Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 16. Januar 2007
Aktenzeichen: 4 U 99/06
(OLG Hamm: Urteil v. 16.01.2007, Az.: 4 U 99/06)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
In dieser Gerichtsentscheidung geht es um eine Werbeanzeige der Beklagten für ein Haarpflegemittel namens "Y2", die in einer Zeitschrift sowie im Internet veröffentlicht wurde. In der Werbeanzeige wird behauptet, dass das in dem Produkt enthaltene Coffein gegen Haarausfall wirkt. Der Kläger, der die Interessen von gewerblichen Mitgliedern vertritt, hält diese Aussage für falsch und irreführend und verklagt die Beklagte deshalb auf Unterlassung der Werbung. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und der Beklagten untersagt, auf die beworbene Weise für das Produkt zu werben. Die Beklagte legt daraufhin Berufung ein.
Das Oberlandesgericht Hamm weist die Berufung der Beklagten zurück. Es stellt fest, dass die Werbeaussagen der Beklagten gegen eine gesetzliche Vorschrift, nämlich das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB), verstoßen. Nach LFGB ist eine Werbung für kosmetische Mittel irreführend, wenn ihnen Wirkungen zugeschrieben werden, die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind. Die Beklagte trägt die Beweislast dafür, dass die behaupteten Wirkungen des Coffeins gesichert sind. Das von der Beklagten vorgelegte Material belegt jedoch nicht, dass die Wirkung von Coffein gegen Haarausfall wissenschaftlich gesichert ist. Die Aussagen in den vorgelegten Studien sind vorsichtig und unsicher formuliert. Daher darf die Beklagte diese Werbeaussagen nicht verwenden.
Das Gericht bestätigt auch die Entscheidung des Landgerichts, alle Werbeaussagen zu verbieten, da sie alle auf der ungesicherten Behauptung beruhen, dass Coffein den Haarausfall stoppt. Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass die wettbewerbswidrige Werbung geeignet ist, den Wettbewerb erheblich zu beeinträchtigen, da es im Bereich des Haarausfalls und kosmetischer Mittel wichtig ist, die Verbraucher korrekt über den Stand der wissenschaftlichen Forschung aufzuklären.
Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen den üblichen rechtlichen Bestimmungen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Hamm: Urteil v. 16.01.2007, Az: 4 U 99/06
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 09. Mai 2006 verkündete Urteil der VI. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es am Ende des Verbotstenors zu 2. heißt: "wie geschehen in der Werbung in der Zeitschrift "Y" gemäß Anlage K 2" und am Ende des Verbotstenors zu 9. heißt: "wie geschehen in der Inter-netwerbung der Beklagten vom 14.02.2006 gemäß Anlage K 3".
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 65.000,00 € abzuwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beklagte stellt Körperpflegemittel her, darunter auch das Haarpflegemittel mit der Bezeichnung "Y2". Für ein unter dieser Bezeichnung vertriebenes "Coffein-Shampoo" warb die Beklagte in der Zeitschrift "Y" vom 6. Februar 2006. Diese Anzeige enthielt folgende blickfangmäßig herausgestellte Aussage: "Neu: Mit Coffein gegen Haarausfall".
Des weiteren heißt es in dieser Anzeige: "Jetzt haben deutsche Wissenschaftler einen Stoff entwickelt, der die Haarwurzel vor hormonbedingten Erschöpfungszuständen schützt: Ein Phyto-Coffein-Complex ...".
Wegen des Inhaltes dieser Werbeanzeige im Einzelnen wird auf die Anlage K 2 zur Klageschrift verwiesen.
Auch im Internet warb die Beklagte damit, dass das in ihren "Y2-Produkten" enthaltene Coffein gegen Haarausfall wirke.
Wegen des Inhaltes dieses Internetauftritts im Einzelnen wird auf Anlage K 3 zur Klageschrift verwiesen.
Der Kläger, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder gehört, insbesondere die Sorge für die Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs, und zu dessen Mitgliedern gerichtsbekannt auch Heilpraktiker, Hersteller von Kosmetika, Betreiber von Kurkliniken, Hersteller und Vertreiber von Naturheilmitteln und pharmazeutischer Produkte sowie sonstige Lebensmittelbetriebe gehören, hält diese Werbeaussage für sachlich unrichtig, weil Coffein die ihm zugeschriebene Wirkung in Bezug auf Haarausfall nicht habe. Jedenfalls seien solche Wirkungen nicht wissenschaftlich gesichert. Das gelte nicht nur für die äußerliche Anwendung von Coffein, sondern auch für Inhaltsstoffe aus der Traubensilberkerze und für natürliches Soja. Die von der Beklagten auf seine Abmahnung hin vorgelegten Unterlagen seien nicht geeignet, einen wissenschaftlichen Nachweis der beworbenen Wirkweise zu führen. Teilweise handele es sich bei den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen um Werbematerial der Beklagten, das für den Stand gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse irrelevant sei. Auch die Untersuchungen von Universitäten beinhalteten gleichfalls keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die angegriffenen Werbeaussagen seien mithin sachlich falsch und irreführend. Dies werde auch durch Artikel in der Zeitschrift "K" sowie der Stiftung Warentest in der Ausgabe 10/2003 belegt.
Wegen des Inhaltes dieser Veröffentlichungen im Einzelnen wird auf die Fotokopien gemäß Anlage K 10 zur Klageschrift verwiesen.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 9. Mai 2006 der Beklagten antragsgemäß unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt,
im geschäftlichen Verkehr für "Y2"-Produkte wie folgt zu werben:
"Mit Coffein gegen Haarausfall",
"Jetzt haben deutsche Wissenschaftler einen Stoff entwickelt, der die Haarwurzel vor hormonbedingten Erschöpfungszuständen schützt: Ein Phyto-Coffein-Complex ...",
"In der Menopause (Wechseljahre) gerät der Hormonhaushalt einer Frau aus dem Gleichgewicht und stört so das Haarwachstum. Unsere Forschung hat mit renommierten Wissenschaftlern und modernsten Technologien daran gearbeitet eine Lösung für dieses Problem zu finden. Daraus wurde ein Phyto-Coffein-Complex entwickelt, der die Haarwurzeln vor dem negativen Einfluß des männlichen Hormon (Testosteron) schützt, wenn der Anteil weiblicher Hormone (Östrogene) sinkt. Daher ist dieser Wirkstoff-Complex ein wichtiger Bestandteil aller Y2 Produkte.",
"Die Dr. X hat in Zusammenarbeit mit dem dermatologischen Fachbereich der Universitätsklinik K2 einen Phyto-Coffein-Complex entwickelt, der die Haarwurzeln vor hormonbedingten Erschöpfungszuständen schützt. Er verhindert, dass Testosteron die Haarwurzeln angreift und so die Energieversorgung einschränkt.",
"Für kräftigen Haarwuchs und festes Haar ab Vierzig. Die coffeinhaltige Rezeptur dieses Tonikums trägt dazu bei, dass das Haarwachstum nach der Menopause (Wechseljahre) nicht erschlafft.",
"Durch erbliche Veranlagung wächst in der Menopause der Einfluss von Testosteron. Er stört auch das Haarwachstum, weil die Haarwurzeln vorzeigt erschlaffen. Hochkonzentrierte Pflanzenwirkstoffe schützen davor und normalisieren die Haarproduktion. Coffein und weitere wertvolle Inhaltsstoffe aus Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa) und natürliches Soja (Glycine soja) ergänzen sich in der Schutzwirkung und kräftigen die geschwächten Haarwurzeln.",
"Y2 Coffein-Tonikum: Eine Anwendungsbeobachtung an der Universitätsklinik K2 zeigt: 75 % der Testpersonen stellen subjektiv einen deutlichen bis sehr starken Haarausfall fest, der sich teilweise um bis zu 3 Schweregrade verbesserte.",
"Y2 Aussen-Innen-Kur: Eine Anwendungsbeobachtung des Privatdozenten Dr. med. G (C2) hat gezeigt: Eine viermonatige Kombinationsbehandlung aus Y2 Haar-Aktiv-Kapseln und Coffein-Serum führt zu einer Verringerung des androgenetischen Haarausfalls bei 85 % der Probandinnen.",
"Die antiandrogene Wirkung der Phytoflavone helfen auch in der Haarwurzel deren Widerstandskraft zu stärken und die Energieversorgung zu verbessern. Damit unterstützen sie das Wachstum und die Regeneration der Haarwurzel. Frauen in der Menopause, die den nachlassenden Östrogenschutz an der steigenden Zahl der ausfallenden Haare messen, können mit den phytoöstrogenen Pflanzeninhaltsstoffen, Radikalfängern und Coffein diesen Haarausfall wirksam und nachhaltig bekämpfen. Sie erhalten ihr Haar in einem gesunden und kraftvollen Zustand."
Wegen des Inhaltes des Urteiles im Einzelnen wird auf Blatt 28 ff d.A. verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie ihr Klageabweisungsbegehren aus erster Instanz weiterverfolgt hat.
Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages hat die Beklagte die angegriffenen Werbeaussagen zur Wirkweise des Coffeins verteidigt. Sie behauptet, dass die mit Probanden durchgeführten Untersuchungen die Wirkungen experimentell hinreichend belegt hätten. Das Chemische Untersuchungsamt Bielefeld habe die Wirksamkeitsnachweise zu Coffein gegen Haarausfall im August 2005 durchgesehen und fachlich beurteilt, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen sei (Zeugnis: Frau E. Entsprechende Publikationen in der Zeitschrift "Y3" stünden unmittelbar bevor, die den Nachweis führten, dass Coffein sogar unter den Bedingungen einer Haarwäsche in die Haarwurzel eindringe und dort ein Reservoire aufbaue (Schriftsatz der Beklagten vom 5. Januar 2007, Bl. 72 ff d.A. nebst Anlagen B 2 ff). Im Juni 2006 habe Dr. Fischer vor wissenschaftlichem Auditorium der K3 die Ergebnisse der Coffein-Forschung der Beklagten zur Diskussion gestellt. Der Vortrag sei eingereicht und dem Bord of K3 vorgelegt worden, dem namhafte internationale Dermatologen angehörten. Damit sei die vom Kläger eingeforderte wissenschaftliche Begutachtung durch Experten erreicht (vgl. Anlage B 4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 5. Januar 2007, Bl. 91 ff d.A.).
Sämtliche vorgelegten Untersuchungen seien auch lege artis durchgeführt worden. Auch die Untersuchung "Etablierung eines Schweinehautmodells für männliche Haut und Testung des Einflusses verschiedener Wirksubstanzen darauf" könnte nicht mit der Bemerkung abgetan werden, das Präparat solle nicht auf Schweineohren, sondern auf Frauenkopfhaar wirken. Denn die erzielten Ergebnisse seien auf Menschen übertragbar (zum Inhalt dieser Arbeit vom Juli 2002 im Einzelnen wird auf Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 27. April 2006 (Bl. 19 ff d.A.) verwiesen).
Anhand dieser vorgelegten Untersuchungen könne nicht gesagt werden, dass die Wirkungsaussagen der Beklagten nicht hinreichend wissenschaftlich gesichert seien. Weder liege der Fall vor, dass es keine Forschungsergebnisse gebe, noch liege der Fall vor, dass die Forschungsergebnisse wissenschaftlich umstritten seien. Damit könne der Beklagten auch nicht die Beweislast auferlegt werden, da der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Korrektheit der dargestellten Ergebnisse aufgezeigt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 9. Mai 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass es am Ende des Verbotstenors zu 2. heißt: "wie geschehen in der Werbung in der Zeitschrift "Y" gemäß Anlage K 2" und am Ende des Verbotstenors zu 9. heißt: "wie geschehen in der Internetwerbung der Beklagten vom 14. Februar 2006 gemäß Anlage K 3".
Wegen des Inhaltes der Parteivorträge im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Das Klagebegehren ist hinreichend bestimmt, nachdem der Kläger zur Klarstellung jeweils die konkrete Verletzungsform in den Verbotsantrag einbezogen hat. Denn die unter Ziffer 1. und 2. verbotenen Werbeaussagen finden sich in der Anzeige in der Zeitschrift "Y", während sich die übrigen verbotenen Werbeaussagen im Internetauftritt der Beklagten finden. Dabei handelt es sich lediglich um eine Klarstellung des Verbotsbegehrens, weil sich der Kläger entsprechend seinen Äußerungen in der Klageschrift von Anfang an gerade gegen diese konkreten Werbeveröffentlichungen gewandt hat.
Dem Kläger steht ein Unterlassungsanspruch im Hinblick auf die streitigen Werbeaussagen im Zusammenhang mit den Werbeauftritten der Beklagten aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit einem Verstoß gegen § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 LFGB zu.
Sowohl die Werbeanzeige, wie auch der Internetauftritt der Beklagten diente der Förderung des Absatzes der Beklagten und stellt somit eine Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar.
Diese Wettbewerbshandlungen sind nach § 4 Nr. 11 UWG unlauter i.S.d. § 3 UWG, weil sie gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen, die zumindest auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Eine solche Vorschrift ist § 27 Abs. 1 LFGB, weil sie den Verbraucher in dem sensiblen Bereich der Kosmetikwerbung vor Täuschung schützen soll und damit dem Verbraucherschutz dient (BGH GRUR 1997, 537 - Liftingcreme; Hefermehl/Köhler, Wettbewerbsrecht, 25. Aufl., § 4 UWG Rz. 11.136).
Eine irreführende Werbung für kosmetische Mittel liegt nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 LFGB insbesondere dann vor, wenn die Beklagte einem kosmetischen Mittel Wirkungen beigelegt hätte, die ihm nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind.
Bei den von der Beklagten beworbenen Produkten "Y2" handelt es sich um ein kosmetisches Mittel i.S.d. § 2 Abs. 5 S. 1 LFGB.
Diese kosmetischen Mittel hat die Beklagte mit den beanstandeten Werbeaussagen beworben, die von den angesprochenen Verbrauchern sämtlich so verstanden werden, dass die Mittel durch den Inhaltsstoff Coffein dem erbbedingten Haarausfall vorbeugen sollen.
Demgegenüber hat der Kläger vorgetragen, dass nach den bisherigen Erkenntnissen der Wissenschaft jedenfalls erhebliche Zweifel daran bestehen, dass die beworbenen kosmetischen Wirkungen gegeben sind. Nach seinem Vortrag sind keine namhaften wissenschaftlichen Veröffentlichungen bekannt, die einen Zusammenhang zwischen der Behandlung der Kopfhaut mit Coffein und der Beeinflussung des Haarausfalls bei genetisch dazu veranlagten Personen erwähnen. In sämtlichen vom Kläger vorgelegten Ausschnitten aus den einschlägigen Lexika ist unter dem Stichwort "Coffein" von Wirkungen in Bezug auf die Förderung des Haarwuchses keine Rede.
Angesichts dieses Klägervorbringens trifft die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die beanstandeten Werbeaussagen dem gesicherten Stand der Wissenschaft tatsächlich entsprechen (Hefermehl/Köhler/Bornkamm a.a.O., § 5 UWG Rz. 3.26; 3.28; Piper/Ohly, UWG, 4. Aufl., § 5 Rz. 229 ff; Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 5. Aufl., Kap. 27 Rz. 46 jeweils m.w.N.). Dadurch, dass die Beklagte die Wirksamkeit von Coffein gegen Haarausfall als objektiv richtig und zugleich als wissenschaftlich gesichert dargestellt hat, trifft sie die Verantwortung für die Richtigkeit dieser Behauptung, die sie dann auch beweisen muss. Der Verkehr soll nämlich nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes vor unzutreffenden Wirkungsbehauptungen ebenso geschützt werden wie vor den Behauptungen von wissenschaftlich nicht hinreichend gesicherten Wirkweisen. Deshalb muss die Beklagte bei den beanstandeten Werbeaussagen in Bezug auf ihre kosmetischen Mittel "Y2" beweisen, dass die beworbenen Wirkungen des Coffein gesicherter Kenntnisstand der Wissenschaft sind (vgl. OLG Hamburg GRUR 1983, 137 - Zahnprothesenreinigungsmittel; BGH GRUR 1991, 848 - Rheumalind II; BGH GRUR 1971, 153, 155 - Tampax). Die Werbeaussage muss dem gesicherten Stand der Wissenschaft entsprechen. Das muss positiv dargelegt und bewiesen werden. Insoweit kommt es nicht nur auf fehlende Forschungsergebnisse oder einen fehlenden Forschungsstreit an. Wenn die von der Beklagten behauptete Wirkung von Coffein nicht gesicherter Stand der Wissenschaft ist, kommt es nicht darauf an, ob Coffein tatsächlich die Wirkung hat, die die Beklagte behauptet. Letztlich könnte also die von der Beklagten behauptete Wirkweise als wahr unterstellt werden. Gleichwohl hat das Landgericht das begehrte Verbot zu Recht ausgeurteilt, weil die Beklagte nicht bewiesen hat, dass ihre Werbeaussage gesicherter Stand der Wissenschaft ist.
Diesen Beweis kann die Beklagte auch nicht dadurch erbringen, dass sie Sachverständigenbeweis dafür angetreten hat, dass die von ihr ins Feld geführten Untersuchungen lege artis durchgeführt worden seien und die sich aus ihnen ergebende Wirkungsaussage zutreffend sei. Für die entscheidende Frage, ob die Werbeaussage bislang nicht hinreichend wissenschaftlich gesichert ist und allein deshalb schon zu verbieten ist, kommt es weder darauf an, ob die durchgeführten Untersuchungen fachgerecht erfolgten, noch darauf, ob ihre Ergebnisse richtig sind oder nicht. Entscheidend ist, dass auch etwaige neue Erkenntnisse immer noch nicht als gesicherter Stand der Wissenschaft angesehen werden können. Allein deshalb schon dürfen sie nicht zur Grundlage einer uneingeschränkten Werbung gemacht werden, in der diese Erkenntnisse als gesichert erscheinen.
Insoweit ist der vorliegende Fall auch nicht mit dem der BGH-Entscheidung Rheumalind II zugrunde liegenden Fall zu vergleichen. In dieser Entscheidung ging es darum, dass eine in der Werbung jahrelang gängige und für zutreffend gehaltene Wirksamkeitsbehauptung erst im Nachhinein wissenschaftlich in Zweifel gezogen worden ist. Deshalb musste sich der Zweifel erst durchsetzen und dem hätte man mit einem Nachweis der Richtigkeit der früheren Auffassung begegnen können. Hier muss eine neue Wirksamkeitsbehauptung erst zum Stand der Wissenschaft werden.
Schon die von der Beklagten selbst vorgelegten Studien weisen aber nicht aus, dass die Wirkung von Coffein gegen erbbedingten Haarausfall als gesicherter Stand der medizinischen Wissenschaft angesehen werden kann.
Schon die von der Beklagten als Anlage B 1 zum Schriftsatz vom 27. April 2006 (Bl. 19 ff d.A.) vorgelegte Wirkungsstudie des Dr. G bezieht sich nur auf die Resultate der Verlaufsbeobachtung in ihrer Zusammenfassung und spricht dabei von einer deutlichen Verbesserung der Haarwurzelaktivität. Dass daraus aber nicht gefolgert werden kann, dass die von der Beklagten behauptete Wirkung mit der nötigen Gewißheit eintritt, belegt der abschließende Satz der Zusammenfassung. Dort wird die Wirkung nur als möglich beschrieben. Denn der letzte Satz besagt, dass eine konsequente tägliche Behandlung zu dem gewünschten Erfolg führen kann.
Eine weitere Wirkungsstudie durchgeführt an der Klinik für Dermatologie und dermatologische Allergologie der M-Universität K2 (ebenfalls Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 27. April 2006, Bl. 19 ff d.A.) führt zu keinem anderen Resultat. Die Studie gelangt zu einer Zusammenfassung, in der eine allgemein gültige Aussage zu der entscheidenden Frage vermieden wird. Denn die Studie stellt nur auf die vorliegenden Untersuchungen ab und wertet das von der Beklagten beworbene Mittel als "guter Lösungsansatz zur Vorbeugung des erblich bedingten Haarausfalls". Die Beschreibung als guter Lösungsansatz ist so zurückhaltend, dass diese Stimme nicht ausreicht, um die gestellte Frage nach der Wirkweise uneingeschränkt mit ja beantworten zu können.
Die phytomedizinischen Erfahrungsberichte (S. 7 ff der Anlage B 1), die keinem bestimmten Autor zugeordnet werden können, behaupten zwar apodiktisch, dass der Haarausfall mit Coffein wirksam bekämpft werden könne. Angesichts der oben genannten deutlich vorsichtigeren Aussagen kann diese Textzeile allein keine gesicherte Kenntnis der Wissenschaft belegen.
Auch die Alpecin-Wirkungsstudie (S. 10 ff der Anlage B 1) befasst sich nur allgemein mit der Wirkung von Coffein auf Testosteron. So lautet auch die Überschrift auf Seite 2 der Studie "Die Wirkung des Coffeins gegen Testosteron". Daraus ist nicht zu ersehen, dass aus der Studie der allein entscheidende Schluss gezogen werden kann, dass mit Coffein der Haarausfall sicher gestoppt werden kann.
Die Kurzfassung der HOKM-Untersuchungen an der Universitätsklinik K2 (S. 12 der Anlage B 1) reicht als wissenschaftlicher Beleg ebenfalls nicht aus. Dort ist zwar von jüngsten überraschenden Resultaten in der Wirksamkeit von Coffein in der Haut die Rede. Allgemein wird dann aber davon gesprochen, dass neben der allgemein angenommenen Förderung der Durchblutung noch weitere bisher unentdeckte Eigenschaften von Coffein vorhanden sein müssen. Was bisher noch unentdeckt war, ist schwerlich gesicherter Stand der Wissenschaft.
Dementsprechend heißt es auch in dem Abschlussbericht des Universitätsklinikums M3 (S. 27 ff der Anlage B 1) auf Seite 23 ausdrücklich: "Es bleibt jedoch weiter unklar, ob die antidrogene Wirkung von Coffein über die bekannten biochemischen Wirkmechanismen abläuft oder ob ein anderer Wirkprozess vorliegt." Dann kann aber erst recht nicht als wissenschaftlich gesichert gelten, dass Coffein den Haarausfall stoppt.
Damit belegt schon das von der Beklagten selbst vorgelegte Material, dass es den mit der beanstandeten Werbung suggerierten gesicherten Erkenntnisstand über die erfolgreiche Wirkung von Coffein gegen Haarausfall in Wahrheit nicht gibt.
Die wettbewerbswidrige Werbung ist auch geeignet, den Wettbewerb auf dem hier einschlägigen Markt der kosmetischen Mittel i.S.d. § 3 UWG nicht nur unwesentlich zu beeinträchtigen. Gerade in einem Bereich, in dem es um den wegen denkbarer optischer Beeinträchtigungen teilweise als bedrückend empfundenen Haarausfall und kosmetische Mittel dagegen geht, ist eine genaue Aufklärung der Verbraucher über den Stand der gesicherten wissenschaftlichen Forschung genauso wie im Falle einer gesundheitsbezogenen Werbung erforderlich, um möglicherweise ungeeigneten Behandlungen vorzubeugen.
Das Landgericht hat zu Recht auch alle Werbeaussagen jeweils für sich verboten, weil letztlich allen die ungesicherte Aussage zugrunde liegt, dass Coffein erfolgreich den Haarausfall bekämpft.
Bei der Werbeaussage zu 1. "mit Coffein gegen Haarausfall" wird dies besonders plakativ behauptet.
Auch die Aussage zu 2. "Jetzt haben deutsche Wissenschaftler einen Stoff entwickelt, der die Haarwurzel vor hormonbedingten Erschöpfungszuständen schützt: ein Phyto-Coffein-Komplex" ist im Sinne der genannten Wirkweise zu verstehen. Dies wird gerade auch durch den Zusammenhang der Anzeige deutlich. Zuvor ist nämlich vom Haarausfall bei Frauen die Rede, der eintritt, wenn der Östrogenspiegel sinkt. Damit ist klar, was mit den Erschöpfungszuständen gemeint ist.
Die Aussage zu 3. bewirbt die Lösung für die Störung des Haarwachstums, so dass auch hier die eingangs genannte Wirkweise dargestellt wird.
Ähnliches gilt für die Aussage zu 4., wonach der Phyto-Coffein-Komplex die Haarwurzeln vor hormonbedingten Erschöpfungszuständen schützt und verhindert, dass Testosteron die Haarwurzeln angreift und so die Energieversorgung einschränkt.
Auch in der 5. Werbeaussage wird die beanstandete Wirkaussage zumindest konkludent mitgeteilt. Nach dieser Aussage trägt nämlich die coffeinhaltige Rezeptur dazu bei, dass das Haarwachstum nach der Menopause nicht erschlafft. Erschlafft das Haarwachstum, wachsen eben nicht mehr wie gewohnt Haare nach, so dass man keinen Haarausfall zu beklagen hat.
In der Aussage zu 6. wird die beanstandete Wirkweise wiederum direkt angesprochen.
Die Aussagen zu 7. und 8. gehen auf die Anwendungsbeobachtungen an der Universitätsklinik K2 und durch Dr. G ein. Da aber die Aussagen im Gesamtzusammenhang betrachtet werden müssen, suggerieren auch diese Aussagen, dass es sich um erfolgreiche Versuche gehandelt hat, die mithin die eigentliche Werbebotschaft bestätigen.
In der Aussage zu 9. wird die beanstandete Wirkweise wiederum direkt angesprochen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 16.01.2007
Az: 4 U 99/06
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