Bundespatentgericht:
Beschluss vom 28. Mai 2002
Aktenzeichen: 17 W (pat) 55/00
(BPatG: Beschluss v. 28.05.2002, Az.: 17 W (pat) 55/00)
Tenor
Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluß der Patentabteilung 53 vom 1. August 2000 aufgehoben und das Patent 37 45 144 widerrufen.
G r ü n d e:
I.
Die dem vorliegenden Patent zugrundeliegende Anmeldung ist durch Teilung (Teilung erklärt am 22.2.1996 vor dem Bundespatentgericht) aus dem Patent 37 43 639 (Anmeldetag 22.12.1987) hervorgegangen. Auf diese Anmeldung ist unter der Bezeichnung
"IC-Kartensystem"
ein Patent erteilt worden. Gegen die Erteilung des Patents hat die Firma G... & D... GmbH Einspruch erhoben. Die Patentabteilung 53 hat nach Prüfung des Einspruchs mit Beschluß vom 1.8.2000 das Patent aufrechterhalten. In den Gründen ist ausgeführt, daß der Gegenstand des Patentanspruchs auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden.
Der geltende erteilte Patentanspruch 1 lautet (mit der Gliederung nach dem Einspruchsschriftsatz):
IC-Kartensystem, mit einer externen Einrichtung (5) und einer IC-Karte (1), welche umfaßt 1. einen Mikroprozessor (2)
2. einen festen Programmspeicher (3)
3. einen frei programmierbaren Speicher (4) und 4. einen Datenbus (2A), der den Mikroprozessor (2) und die zugeordneten Speicher (3, 4) miteinander verbindet und innerhalb der IC-Karte (1) von der Außenseite unzugänglich angeordnet ist, sowie 5. einen erweiterten programmierbaren Speicherbereich (4A) zur Aufnahme eines zusätzlichen Programms von der externen Einrichtung (5)
gekennzeichnet durch 6. einen erweiterten Programmspeicherbereich (3A), der Befehlscodes für den Mikroprozessor (2) zum Akzeptieren und Laden des zusätzlichen Programms im erweiterten programmierbaren Speicherbereich (4A) enthält, 7. eine Einrichtung im erweiterten Programmspeicherbereich (3A) zum Umschalten zwischen einer ersten Betriebsart des Mikroprozessors (2) zum Akzeptieren und Laden des zusätzlichen Programms, und einer zweiten Betriebsart zum Ausführen des zusätzlichen Programms, 8. wobei das zusätzliche Programm ein nach dessen Programmabarbeitung zu löschendes Prüfprogramm ist, das in den erweiterten programmierbaren Speicherbereich (4A) ladbar ist und das zur Überprüfung der Funktionstüchtigkeit der IC-Kartenkomponenten ausgeführt wird, und 9. wobei weiterhin Prüfungsresultate aus dem Prüfprogramm der externen Einrichtung (5) zur Bestimmung des Fehlerortes und der Fehlerart der IC-Kartenkomponenten zugeführt sind.
Der Anmeldung liegt die Aufgabe zugrunde, IC-Karten ein breiteres Anwendungsgebiet zu erschließen und die Einsatzmöglichkeiten von solchen IC-Karten zu verbessern, ohne daß die Sicherheit und die Zuverlässigkeit der auf der IC-Karte gespeicherten Informationen, Daten und Funktionen darunter leiden (DE 37 45 144 C2 Spalte 2, Zeile 68 bis Spalte 3, Zeile 5).
Die Einsprechende ist der Meinung, daß die Teilung des Stammpatents nicht gültig sei. Hieraus ergebe sich für sie, daß für das vorliegende Patent der Anmeldetag und die Priorität der Stammanmeldung nicht in Anspruch genommen werden könnten. Außerdem vertritt sie die Auffassung, daß die Merkmale des IC-Kartensystems nach dem Patentanspruch 1, soweit sie mit dem Patentanspruch 1 des Stammpatents übereinstimmten, aus dem Stand der Technik zu entnehmen seien. Die neu aufgenommenen Merkmale ergäben sich für den Fachmann bei Kenntnis der US 4 575 621.
Die Einsprechende stellt den Antrag, den Beschluß der Patentabteilung 53 vom 1. August 2000 aufzuheben und das erteilte Patent 37 45 144 zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Patentinhaberin sieht in einer möglicherweisen ungültigen Teilung keinen Einspruchsgrund nach § 59 PatG. Das vorliegende IC-Kartensystem beruhe, nach ihren Ausführungen, auch auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber der US 4 575 621 und der DE 27 38 113 A1. Aus der US 4 575 621 sei lediglich eine Watch-Dog-Schaltung bekannt. Hierin sehe sie eine gezielte Maßnahme, die nicht mit einem Prüfprogramm verglichen werden könne. Nach dem Patent würde ein zusätzliches Programm geladen und die Prüfungsresultate würden wieder nach außen übergeben.
II.
Die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig. Sie hat auch Erfolg, da das IC-Kartensystem nach dem einzigen Patentanspruch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Pat G § 4).
Dabei geht der Senat davon aus, daß das Patent wirksam entstanden ist. Zwar leidet das Erteilungsverfahren unter einem Mangel. Die im Verfahren der Stammanmeldung erklärte Teilung ist unwirksam, da das Stammpatent nicht um den abgetrennten Teil vermindert worden ist (vgl. BGH BlPMZ 1999, 192 - Kupplungsvorrichtung). Damit ist die vorliegende Teilanmeldung nicht wirksam entstanden. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat jedoch die Feststellung, daß keine wirksame Teilanmeldung vorliegt, nicht getroffen (Schulte, PatG, 6. Aufl, § 60 Rdnr 31 ff), sondern das Patent erteilt. Diese Patenterteilung führt nicht zur Nichtigkeit des in der Folge erteilten Patents, sondern heilt den Mangel der Teilung (Schulte, aaO, § 39 Rdnr 89; Busse, Patentgesetz, 5. Aufl, § 39 Rdnr 7 aE; BPatGE 44, 193 ff, 199 f; 7 W (pat) 11/97). Diese heilende Wirkung des Erteilungsbeschlusses ist zwar gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, folgt aber daraus, daß das Patentgesetz nach Erteilung eine Überprüfung nur noch im Rahmen der gesetzlichen Widerrufs- bzw. Nichtigkeitsgründe vorsieht. Folglich kann das Patent auch nicht auf einen Einspruch hin mit der Begründung widerrufen werden, die Teilungserklärung sei unwirksam. Dies stellt keinen gesetzlichen Einspruchsgrund dar. Eine analoge Anwendung der Gründe der §§ 21, 22 PatG scheidet wegen des gesetzlich geschlossenen Katalogs dieser Gründe aus (Schulte, aaO, § 39 Rdnr 89; Busse, aaO, § 39 Rdnr 33; BPatGE 44, 193 ff, 200).
Das Patent betrifft ein IC-Kartensystem, bestehend aus einer externen Einheit und einer IC-Karte. In diese IC-Karte sollen auch nach Beendigung des Herstellungsprozesses noch Programme geladen werden können. Dabei ist von außen kein direkter Zugriff auf die Speicher der IC-Karte möglich, um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu gewährleisten.
Diese IC-Karte enthält einen Mikroprozessor (CPU) mit einem Festwertspeicher (ROM) und einem Speicher mit wahlfreiem Zugriff (RAM), die über einen Datenbus miteinander verbunden sind. Die Speicher enthalten nach dem Patentanspruch 1 einen erweiterten Bereich zur Aufnahme eines zusätzlichen Programms (RAM-Bereich 4A) und einen erweiterten Programmspeicherbereich (3A) um Befehlscodes, d.h. Programmteile zum Akzeptieren und Laden des zusätzlichen Betriebsprogramms zu speichern. Diese erweiterten Speicherbereiche befinden sich aber physikalisch gesehen im selben Speicherchip, die Abtrennung erfolgt lediglich über Adressenverwaltung (DE 37 45 144 C2, Spalte 4, Zeilen 42 bis 54).
Nach dem Patentanspruch 1 hat der Mikroprozessor zwei "Betriebsarten", eine zum Akzeptieren und Laden des zusätzlichen Betriebsprogramms und eine zum Ausführen des zusätzlichen Programms. Das zusätzliche Programm ist ein "nach dessen Programmabarbeitung zu löschendes Prüfprogramm", das zur Überprüfung der Funktionstüchtigkeit der IC-Kartenkomponenten ausgeführt wird und die Prüfungsresultate der externen Einrichtung zuführt.
Die Einsprechende hat auf die vorveröffentlichten Druckschriften 1. DE 27 38 113 A1 2. US 4 575 621 hingewiesen.
Die DE 27 38 113 A1 betrifft eine Vorrichtung zur Durchführung von Bearbeitungsvorgängen mit einem in eine Aufnahmeeinrichtung der Vorrichtung eingebbaren Identifikanten. Der Identifikant ist eine IC-Karte mit einem Mikroprozessor 10, einem festen Programmspeicher 11 und beschreibbaren Speichern 13 bis 17. Weitere Hinweise auf den Gegenstand des Patentanspruchs 1 sind dieser Druckschrift nicht zu entnehmen.
Aus der US 4 575 621 ist ein IC-Kartensystem nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 bekannt. In den programmierbaren Speicher werden noch von der externen Einrichtung zusätzliche (Betriebs-)Programme geladen (vgl. z.B. Spalte 5, Zeilen 28 bis 30). Der Datentransfer erfolgt unter Zuhilfenahme einer DMA-Schaltung, wobei die Daten verschlüsselt sind (vgl. Spalte 5, Zeilen 19 bis 24).
Ein IC-Kartensystem nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 ist, was nicht strittig ist, aus der US 4 575 621 bekannt. Diese Druckschrift zeigt ein IC-Kartensystem mit einer externen Einrichtung (20) und einer IC-Karte (2, Figur 2). Die IC-Karte umfaßt einen eingebauten Mikroprozessor (Figur 5, 52) {Merkmal 1}, einen festen Programmspeicher (56) {Merkmal 2} und einen frei programmierbaren Speicher (58) {Merkmal 3}.
Diese Druckschrift (vgl. insb. Figur 5) zeigt zwar keinen Datenbus, der den Mikroprozessor und die zugeordneten Speicher direkt miteinander verbindet. Aber der Fachmann weiß selbstverständlich, daß eine solche Struktur bei einem Rechner üblich ist und innerhalb der IC-Karte angeordnet sein muß. Aus dieser Figur sieht der Fachmann auch, daß die Speicher nur über die CPU und nicht von außen zugänglich sind {Merkmal 4}.
Bei der bekannten IC-Karte ist im beschreibbaren Speicher auch ein zusätzlicher Speicherbereich zur Aufnahme eines zusätzlichen Programmes von der externen Einrichtung vorgesehen (vgl. z.B. Spalte 5, Zeilen 28 bis 30) {Merkmal 5}. Im erweiterten Programmspeicherbereich sind die Befehlscodes für den Mikroprozessor zum Akzeptieren und Laden des zusätzlichen Betriebsprogrammes in den programmierbaren Speicher gespeichert (Spalte 5, Zeilen 24 - 30) {Merkmal 6}.
Bei der bekannten IC-Karte werden zusätzliche Betriebsprogramme nachgeladen die dann selbstverständlich auch zur Ausführung kommen (vgl. insb. Spalte 5, Zeilen 28 bis 30). Somit liegen hier die gleichen zwei Betriebsarten wie beim Gegenstand des Streitpatents vor, nämlich eine erste Betriebsart des Mikroprozessors zum Akzeptieren und Laden des zusätzlichen Programms, und eine zweite Betriebsart zum Ausführen des zusätzlichen Programms. Selbstverständlich weiß der Fachmann, daß zwischen diesen beiden Betriebsarten umgeschaltet werden muß und trifft Vorsorge hierfür {Merkmal 7}.
Aus der US 4 575 621 ist es auch bekannt, daß auf der Karte Programme vorhanden sind, die die Funktionen der Karte überwachen (vgl. z.B. Abstract Zeilen 6 bis 8 und Spalte 4, Zeilen 33 bis 35), es sind also Prüfprogramme vorhanden.
Die Patentinhaberin weist zwar darauf hin, daß es sich bei dem Prüfprogramm nach dem Streitpatent um ein Testprogramm handele, mit dem im Anschluß an die Fertigung der Karte deren Funktionsfähigkeit getestet werde und das anschließend wieder gelöscht werde.
Dies vermag jedoch nicht durchzugreifen, da dem Fachmann geläufig ist Geräte jeglicher Art vor der Auslieferung einem Funktionstest zu unterwerfen, wozu bei Rechnern Testprogramme üblich sind. Aus der Tatsache, daß dieses Programm nur einmal verwendet wird, drängt es sich geradezu auf, es danach wieder zu löschen, zumal der Speicherplatz auf einer Chipkarte ohnedies beschränkt ist {Merkmal 8}.
Ebenso selbstverständlich ist es, bei einem Funktionstest die Ergebnisse auszuwerten, wozu sie irgendeiner Stelle mitgeteilt werden müssen, vorzugsweise der Stelle, die den Test angestoßen hat, im vorliegenden Fall also der externen Einrichtung. Dem Fachmann ist es auch geläufig daß aus Fehlermustern auf den Fehlerort und der Fehlerart der IC-Kartenkomponenten geschlossen werden kann {Merkmal 9}.
Der Anspruch 1 offenbart somit nichts, was beim Stand der Technik nach der US 4 575 621 mehr als eine fachmännischzweckmäßige Maßnahme angesehen werden könnte und beruht somit nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Der Anspruch 1 und die ihm untergeordneten Ansprüche sind somit nicht patentfähig. Bei dieser Sachlage war das Patent zu widerrufen.
Grimm Bertl Prasch Eder Ju
BPatG:
Beschluss v. 28.05.2002
Az: 17 W (pat) 55/00
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