Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 26. Juli 2011
Aktenzeichen: 29 W 1268/11

(OLG München: Beschluss v. 26.07.2011, Az.: 29 W 1268/11)

Tenor

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 24. Januar 2011 wird zurückgewiesen.

II. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.200,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1. betreibt ein Filmverleihunternehmen. Sie hält die ausschließlichen Nutzungsrechte an dem seit dem 12. August 2010 als DVD vertriebenen Spielfilm Die F. der am 23. Januar 2011 auf der Internet-Tauschbörse B. unter einer von der Beteiligten zu 2. als Internetzugangsprovider vergebenen dynamischen IP-Adresse der Öffentlichkeit zum Herunterladen angeboten wurde. Auf Antrag der Beteiligten zu 1. hat das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss - neben der einstweiligen Anordnung, die entsprechenden Daten bis zum Verfahrensabschluss nicht zu löschen - der Beteiligten zu 2. gemäß § 101 Abs. 9 UrhG gestattet, Auskunft darüber zu erteilen, wer diese IP-Adresse im relevanten Zeitpunkt verwendet hatte. Die Beschwerdeführerin wurde auf der Grundlage der Auskunft, dass dies sie gewesen sei, von der Beteiligten zu 1. am 28. Februar 2011 abgemahnt.

Mit ihrer am 14. März 2011 eingegangenen Beschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin mit der Begründung gegen den landgerichtlichen Beschluss, ein ihre Daten betreffender Auskunftsanspruch habe nicht bestanden. Voraussetzung für einen Auskunftsanspruch sei unter anderem das gewerbliche Ausmaß der Rechtsverletzung. Beim Angebot eines einzelnen Films müssten besondere Umstände vorliegen, um ein derartiges Ausmaß annehmen zu können; solche seien im konkreten Fall nicht dargelegt worden. Die Beteiligte zu 1. erachtet die Beschwerde als unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (LG München I, Beschl. v. 12. Juli 2011 - 7 O 1310/11, vgl. BeckRS 2011, 18774).

Im Übrigen wird auf das Vorbringen der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Sie ist zulässig.

Ihre Statthaftigkeit ergibt sich aus § 101 Abs. 9 Satz 6 UrhG.

Die Beschwerdeführerin ist nach § 59 Abs. 1 FamFG, auf das § 101 Abs. 9 Satz 4 UrhG zur Harmonisierung des Rechtsmittelrechts Bezug nimmt (vgl. BT-Drs. 16/9733, S. 304), beschwerdebefugt, weil sie materiell-rechtlich beschwert ist. Der Richtervorbehalt des § 101 Abs. 9 UrhG dient vor allem dem Schutz der Anschlussinhaber (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 5. Oktober 2010 - 6 W 82/10 - Gestattungsanordnung II, juris, dort Tz. 5). Die durch einen entsprechenden richterlichen Beschluss ausgesprochene Gestattung der Mitteilung, welcher Anschlussinhaber eine bestimmte IP-Adresse nutzte, beeinträchtigt deren Rechte.

Der angegriffene Beschluss hat sich zwar dadurch in der Hauptsache erledigt, dass die darin gestattete Auskunft erteilt wurde. Die Beschwerdeführerin hat jedoch ein berechtigtes Interesse i. S. d. § 62 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FamFG, weil in dem Beschluss ein hinreichend schwerwiegender Grundrechtseingriff liegt (vgl. OLG Köln, a. a. O., - Gestattungsanordnung II, Tz. 9 ff). Die Erteilung von Auskünften über die Anschlussinhaber bestimmter IP-Adressen unter mittelbarer Verwendung von Verkehrsdaten fällt in den Schutzbereich des durch Art. 10 Abs. 1 GG gewährleisteten Telekommunikationsgeheimnisses und hat erhebliches Gewicht (vgl. BVerfG NJW 2010, 833 - Vorratsdatenspeicherung Tz. 254, 258 f.).

Die Beschwerde ist fristgerecht eingelegt worden. Grundsätzlich ist auf das Verfahren der Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß § 101 Abs. 9 UrhG das FamFG anzuwenden; lediglich die Beschwerdefrist beträgt im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Verfahren nur zwei Wochen (vgl. §101 Abs. 9 Satz 7 UrhG; BT-Drs. 16/9733, S. 304). Gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG beginnt die Frist jeweils mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Da im vorliegenden Fall eine Bekanntgabe durch das Gericht nicht erfolgt ist, sondern die Beschwerdeführerin lediglich durch die von der Beteiligten zu 1. ausgesprochene Abmahnung vom Beschluss erfahren hat, hat die Beschwerdefrist noch nicht zu laufen begonnen. Die Fünf-Monatsfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG war bei Beschwerdeeinlegung ebenfalls noch nicht abgelaufen.

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Insbesondere ist im vorliegenden Fall das Erfordernis der Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß gegeben.

a) Eine Gestattung gemäß § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG setzt das Bestehen eines Auskunftsanspruchs nach § 101 Abs. 2 UrhG voraus. Dieser wiederum erfordert sowohl, dass der Auskunftsverpflichtete in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat (§ 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG) - was bei Internetzugangsprovidern wie der Beteiligten zu 2. ohne Weiteres der Fall ist -, als auch, dass eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vorliegt (vgl. BT-Drs. 16/5048, S. 49 [noch zum Begriff des geschäftlichen Verkehrs, der im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens durch den des gewerblichen Ausmaßes ersetzt wurde]; OLG Köln, Beschl. v. 27. Dezember 2010 - 6 W 155/10 - Männersache, juris, dort Tz. 2; OLG Hamburg, Urt. v. 17. Februar 2010 - 5 U 60/09, juris, dort Tz. 38; OLG Schleswig, Beschl. v. 5. Februar 2010 - 6 W 26/09, juris dort Tz. 11).

aa) Nach § 101 Abs. 1 Satz 2 UrhG kann sich das gewerbliche Ausmaß sowohl aus der Anzahl der Rechtsverletzungen als auch aus der Schwere der Rechtsverletzung ergeben. Für den Fall der Rechtsverletzung im Internet bedeutet dies, dass eine Rechtsverletzung nicht nur im Hinblick auf die Anzahl der Rechtsverletzungen, also etwa die Anzahl der öffentlich zugänglich gemachten Dateien, ein gewerbliches Ausmaß erreichen kann, sondern auch im Hinblick auf die Schwere der einzelnen Rechtsverletzung; letzteres kann etwa dann zu bejahen sein, wenn eine besonders umfangreiche Datei, wie ein vollständiger Kinofilm oder ein Musikalbum oder Hörbuch, vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland widerrechtlich im Internet öffentlich zugänglich gemacht wird (vgl. BT-Drs. 16/8783 [Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums der Bundesregierung - BT-Drs. 16/5048], S. 50). Diese allgemein auf Rechtsverletzungen im Internet bezogenen Kriterien sind nicht abschließend; vielmehr kann eine Rechtsverletzung auch durch die Art und Weise ihrer Begehung ein Gewicht haben, welches das gewerbliche Ausmaß begründet.

bb) Einer Rechtsverletzung, die im Angebot einer Datei mit urheberrechtlich geschütztem Inhalt auf einer Internet-Tauschbörse liegt, kommt grundsätzlich gewerbliches Ausmaß zu, ohne dass es weiterer erschwerender Umstände bedürfte.

Der Begriff des gewerblichen Ausmaßes geht auf die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. EU L 195 S. 16; Durchsetzungs-Richtlinie) zurück. Nach deren Erwägungsgrund 14 zeichnen sich in gewerblichem Ausmaß vorgenommene Rechtsverletzungen dadurch aus, dass sie zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen werden; dies schließt in der Regel Handlungen aus, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen werden.

Das öffentliche Angebot einer Datei mit urheberrechtlich geschütztem Inhalt auf einer Internet-Tauschbörse zum Herunterladen ist keine private Nutzung. Wer eine solche Datei auf einer Internet-Tauschbörse zum Herunterladen anbietet, handelt nicht rein altruistisch oder im guten Glauben. Er stellt sie einer nahezu unbegrenzten Vielfalt von Personen zur Verfügung. Er kann und will in dieser Situation nicht mehr kontrollieren, in welchem Umfang von seinem Angebot Gebrauch gemacht wird, und greift damit in die Rechte des Rechteinhabers in einem Ausmaß ein, das einer gewerblichen Nutzung entspricht. Er strebt auch zumindest mittelbar einen wirtschaftlichen Vorteil im Sinne der Durchsetzungs-Richtlinie an, weil er eigene finanzielle Aufwendungen für den erwünschten Erwerb der von dem Tauschpartner kostenfrei bezogenen Werke erspart (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 17. Februar 2010 - 5 U 60/09, juris, dort Tz. 41; OLG Köln, Beschl. v. 9. Februar 2009 - 6 W 182/08 - Die schöne Müllerin, juris, dort Tz. 13). Einem derartigen Angebot kommt daher gewerbliches Ausmaß zu.

Weder das unkontrollierbare Ausmaß noch das Streben nach einem wirtschaftlichen Vorteil hängen davon ab, ob das Werk vom Rechteinhaber bereits eine mehr oder weniger lange Zeit ausgewertet worden ist. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass urheberrechtlich geschützte Inhalte nach Ablauf einer - wie auch immer festgelegten - relevanten Auswertungsphase der Allgemeinheit vom Rechteinhaber kostenlos zur Verfügung gestellt würden. Selbst wenn Inhalte nach einer gewissen Zeit zu geringeren Preisen als anfangs verwertet werden, handelt es sich dabei um eine wirtschaftliche Nutzung, die dem Rechteinhaber zugewiesen ist und in die durch das Angebot auf einer Internet-Tauschbörse in unkontrollierbarem Umfang eingegriffen wird. Daher besteht kein Anlass, den Begriff des gewerblichen Ausmaßes bei Angeboten auf Internet-Tauschbörsen auf Rechtsverletzungen innerhalb einer Auswertungsphase zu beschränken (a. A. OLG Köln, a. a. O., - Männersache Tz, 7; a, a, O. - Gestattungsanordnung II Tz. 16).

Eine derartige Beschränkung kann auch den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnommen werden. Insbesondere beziehen sich die oben wiedergegebenen Ausführungen des Rechtsausschusses des Bundestags zum Zugänglichmachen besonders umfangreicher Dateien vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland (vgl. BT-Drs. 16/8783, S. 50) auf alle Arten der Rechtsverletzung im Internet und damit auch auf solche, denen nach Ausmaß und Streben nach wirtschaftlichem Vorteil eine wesentlich geringere Intensität zukommt als dem Angebot in einer Internet-Tauschbörse. Sie stehen der Annahme nicht entgegen, dass neben den dort dargestellten Nutzungsweisen auch das Angebot auf einer Internet-Tauschbörse das gewerbliche Ausmaß der Rechtsverletzung begründet.

b) Danach hat das Landgericht der Beteiligten zu 2. die Auskunft an die Beteiligte zu 1. zu Recht gestattet.

Das gewerbliche Ausmaß der Rechtsverletzung ergibt sich bereits dadurch, dass diese auf einer Internet-Tauschbörse erfolgte.

Die Feststellungen des Landgerichts zur Rechteinhaberschaft der Beteiligten zu 1. und zur Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung werden von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt und begegnen keinen rechtlichen Bedenken.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs. 9 Satz 4 UrhG, § 84 FamFG.

2. Die Entscheidung über den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens beruht § 30 Abs. 2 Satz 2 KostO.

3. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG) und auch die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FamFG liegen nicht vor; insbesondere stellt das Angebot eines Spielfilms auf einer Internet-Tauschbörse weniger als sechs Monate nach dessen Erscheinen als DVD auch nach der Auffassung des Oberlandesgerichts Köln eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß dar (vgl. OLG Köln, a. a. O., - Männersache Tz. 8 ff., 13).






OLG München:
Beschluss v. 26.07.2011
Az: 29 W 1268/11


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