Brandenburgisches Oberlandesgericht:
Urteil vom 6. November 2007
Aktenzeichen: 6 U 43/07
(Brandenburgisches OLG: Urteil v. 06.11.2007, Az.: 6 U 43/07)
Tenor
Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das am 21.2.2007 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Potsdam - 52 O 11/07 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsrechtszuges hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Es wird zunächst auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht Potsdam hat mit dem am 21.2.2007 verkündeten Urteil der Verfügungsbeklagten unter Androhung von Ordnungsgeld untersagt, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
für das Fertigarzneimittel Simvastatin-r€
a) mit einer vergleichenden Gegenüberstellung der Äquivalenzdosierungen von Simvastatin (Simvastatin-r€) 20 mg zu Atorvastatin (Sortis) 10 mgund/oderb) mit möglichen Einsparungen bei einer Umstellung von Statinen auf Simvastatin-r€ von 30 % bis 74 %zu werben,insbesondere wenn dies zu Ziff. 1 a) und/oder b) geschieht wie in der Anlage Ast. 1.Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es bestehe ein Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 5 UWG. Die beanstandeten Äußerungen seien irreführend.
Zwar enthalte das beanstandete Rundschreiben keine ausdrückliche Umstellungsempfehlung für den angesprochenen Arzt.
Die Aufstellung zu den Äquivalenzdosierungen sei jedoch geeignet, den behandelnden Arzt aus Kostengründen zu einer Umstellung von Sortis auf Simvastatin-r€ zu bewegen, ohne dass die Angaben zu bezeichneten Dosierungen hinreichend wissenschaftlich gesichert seien. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür obliege der Verfügungsbeklagten.
Die Aufstellung zu möglichen Einsparungen sei irreführend, weil diese Aufstellung auf die Liste der Äquivalenzdosierungen verweise.
Ein Verfügungsgrund sei auch gegeben. Das Zuwarten der Verfügungsklägerin zwischen Kenntniserlangung von der Werbung und Einreichung des Verfügungsantrags sei nicht so lang, dass eine Eilbedürftigkeit abzulehnen gewesen wäre.
Gegen dieses ihr am 1.3.2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 30.3.2007 bei Gericht eingegangene Berufung der Verfügungsbeklagten, welche sie mit dem 30.4.2007 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Die Verfügungsbeklagte macht die Versäumung der Vollziehungsfrist geltend (§ 929 ZPO). Die Urteilsabschrift sei ihr seitens der Verfügungsklägerin nicht ordnungsgemäß in beglaubigter Abschrift zugestellt worden.
Weiter vertritt sie die Ansicht, die Dringlichkeitsvermutung des § 12 UWG sei widerlegt.
Sie meint ferner, ein Unterlassungsanspruch stehe der Verfügungsklägerin nicht zu. Dem angegriffenen Rundschreiben komme keine wettbewerbsrechtliche Relevanz zu. Dieses stelle sich vielmehr als Folge der Gesetzesänderungen im SGB V vom 26.4.2006 dar. Schreiben ähnlichen Inhaltes hätten auch die gesetzlichen Krankenkassen an die niedergelassenen Ärzte versandt. Die Empfehlungen aus diesen Schreiben fänden sich in gleicher Weise in dem von der Verfügungsklägerin angegriffenen Schreiben wieder. Zusätzlich habe sie, die Verfügungsbeklagte, die möglichen Einsparungen prozentual ausgerechnet.
Es sei ihr auch nicht verwehrt, sich auf die sogenannten DDD (defined daily dose) der WHO zu berufen. Diese DDD seien Gegenstand des § 84 Abs. 7 a SGB V.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Die Verfügungsklägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Vollziehung der einstweiligen Verfügung meint die Verfügungsklägerin, da sie in rechtlich zulässiger Weise die beglaubigte Urteilsabschrift per Telefax dem Prozessgegner zugestellt habe, liege es schon in der Natur der Sache, dass diese Seiten einzeln - also unverbunden - dem Adressaten übermittelt worden seien. Ein Beglaubigungsvermerk auf der ersten und der letzten Seite der Abschrift reiche aus, die Urteilsanlage habe einer Beglaubigung nicht bedurft.
Die Verfügungsklägerin verteidigt im Übrigen das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Verfügungsbeklagten ist zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
1. Eine Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen Überschreitung der Vollziehungsfrist kommt nicht in Betracht (§ 929 Abs. 1 und 2 ZPO).
Zwar ist es richtig, wie die Verfügungsbeklagte ausführt, dass im Parteibetrieb im Verfü-gungsverfahren eine beglaubigte Abschrift des Urteils zum Zwecke der Vollziehung der einstweiligen Verfügung zugestellt werden muss (§§ 922 Abs. 2, 192 ff, 169 ZPO). Die beglaubigte Abschrift ist eine Zweitschrift, deren inhaltlicher Gleichlaut mit der Urschrift bestätigt wird. Wenn das Schriftstück aus mehreren losen Blätter besteht, muss der Beglaubigungsvermerk eindeutig erkennbar machen, dass er den Gleichlaut aller Seiten des Schriftstückes bestätigt (Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 169 Rn. 8). Das der Verfügungsbeklagten zugegangene Schriftstück entspricht diesen Anforderungen nicht.
Es kommt jedoch eine Heilung des Mangels in entsprechender Anwendung des § 189 ZPO in Betracht. Eine direkte Anwendung dieser Vorschrift scheidet aus, da diese nur Zustellungsmängel, also die Art und Weise, in der das Schriftstück an wen zu übergeben ist, betrifft.
§ 189 ZPO betrifft nicht dieFormdes zu übergebenden Schriftstückes.
Nun liegt allerdings die Besonderheit des vorliegenden Falles, welche eine entsprechende Anwendung der genannten Vorschrift rechtfertigt, darin, dass zum einen die Verfügungsbeklagte bei Zugang des Telefaxes der Verfügungsklägerin selbst feststellen konnte, ob das übermittelte Schriftstück dem Original entspricht. Sie hatte nämlich vorher - am 1.3.2007 - die beglaubigte Abschrift des Urteils seitens des Gerichts in korrekter und vollständiger Weise zugestellt erhalten.
Zum anderen dient das Erfordernis der Parteizustellung einer einstweiligen Verfügung dazu, den erforderlichen Vollziehungswillen des Gläubigers zu dokumentieren. Dieser Vollziehungswille kommt auch bei fehlerhafter Parteizustellung zum Ausdruck.
2. Zu Recht hat das Landgericht Potsdam die einstweilige Verfügung erlassen. Sowohl Verfügungsgrund als auch Verfügungsanspruch sind gegeben.
a. Hinsichtlich des Verfügungsgrundes wird Dringlichkeit vermutet (§ 12 Abs. 2 UWG).
Die Vermutung ist im vorliegenden Falle nicht entkräftet. Es wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in dem angegriffenen Urteil Bezug genommen.
b. Der Verfügungsklägerin steht gegen die Verfügungsbeklagte auch ein Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 5 UWG, 3 HWG zu.
Gegenstand des Unterlassungsantrags ist die Werbung der Verfügungsbeklagten für die Äquivalenzdosierung 1:2 und für die genannte Kostenreduzierung.
Mit dem angegriffenen Rundschreiben suggeriert die Verfügungsbeklagte, es liege eine Äquivalenzdosierung 1:2 vor zwischen Sortis 10 mg und Simvastatin-r€ 20 mg. Bei Umstellung von erstgenanntem auf zweitgenanntes Präparat könnten sich Kostenersparungen zwischen 30 % und 74 % ergeben.
Diese Werbung muss sich rechtlich am Maßstab der §§ 3 UWG, 3 HWG messen lassen.
Eine Wettbewerbshandlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 UWG liegt vor.
Das Rundschreiben der Verfügungsbeklagten an potentielle Kunden beider Parteien dient dem Ziel, zu Gunsten des eigenen Unternehmens den Absatz von Waren zu fördern. Ein sogenannter Marktbezug ist zu bejahen.
Zwar ist es richtig, wie die Verfügungsbeklagte ausführt, dass sie nicht direkt für eine Umstellung auf ihre Arzneimittel wirbt. Jedoch bietet sie in diesem Rundschreiben eine Art Hilfe zur Umstellung an, indem sie vergleichend Parameter der Dosierungen und der möglichen Kostenersparnis nennt. Dadurch unterscheidet sich dieses Rundschreiben von einer reinen Information im Zusammenhang mit den gesetzlichen Änderungen im SGB V.
Die Werbung ist unzulässig, wenn sie Arzneimitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkung beimisst, die diese nicht haben (§§ 3 UWG, 3 Ziffer 1 HWG).
Werbende Anpreisungen auf dem Gebiet der Arzneimittelwerbung sind grundsätzlich nur zulässig, wenn sie gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Hier steht zur Debatte eine therapeutische Wirkung im Verhältnis 1:2 bei der Dosierung der oben genannten Medikamente.
Die Gegenüberstellung der Medikamente sozusagen als vergleichende Werbung ist im Heilmittelrecht nur eingeschränkt zulässig. Zulässig ist sie jedoch gegenüber Fachkreisen (§§ 2, 11 Abs. 2 HWG). Ein solcher Fall liegt hier vor.
Maßgeblich für die Beurteilung der Werbeaussage ist, wie der angesprochene Verkehr die beanstandete Werbung versteht. Bei der Auslegung ist vom Wortsinn auszugehen.
Der angesprochene Verkehrskreis - die niedergelassenen Ärzte - als durchschnittlich informiertes, aufmerksames und verständiges Sachpublikum versteht das Rundschreiben so, dass die gegenüber gestellten Dosierungen die gleiche Wirkstärke haben und dass bei Umstellung Kostenersparungen möglich sind, die im Zusammenhang mit dem €Wirtschaftlichkeitsziel€ der §§ 73 Abs. 8, 84 Abs. 7 a SGB V bedeutend sind.
Wollte man das Rundschreiben nicht dahin auslegen, dass eine gleiche therapeutische Wirkung behauptet werden solle, wären der Preisvergleich bzw. die genannten Einsparungen ohne jeden praktischen Wert (so auch OLG Hamburg, Urteil vom 26. Februar 2004, 3 U 197/03).
Das Verständnis des bezeichneten Verkehrskreises können die Mitglieder des Senats selbst beurteilen. Die Ermittlung der Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise ist Sache des Tatrichters. Wenn sich die Werbung auf Waren oder Leistungen des täglichen oder allgemeinen Bedarfs bezieht, wenn es sich bei dem in der Werbung verwendeten Begriff um einen solchen handelt, dessen Verständnis in einem bestimmten Sinne einfach und naheliegend ist und keine Gründe vorliegen, die Zweifel an dem vom Gericht vorgenommenen Verkehrsverständnis wecken können, kann der Tatsrichter sich auf seine eigene Sachkunde und Lebenserfahrung stützen. Eine Beweiserhebung insoweit ist nicht erforderlich.
Das oben dargestellte Verständnis des angesprochenen Verkehrskreises der Ärzteschaft ist nicht richtig. Die hierfür beweisbelastete Verfügungsbeklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass die genannte €Äquivalenzdosierung€ zutreffend ist, dass also 20 mg Simvastatin-r€ die gleiche therapeutische Wirkung erzielen wie 10 mg Sortis.
Zwar hat bei der Frage der irreführenden Werbung grundsätzlich die Verfügungsklägerin die Darlegungs- und Beweislast für die Unrichtigkeit der Werbebehauptung.
Im vorliegenden Falle sind allerdings die strengen Voraussetzungen der gesundheitsbezogenen Werbung anzuwenden.
Wirbt die Verfügungsbeklagte mit einer fachlich umstrittenen Meinung für ein Arzneimittel ohne bestehende Gegenmeinungen zu erwähnen, ist sie beweisbelastet für die Richtigkeit ihrer Aussage. Sie übernimmt nämlich dadurch, dass sie eine bestimmte Aussage trifft, die Verantwortung für deren Richtigkeit. Diese muss sie im Streitfall beweisen (Bühlow, HWG, 2. Aufl., § 3 Rn. 30; BGH GRUR 1991, 848 - Rheumalind II).
Bei gesundheitsbezogener Werbung sind strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Werbeangaben erhebliche Gefahren für das Schutzgut der Gesundheit des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können.
Dies gilt jedenfalls, soweit sich die Werbung an die Bevölkerung als Verbraucher richtet. Für den angesprochenen Ärztekreis kann jedoch auch nichts wesentlich anderes gelten. Zwar kennen die angesprochenen Ärzte den jeweiligen Wirkstoff und sicher auch die vergleichend gegenüber gestellten Präparate. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass dem praktischen Arzt ohne weiteres geläufig ist, welcher wissenschaftliche Erkenntnisgrad für Äquivalenzdosierungen tatsächlich besteht. Wegen der Neuerungen im Gesundheitsbereich haben die Ärzte ein besonderes Bedürfnis, über die Wirkungsweise der Zweitanbieterpräparate im Verhältnis zum Standardpräparat informiert zu werden. Eine dahingehende Informationstätigkeit von Pharmaunternehmen muss deshalb sachlich zutreffend sein.
Die Verfügungsklägerin hat substantiiert dargelegt, dass ein gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisgrad für die Äquivalenzdosierungen fehlt, dass es vielmehr Stimmen gibt, die ein Verhältnis von 1:4 für richtig erachten. Demgegenüber hat die Verfügungsbeklagte nicht glaubhaft gemacht, dass das behauptete Äquivalenzverhältnis und die daraus folgende Kostenreduzierung zutreffend ist.
Die Verfügungsbeklagte kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie in ihr Rundschreiben eine Tabelle eingefügt hat, in der die sechs Ziele der Zielvereinbarung des Landes Brandenburg festgehalten sind durch Gegenüberstellung eines günstigen Produktes aus der r€- Produktpalette mit Originalwirkstoffen (Tabelle Bl. 16 d. A.).
Die Verfügungsbeklagte hat die Liste der Äquivalenzdosierungen selbst gefertigt. Diese Liste, auf welche unmittelbar verwiesen wird unter der €Einsparungstabelle€ aus der zitierten Zielvereinbarung, suggeriert, dass bei Befolgung der genannten Äquivalenzdosierung die genannten Einsparungen möglich sind.
Die Frage der Einsparung ist künftig für niedergelassene Ärzte von großer Bedeutung wegen der seit 1.1.2007 existierenden Arzneimittelvereinbarung (Bl. 228 ff. d. A.).
Bei sieben Arzneimitteln, welche auch in dem Rundschreiben genannt werden, ist eine Bonus-Malus-Regelung eingeführt worden. In diesen Arzneimittelgruppen wird mit Hilfe sogenannter Durchschnittskosten pro definierter Dosiereinheit auf Basis definierter Tagesdosen (DDD) die Preiswürdigkeit der Arzneimittel festgestellt.
Um dem Arzt die Entscheidung bei der Auswahl des Präparates zu erleichtern, haben kassenärztliche Vereinigung - so jedenfalls in B€ - Gruppen von DDD je Wirkstoff gebildet.
Abgesehen davon, dass diese empfohlene DDD nicht übereinstimmt mit der im Rundschreiben angegebenen Äquivalenzdosierung, fehlt es offensichtlich auch an einer hinreichenden wissenschaftlichen Erkenntnis hierfür. Jedenfalls trägt die Verfügungsklägerin substantiiert unter Berufung auf die WHO-Publikation (Bl. 83 ff. d. A.) vor, dass die DDD lediglich die von der WHO übermittelten täglichen Verschreibungsgewohnheiten der Ärzte in verschiedenen Ländern, also Erhebungsdaten darstellen.
Aus diesen Verschreibungsgewohnheiten lässt sich aber keine wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnis über die Wirkungsäquivalenz unterschiedlicher Wirkstoffe herleiten.
In dem Zusammenhang ist es rechtlich unerheblich, dass der Gesetzgeber in § 73 Abs. 8 SGB V zur Bestimmung von Tagestherapiekosten auf die DDD abstellen will. Im Zusammenhang mit § 73 Abs. 8 SGB V steht nicht fest, dass das hier angegriffene Äquivalenzverhältnis 1:2 zutreffend ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Brandenburgisches OLG:
Urteil v. 06.11.2007
Az: 6 U 43/07
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