Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. November 2002
Aktenzeichen: 7 W (pat) 705/02

(BPatG: Beschluss v. 27.11.2002, Az.: 7 W (pat) 705/02)

Tenor

Auf den Einspruch wird das Patent 43 22 337 beschränkt aufrechterhalten mit den Patentansprüchen 1, 13 bis 16 vom 27. November 2002, den Patentansprüchen 2 bis 12 vom 29. Oktober 2002, Beschreibung Seite 1 vom 27. November 2002, im übrigen Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Gründe

I Gegen die am 21. September 2000 veröffentlichte Erteilung des Patents 43 22 337 mit der Bezeichnung "Sitzmöbel" ist am 21. November 2000 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, daß der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei.

Zum Stand der Technik sind zu der bereits im Verfahren vor der Erteilung des Patents berücksichtigten schweizerischen Patentschrift 656 296 im Einspruchsverfahren noch die deutsche Patentschrift 25 07 848 C3 und die deutsche Offenlegungsschrift 31 04 049 genannt worden.

Die Einsprechende hat beantragt, das Patent zu widerrufen.

Mit Schriftsatz vom 24. April 2002 hat der Patentinhaber beantragt, das Einspruchsverfahren an das Patentgericht zu verweisen.

Der Patentinhaber hat in der mündlichen Verhandlung einen neuen Patentanspruch 1, neue Patentansprüche 13 bis 16 und 1 Blatt Beschreibung überreicht. Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2002 hatte der Patentanmelder ua bereits Patentansprüche 2 bis 12 vorgelegt. Der Patentinhaber hat beantragt, das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten mit den jeweils am 27. November 2002 überreichten Patentansprüchen 1, 13 bis 16, und Beschreibung Seite 1, den Patentansprüchen 2 bis 12 vom 29. Oktober 2002, im übrigen Beschreibung und Zeichnungen nach Patentschrift.

Die Einsprechende hat auf eine sachliche Stellungnahme zu den zuletzt in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Patentansprüchen verzichtet.

Nach der geltenden Beschreibung des angefochtenen Patents geht die vorliegende Erfindung aus von der schweizerischen Patentschrift 656 296, aus der eine Sitz- und Liegeeinrichtung bekannt ist, die aus verschiedenen rhomboidartigen Elementen mittels Drehgelenken zusammensetzbar ist (Sp 1 Z 43 bis 47). Aus den in der mündlichen Verhandlung erläuterten Nachteilen dieses Sitzmöbels leitet sich die dem Patent nunmehr zugrundeliegende Aufgabe her, ein Sitzmöbel der bekannten Art handhabungsmäßig zu verbessern (Sp 1 Z 48 und 49).

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Sitzmöbel mit einem nach oben durch eine Sitzfläche begrenzten Unterteil und mindestens einem als Rücken- oder Armlehne ausgebildeten Lehnenteil, das unter Veränderung eines zwischen der Sitzfläche und einer Körperan- oder -auflagefläche des Lehnenteils gebildeten Winkels zwischen mindestens zwei unterschiedlichen Endstellungen verstellbar ist, wobei das Lehnenteil gegenüber dem Unterteil um eine Achse eines Drehgelenks verdrehbar ist, die einander gegenüberliegende Flächen des Unterteils und des Lehnenteils senkrecht durchsetzt, dadurch gekennzeichnet, daß das Drehgelenk aus einer Buchse besteht, in der ein Drehzapfen durch mindestens einen über eine zylindrische Umfangsfläche des Drehzapfens nach außen überstehenden, in eine Kulissenführung der Buchse eingreifenden Bolzen zwischen den Endstellungen drehbar und axial begrenzt verschieblich gelagert ist und daß sich die Kulissenführung in Umfangsrichtung um die halbe Umfangsfläche der Buchse herum erstreckt und an beiden Enden des Umfangsbogens parallel zur Achse auf das Unterteil zu gerichtet ist."

Die Ansprüche 2 bis 16 sind auf Merkmale gerichtet, mit denen das Sitzmöbel nach Anspruch 1 weiter ausgebildet werden soll.

II 1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Ziff 2 PatG in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des Geistigen Eigentums vom 13. Dezember 2001 Art 7 durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

2. Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig.

3. Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt in der geltenden Fassung eine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.

Die Patentansprüche sind zulässig, denn ihre Merkmale sind ursprünglich offenbart und erweitern auch nicht den Schutzbereich des erteilten Patents. Die Merkmale des geltenden Patentanspruchs 1 sind aus den erteilten Ansprüchen 1, 15 bis 18, 21 und 22 hervorgegangen. Die Merkmale der geltenden Ansprüche 2 bis 12 entsprechen denen der erteilten Ansprüche 3 bis 13, die Merkmale der Ansprüche 13 bis 16 denen der erteilten Ansprüche 17, 19, 20 und 23.

Das zweifellos gewerblich anwendbare Sitzmöbel nach Patentanspruch 1 ist neu, denn aus keiner der entgegengehaltenen Druckschriften geht ein Sitzmöbel mit sämtlichen Merkmalen des geltenden Anspruchs 1 hervor. Insbesondere offenbaren die bekannten Gegenstände keine Drehgelenke bestehend aus Buchse und darin gelagertem Drehzapfen mit einer Kulissenführung in der Buchse für den Drehzapfen, die sich einerseits in Umfangsrichtung der Buchse und andererseits an den Endpunkten des Umfangsbogens parallel zur Buchsenachse erstreckt.

Die Lehre des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Ein Sitzmöbel mit den Merkmalen des Oberbegriffs des geltenden Anspruchs 1 ist aus der schweizerischen Patentschrift 656 296 bekannt (u.a. Fig. 4 und zugehörige Beschreibungsteile). Es umfaßt ein Lehnenteil und ein Sitzteil, die mittels an ihnen drehfest befestigten Kupplungsteilen 6, 6' miteinander verbunden werden können. Das Kupplungsteil 6' ist axial in das Kupplungsteil 6 einsteckbar und kann in eingesteckter Lage relativ zum Teil 6 um die gemeinsame Kupplungsachse verdreht werden bis eine Rasteinrichtung (Auslöser 12, Raster 19) wirksam wird und die Position der beiden Kupplungsteile und damit die Zuordnung der beiden Möbelteile fixiert (Fig. 9 bis 11 iVm S 3 reSp Z 4 bis 10). Da zwei um 180¡ versetzte Rastpositionen vorgesehen sind (Fig. 9 iVm S 3 liSp Z 27 bis 29), sind auch zwei End- bzw. Raststellungen mit unterschiedlich sich ergebenden Winkeln zwischen den Körperanlageflächen der verbundenen Möbelteile einstellbar. Die Kupplung, deren Achse die einander gegenüberliegenden Flächen der Möbelteile senkrecht durchsetzt, stellt somit auch ein Drehgelenk im Sinne des angegriffenen Patents dar, das in Übereinstimmung mit einem weiteren Merkmal des Anspruchs 1 auch aus einem buchsenartigen Teil (6) und einem drehzapfenartigen Teil (6') besteht.

Der Vertreter des Patentinhabers hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, daß bei der bekannten Sitz- und Liegeeinrichtung der Umbau schwierig zu handhaben sei, insbesondere sich die beiden Möbelteile beim Entkuppeln voneinander lösen könnten und dann wieder frei zusammengeführt werden müßten, was die Handhabung sehr unpraktisch mache.

Zur Verbesserung der Handhabung eines derartigen Sitzmöbels schlägt der Patentanspruch 1 im Kern daher eine verstellbare, die Möbelteile lösende aber nicht gänzlich trennende Verbindung der Gelenkteile in Gestalt einer Kulissenführung vor, wobei sich die Kulisse in der Buchse in Umfangsrichtung um den halben Umfang derselben erstreckt und an beiden Enden des Kulissenbogens parallel zur Achse in Richtung des Unterteils fortgeführt ist und in diese Kulisse ein über die Umfangsfläche des Drehzapfens vorstehender Bolzen eingreift. Der Drehzapfen ist somit in den beiden Endstellungen axial begrenzt verschiebbar, so daß er mitsamt seinem Möbelteil aus der Verdrehsicherung frei kommen und dann erst um 180¡ in die zweite Raststellung verdreht werden kann. Durch diese Maßnahmen bleiben die beiden Möbelteile auch dann stets axial verbunden, wenn das Möbelteil mit dem Drehzapfen aus der einen arretierten Endstellung in der Buchse in die andere Endstellung überführt wird.

Die schweizerische Patentschrift konnte dem Fachmann, als hier zuständig wird ein Fachhochschulingenieur des Allgemeinen Maschinenbaus mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet des Möbelbaus angesehen, die Unterschiedsmerkmale ersichtlich nicht nahe legen. Auch die ansonsten entgegengehaltenen Druckschriften geben dem Fachmann keine Anregungen zur Auffindung der diesbezüglichen Lösungsmerkmale im Anspruch 1.

Die Polstersitzbank nach dem deutschen Gebrauchsmuster 80 13 085 weist schon kein Drehgelenk bestehend aus Buchse und Drehzapfen auf und die deutsche Offenlegungsschrift 31 04 049 befaßt sich mit der Gestaltung des Fußteils eines Drehstuhls, nicht mit der Lehnenverstellung bei einem Sitzmöbel.

In der deutschen Patentschrift 25 07 848 ist zwar eine Verstelleinrichtung für zwei Möbelteile, hier eine Armstütze (1) und eine Rückenlehne, beschrieben, die bereits ein Drehgelenk aus Zapfen (Achse 4) und Buchse (Grundkörper 2, Verlängerungsstück 12) verwendet (Fig.1). Dieses Drehgelenk ist jedoch aufgrund der Vielzahl von Bauteilen, wie mehrteilige Buchse, zwei parallel zur Achse (4) angeordnete Anschlagbolzen (9,10) mit Sicherungsringen (11,18) sowie einer an der Achse befestigten Anschlagplatte (6) mit zwei Schlitzen zur Führung und Arretierung der Anschlagbolzen, baulich aufwendiger als die streitpatentgemäße Verstelleinrichtung gestaltet, die neben einem Zapfen und einer Buchse, in der ein Schlitz bzw eine Kulisse eingearbeitet ist, zusätzlich nur noch einen vom Zapfen radial vorstehenden, in die Kulisse eingreifenden Bolzen benötigt.

Der Senat ist zur Überzeugung gelangt, daß die verblüffend einfache konstruktive Verbindung der beiden Drehgelenkelemente gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 auch in Kenntnis der deutschen Patentschrift 25 07 848 und in Zusammenschau mit der schweizerischen Patentschrift 656 296 für den Fachmann nicht auf der Hand lag und daher der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der geltenden beschränkten Fassung als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend zu werten ist.

Die geltenden Patentansprüche 2 bis 16 sind auf weitere Ausgestaltungen des Sitzmöbels nach Patentanspruch 1 gerichtet und werden von dessen Patentfähigkeit mitgetragen.

Dr. Schnegg Eberhard Dr. Pösentrup Frühauf Cl






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Beschluss v. 27.11.2002
Az: 7 W (pat) 705/02


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