Verwaltungsgericht Düsseldorf:
Urteil vom 19. Juni 2002
Aktenzeichen: 19 K 1007/01

(VG Düsseldorf: Urteil v. 19.06.2002, Az.: 19 K 1007/01)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin erhielt vom Beklagten Leistungen nach dem SGB VIII für junge Volljährige. Mit Bescheid vom 16. Oktober 2000 beschied der Beklagte die Klägerin dahingehend, dass die Leistungen zum 1. November 2000 eingestellt würden, da die Klägerin nach einem Bericht des xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx vom Oktober 2000 keine ausreichende Mitarbeit zeige. Die Klägerin legte zunächst unter dem 25. Oktober 2000 gegen die Einstellung Widerspruch ein und begründete ihr Verhalten in der Vergangenheit unter Hinweis auf Erkrankungen, Krankenhausaufenthalte und Operationen. Mit Schreiben vom 6. November 2000 zeigten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin an, dass sie die Klägerin verträten, legten nochmals Widerspruch ein und baten um Überlassung des angefochtenen Widerspruchs sowie einer Kopie des Widerspruchs der Klägerin.

Mit Schreiben vom 23. November 2000 begründeten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin den Widerspruch ergänzend, indem sie den Lebenslauf bzw. das von der Klägerin seit 1990 Erlebte schilderten.

Zuvor hatte am 11. November 2000 eine telefonische Unterredung zwischen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin und einem Mitarbeiter des Beklagten stattgefunden, indem der Vertreter des Beklagten mitteilte, dem Widerspruch werde einstweilen abgeholfen. Ob die Klägerin auf längere Zeit allerdings Leistungen der Jugendhilfe erhalten werde, sei noch unklar. Am 16. November 2000, ab 17.00, Uhr fand in den Räumen des Beklagten in xxxxxxxxxxxxxx ein weiteres Gespräch über den Widerspruch unter Einbeziehung der Bevollmächtigten der Klägerin statt.

Am 6. Dezember 2000 nahm die Bevollmächtigte der Klägerin an einem Hilfeplangespräch betreffend die Klägerin in xxxxxxxxxxxxxxx teil.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2000 gab der Beklagte dem Widerspruch der Klägerin vom 25. Oktober 2000 / 6. November 2000 gegen den Bescheid vom 16. Oktober 2000 statt, erklärte, dass er den Bescheid aufhebe und die Hilfe nach § 41 KJHG i.V. mit § 35/39 KJHG fortgeführt werde. Gleichzeitig entschied er, dass die Kosten des Widerspruchsverfahrens von ihm getragen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen würden erstattet. Der Umfang der notwendigen Aufwendungen für den Rechtsanwalt ergebe sich aus der BRAGO. Die Gebührenrechnung des Rechtsanwaltes sei auf die Tätigkeit im Vorverfahren anzupassen.

Die Bevollmächtigten der Klägerin überreichten dem Beklagten unter dem 20. Dezember 2000 ihre Kostenrechnung und baten um Erstattung von Kosten in Höhe von insgesamt 2.799,08 DM. Hierbei legten sie einen Gegenstandswert von 32.271,00 DM - entsprechend der Hilfe für 10 Monate - zu Grunde und rechneten die Geschäfts- und Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAGO mit 10/10 ab. Ferner brachten sie die Auslagenpauschale, Kopierkosten sowie die Mehrwertsteuer in Ansatz. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf die Kostenrechnung vom 20. Dezember 2000 - Bl. 28 der GA - verwiesen.

Die Klägerin ließ den Beklagten unter dem 22. Januar 2001 und 6. Februar 2001 mahnen.

Am 22. Februar 2001 hat die Klägerin Leistungsklage erhoben mit dem Begehren, den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.729,08 DM nebst 9,26 % Zinsen seit dem 15. Februar 2001 zu zahlen.

Zur Begründung machte sie geltend, der Ansatz der vollen 10/10 Gebühr sei wegen der Bedeutung der Angelegenheit für sie, insbesondere auch wegen der Komplexität des Sachverhaltes, der schwierigen Rechtslage und des Umfangs der Tätigkeit angemessen. Die Besprechung am 16. November 2000 habe nach Büroschluss der Bevollmächtigten von 17.00 Uhr bis 18.10 Uhr gedauert.

Mit Schriftsatz vom 12. März 2001 hat die Klägerin mitgeteilt, der Beklagte habe am 21. Februar 2001 ohne jeden Kommentar 2.111,78 DM gezahlt.

Der Beklagte habe jeweils nur eine 7,5 /10 Gebühr in Ansatz gebracht. Diese sei inakzeptabel. Die Prozessbevollmächtigten hätten bisher aber übersehen, dass ihnen auch eine Erledigungsgebühr - § 24 BRAGO - zustünde. Diese hätten sie nun unter dem 1. März 2001 geltend gemacht. Damit belaufe sich die Forderung auf 4.173,68 DM, sodass unter Berücksichtigung der vorgenannten Zahlung ein offener Betrag in Höhe von 2.061,90 DM verbleibe.

Die Klägerin hat insoweit die Hauptsache hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 667,18 DM für erledigt erklärt und beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.061,90 DM nebst 9,26 % Zinsen auf 2.111,78 DM für die Zeit vom 15. Februar 2001 bis zum 20. Februar 2001 sowie 9,26 % aus 612,30 DM ab dem 15. Februar 2001 sowie weitere 9,26 % Zinsen auf 1.449,60 DM ab dem 9. März 2001 zu zahlen.

Zur Begründung für die Erledigungsgebühr macht die Klägerin geltend, die Bevollmächtigte habe nicht nur bei zur Erledigung des Widerspruchsverfahrens beigetragen, sondern auch im Rahmen des Verwaltungsverfahrens wegen der weiter gehenden Ansprüche zu dessen Erledigung beigetragen, sodass auf jeden Fall die Erledigungsgebühr verdient sei.

Die Klägerin hält an der Erledigungserklärung vom 12. März 2001 fest und beantragt nunmehr,

den Beklagten zu verpflichten, anlässlich des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 16. Oktober 2000 und dem hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2000 Kosten in Höhe von 2.061,90 DM (= 1.054,24 Euro) festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Geltendmachung der 7,5/10 Gebühren sei nicht gerechtfertigt. Es habe sich nur um eine Tätigkeit von durchschnittlicher Schwierigkeit gehandelt. Die Erledigungsgebühr als zu erstattende Gebühr für das Widerspruchsverfahren sei nicht entstanden, da das Widerspruchsverfahren nicht auf sonstige Weise Erledigung gefunden habe, sondern durch einen Bescheid. Damit sei eine Erledigung im Sinne von § 24 BRAGO ausgeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie dem des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten, BA Heft 1, ergänzend verwiesen.

Gründe

Die nunmehr streitgegenständliche Klage, auf die sich der Beklagte rügelos eingelassen hat, ist zulässig, aber nicht begründet.

Soweit die Klägerin einseitig die Hauptsache hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 667,18 DM für erledigt erklärt hat, war die einseititge Erledigungserklärung dahingehend auszulegen, dass die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Klage in Höhe dieses Betrages ursprünglich zulässig und begründet war.

Dies ist nicht der Fall. Für die durch die anwaltlich vertretene Klägerin erhobene Leistungsklage fehlte es schon an der Zulässigkeit, da der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis fehlte, einen Zahlungsanspruch unmittelbar geltend zu machen. Voraussetzung der hier maßgeblichen Vorschrift über die Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren ist § 63 SGB X. Danach sind die zu erstattenden Kosten zunächst auf Antrag festzusetzen, wobei die Festsetzung durch Verwaltungsakt erfolgt. Eine solche Festsetzung war noch nicht erfolgt, sodass auch noch kein Leistungsanspruch auf Auszahlung bestand. Im Übrigen wäre eine etwaige Schuld in Höhe von 667,18 DM bereits vor Klageerhebung erloschen, da die Klage erst am 22. Februar 2001 erhoben wurde, die Beklagte zu Händen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin aber bereits mit Wertstellung 21. Februar 2001 gezahlt hatte.

Selbst wenn man die ursprünglich erhobene Klage entgegen dem anwaltlich formulierten Wortlaut als Verpflichtungsklage auf entsprechende Kostenfestsetzung ansehen wollte, wäre die Klage zum Zeitpunkt der Zahlung unzulässig gewesen, da insoweit mangels erfolglos durchgeführten Vorverfahren nur eine Zulässigkeit als Untätigkeitsklage in Betracht gekommen wäre, für deren Zulässigkeit es aber am Ablauf der Dreimonatsfrist zum Zeitpunkt der Zahlung, die als konkludente Festsetzung angesehen werden könnte, fehlte.

Auch die Verpflichtungsklage auf Kostenfestsetzung hinsichtlich eines - noch - weiteren Betrages in Höhe von 2.061,90 DM hat keinen Erfolg, denn sie ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten anlässlich des Widerspruchsverfahrens betreffend den Bescheid vom 16. Oktober 2000 lediglich einen Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 2.111,78 DM, der sich wie folgt errechnet und zwischenzeitlich durch Erfüllung erloschen ist:

Die Beteiligten gehen zunächst übereinstimmend und in rechtlich nicht zu beanstandender Weise von einem Gegenstandswert in Höhe von 32.301,00 DM aus. Hieraus ergibt sich folgende Abrechnung

7,5/10 Geschäftsgebühr, §§ 11, 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO 888,75 DM

7,5/10 Geschäftsgebühr, §§ 11, 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO 888,75 DM

Post- und Telekommunikationskosten-Pauschale, § 26 BRAGO 40,00 DM

Schreibauslagen, § 27 BRAGO, 3 Seiten à 1,00 DM 3,00 DM

Zwischensumme: 1.820,50 DM

Mehrwertsteuer, § 25 BRAGO, 16 % 291,28 DM

2.111,78 DM

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Ob die Bevollmächtigten gegenüber der Klägerin eine Erledigungsgebühr verdient haben, kann dahinstehen, jedenfalls wäre eine solche Erledigungsgebühr nicht anlässlich des Widerspruchsverfahrens angefallen. Doch nur wenn die Erledigungsgebühr anlässlich des Widerspruchsverfahrens angefallen wäre, bestünde ein Erstattungsanspruch nach § 63 SGB X. Die Klägerin selbst trägt vor, dass ihre Bevollmächtigten die Erledigungsgebühr verdient hätten, weil das Verwaltungsverfahren im Übrigen durch die Mitwirkung der Bevollmächtigten zu den gewünschten Hilfen geführt habe.

Gegenstand des Widerspruchsverfahrens war jedoch lediglich die Ablehnung der Weitergewährung der Hilfen im bis - vor dem 1. November 2000 - gewährten Umfang. Soweit die Klägerin über die bis zum 31. Oktober 2000 gewährte Hilfe weitere Hilfe - im Rahmen des Widerspruchsverfahrens - begehrt haben sollte, so fehlt es an einer substantiierten Darlegung. Dies ist aber unerheblich, da es sich hinsichtlich des Mehr, wenn auch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens geltend gemacht, tatsächlich um ein Verwaltungsverfahren außerhalb des Widerspruchsverfahrens handeln würde.

Die Erledigungsgebühr setzt voraus, dass sich die Rechtssache ganz oder teilweise erledigt, d. h. es darf zu keiner Entscheidung in der Rechtssache kommen. Rechtssache im vorgenannten Sinn ist hier das Widerspruchsverfahren, welches sich aber eben nicht auf sonstige Weise, sondern gerade durch Erlass des Widerspruchsbescheides „erledigt" hat.

Der Erstattungsanspruch der Klägerin umfasst auch nur eine Geschäfts- und Besprechungsgebühr in Höhe der mittleren Rahmengebühr von 7,5/10. Die für die Tätigkeit der Rechtsanwältin/des Rechtsanwaltes im Widerspruchsverfahren angefallene Geschäfts- und Besprechungsgebühr nach §§ 119 Abs. 1, 118 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAGO ist als Rahmengebühr gemäß § 12 BRAGO zu bestimmen. Hiernach setzt die Rechtsanwältin/der Rechtsanwalt die Gebühr unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen fest.

Im Normalfall, der keine besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten birgt und bei dem der Auftraggeber in durchschnittlichen Verhältnissen lebt, ist die Mittelgebühr von 7,5/10 anzusetzen. Dagegen erweist sich eine 10/10 Gebühr dann als gerechtfertigt, wenn der Umfang und die Schwierigkeit der Tätigkeit der Rechtsanwältin/des Rechtsanwaltes weit über den Normalfall hinausgehen.

Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu ersetzen, so ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist, § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO.

Der Ansatz der 10/10 Gebühren für das Vorverfahren ist unbillig im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO.

Vorliegend erhält die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit der mittleren Rahmengebühr von 7,5/10 der vollen Gebühr eine angemessene Vergütung für ihre Tätigkeit im Vorverfahren, da keine Abweichung der zu bearbeitenden Sache vom Normalfall unter den in § 12 BRAGO genannten Gesichtspunkten festgestellt werden kann.

Die Widerspruchsbegründung vom 23. November 2000 enthält keine rechtliche Auseinandersetzung, sondern schildert lediglich die Situation der Klägerin und ihre Vorgeschichte. Gegenstand der Einstellung waren nach dem Bescheid auch nicht grundsätzliche Fragen der Hilfegewährung, sondern die vom Beklagten lediglich angenommene unzureichende Mitwirkung der Klägerin im Rahmen der Hilfegewährung, die jedoch regelmäßig wesentlicher Gesichtspunkt für den Erfolg der Hilfe ist. Diese Frage hatte die Klägerin schon mit der von ihr persönlich formulierten Widerspruchsbegründung angesprochen und erläutert. Eine tief greifende und umfangreiche Auseinandersetzung mit der Rechtslage erfolgte nicht, ist jedenfalls nicht substantiiert dargelegt. Es mag sein, dass die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin nicht gering war, dies rechtfertigt für sich aber noch nicht, den Ansatz der 10/10 Gebühr als billig gegenüber dem Beklagten zu betrachten, denn andererseits lebte die Klägerin in Vermögensverhältnissen, die schon den Ansatz der Mittelgebühr für fraglich erscheinen lassen.

Auch rechtfertigt der Umstand, dass die Bevollmächtigte der Klägerin außerhalb der Bürostunden an einer Besprechung teilnahm, nicht die Annahme eines über dem Durchschnitt liegenden Aufwandes, quasi wie einen Überstundenzuschlag. Die Teilnahme am Hilfeplangespräch gehörte nicht zum Widerspruchsverfahren, da Hilfeplangespräche in regelmäßigen Abständen im Rahmen des „normalen" Verwaltungsverfahrens erfolgen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO und § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.






VG Düsseldorf:
Urteil v. 19.06.2002
Az: 19 K 1007/01


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