Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 1. Februar 2007
Aktenzeichen: L 12 B 8/06 AS

(LSG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 01.02.2007, Az.: L 12 B 8/06 AS)

Tenor

Auf die Beschwerde des Bezirksrevisors wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 04.11.2005 geändert. Die dem Prozessbevollmächtigten der Kläger im Rahmen der Prozesskostenhilfe aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung wird auf 179,80 EUR festgesetzt.

Gründe

Die fristgerecht eingelegte Beschwerde, an deren Zulassung der Senat gebunden ist (§ 56 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 S. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG -), ist begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht (SG) auf die Erinnerung des Prozessbevollmächtigten der Kläger die diesem im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf einen höheren Betrag als 179,80 EUR festgesetzt. Zwar hat das SG zunächst zutreffend ausgeführt, dass nicht die Post- und Telefonauslagen sowie der Umsatzsteueranteil zur Hälfte angerechnet werden dürfen, sondern es nur um die hälftige Anrechnung der Gebühr nach Nr. 2603 Vergütungsverzeichnis (VV) geht. Dies ist, wie dem Antrag des Bezirksrevisors im Beschwerdeschriftsatz vom 22.12.2005 zu entnehmen ist, im Übrigen aber auch nicht mehr streitig.

Die Voraussetzungen für die allein noch streitige hälftige Anrechnung der o.g. Gebühr, also die Anrechnung i. H. v. 35,00 EUR auf die Verfahrensgebühr im Klageverfahren, sind entgegen der Entscheidung des SG erfüllt.

Zunächst ist der Ansicht des SG nicht zu folgen, dass nach dem Wortlaut der Nr. 2603 Abs. 1 VV diese Geschäftsgebühr im Rahmen der Beratungshilfe für eine Tätigkeit alternativ auch außerhalb eines behördlichen Verfahrens entstanden sein muss. In Nr. 2603 Abs. 2 S. 1 VV ist insoweit nach dem Wortlaut lediglich geregelt, dass die Gebühr auf die Gebühren für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren zur Hälfte anzurechnen ist. Wann bzw. wo diese Gebühr entstanden sein muss, ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen.

Der Bevollmächtigte der Kläger hat die Gebühr nach Nr. 2603 VV wegen seines Widerspruchsschriftsatzes vom 04.02.2005 gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erstattet bekommen. Diese ist nach dem Wortlaut der Nr. 2603 Abs. 2 S. 1 VV auf die Gebühren für ein anschließendes gerichtliches Verfahren (hier: Klageverfahren nach Erteilung des Widerspruchsbescheides) zur Hälfte anzurechnen.

Dagegen spricht nicht, dass der Anspruch auf diese Gebühr aufgrund einer Tätigkeit im Widerspruchs- bzw. im Vorverfahren und damit bereits in einem behördlichen Verfahren begründet worden ist.

Denn auch in sozialrechtlichen Verfahren schließt sich in der Regel an das Verwaltungsverfahren das Vorverfahren zur Überprüfung des Verwaltungsaktes als weiteres behördliches Verfahren an. Dementsprechend bestimmt § 17 Nr. 1 RVG im Unterschied zu der außer Kraft getretenen § 119 Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO), dass das Verwaltungsverfahren und das Vorverfahren jeweils verschiedene Angelegenheiten sind. In Nr. 2603 Abs. 2 Satz 1 VV ist zudem nicht etwa deshalb nur eine außerhalb eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahren entstandenen Gebühr gemeint, weil diese Vorschrift denselben Wortlaut wie der nicht mehr geltende § 132 Abs. 2 S. 2 BRAGO hat und letztere Vorschrift dem § 118 Abs. 2 BRAGO nachgebildet gewesen sei (vgl. dazu: Madert in: Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, BRAGO. 14. Aufl., § 132 Rdnr. 8).

Denn diese "Nachbildung" war bereits nur insoweit gegeben, als die beiden Vorschriften sich lediglich auf der Rechtsfolgenseite zum Teil glichen, sie aber unterschiedliche tatbestandliche Voraussetzungen hatten und im Übrigen jeweils in unterschiedlichen sachlichen Zusammenhängen standen.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen der beiden Vorschriften unterschieden sich wesentlich dadurch, dass nach § 132 Abs. 2S. 2 BRAGO lediglich die Gebühr für die in § 118 BRAGO bezeichneten Tätigkeiten "auf die Gebühren für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren zur Hälfte anzurechnen" war, während § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO ausdrücklich zur Voraussetzung hatte, dass die anzurechnende Gebühr für eine Tätigkeit "außerhalb eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens" entstanden sein musste. Mithin war dieser "Nachbildung" nicht zu entnehmen, dass in § 132 Abs. 2 S. 2 BRAGO nur eine außerhalb eines behördlichen Verfahrens entstandene Gebühr gemeint war.

Zu widersprechen ist dem SG auch insoweit, als es eine hälftige Anrechnung i. R. d. Beratungshilfe entstandenen Gebühr auf die Gebühr im gerichtlichen Verfahren i. R. d. PKH auch deshalb ablehnt, weil Nr. 2603 VV von der Gleichwertigkeit des behördlichen und des gerichtlichen Verfahrens ausgehe. Die Vorschrift der Nr. 2603 Abs. 2 S. 1 VV enthält wie die nach Satz 2 vielmehr eine Regelung zur Verhinderung einer übermäßigen Vergütung des Anwalts, und zwar für den Fall, dass sich entweder an seine Tätigkeit außerhalb eines behördlichen Verfahrens ein behördliches oder ein gerichtliches Verfahren in derselben Angelegenheit anschließt (vgl.: Hartmann, Kostengesetze, 35. Auflage, VV2603 Rdnr. 8) oder eben, wie dargelegt, dass sich an eine Tätigkeit in einem behördlichen Verfahren (Verwaltungsverfahren) eine Tätigkeit in einem weiteren behördlichen Verfahren (Vorverfahren) anschließt, oder dass sich, wie vorliegend, an eine Tätigkeit in einem behördlichen Verfahren (Widerspruchs- bzw. Vorverfahren) eine Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren anschließt.

Gegen die Beachtung des o.g. Grundsatzes spricht auch nicht das Vorbringen des Bevollmächtigten der Kläger, dass nach Nr. 3103 VV die "Vergütung" ein zweites Mal "reduziert" werde. Für das gerichtliche Verfahren erster Instanz ist gegenüber der Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV eine Verfahrensgebühr mit einem niedrigeren Rahmen für den Fall vorgesehen, dass der Rechtsanwalt bereits im Verwaltungsverfahren oder in dem dem gerichtlichen Verfahren vorausgehenden Vorverfahren tätig geworden ist. Dabei wird berücksichtigt, dass die Tätigkeit in diesen Verwaltungsverfahren die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren durchaus erleichtert. Daher beträgt die Verfahrensgebühr nur 20,00 bis 320,00 EUR statt nach Nr. 3102 VV 40,00 bis 460,00 EUR. In der Anmerkung zu Nr. 3103 VV wird aber klargestellt, dass der durch die vorangegangene Tätigkeit ersparte Aufwand ausschließlich durch die Anwendung des geringeren Rahmens und nicht mehr bei der Bemessung der konkreten Gebühr berücksichtigt werden soll (vgl. Madert in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, Komm. 16. Aufl. VV 3103 Rdnrn 2 u. 3). Eine zwangsläufige Reduzierung der Vergütung entsprechend dem Vorbringen des Bevollmächtigten der Kläger ist somit schon deshalb nicht gegeben, weil danach jedenfalls im gerichtlichen Verfahren die konkrete Gebühr nicht ohne weiteres reduziert werden kann.

Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 Sozialgerichtsgesetz)






LSG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 01.02.2007
Az: L 12 B 8/06 AS


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