröffnete Insolvenzverfahren sei einzig und allein eine €angebliche Forderung€ der Kreissparkasse H. in Höhe von ca. 300.000,00 Euro, welche nicht aus der anwaltlichen Tätigkeit der Antragstellerin resultiere. Die notariellen Schuldurkunden seien Gegenstand einer Vollstreckungsgegenklage vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth. Die Verfahrensweise der Kreissparkasse verstoße gegen das Verbraucherkreditgesetz a.F. Die überschüssigen Zinszahlungen seien als zusätzliche Tilgung anzusehen, so dass gegebenenfalls sogar ein Rückzahlungsanspruch der Antragstellerin bestehe. Um den €sichersten Weg€ zu gehen, habe die Antragstellerin neben der Vollstreckungsabwehrklage einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt.

Die Antragstellerin sei angestellte Rechtsanwältin und verwalte keine Mandantengelder. Sie führe keine Geldkonten, die Kreissparkasse habe keine Möglichkeit, Zugriff zu nehmen. Ein Insolvenzverwalter sei bestellt worden; der Sachstand des Insolvenzverfahrens könne nicht mitgeteilt werden. Die drei Eigentumswohnungen, welche durch die Kreissparkasse H. finanziert worden seien, seien im Oktober 2006 veräußert worden. Die Verkaufserlöse seien der Kreissparkasse H. zugeflossen. Sonstiges Vermögen sei nicht vorhanden. Es bestehe aber innerhalb der Familie die Möglichkeit, mit der Kreissparkasse einen außergerichtlichen Vergleich abzuschließen. Aufgrund der besonderen Situation sei die Annahme des Vermögensverfalls aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gerechtfertigt.

Mit Bescheid vom 05.08.2008, der Antragstellerin zugestellt am 07.08.2008, widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung der Antragstellerin zur Rechtsanwaltschaft gem. § 14 II Nr. 7 BRAO.

Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, dass durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und den Eintrag in das englische Insolvenzregister gem. § 14 II Nr. 7, 2. Hs. BRAO der Vermögensverfall gesetzlich vermutet werde und diese Vermutung nicht widerlegt sei. Die Behauptung, die in den notariellen Urkunden titulierten Forderungen seien wohl nicht vollstreckbar und ungerechtfertigt, seien nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls zu beseitigen. Diese Vermutung könne auch nicht mit der Hoffnung auf finanzielle Unterstützung aus der Familie und auf eine vergleichsweise Erledigung der Angelegenheit ausgeräumt werden.

Der Bundesgerichtshof habe bereits mehrfach entschieden, dass die Vermögensverhältnisse nicht bereits deshalb als geordnet anzusehen seien, weil die Verfügungsgewalt über die Insolvenzmasse auf den Treuhänder übergehe. Erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens, mit welcher der Schuldner das Recht zurückerhalte, über die vormalige Insolvenzmasse frei zu verfügen und mit der Ankündigung der Restschuldbefreiung könnten die Vermögensverhältnisse grundsätzlich € zumindest bei Durchführung des Insolvenzverfahrens in Deutschland € wieder als geordnet angesehen werden. Der Stand des Insolvenzverfahrens sei nicht bekannt. Es bestünden daher Zweifel, ob die erwartete Restschuldbefreiung tatsächlich erteilt werde. Im Übrigen bestünden erhebliche Zweifel, ob die Erteilung einer Restschuldbefreiung in Großbritannien in Deutschland anerkannt werden müsse, weil die Antragstellerin ihre Kanzlei nach wie vor in M. eingerichtet habe und nach Auskunft ihres Ehemannes dort auch wohnhaft sei.

Vermögensverfall führe nach der Rechtsprechung regelmäßig zu einer Gefährdung der Rechtssuchenden. Anhaltspunkte dafür, dass hier von einer Gefährdung ausnahmsweise nicht auszugehen sei, seien nicht gegeben. Die Gefährdung werde weder durch den Insolvenzantrag beseitigt noch dadurch, dass der Vermögensverfall durch eine einzige Schuld begründet sei. Auch das Anstellungsverhältnis der Antragstellerin in einer Einzelkanzlei schließe die Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden nicht aus, da eine ausreichende Kontrolle nur bei Einstellung in eine Sozietät gewährleistet werden könne. Konkrete Vorkehrungen zur Verhinderung des Zugriffs auf Mandantengelder seien nicht vorgetragen.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 03.09.2008, eingegangen beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof am 05.09.2008, stellte die Antragstellerin Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Sie beantragte:

Der Bescheid der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Nürnberg vom 05.08.2008 wird aufgehoben.

Zur Begründung brachte die Antragstellerin im Wesentlichen vor, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen zwar die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls in sich berge, diese aber vorliegend widerlegt sei. Sie verweist auf das Vollstreckungsabwehrverfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth, bei dem es um die Berechtigung der Forderungen der einzigen Gläubigerin der Antragstellerin gehe. Der Antragstellerin stehe ein Zurückbehaltungsrecht aufgrund eines Neuberechnungsanspruchs zu.

Eine Vollstreckung aus den notariellen Schuldurkunden sei auch aufgrund einer zwischenzeitlich eingetretenen Änderung der Rechtsprechung nicht möglich. Die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung stelle nämlich eine unangemessene Benachteiligung des Kreditnehmers dar, sofern die Bank die Kreditforderung € wie hier € frei an beliebige Dritte abtreten könne. Die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der nach Verwertung der 3 Eigentumswohnungen von der Kreissparkasse noch behaupteten Forderung in Höhe von ca. 300.000,00 Euro sei deshalb nicht möglich.

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Großbritannien sei die Antragstellerin zudem vor Zwangsvollstreckung geschützt. Im Gegensatz zum deutschen Recht könne der Schuldner nach englischem Insolvenzrecht auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens insolvenzfreies Vermögen erwerben. Im Übrigen sei anerkannt, dass ein Vermögensverfall dann nicht anzunehmen sei, wenn sich der Antragsteller bereits im Restschuldbefreiungsverfahren befinde. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung durch Beschluss des Insolvenzgerichts verdichte sich die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung zu einer konkreten Aussicht, wenn die Gläubiger des Rechtsanwalts einen von diesem vorgelegten Schuldenbereinigungsplan zugestimmt hätten oder außerhalb des Insolvenzverfahrens Ratenzahlungsvereinbarungen zwischen dem Rechtsanwalt und seinen Gläubigern getroffen worden seien.

Auch seien vorliegend die Interessen der Rechtssuchenden nicht gefährdet. Die Zwangsvollstreckung in Mandantengelder sei aufgrund der Unwirksamkeit der notariellen Urkunden nicht möglich. Zu einer Zwangsvollstreckung gegenüber der Antragstellerin sei es bislang nicht gekommen. Zahlungen an die Gläubigerin aus Mitteln, die von Mandanten bereit gestellt worden seien, kämen nicht in Betracht, weil die Antragstellerin Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Kreissparkasse H. gerade bestreite. Der Gemeinschuldner sei nach englischem Insolvenzrecht auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens berechtigt und verpflichtet, Vermögen aus seiner Erwerbstätigkeit zu erzielen, so dass Mandanten mit befreiender Wirkung Zahlungen leisten könnten.

Die Antragstellerin sei im Übrigen als Angestellte tätig. Etwaige Honorarforderungen stünden Rechtsanwalt W. zu, der auch die Rechnungen stelle und Forderungsinhaber sei.

Erforderlich sei eine konkrete Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden. Ein Widerruf der Zulassung allein aufgrund einer abstrakten Gefahr sei ein unzulässiger Eingriff in die Berufsfreiheit und damit verfassungswidrig.

Die Antragstellerin führe keine eigenen Kanzleikonten und übe seit nunmehr 20 Jahren ihren Beruf untadelig aus.

Die Antragsgegnerin beantragte:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Rechtsanwältin B. vom 03.09.2008 wird zurückgewiesen.

24Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 12.12.2007 werde gem. § 14 II Nr. 7 2. Hs. BRAO der Vermögensverfall der Antragstellerin gesetzlich vermutet.

Unstreitig sei die Antragstellerin nicht in der Lage, die gegen sie titulierten Forderungen in Höhe von ca. 300.00,00 Euro, deretwegen sie sich der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen unterworfen habe, zu begleichen. Eine Einigung mit der Kreissparkasse habe bislang nicht erzielt werden können. Rechtsanwalt W. habe für die dortige Klägerin (Antragstellerin) erklärt, dass diese nicht in der Lage sei, eine Sicherheitsleistung in der erforderlichen Höhe zu erbringen. Die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls könne nicht allein durch die Frage, ob die titulierte Forderung vollstreckt werden könne oder nicht, widerlegt sein. Auch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens könnten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht mehr ergriffen werden (§ 89 InsO). Dennoch vermute das Gesetz, dass sich der Rechtsanwalt in Vermögensverfall befinde. Der Rechtsanwalt, der die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen sein Vermögen beantrage, trage damit ja selbst vor, dass er insolvent sei.

Von geordneten Vermögensverhältnissen könne nicht ausgegangen werden, bevor nicht dem Schuldner mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung angekündigt worden sei und er damit die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zurück erlangt habe.

Eine konkrete Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden sei nicht erforderlich. Nach ständiger Rechtsprechung führe bereits der Vermögensverfall zu einer Gefährdung der rechtsuchenden Bevölkerung. Der Widerruf unterbleibe nur ausnahmsweise, wenn der Rechtsanwalt nachweise, dass durch den vorliegenden Vermögensverfall die Interessen der Rechtssuchenden nicht gefährdet seien. Dieser Nachweis sei aber nicht erfolgt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem 5. Senat des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs am 19.02.2009 hat der Senat der Antragstellerin aufgegeben, den Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens und der Restschuldbefreiung in deutscher Übersetzung vorzulegen und im Einverständnis der Parteien Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeordnet. Nach Vorlage des Certificate of Discharge vom 29.12.2008 (mit Übersetzung durch eine öffentlich bestellte und beeidigte Übersetzerin), aus welcher sich ergibt, dass die Antragstellerin als Schuldnerin in ihrem Insolvenzverfahren am 12.12.2008 entlastet wurde, vertrat die Antragsgegnerin in einer Stellungnahme vom 26.03.2009 die Auffassung, die ursprüngliche Sachlage habe sich nicht wesentlich verändert, da die Kreissparkasse H. nach wie vor eine titulierte Forderung gegen die Antragstellerin in Höhe von 300.000,00 € habe. Durch die Vorlage der Entlastungsbescheinigung sei die Forderung nicht weggefallen. An der Anerkennungsfähigkeit der englischen Restschuldbefreiung in Deutschland bestünden erhebliche Zweifel.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 27.03.2009 machte die Antragstellerin geltend, dass durch den Beschluss des Bezirksgerichts Kingston vom 29.12.2008 jedenfalls die Vermutung des Vermögensverfalls entfallen sei. Aufgrund der Restschuldbefreiung handle es sich bei der Forderung der Kreissparkasse H. um eine unvollkommene und somit nicht mehr erzwingbare Verbindlichkeit.

Mit weiterem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 17.04.2009 machte die Antragstellerin außerdem geltend, dass auch ein Ausnahmetatbestand nach § 343 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht vorliege.

Mit Beschluss vom 23.10.2009 setzte der Senat das Verfahren mit Zustimmung der Beteiligten in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO bis zur Erledigung des Verfahrens 10 O 2731/07, Landgericht Nürnberg-Fürth, aus.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 04.02.2010 teilte die Antragstellerin die Beendigung des Verfahrens vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth, Az: 10 O 2731/07, mit. Es sei zu einem Vergleich über einen Betrag von 42.500,00 €, zahlbar in monatlichen Raten von 1.000,00 €, gekommen.

Die Antragsgegnerin forderte von der Antragstellerin mit Schreiben vom 15.02.2010 eine Darstellung der augenblicklichen Einkommens- und Vermögenssituation an.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 10.03.2010 legte die Antragstellerin für das Jahr 2009 Einkünfte in Höhe von 60.000,00 € dar.

Mit Bescheid vom 22.03.2010 hob die Antragsgegnerin den Bescheid über den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 05.08.2008 auf, erklärte mit Schriftsatz vom selben Tag den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen, weil bis zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses der mit Bescheid vom 05.08.2008 erfolgte Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls rechtmäßig gewesen sei. Mit Eintrag in das englische Insolvenzregister werde gem. § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO gesetzlich vermutet, dass sie sich in Vermögensverfall befunden habe. Diese Vermutung habe die Antragstellerin (bis zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses) nicht widerlegt.

Mit Schriftsatz Ihres Bevollmächtigten vom 28.04.2010 erklärte die Antragstellerin die Hauptsache ebenfalls für erledigt und beantragte, in entsprechender Anwendung des § 91a ZPO i.V.m. § 13a FGG der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen. Auch ohne das erledigende Ereignis sei der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig und begründet gewesen. Die Restschuldbefreiung der Antragstellerin wirke gegenüber jedermann. Der abgeschlossene Vergleich sei lediglich unter Berücksichtigung des sichersten Weges erfolgt.

II.

1. Gemäß § 215 Abs.1 und 2 BRAO bestimmt sich die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen und das gerichtliche Verfahren nach dem bis 31. 8. 2009 geltenden Recht. Nach § 215 Abs.3 BRAO werden die vor dem 1. September 2009 anhängig gewordenen gerichtlichen Verfahren in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen nach den bis zu diesem Tag geltenden Bestimmungen einschließlich der kostenrechtlichen Regelungen fortgeführt. Die zitierten Vorschriften beziehen sich demgemäß jeweils auf die bis 31. 8. 2009 geltende Gesetzesfassung der BRAO.

2. Nach Erledigung der Hauptsache ist in entsprechender Anwendung der §§ 91 a ZPO, 13 a FGG nach billigem Ermessen nur noch über die Verfahrenskosten und Auslagen der Beteiligten zu entscheiden (vgl. BGH BRAK-Mitt 1988, 51-52; ständige Rechtsprechung).

3. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes erscheint es angemessen, gerichtliche Gebühren und Auslagen nicht zu erheben, weil dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung voraussichtlich hätte stattgegeben werden müssen (§ 201 Abs. 2 BRAO).

a) Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zwar zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtssuchenden nicht gefährdet werden. Ein Vermögensverfall liegt dann vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, geraten und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Vermutet wird ein Vermögensverfall, wenn der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 915 ZPO) eingetragen ist.

In dem für die gerichtliche Nachprüfung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids war der Vermögensverfall der Antragstellerin zu vermuten. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und den Eintrag in das englische Insolvenzregister wird gem. § 14 II Nr. 7, 2. Hs. BRAO der Vermögensverfall gesetzlich vermutet.

b) Die Antragstellerin hat jedoch den ihr obliegenden Nachweis geführt (Kleine- Cosack, BRAO, 5. Aufl., § 14 Rdnr. 17), dass nachträglich eingetretene Umstände den Widerrufsgrund in Wegfall gebracht haben (Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 14, Rdnr. 60).

aa) Einzige Gläubigerin der Antragstellerin war die Kreissparkasse H. Deren Forderung wurde durch die Restschuldbefreiung zu einer unvollkommenen Verbindlichkeit, die weiterhin erfüllbar, aber nicht erzwingbar war (BGH NJW 2008, 3640 f. Rdnr. 11 m.w.N.). Diese Umgestaltung der Forderung bewirkte einen materiell-rechtlichen mit der Vollstreckungsgegenklage verfolgbaren Einwand (BGH a.a.O.).

44bb) Der materiell-rechtliche Einwand wäre vorliegend voraussichtlich begründet gewesen. Auf den Forderungserlass ist die lex fori concursus (nicht die lex causae der jeweiligen Forderung) anzuwenden (§ 335 InsO; Münchener Kommentar, Inso, Reinhardt, § 335 Rdnr. 120). Nach § 343 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 InsO werden die Entscheidungen zur Durchführung oder Beendigung des anerkannten ausländischen Insolvenzverfahrens anerkannt, wenn nicht

1. die Gerichte des Staats der Verfahrenseröffnung nach deutschem Recht nicht zuständig sind oder

2. soweit die Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere soweit sie mit den Grundrechten unvereinbar ist (§ 343 Abs. 1 Satz 2 InsO).

Es folgt daraus eine Umkehr der Beweislast: Die Anerkennung ist die Regel und darf nur versagt werden, wenn einer der genannten Versagungsgründe vorliegt (Münchener Kommentar, a.a.O., § 343 Rdnr. 1).

(1) Das ausländische Insolvenzgericht ist zuständig, wenn der Schuldner gem. Art. 3 EuInsVO den Mittelpunkt seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Staat des Verfahrensstaates hat (Münchener Kommentar, InsO, a.a.O., § 343 Rdnr. 12). Der Anwendungsbereich der EuInsVO ist gem. deren Art. 1 Abs. 1 eröffnet. Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) ist bei freiberuflich Tätigen an dem Ort anzunehmen, an welchem sie ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen (Münchener Kommentar, InsO, a.a.O., EuInsVO Art. 3 Rdnr. 44).

Dementsprechend hielt sich das englische Insolvenzgericht für zuständig. Diese Entscheidung ist mit dieser Tragweite auch aus deutscher Sicht hinzunehmen. Sofern das Ergebnis im Einzelfall Anstoß erregen sollte, ist dies allein unter dem umfassenderen Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den ordre public-Vorbehalt (§ 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO) zu prüfen (BGH NJW 2002, 960 ff. Rdnr. 11).

(2) Ein Verstoß gegen den ordre public ist nicht anzunehmen.

aa) Zwar kann eine Sitzverlegung vor Antragstellung rechtsmissbräuchlich sein. Anhaltspunkte dafür bestehen insbesondere bei Sitzverlegung vor Eintritt der (zumindest drohenden und absehbaren) Insolvenzreife, bei fehlenden Kontakten des Schuldners zu seinem neuen Wohnsitzstaat vor Verlegung des Wohnsitzes (sei es geschäftlich oder privat) oder aus dem Umstand, ob sich der Schuldner nach dem materiellen Insolvenzrecht des neuen Staates gegebenenfalls besser stellt, weil das Insolvenzrecht des neuen Wohnsitzes eine Restschuldbefreiung unter geringeren Voraussetzungen ermöglicht (Münchener Kommentar a.a.O. Rdnr. 55).

Nach nicht widersprochenem Vortrag der Antragstellerin sei sie bereits Mitte Januar 2007 mit ihrem damals 9-jährigen Sohn nach Großbritannien verzogen und habe seit 01.02.2007 keinen (Haupt-) Wohnsitz mehr in der Bundesrepublik Deutschland. Sie habe in Großbritannien gelebt und gearbeitet. Ihr Sohn habe dort die Schule besucht. In Deutschland habe sie nur in ganz wenigen Ausnahmefällen Termine wahrgenommen, soweit diese zufällig mit Ferienaufenthalten zusammengefallen seien und es sich um Mandate gehandelt habe, die sie vor ihrem Wegzug bearbeitet habe. Sie habe bereits seit fast 11 Monaten in Großbritannien gelebt, bevor sie sich am 12.12.2007 entschlossen habe, Insolvenzantrag zu stellen.

Zusammenfassend kann damit nicht von einer rechtsmissbräuchlichen Sitzverlagerung (€forum shopping€) ausgegangen werden.

bb) Ein ordre public-Verstoß ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt anzunehmen, dass nach englischem Recht eine deutlich schnellere Restschuldbefreiung zu erreichen ist. Die deutsche öffentliche Ordnung ist nur verletzt, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (BGH NJW 2002, 960 ff. Rdnr. 16). Davon kann allein wegen der kürzeren Dauer der Wohlverhaltensphase nicht ausgegangen werden. Abweichungen von zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts begründen nach allgemeiner Auffassung selbst noch keinen ordre public-Verstoß, so dass Abweichungen vom deutschen (zwingenden) Insolvenzrecht grundsätzlich hinzunehmen sind. Ein ordre public-Verstoß ist grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn es zu einer untragbaren Rechtsabweichung kommt (Münchener Kommentar a.a.O. § 343 Rdnr. 25). Ein ordre public-Verstoß liegt insbesondere dann vor, wenn das ausländische Recht mit den Grundrechten unvereinbar ist.

c) Im Ergebnis hätte danach voraussichtlich die Restschuldbefreiung anerkannt werden müssen, so dass die Forderung der Kreissparkasse H. voraussichtlich nicht durchsetzbar gewesen wäre. Demgemäß hätte mit Vorlage der Entlastungsbescheinigung dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung stattgeben werden müssen. Gerichtliche Gebühren und Auslagen waren demnach gem. § 201 Abs. 2 BRAO nicht zu erheben.

4. Etwas anderes gilt allerdings für die Kostenerstattung, die sich nach § 13a FGG a.F. richtet. Nach der grundsätzlichen Regel des § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG a.F. wird die Kostenerstattung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt und davon abhängig gemacht, dass sie der Billigkeit entspricht. Die Vorschrift ist auch im Rahmen der bei übereinstimmender Erledigungserklärung zu treffenden Kostenentscheidung heranzuziehen. Danach ist die Kostenerstattung nicht die Regel, insbesondere nicht die notwendige Folge des Unterliegens, sondern bedarf darüber hinaus besonderer Rechtfertigung durch die Lage des Einzelfalls (Jansen, FGG, 3. Aufl., § 13a Rdnr. 9 m.w.N.). Da die Regelung des § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG a.F. ein bewusstes Abweichen vom starren Erfolgsgrundsatz des § 91 ZPO darstellt, dürfen die Grundsätze der ZPO über die Pflicht der Kostentragung nicht mit der Begründung in das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit übernommen werden, es entspreche der Billigkeit, dass der Unterliegende die den anderen Beteiligten erwachsenen Kosten erstattet (Jansen, a.a.O.). Das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit wird also von dem Grundsatz beherrscht, dass jeder Beteiligte die ihm erwachsenen Kosten selbst trägt (Jansen, a.a.O. m.w.N.). Diese Erwägungen müssen umso mehr gelten, wenn nach Erledigung des Verfahrens nur eine Prognose bezüglich des Obsiegens oder Unterliegens gestellt werden kann. Solche Billigkeitsgründe kommen insbesondere dann in Betracht, wenn einer der Beteiligten offensichtlich unbegründete Anträge stellt. Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt hier nicht vor. Im Gegenteil hat die Antragsgegnerin aufgrund der ihr zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vorliegenden Erkenntnisse die Zulassung der Antragstellerin mit großer Wahrscheinlichkeit zu Recht widerrufen. Erst mit Vorlage des Entlastungsbescheides nach der mündlichen Verhandlung am 12.03.2009 änderte sich die Rechtslage, wobei auch zu diesem Zeitpunkt die Sach- und Rechtslage noch schwierig zu bewerten war. Eine Abweichung vom Grundsatz des § 13a FGG a.F. erscheint danach nicht angezeigt.

5. Die Festsetzung des Geschäftswerts folgt aus § 202 Abs. 2 BRAO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO. Es besteht kein Anlass, von dem in Zulassungssachen auch sonst vom Senat angenommenen Regelwert von 50.000,-€ abzuweichen.






AGH München:
Beschluss v. 24.03.2011
Az: BayAGH I - 35/08


Link zum Urteil:
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