Landgericht Dortmund:
Urteil vom 29. September 2005
Aktenzeichen: 18 O 96/05
(LG Dortmund: Urteil v. 29.09.2005, Az.: 18 O 96/05)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Landgericht Dortmund hat in einem Urteil vom 29. September 2005 die Beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft dazu verurteilt, bestimmte Werbeaussagen zu unterlassen. Die Klägerin, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und berufsständischer Zusammenschluss von Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälten und Rechtsanwaltsgesellschaften, hatte die Beklagte aufgrund ihrer Werbemaßnahmen wegen unlauteren Wettbewerbs verklagt.
Die Beklagte, eine vor wenigen Jahren gegründete und schnell wachsende Rechtsanwaltsgesellschaft, betreibt besonderes Marketing. Sie hatte in ihren Werbebroschüren und anderweitig mit Aussagen geworben, die sinngemäß darauf abzielten, dass die Mandanten bei ihnen "Spezialisten" finden könnten und dass ihre "Spezialisten" bundesweit in Kontakt stehen. Die Klägerin war der Meinung, dass diese Werbeaussagen gegen die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) sowie gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verstoßen.
Das Gericht gab der Klage statt. Es entschied, dass die Beklagte durch ihre Werbeaussagen irreführende Angaben über die Befähigung ihrer Rechtsanwälte gemacht hat und somit unlauteren Wettbewerb betrieben hat. Die angesprochenen Verkehrskreise erwarteten, dass die Beklagte ihnen Rechtsanwälte zur Verfügung stellen würde, die auf einem speziellen Rechtsgebiet herausragende Kenntnisse und Erfahrungen vorweisen könnten. Da die Beklagte jedoch keine solchen hochqualifizierten Anwälte in ihren Reihen hatte, verstießen die Werbeaussagen gegen das UWG.
Das Gericht wies auch den Einwand der Beklagten zurück, dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch verwirkt sei. Die Beklagte konnte kein positives Verhalten der Klägerin vorweisen, aus dem sie hätte schließen können, dass der Anspruch nicht mehr geltend gemacht werden würde.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, jedoch nur gegen Sicherheitsleistung.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
LG Dortmund: Urteil v. 29.09.2005, Az: 18 O 96/05
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu zahlenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, für den Fall, dass dieses nicht beizutreiben ist, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an einem Geschäftsführer der Beklagten,
zu unterlassen,
in Werbebroschüren und/oder auf sonstige Weise wörtlich oder sinngemäß mit der Aussage zu werben:
a) So stellen wir sicher, dass Sie in jedem Fall Ihren Spezialisten
unter den K-Annwälten finden.
und/oder
b) Zur Lösung Ihres Rechtsproblems stehen unsere Spezialisten
bundesweit in ständigem Kontakt.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Dieses Urteils ist gegen Sicherheitsleistung von 10.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin, eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts und berufsständischer Zusammenschluss aller in dem Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm zugelassenen Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsgesellschaften, nimmt die beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft auf Unterlassung nach ihrer Auffassung unlauteren Wettbewerbs in Anspruch.
Die Beklagte ist eine vor wenigen Jahren gegründete und stark expandierende Rechtsanwaltsgesellschaft mit besonderem Marketing-Konzept. Neben einer Hauptniederlassung in E unterhält sie ausweislich eines am 27.09.2005 eingeholten Auszugs aus dem elektronischen Handelsregister an 13 weiteren Standorten in der Bundesrepublik Deutschland Zweigniederlassungen. Die für sie tätigen Rechtsanwälte sind in der Regel Gesellschafter und auch Geschäftsführer. Am 27.09.2005 waren 68 als Geschäftsführer fungierende Anwälte im Handelsregister eingetragen. Wegen weiterer Standorte und geschäftsführender Gesellschafter laufen Eintragungsverfahren. Bis April 2004 warb die Beklagte u.a. mit einem Flyer, wegen dessen genauen Wortlauts und Aufmachung auf die Ablichtungen Blatt 10 bis 12 der Akten Bezug genommen wird. Wörtlich heißt es dort:
"Die Anwälte in den K -Zweigniederlassungen stehen mit den Kollegen in den übrigen Städten in ständigem Datenaustausch. So stellen wir sicher, dass Sie in jedem Fall Ihren Spezialisten unter den K -Anwälten finden".
und
"Zur Lösung Ihres Rechtsproblems stehen unsere Spezialisten bundesweit in ständigem Kontakt".
Auf die Beschwerde einer im Kammerbezirk ansässigen Anwaltskanzlei hin mahnte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 20.04.2005 (Bl. 13-16 d.A.) ab und forderte sie auf, eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung (Bl. 17 d.A.) zu unterzeichnen. Daraufhin änderte die Beklagte die Aussage in den fortan neugedruckten Flyern dahingehend ab, dass es nunmehr heißt:
"So stellen wir sicher, dass wir bei der Lösung Ihres Falles bundesweit auf das Wissen und die Erfahrung weiterer Kollegen zurückgreifen können",
Die Unterzeichnung der Unterlassungsverpflichtung lehnte sie jedoch ab.
Die Klägerin meint, die Beklagte verstoße mit ihrer Werbeaussage gegen § 7 BORA und verschaffe sich durch diesen Rechtsbruch Vorsprung im Wettbewerb; damit werde zugleich gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG verstoßen. Sie trägt vor, § 7 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) sehe nur Fachanwaltsbezeichnungen und die Benennung von Interessen- und/oder Tätigkeitsschwerpunkten vor. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht (NJW 2004, Seite 2656 ff.) eine Werbung mit der Aussage "Spezialist für ..." nicht für generell unzulässig erklärt. Voraussetzung sei aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Werbende tatsächlich für sich in Anspruch nehmen könne, Spezialist auf dem genannten Rechtsgebiet zu sein und dies auch im Interesse der Überprüfbarkeit der Aussage personenbezogen geschehe. Die Klägerin trägt weiter vor, von allen im Kammerbezirk ansässigen Rechtsanwälten der Beklagten sei - unstreitig - nur ein einziger berechtigt, die Bezeichnung "Fachanwalt" zu führen. Die vom Bundesverfassungsgericht für die Berechtigung der Führung des Prädikats "Spezialist" aufgeführten Voraussetzungen erfülle kein einziger der Gesellschafter der Beklagten. Wenn die Beklagte damit werbe, den angesprochnen Verkehrskreisen "Spezialisten" zur Verfügung stellen zu können, obwohl solche nicht vorhanden seien, so verstoße die Beklagte damit zugleich gegen §§ 3, 5 Abs. 2 Nr. 3 UWG.
Die Klägerin beantragt deshalb,
die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu zahlenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, für den Fall, dass dieses nicht beizutreiben ist, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft, zu vollstrecken an einem Geschäftsführer der Beklagten,
zu unterlassen,
in Werbebroschüren und/oder auf sonstige Weise wörtlich oder sinngemäß mit der Aussage zu werben:
"So stellen wir sicher, dass Sie in jedem Fall Ihren Spezialisten unter den K -Anwälten finden." und/oder "Zur Lösung Ihres Rechtsproblems stehen unsere Spezialisten bundesweit in ständigem Kontakt".
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich zunächst auf eine Verwirkung des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs und trägt hierzu vor, sie, die Beklagte, befinde sich seit ihrer Gründung und der Teilnahme am Markt insbesondere wegen ihrer aggressiven Preisstrategie ständig im Fokus der Kammeraufsicht. Dort sei umfangreiches Aktenmaterial über sie entstanden. Es sei daher ausgeschlossen, dass die Klägerin nicht schon vor langer Zeit Kenntnis von der erst jetzt beanstandeten Werbung erhalten habe.
Im Übrigen, so meint die Beklagte, sei die Werbeaussage auch nicht zu beanstanden. Eine Irreführung finde nicht statt, weil die angesprochnen Verkehrskreise eine andere Interpretation des Begriffs des "Spezialisten" vornähmen, als das Bundesverfassungsgericht. Dies auch deshalb, weil die Benutzung des Begriffs des "Spezialisten" in den letzten Jahren inflationär zugenommen habe, wie eine Google-Recherche zeige. Die Erwartungen der angesprochnen Verkehrskreise würden hingegen durch das Konzept der Beklagten erfüllt: So befänden sich alle Niederlassungen der Beklagten ständig in einem offenen Datenaustausch. Hierfür werde eigens ein Dipl.-Informatiker beschäftigt. Jede Akte werde körperlich und (eingescannt) als Datei angelegt, so dass jeder Mitgesellschafter Zugang zu jeder Akte habe. So sei es möglich, dass stets mehrere Mitarbeiter, verstreut über das gesamte Bundesgebiet, an einer einzigen Akte arbeiten. Allen Mitgesellschaftern sei die Verpflichtung zur permanenten Fortbildung auferlegt. Auch müsse sich jeder verpflichten, den Fachanwaltslehrgang zu absolvieren. Den Fortgebildeten obliege eine Lehrverpflichtung, d.h. sie müssten als Multiplikatoren ihres erworbenen Wissens für andere tätig werden. Wegen einzelner Themenkreise seien Kompetenzteams und Fachforen errichtet worden, in denen die teilnehmenden Kollegen permanent online über aktuelle Rechtsprobleme kommunizierten. Daher sei die Beklagte in der Lage, den Rechtssuchenden immer den spezialisiertesten Anwalt der Organisation zur Verfügung zu stellen.
Wegen des weiteren Inhalts des Parteivorbringens wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß §§ 3, 5 Abs. 2 Nr. 3 UWG die Unterlassung der streitgegenständlichen Werbeaussage verlangen. Mit der Behauptung, den Rechtssuchenden "Spezialisten" für jeweiliges Rechtsproblem zur Verfügung stellen zu können, macht die Beklagte irreführende Angaben über die Befähigung ihrer Mitgesellschafter i.S.v. § 5 Abs. 2 Ziffer 3 UWG und handelt damit unlauter i.S.v. §§ 3, 5 Abs. 1 UWG. Aus dem eigenen Vorbringen der Beklagten ergibt sich, dass sie nicht in der Lage ist, den Rechtssuchenden Personal zur Verfügung zu stellen, das für sich das Prädikat eines "Spezialisten" in Anspruch nehmen kann. Unabhängig von dem durch das Bundesverfassungsgericht (BGH NJW 2004, Seite 26,56) für das Prädikat des "Spezialisten" definierten Anforderungsprofils erwarten die angesprochenen Verkehrskreise, denen ein "Spezialist" versprochen wird, jedenfalls, dass sie auf eine Person treffen, die auf einem bestimmten speziellen Rechtsgebiet herausragende Kenntnisse und Erfahrungen erworben hat. Die Kenntnisse, Eignungen und Befähigungen des Spezialisten müssen in jedem Fall höher sein, als diejenigen eines Fachanwaltes oder des Inhabers eines Interessen- oder Tätigkeitsschwerpunktes. Solche hochqualifizierten Persönlichkeiten - von einzelnen Ausnahmen vielleicht abgesehen - in ihren Reihen zu haben, behauptet die Beklagte selbst nicht. Zu berücksichtigen ist insofern einmal, dass sich der Gesellschafterstamm der Beklagten weit überwiegend aus sehr jungen, beinahe noch jugendlichen Kollegen zusammensetzt. Von den 68 am 27.09.2005 eingetragenen Geschäftsführern waren 36 unter 35 Jahre alt und 60 unter 40 Jahre alt. Zwei der auf dem beanstandeten und zur Akte gereichten Flyer genannten geschäftsführenden Rechtsanwälte der Beklagten waren im Zeitpunkt der Drucklegung noch deutlich unter 30 Jahre alt! Unter diesen Umständen erscheint der Kammer die Ansammlung genügender Erfahrungseignung, um das Anforderungsprofil des "Spezialisten" ausfüllen zu können, praktisch ausgeschlossen.
Mit Spezialistentum in ihren Reihen zu werben ist die Beklagte auch wegen ihrer internen Kommunikations- und Fortbildungsstruktur nicht berechtigt. Der Begriff des "Spezialisten" kennzeichnet ein Produkt. Das, was die Beklagte insoweit intern installiert hat, ist jedoch nichts weiter als eine Maßnahme, um Spezialistentum zu erwerben. Gerechtfertigt gewesen wäre deswegen allenfalls eine Werbeaussage etwa des Inhalts: "Stellen wir sicher, dass Sie in jedem Fall Ihren sich spezialisierenden unter den K -Anwälten finden."
Der erhobene Einwand der Verwirkung greift nicht durch. Neben dem Zeitmoment ist hierfür ein so genanntes Umstandsmoment erforderlich, mithin ein positives Verhalten des Anspruchsberechtigten, aus dem der Verpflichtete schutzwürdiges Vertrauen dahin schöpfen konnte, dass der Anspruch fortan nicht mehr geltend gemacht würde. An diesem Umstandsmoment fehlt es hier. Tatsachen, die ihn ausfüllen könnten, trägt die Beklagte nicht vor.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.
LG Dortmund:
Urteil v. 29.09.2005
Az: 18 O 96/05
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