Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 31. März 2004
Aktenzeichen: 6 U 158/03
(OLG Köln: Urteil v. 31.03.2004, Az.: 6 U 158/03)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht Köln hat in seinem Urteil vom 31. März 2004 (Aktenzeichen 6 U 158/03) entschieden, dass die gegen ein früheres Urteil des Senats vom 22.10.1999 gerichtete Restitutionsklage der Beklagten als unzulässig verworfen wird. Die Kosten müssen von der Beklagten getragen werden. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Restitutionsklägerin kann die gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung abwenden, indem sie eine Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages erbringt, es sei denn, die Restitutionsbeklagte leistet vorher eine Sicherheit in gleicher Höhe. Beiden Parteien wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch durch eine Bürgschaft eines Kreditinstituts zu erbringen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Gericht führt in seiner Begründung aus, dass die Restitutionsklage unstatthaft ist, da die Beklagte keinen schlüssigen Restitutionsgrund gemäß § 580 ZPO vorgetragen hat. Der einzige in Betracht kommende Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 b ZPO setzt voraus, dass eine Partei eine Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Im vorliegenden Fall ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, da das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache "H." erst nach Abschluss des Revisionsverfahrens ergangen ist und somit nicht im Vorprozess hätte vorgelegt werden können. Daher ist die Restitutionsklage nicht statthaft. Die analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO besteht unter den vorliegenden Umständen kein Anlass.
Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass die Klage unzulässig ist und die Kosten von der Beklagten getragen werden müssen. Es werden keine Voraussetzungen für eine Revision gesehen. Der Streitwert beträgt 500.000 Euro.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Köln: Urteil v. 31.03.2004, Az: 6 U 158/03
Tenor
Die gegen das Urteil des Senats vom 22.10.1999 - 6 U 53/98 - gerichtete Restitutionsklage der Beklagten wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Restitutionsklägerin darf die gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Restitutionsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beiden Parteien wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch durch schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts zu erbringen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
B e g r ü n d u n g :
I.
Die Restitutionsklägerin (künftig nur noch "Beklagte" genannt) betrieb aufgrund einer ihr von der Salzburger Landesregierung erteilten Bewilligung gewerbsmäßig Sportwetten, insbesondere Fußballwetten. Sie unterhält in Deutschland keine Niederlassung und ist hier auch nicht durch Wettbüros, Annahmestellen oder vergleichbare Einrichtungen vertreten. Die Restitutionsbeklagte (künftig nur noch als "Klägerin" bezeichnet) ist Gesellschafterin des Deutschen Lotto- und Totoblocks. Sie befasst sich im Land Nordrhein-Westfalen mit behördlicher Erlaubnis mit der Organisation und Durchführung von Gewinnspielen und dabei unter anderem mit dem Fußballtoto. Auf ihren Antrag hat der Senat der Beklagten durch Urteil vom 22.10.1999 (6 U 53/98, GRUR 2000, 538 ff.) verkürzt und sinngemäß wiedergegeben untersagt, im Bereich des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen Sportwetten ohne Genehmigung nach dem Sportwettengesetz Nordrhein-Westfalen anzubieten und/oder zu bewerben. In dieser Entscheidung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, dass und aus welchen Gründen die Beklagte ihre als Glücksspiel im Sinne von § 284 StGB zu qualifizierenden Gewinnspiele auch in der Bundesrepublik Deutschland veranstaltet, dass sie damit gegen § 284 StGB und auch § 1 UWG verstößt, solange sie nicht im Besitz einer behördlichen Erlaubnis durch die zuständigen deutschen Stellen ist, und dass die Bestimmungen des EG-Vertrages über den freien Dienstleistungsverkehr einer nationalen, am Allgemeininteresse orientierten und diese zugleich rechtfertigenden Regelung über die Veranstaltung für Glücksspiele nicht entgegensteht. Die gegen diese Entscheidung des Senats eingelegte Revision hatte keinen Erfolg (BGH, Urteil vom 14.03.2002, GRUR 2002, 636 f. = WRP 2002, 688 ff. = MDR 2002, 1082 ff. = NJW 2002, 2175 f. "Sportwetten").
Mit ihrer Anfang Dezember 2003 erhobenen Restitutionsklage macht die Beklagte geltend, mit seinem Urteil vom 06. November 2003 in der Rechtssache C-243/01 "H." habe der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung getroffen, deren Anwendung im Streitfall zur Klageabweisung zwinge. Bei diesem Urteil des Europäischen Gerichtshofes handele es sich, so meint die Beklagte, um eine Urkunde im Sinne von § 580 Nr. 7 b ZPO, dessen Voraussetzungen auch im übrigen vorlägen.
Die Beklagte beantragt deshalb sinngemäß,
die Entscheidung des Senats vom 22.10.1999 - 6 U 53/98 OLG Köln - zu ändern und die von der Klägerin erhobene Unterlassungsklage abzuweisen.
Die Klägerin hält das Restitutionsverfahren für unstatthaft und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
II.
Die frist- und formgerecht erhobene Klage ist bereits unstatthaft, weil die Beklagte einen Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO nicht schlüssig vorgetragen hat; sie war deshalb von dem gemäß § 584 Abs. 1 2. Halbsatz ZPO zur Entscheidung berufenen Senat als unzulässig zu verwerfen, § 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
Der im Streitfall einzig in Betracht kommende Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 b ZPO setzt voraus, dass eine Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Im Streitfall kann offen bleiben, ob - im weitesten Sinne - Urteile eines Zivilgerichts einschließlich derjenigen des Europäischen Gerichtshofes überhaupt unter diese Vorschrift fallen können. Das ist zweifelhaft, weil § 580 Nr. 7 a ZPO auf ein in der selben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil abstellt und deshalb möglicherweise eine abschließende Sonderregelung enthält. Andererseits hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass nicht nur ein Strafbefehl (NJW 1980, 1000, 1001), sondern auch ein rechtskräftiges Strafurteil (NJW-RR 1991, 380) eine Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO darstellen kann. Die aufgeworfene Frage braucht indes ebenso wenig entschieden zu werden wie die Frage, ob die Restitutionsklage bereits deshalb unzulässig ist, weil die von der Beklagten als Restitutionsgrund herangezogene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache "H." keinen Beweis über Tatsachen erbringt, sondern nur offenbart, dass der Europäische Gerichtshof an seiner namentlich in seinem Urteil "T." (Rechtssache C-275/92, veröffentlicht unter anderem in NJW 1994, 2013 ff. und ZIP 1994, 557 ff.) zum Ausdruck kommenden, auch der Entscheidung des Senats vom 22.10.1999 zugrunde gelegten Rechtsauffassung zur Dienstleistungsfreiheit im Zusammenhang mit dem Lotteriewesen festhält. Denn wie der Senat mit den Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05.03.2004 umfänglich erörtert hat, zwingt der Wortlaut des § 580 Nr. 7 b ZPO eine der Partei "günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde" zu der Annahme, dass die aufgefundene Urkunde bei einer gedachten Vorlage im Vorprozess zu einem anderen Ausgang des Rechtsstreits geführt haben würde. Das bedeutet Kausalität (so ausdrücklich Thomas/Putzo, ZPO, 25. Auflage 2003, § 580 Rdnr. 18). Maßgebender Zeitpunkt ist deshalb derjenige, in dem die Partei die Urkunde spätestens noch hätte benutzen können. Das ist beim berufungsfähigen Urteil der Ablauf der Berufungsfrist bzw. der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Im Streitfall ist es aber so, dass das EuGH-Urteil in der Sache "H.", das die Beklagte als "Urkunde" im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO verstanden wissen möchte, erst nach diesem Zeitpunkt, ja erst nach rechtskräftigem Abschluss des Revisionsverfahrens zur Entstehung gelangt ist. Auch wenn die Rechtsauffassung der Beklagten insoweit zutreffend wäre, hätte diese dann gegebene Urkunde niemals in den Prozess eingeführt werden können. Schon aus diesem Grunde ist die Restitutionsklage nicht statthaft. Dieses Ergebnis entspricht im übrigen der nahezu einhellig vertretenen Meinung in der Rechtsprechung und dem juristischen Schrifttum zu der Frage, wann das Auffinden einer Urkunde zur Restitutionsklage berechtigt (vgl. nur Zöller-Greger, ZPO, 24. Aufl. 2003, § 580 Rdnr. 16 a und aus der Rechtsprechung zum Beispiel BGH NJW 1980, 1000; BGH NJW-RR 1991, 380; BGH VersR 1975, 260; BGHZ 30, 60 ff. und auch OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 1278 f.; anderer Auffassung augenscheinlich nur Foerste, NJW 1996, 345, 346).
Für eine analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO besteht unter den im Streitfall obwaltenden Umständen kein Anlass. Die Rechtsprechung (vgl. unter anderem BGH NJW 1980, 1000, 1001) hat nämlich zu Recht nur ausnahmsweise bestimmte Urkunden, die erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz errichtet worden sind, als Restitutionsgrund zugelassen, und zwar dann, wenn sie eine zurückliegende Tatsache bezeugen, insbesondere Geburtsurkunden als Beweismittel für die Empfängniszeit. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Ehesachen, § 580 Nr. 7 b ZPO sei über seinen Wortlaut hinaus auf bestimmte nachträglich errichtete Personenstandsurkunden anzuwenden, wie Geburtsurkunden zum Nachweis eines Ehebruchs der Mutter oder Beischreibungsvermerke zu einer Geburtsurkunde über die Legitimation durch nachfolgende Eheschließung der Eltern zum Nachweis eines Ehebruchs des Vaters, beruht indes auf der Erwägung, dass es sich hierbei um Urkunden handelt, die ihrer Natur nach nicht in zeitlichem Zusammenhang mit den durch sie bezeugten Tatsachen errichtet werden können und die deshalb, wenn sie errichtet werden, Tatsachen beweisen, die einer zurückliegenden Zeit angehören. Eine solche rückbezügliche Beweiskraft hat die Entscheidung "H." des Europäischen Gerichtshofs ebenso wenig wie der von der Beklagten zur Stützung ihrer Rechtsauffassung herangezogene Beschluss der 5. Strafkammer des Landgerichts München vom 27.10.2003 in dem Strafverfahren 384 Js 44646/03.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof. Es handelt sich vielmehr um eine Entscheidung im Einzelfall, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere zur Frage der Statthaftigkeit eines Restitutionsverfahrens nach § 580 Nr. 7 b ZPO berücksichtigt und von ihr nicht abweicht.
Streitwert: 500.000,-- Euro
OLG Köln:
Urteil v. 31.03.2004
Az: 6 U 158/03
Link zum Urteil:
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