Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. Februar 2003
Aktenzeichen: 19 W (pat) 706/02
(BPatG: Beschluss v. 26.02.2003, Az.: 19 W (pat) 706/02)
Tenor
Das Patent 44 34 325 wird unbeschränkt aufrechterhalten.
Gründe
I Das Deutsche Patent- und Markenamt hat am 26. August 1999 die Erteilung des Patents 44 34 325 veröffentlicht, das am 26. September 1994 angemeldet worden ist. Das Patent hat die Bezeichnung "Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung". Gegen das Patent hat die Fa. Robert Bosch GmbH am 18. November 1999 Einspruch eingelegt. Zur Begründung hat sie auf § 1 bis 5 PatG verwiesen und behauptet, der Gegenstand des Patents beruhe unter Berücksichtigung des Standes der Technik (DE 35 26 501 A1, DE 39 34 982 A1) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Am 11. April 2002 hat die Einsprechende den Antrag gemäß § 147 Abs 3 Nr 2 PatG gestellt, den Einspruch vor dem Bundespatentgericht zu entscheiden. Der erteilte einzige Patentanspruch lautet:
"Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung mit einem Basiselement zur Befestigung an einer Fahrzeugtüre, an dem ein Klinkenmechanismus (3 ) montiert ist, der mittels des Öffnungshebels (62) entriegelbar ist, wenn der Klinkenmechanismus (3) und der Öffnungshebel (62) mittels eines Verriegelungshebels (63) gekoppelt sind, wobei der Öffnungshebel (62) mittels eines Nebenhebels (65) betätigbar ist, der mit einem Betätigungselement an der Außenseite des Fahrzeuges verbunden ist und ein Gehäuseteil der Verriegelungsvorrichtung an einer Öffnung (52) durchdringt, dadurch gekennzeichnet, daß der Öffnungshebel (62) mittels des Verriegelungshebels (63) mit dem Klinkenmechanismus (3) in Eingriff oder außer Eingriff bringbar ist und daß die in einer Schutzabdeckung (5) ausgebildete Öffnung (52) im montierten Zustand der Verriegelungsvorrichtung in Fahrzeuglängsrichtung liegt und daß der Nebenhebel (65) außerhalb der Schutzabdeckung (5) angeordnet ist und über die Öffnung (52) mit dem Öffnungshebel (62) verbunden ist."
Im Patentanspruch nach Hilfsantrag sind im letzten Merkmal die unterstrichenen Worte eingefügt: ".... und mit einem Verbindungsabschnitt (65a) über die Öffnung (52), die dieser durchdringt, mit dem Öffnungshebel (62) verbunden ist."
Es soll die Aufgabe gelöst werden, eine Türverriegelungsvorrichtung für eine Fahrzeugtüre zu schaffen, die Manipulationen an der Verriegelungsvorrichtung zum widerrechtlichen Öffnen der Fahrzeugtüre verhindert oder zumindest erschwert (Sp 1 Z 44 bis 48).
Die Einsprechende ist der Ansicht, der Gegenstand des Patentanspruchs nach Haupt- und Hilfsantrag ergebe sich für den Fachmann aufgrund seiner Fachkenntnis in naheliegender Weise aus dem aus der deutschen Offenlegungsschrift 35 26 501 bekannten Kraftfahrzeugtürverschluß in Kenntnis der deutschen Offenlegungsschrift 39 34 982, die eine in einer Schutzabdeckung ausgebildete Öffnung zeige, die im montierten Zustand der Verriegelungsvorrichtung in Fahrzeuglängsrichtung liege.
Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent mit den erteilten Unterlagen aufrechtzuerhalten, hilfsweise mit Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag vom 28. Juni 2000.
Die Patentinhaberin ist der Meinung, der Gegenstand des Patentanspruchs nach Haupt- und Hilfsantrag sei neu und auch erfinderisch, da aus keiner der entgegengehaltenen Druckschriften eine Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung mit den kennzeichnenden Merkmalen bekannt sei und durch sie auch nicht nahegelegt werde.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Der Einspruch ist zulässig; er hat jedoch keinen Erfolg, so daß das Patent unbeschränkt aufrechtzuerhalten war.
1. Auf den Antrag der Einsprechenden vom 11. April 2002 hin ist die Entscheidungsbefugnis auf den hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts übergegangen.
Dieser hatte - wie in der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung der Einspruchssache 19 W (pat) 701/02 (mwN) dargelegt ist - aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung über das Patent zu entscheiden.
2. Die Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist patentfähig.
2.1. Die Vorrichtung des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist neu.
Aus der deutschen Offenlegungsschrift 35 26 501 ist in Übereinstimmung mit der anspruchsgemäßen Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung ein Kraftfahrzeugtürverschluss mit einem Gehäuse 1, 2, 3 (Fig 2, 4) als Basiselement zur Befestigung an einer Fahrzeugtüre bekannt, an dem mit Drehfalle 41, Sperrklinke 42 und drehfest hiermit verbundenem Hebel 53 (Fig 4, 6 iVm Sp 5 Z 1 bis 4) ein Klinkenmechanismus montiert ist, der mittels Sperrklinkenauslösehebel 52 als Öffnungshebel (Fig 6) entriegelbar ist. Der Öffnungshebel 52 ist mittels des Außenbetätigungshebels 62 als Nebenhebel betätigbar (Fig 6), der mit einem Betätigungselement an der Außenseite des Fahrzeuges verbunden ist und das Gehäuseteil 2, 3 der Verriegelungsvorrichtung oben an einer Öffnung durchdringt (Fig 4, 6). Somit ist der bekannte Nebenhebel 62 auch außerhalb der Schutzabdeckung 2, 3 angeordnet und über die Öffnung mit dem Öffnungshebel 52 verbunden (Fig 1, 2, 3, 4, 6 iVm Sp 4 Z 25 bis 27, Z 66 bis Sp 5 Z 1).
Die anspruchsgemäße Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung unterscheidet sich von dem Bekannten durch das Merkmal im Oberbegriff, daß der Klinkenmechanismus und der Öffnungshebel mittels eines Verriegelungshebels gekoppelt sind, und die ersten beiden Merkmalskomplexe im Kennzeichen.
Denn bei der bekannten Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung sind der Klinkenmechanismus 41, 42, 53 und der Öffnungshebel 52 nicht mittels eines Verriegelungshebels in der Weise gekoppelt, daß der Öffnungshebel 52 mittels des Verriegelungshebels mit dem Klinkenmechanismus in Eingriff oder außer Eingriff bringbar ist, sondern jede Bewegung des Öffnungshebels 52 wirkt direkt auf den Hebel 53 ein, der drehfest mit der Sperrklinke 42 des Klinkenmechanismus 41, 42, 53 verbunden ist. Der bekannte Öffnungshebel 52 ist dagegen mittels eines Betätigungshebels 51 insbesondere mit dem Außenbetätigungshebel 62 als Nebenhebel in Eingriff oder außer Eingriff bringbar (Fig 6 iVm Sp 4, Z 51 bis 55, Z 63 bis Sp 5 Z 1). Außerdem liegt bei der bekannten Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung die in der Schutzabdeckung 2, 3 ausgebildete Öffnung für den Nebenhebel 62 nicht in Fahrzeuglängsrichtung, sondern senkrecht nach oben (Fig 6).
Der Interpretation der Einsprechenden, daß der anspruchsgemäße Nebenhebel in der deutschen Offenlegungsschrift 35 26 501 vom Fachmann außerhalb der dort beschriebenen Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung zu ergänzen sei, und deshalb der bekannte Außenbetätigungshebel 62 dem anspruchsgemäßen Öffnungshebel 62 entspräche, konnte sich der Senat nicht anschließen, da in der Druckschrift keinerlei Hinweise hierauf zu entnehmen sind. Einerseits würde ein solcher "Nebenhebel" nicht ein Gehäuseteil der Verriegelungsvorrichtung an einer Öffnung durchdringen, und andererseits würde der bekannte Außenbetätigungshebel 62 nur bei einer Betätigung des Außentürgriffes beim "Öffnen" mitwirken. Der bekannte Sperrklinkenauslösehebel 52 jedoch wirkt in Übereinstimmung mit der patentgemäßen Funktion des Öffnungshebels bei einer Betätigung des Türinnen- und Türaußengriffes als "Öffnungshebel" auf den Klinkenmechanismus 41, 42, 53 und ist deshalb als anspruchsgemäßer Öffnungshebel anzusehen.
Aus der deutschen Offenlegungsschrift 39 34 982 ist zwar ein Kraftfahrzeug-Türschloß mit einem Gehäuse 1 als Basiselement zur Befestigung an einer Fahrzeugtüre bekannt, an dem ein Klinkenmechanismus 2, 3 montiert ist, der mittels des Außensicherungshebels 27 entriegelbar ist (Fig 2, 5 iVm Sp 4 Z 2 bis 7, Sp 4 Z 31 bis 40). In der Schutzabdeckung ist eine Öffnung 26 (18 in Fig 1) ausgebildet, die in Fahrzeuglängsrichtung liegt (Fig 1, 5 iVm Sp 6 Z 4 bis 14). Dieses bekannte Kraftfahrzeug-Türschloß weist insbesondere keinen Öffnungshebel auf, der mittels eines Verriegelungshebels mit dem Klinkenmechanismus in Eingriff oder außer Eingriff bringbar ist.
2.2. Die Vorrichtung des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Als zuständiger Fachmann ist ein Diplomingenieur mit Fachhochschulabschluß der Fachrichtung Maschinenbau anzusehen, der Berufserfahrungen hat mit der Entwicklung von Kraftfahrzeugtürverschlüssen.
Ausgehend von der in der deutschen Offenlegungsschrift 35 26 501 angegebenen Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung findet der Fachmann dort (Sp 2 Z 24 bis 44) bereits die patentgemäße Aufgabe, eine Türverriegelungsvorrichtung für eine Fahrzeugtüre zu schaffen, die Manipulationen an der Verriegelungsvorrichtung zum widerrechtlichen Öffnen der Fahrzeugtüre verhindert oder zumindest erschwert. Die Erfinder haben erkannt, daß sie dieses Ziel im Hinblick auf die aus der deutschen Offenlegungsschrift 35 26 501 bekannte Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung besser erreichen können, wenn sie den Klinkenmechanismus und den Öffnungshebel mittels eines Verriegelungshebels koppeln, in dem sie den Öffnungshebel mittels des Verriegelungshebels mit dem Klinkenmechanismus in Eingriff oder außer Eingriff bringbar anordnen und die in der Schutzabdeckung ausgebildete Öffnung für den Nebenhebel in Fahrzeuglängsrichtung liegend anordnen, wie es im einzelnen im Patentanspruch angegeben ist. Für diese Vorgehensweise gibt es für den Fachmann im Stand der Technik keine Hinweise bzw Veranlassung.
Zur Sicherung der aus der deutschen Offenlegungsschrift 35 26 501 bekannten Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung gegen unbefugte Betätigung durch in die Kraftfahrzeugtür eingeführte Werkzeuge ist dort einerseits der Öffnungshebel 52 mit weiteren Betätigungselementen, insbesondere dem Nebenhebel 62 in Eingriff oder außer Eingriff bringbar, andererseits ist die Öffnung, durch die der Nebenhebel 62 ein Gehäuseteil der Verriegelungsvorrichtung durchdringt, durch eine Schutzabdeckung gesichert. Es ist nicht erkennbar, welche Veranlassung der Fachmann haben sollte, diese bekannte Fahrzeugtürverriegelungsvorrichtung anspruchsgemäß umzukonstruieren, um hierdurch den Schutz vor Manipulationen zu verbessern.
Auch aus der deutschen Offenlegungsschrift 39 34 982 erhält der Fachmann keinen Hinweis hierauf. Denn dort soll bei einem Kraftfahrzeug-Türschloß eine völlig andere Aufgabe gelöst werden, nämlich das Problem der Dichtigkeit gegen den Eintritt von Staub und Feuchtigkeit zu verbessern, ohne daß sich die aufnehmbaren Zerreißkräfte verringern (Sp 3 Z 1 bis 4). Hierzu werden aus Gründen optimierter Dichtigkeit die Hebel der Schließmechanik, soweit erforderlich, möglichst über Durchbrechungen in der Rückwandplatte, die in Fahrzeuglängsrichtung liegt, aus dem Gehäuse herausgeführt, einerseits um die Dichtwirkung der Schutzwanne nicht zu beeinträchtigen, andererseits um die Steifigkeit des gebildeten Kastenprofils nicht nachteilig zu beeinflussen (Sp 4 Z 59 bis 66).
Eine gegenteilige Beurteilung, wie sie von der Einsprechenden vertreten wird, würde auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtung in Kenntnis der Erfindung beruhen.
Dr. Kellerer Schmöger Dr. Mayer Groß
Pr
BPatG:
Beschluss v. 26.02.2003
Az: 19 W (pat) 706/02
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