Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Juli 2003
Aktenzeichen: 20 W (pat) 311/02

(BPatG: Beschluss v. 14.07.2003, Az.: 20 W (pat) 311/02)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat in seinem Beschluss vom 14. Juli 2003 (Aktenzeichen 20 W (pat) 311/02) das Patent 196 36 816 für nicht rechtsbeständig erklärt und widerrufen. Das Patent betrifft eine "Anordnung zur Verringerung hochfrequenter Störungen an Fahrzeug-Kabelnetzen". Das Gericht entschied, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig ist und sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Die Einsprechende hatte den Antrag gestellt, das Patent zu widerrufen. Die Patentinhaberin hingegen beantragte in der mündlichen Verhandlung, das Patent aufrechtzuerhalten, und reichte mehrere Anträge ein, in denen die Ansprüche abgewandelt oder ergänzt wurden.

Der erste Hauptantrag enthält den Anspruch 1 des ursprünglichen Patents. Die Hilfsanträge 1, 2, 3 und 4 enthalten den Anspruch 1 mit verschiedenen Änderungen und Ergänzungen.

Das Gericht legte dar, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 dem Fachmann aufgrund einer Druckschrift nahegelegt wird. Diese beschreibt eine ähnliche Anordnung zur Vermeidung von Störsignalen auf Leitungen in einem Kabelbündel. Der Fachmann, ein Elektroingenieur mit Fachkenntnissen in Nachrichtentechnik und HF-Technik, würde erkennen, dass er die dort beschriebenen Maßnahmen auch in der vorliegenden Erfindung anwenden kann. Das Gericht stellte fest, dass die weiteren Änderungen und Ergänzungen in den Hilfsanträgen keine wesentliche Zulage zur erfinderischen Tätigkeit darstellen.

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass auch der Hauptantrag und die anderen Hilfsanträge keinen Bestand haben, da sie den Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 umfassen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 4 wurde ebenfalls als nicht rechtsbeständig erachtet. Das Gericht erläuterte, dass die Maßnahme nach Merkmal c) bereits im Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 enthalten ist und sich dort zwangsläufig ergibt. Das bedeutet, dass auf der einen Seite der Ferritdrossel eine annähernde Anpassung an den Wellenwiderstand der Leitung herrscht, während auf der anderen Seite HF-Störungen am Eindringen in die Endstelleneinrichtung gehindert werden.

Das Bundespatentgericht entschied somit, dass das Patent widerrufen wird.

(Die Namen der beteiligten Personen wurden aus Datenschutzgründen entfernt)




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 14.07.2003, Az: 20 W (pat) 311/02


Tenor

Das Patent 196 36 816 wird widerrufen.

Gründe

I Das mit dem Einspruch angegriffene Patent 196 36 816 betrifft eine

"Anordnung zur Verringerung hochfrequenter Störungen an Fahrzeug-Kabelnetzen."

Sein Gegenstand sei nach den §§ 1 bis 5 PatG nicht patentfähig; er ergebe sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt die Anträge, das Patent aufrechtzuerhalten mit den Ansprüchen 1 bis 6 nach Hauptantrag, 1 bis 6 nach Hilfsantrag 1, 1 bis 6 nach Hilfsantrag 2, 1 bis 6 nach Hilfsantrag 3 und 1 bis 5 nach Hilfsantrag 4, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Der Anspruch 1 nach Hauptantrag lautet:

"1. Anordnung zur Verringerung hochfrequenter Störungen durch Reflexion in Kabelnetzen von Fahrzeugen, wobei die Anordnung Endstelleneinrichtungen (V, 114) und zu Kabelbündeln (B1) zusammengefaßte Verbindungsleitungen (L, 115, 116) zu den Endstelleneinrichtungen (V, 114) aufweist und die Endstelleneinrichtungen (V, 114) Lampen, Motoren, Sensoren, Aktuatoren, Ventile, Instrumente, Schalter sind, wobei die Anordnung derart ausgestaltet ist, a) daß an einer oder mehreren Stellen des Kabelnetzes Schaltungsanordnungen (Ra, CK, CR, CH) zwischen einer oder mehreren Leitungen (L, 115, 116) und dem metallischen Fahrzeugaufbau (M) angeordnet sind, welche die Leitungen (L, 115, 116) zumindest annähernd mit ihrem jeweiligen Wellenwiderstand (ZE) für Hochfrequenz gegen Fahrzeugaufbau (M) abschließen, b) daß in Kabelbündel oder einzelne Verbindungsleitungen (L, 115, 116) Ferritdrosseln (F, FK, 121, 122) eingebaut sind, welche für Hochfrequenz einen gegenüber dem Wellenwiderstand der Leitungen hohen Widerstand bewirken, undc) daß die den Wellenwiderständen Zoi annähernd gleichen Widerstandswerte Ri im Bereich 0,6 Zoi < Ri < 1,7 Zoi liegen."

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 stimmt damit bis auf folgende Änderungen überein:

Im Oberbegriff ist ergänzt, daß die Verbindungsleitungen zur Gleichstromversorgung von Endstelleneinrichtungen dienen, und zwischen "Instrumente" und "Schalter" ist ein "und" eingefügt; im kennzeichnenden Teil sind die Merkmale zu b) und zu c) in der Reihenfolge vertauscht.

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 enthält zusätzlich zu den Merkmalen des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 noch folgendes Merkmal:

"d) daß ein Kondensator Ck mit einem Widerstand (Ra) zur Wellenwiderstandsanpassung parallel zur Endstelleneinrichtung (V) geschaltet ist".

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3 enthält sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2, bis auf die Bereichsangabe für die Wellenwiderstände (Merkmal b) des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2; entsprechend werden die Gliederungszeichen c) und d) zu b) und c)).

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 4 stimmt bis auf das letzte Merkmal c) mit dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3 überein. Das neue Merkmal c) lautet:

"c) daß Ferritdrosseln so im Kabelnetz eingebaut sind, daß der Kabelnetzabschnitt auf der einen Seite der Einbaustelle keine Resonanzfrequenz unterhalb von 100 MHz zeigt und der Kabelnetzabschnitt auf der anderen Seite der Einbaustelle annähernd welenwiderstandsangepaßt abgeschlossen ist."

In der mündlichen Verhandlung werden ua folgende Entgegenhaltungen erörtert:

(1) DE 195 15 668 C1,

(9) EP 0 274 347 A1.

II Das Patent ist nicht rechtsbeständig, sein Gegenstand nach den §§ 1 und 4 PatG nicht patentfähig.

1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 ist dem Fachmann durch (1) iVm seinem Fachwissen und Können nahegelegt.

Ein Elektroingenieur der Fachrichtung Nachrichtentechnik mit Fachhochschulabschluß, der beruflich an der Entwicklung von Kraftfahrzeugelektronik arbeitet und auf dem Gebiet der HF-Technik zumindest Grundkenntnisse besitzt, entnimmt eine Anordnung mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1 aus der Druckschrift (1). Sie beschreibt eine Anordnung zur Vermeidung von Störsignalen auf Leitungen in einem Kabelbündel B1, B2, B3 mit mehreren Leitungen L, die zu Endstelleneinrichtungen V1, V2, V3 führen (Anspruch 1, Fig 1). Als Endstelleneinrichtungen kommen zB über die Leitungen mit Gleichstrom versorgte Lampen oder auch - für HF überwiegend als Blindwiderstand wirkende - Relais oder Sensoren in Betracht (Sp 1 Z 63 bis Sp 2 Z 11).

Da in Straßenfahrzeugen das Leitungsnetz gewöhnlich in Form von Kabelbündeln ausgeführt ist, bedingen die stark variierenden Längen der einzelnen Leitungen und die Blindwiderstände der Verbraucher im HF-Bereich unerwünschte Resonanzen (Sp 1 Z 32 bis Sp 2 Z 11).

Zur Vermeidung von Reflexionen auf den Leitungen schlägt die Druckschrift (1) bereits die Maßnahme nach Merkmal a) vor. Zwischen einer Stelle des Kabelnetzes und Masse liegt ein Dämpfungsmittel, welches die Leitung mit ihrem jeweiligen Wellenwiderstand für HF gegen Masse abschließt (Ansprüche 1 bis 4). Ob der Fachmann dabei zur Wellenwiderstandsanpassung als Dämpfungsmittel einen Ferritkörper wählt (Fig 2) oder statt dessen einen für alle Frequenzen gleichwirkenden Ohmschen Widerstand bevorzugt und mit Masse verbindet, liegt in seinem Belieben ((1) Anspruch 1). Auf Anhieb erkennt er, daß er einen externen geschlossenen Dämpfungsstromkreis auch dann bilden kann, wenn er die zur Stromversorgung zB einer Lampe dienende Leitung über einen Wirkwiderstand gleich dem Wellenwiderstand auf Masse führt. Daß man dann dem Merkmal d) gemäß den Gleichstrom vom Widerstand abblocken muß, gehört zu seinem Rüstzeug, wie im übrigen auch aus (1) erhellt (Anspruch 5).

Anpassung ist der optimale Fall der Energieübertragung auf Leitungen. Bei einem Anpassungsfaktor 1 ist auf der Leitung keine reflektierte Welle vorhanden. HF-Störungen werden im Dämpfungsmittel, dem Ohmschen Widerstand, vollständig in Wärme umgesetzt. Je besser die Anpassung, um so geringer die HF-Störungen.

Daß bei einem Anpassungsfaktor von 0,6 bzw 1,7 gemäß Merkmal b) noch brauchbare Ergebnisse erzielt werden, betrifft lediglich eine Dimensionierungsfrage. Da in einem Kraftfahrzeug der Wellenwiderstandswert eine Leitung je nach ihrer Verlegung stark schwankt, muß der Fachmann immer mit Fehlanpassung rechnen. Welchen Anpassungsfaktor er zu wählen hat, um die Reflexion von HF-Wellen ausreichend zu unterdrücken, ergibt sich dabei anhand von Messungen.

Wenn aber zum anderen der Fachmann mit Fehlanpassung rechnet, so sieht er auch eine geeignete Maßnahme vor, am Anpassungspunkt der Leitung nicht infolge der weiteren Verbindung zur Endstelleneinrichtung eine weitere Fehlanpassung erleiden zu müssen: Hierzu verwendet er eine Ferritdrossel, die den Leitungsabschluß durch das RC-Glied hochohmig vom Ausgang isoliert (Merkmal c)). Dies ergibt sich aus dem Fachwissen, wie es beispielsweise durch (9) belegt ist (Fig 2). Danach blockt der Hochfrequenztechniker HF-Störsignale auf einer Leitung mittels Wellenwiderstandsanpassung durch ein RC-Glied 9,6; 10,7; 8,5 ab und verhindert mittels einer als Tiefpaß wirkenden Ferritdrossel 11 ihr Eindringen in eine Endstelleneinrichtung.

2. Auf den Hauptantrag und den ersten und dritten Hilfsantrag braucht nicht gesondert eingegangen zu werden, weil ihre allgemeineren Ansprüche 1 den Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 mitumfassen.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 4 hat gleichfalls keinen Bestand.

Die Maßnahme gemäß seinem Merkmal c) ergibt sich bei dem Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 zwangsläufig.

Auf der einen Seite der Ferritdrossel herrscht annähernd Anpassung an den Wellenwiderstand der Leitung, wie aus dem oben Gesagten erhellt. Auf der anderen Seite werden HF-Störungen am Eindringen in die Endstelleneinrichtung gehindert, da die Ferritdrossel im wesentlichen nur den über die Verbindungsleitung zur Versorgung dienenden Gleichstrom an jene gelangen läßt. Damit gibt es aber auch keine ausgeprägte Resonanzstelle unterhalb von 100 MHz.

Dr. Anders Obermayer Engels Dr. Zehendner Be






BPatG:
Beschluss v. 14.07.2003
Az: 20 W (pat) 311/02


Link zum Urteil:
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