Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Dezember 2004
Aktenzeichen: 21 W (pat) 335/03
(BPatG: Beschluss v. 14.12.2004, Az.: 21 W (pat) 335/03)
Tenor
Nach Prüfung des Einspruchs wird das Patent aufrechterhalten.
Gründe
I.
Auf die am 23. Juli 2001 beim deutschen Patent- und Markenamt eingereichte und am 20. Februar 2003 offengelegte Patentanmeldung ist das nachgesuchte Patent unter der Bezeichnung "Kraftfahrzeugsitz mit einem Sicherheitsgurt" erteilt worden; die Veröffentlichung der Erteilung ist am 28. Mai 2003 erfolgt.
Gegen das Patent ist Einspruch erhoben worden.
Die Patentinhaberin verteidigt das Patent in der erteilten Fassung.
Die erteilten Patentansprüche 1 bis 10 lauten:
"1. Kraftfahrzeugsitz mit einer an dessen Sitzteilstruktur (1) befestigten Gurtpeitsche (2) und einer karosseriefesten Sicherungsverzahnung (3), die im Crashfall zum Zusammenwirken mit einem an der Gurtpeitsche (2) befestigten, mindestens einen Rastbereich (4a) aufweisenden Rastelement (4) derart ausgebildet ist, daß ein die Sicherungsverzahnung (3) und das Rastelement (4) im Benutzungszustand außer Eingriff haltendes Abstandselement (4b) im Crashfall das Rastelement (4) zum Eingriff mit der Sicherungsverzahnung (3) freigibt, wobei das Abstandselement (4b) einen Führungsbereich (4d) in einer karosseriefesten Führung (5a) und eine zwischen Führungsbereich (4d) und Rastbereich (4a) angeordnete Sollbruchstelle (4c) aufweist.
2. Kraftfahrzeugsitz nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß das den Rastbereich (4a) tragende Rastelement (4) einen Scherbolzen aufweist, der in einer karosseriefesten Führung (5a) geführt ist.
3. Kraftfahrzeugsitz nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß an dem Rastelement (4) zwei Rastbereiche (4a) vorgesehen sind, die in zwei parallel zueinander verlaufende Sicherungsverzahnungen (3) eingreifen.
4. Kraftfahrzeugsitz nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß auf den Außenseiten beider Rastbereiche (4a) je eine karosseriefeste Führung (5a) für jeweils einen Führungsbereiche (4d) vorgesehen ist.
5. Kraftfahrzeugsitz nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß die karosseriefeste Führung (5a) kreisbogenförmig verläuft.
6. Kraftfahrzeugsitz nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, daß die Führung (5a) als den Scherbolzen umfassende Führungsnut ausgebildet ist.
7. Kraftfahrzeugsitz nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, daß die Führungsnut in einem karosseriefesten Halter (5) aus Formblech eingeprägt ist.
8. Kraftfahrzeugsitz nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, daß der Kraftfahrzeugsitz über Lenker (1b; 1c) längsverstellbar an der Karosserie (6) befestigt ist und die Führung (5a) einen der Lenkerbahn entsprechenden kreisbogenförmigen Verlauf aufweist.
9. Kraftfahrzeugsitz nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, daß die Sicherungsverzahnung (3) einen zur Führung (5a) parallelen, kreisbogenförmigen Verlauf aufweist.
10. Kraftfahrzeugsitz nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, daß mit der Gurtpeitsche (2) eine Lasche (8) gelenkig verbunden ist, die das Rastelement (4) trägt."
Dem Gegenstand des Patents liegt die Aufgabe zugrunde, die Gurtpeitsche eines Kraftfahrzeugsitzes der als bekannt vorausgesetzten Art, insbesondere eines längsverstellbaren Fondsitzes, im Crashfall sicher und einfach mit der Karosserie zu verbinden (Beschreibung, Spalte 1, Zeilen 23 bis 28).
Zur Begründung des Einspruchs hat die Einsprechende auf folgende Druckschriften verwiesen:
(1) DE 28 00 261 A1
(2) DE 197 40 043 A1.
Im Verfahren vor der Erteilung ist seitens der Prüfungsstelle die Druckschrift (1) genannt worden.
Die Einsprechende führt zur Begründung ihres Einspruchs aus, dass aus der Druckschrift (2) ein Kraftfahrzeugsitz mit einer an dessen Sitzteilstruktur befestigen Gurtpeitsche und einer Sicherungsverzahnung in Form des Zahnbogens 48 bekannt sei. Da dieser Zahnbogen Teil der hinteren Schwenkstützen 24 sei, die am Fahrzeug befestigt seien, müsse die Sicherungsverzahnung als karosseriefest gelten. Der Zahnbogen wirke mit einem Rastelement zusammen, das an der Gurtpeitsche befestigt sei und einen Rastbereich 46 aufweise. Auch ein Abstandselement in Form eines Anlenkgelenks 38 und eines Scherstifts 60 sei vorhanden, das das Rastelement im Benutzungszustand außer Eingriff halte. Im Crashfall jedoch gebe das Abstandselement das Rastelement zum Eingriff mit der Sicherungsverzahnung frei. Da das Abstandselement beim Gegenstand von (2) neben dem Anlenkgelenk 38 auch einen Scherstift 60 aufweise sei auch eine Sollbruchstelle vorhanden. Da ferner die Sicherungsverzahnung auf einem Zahnbogen 48 angebracht sei, der einen Ringbereich mit einem Außenbogen 58 bilde und dieser Ringbereich von einem O-förmig ausgebildeten Eingriffsbereich geschlossen umgriffen werde, wie in Sp. 2, Zeilen 28 bis 35 von (2) ausgeführt sei, werde ein seitliches Ausweichen des Eingriffsbereichs während der Belastungsphase und damit ein Freikommen des Eingriffsbereichs vom Zahnbogen verhindert. Damit sei auch hier ein Führungsbereich vorhanden, der als einziger Unterschied zum Gegenstand von (2) lediglich an einer karosseriefesten Führung liege während er beim Gegenstand des Anspruchs 1 in einer karosseriefesten Führung liege. Dieser Unterschied vermöge jedoch nicht die erfinderische Tätigkeit zu begründen.
Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent aufrechtzuerhalten.
Die Patentinhaberin widerspricht den Ausführungen der Einsprechenden und vertritt die Auffassung, dass in (2) weder eine karosseriefeste Führung noch ein dadurch geführtes Abstandselement offenbart werde. Schon aus diesem Grund sei der Gegenstand des Anspruchs 1 neu. Da die Druckschrift (2) auch keine Anregungen für eine solche Ausgestaltung vermittle, beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet im Einspruchsverfahren aufgrund mündlicher Verhandlung in entsprechender Anwendung von PatG § 78 (vgl. BPatG Mitt. 2002, 417, 418 - Etikettierverfahren).
Der frist- und formgerecht eingelegte Einspruch ist zulässig, denn es sind innerhalb der Einspruchsfrist die den Einspruch rechtfertigenden Tatsachen im Einzelnen dargelegt, so daß die Patentinhaberin und insbesondere der Senat daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können. Der Einspruch führt jedoch nicht zum Erfolg.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist patentfähig. Die Unteransprüche 2 bis 10 betreffen vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausgestaltungen des Gegenstands des Patentanspruchs 1 und die geltenden Unterlagen erfüllen auch die übrigen gesetzlichen Erfordernisse.
Der erteilte Patentanspruch 1, nach Merkmalen gegliedert, lautet:
1. Der Kraftfahrzeugsitz weist eine Gurtpeitsche (2) auf 2. Die Gurtpeitsche (2) ist an der Sitzteilstruktur (1) des Kraftfahrzeugsitzes befestigt 3. Der Kraftfahrzeugsitz weist eine karosseriefeste Sicherungsverzahnung (3) auf 4. Die Sicherungsverzahnung (3) wirkt im Crashfall mit einem Rastelement (4) zusammen 5. Das Rastelement (4) ist an der Gurtpeitsche (2) befestigt 6. Das Rastelement (4) weist mindestens einen Rastbereich (4a) auf 7. Ein Abstandselement (4b) hält die Sicherungsverzahnung (3) und das Rastelement (4) im Benutzungszustand außer Eingriff 8. Das Abstandselement (4b) gibt im Crashfall das Rastelement (4) zum Eingriff mit der Sicherungsverzahnung (3) frei 9. Das Abstandselement (4b) weist einen Führungsbereich (4d) in einer karosseriefesten Führung (5a) auf 10. Das Abstandselement weist eine zwischen Führungsbereich (4d) und Rastbereich (4a) angeordnete Sollbruchstelle (4c) auf.
1.) Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu, denn keiner der zum Stand der Technik genannten Druckschriften sind sämtliche in diesem Anspruch genannten Merkmale entnehmbar, wie sich im einzelnen aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit ergibt.
2.) Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus der Druckschrift (2) ist ein Kraftfahrzeugsitz mit einer Gurtpeitsche (Schloss 32, 1. Arm 40), die an der Sitzteilstruktur (Sitzträger 26) des Kraftfahrzeugsitzes befestigt ist, bekannt (vergl. Fig. 1 und 2; Merkmale 1. und 2.)). Der Kraftfahrzeugsitz weist eine Sicherungsverzahnung (Zahnbogen 48 in Fig. 1 und 2; teilweise Merkmal 3.) auf, die im Crashfall mit einem Rastelement (Eingriffsbereich 46 des 2. Arms 42) zusammenwirkt (vergl. Sp. 3, Zeilen 44 bis 48). Hiernach wirkt ein sog. Eingriffsbereich 46, der als Arretiernocken ausgebildet ist und damit ein Rastelement darstellt, mit dem Zahnbogen 48 zusammen, so dass auch das Merkmal 4. beim Gegenstand von (2) vorhanden ist. Des Weiteren ist auch bei (2) das Rastelement (zumindest indirekt und zwar über den sog. 2. Arm 42) an der Gurtpeitsche befestigt (Merkmal 5.). Außerdem weist das Rastelement mindestens einen Rastbereich auf. Dieser besteht in Form des vorstehend genannten Eingriffsbereichs 46. Damit ist auch Merkmal 6. erfüllt. Schließlich hält ein "Abstandselement" die Sicherungsverzahnung und das Rastelement im Benutzungszustand außer Eingriff (Merkmal 7.). Es handelt sich hier um die Schenkelfeder 57 gemäß Fig. 1 mit Sp. 4, Zeilen 29 bis 37 i.V.m. Sp.4, Zeilen 2 bis 16 bzw. gemäß Fig. 2 um den Scherstift 60 (vergl. Beschreibung Sp. 4, Zeilen 52 bis 60). Auch bei (2) gibt das Abstandselement im Crashfall das Rastelement zum Eingriff mit der Sicherungsverzahnung frei (Merkmal 8.), vergl. vorstehende Zitierstellen zu Merkmal 7.
Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die Merkmale 9. und 10 und dadurch, dass die Sicherungsverzahnung beim Gegenstand von (2) nicht als karosseriefest im Sinne des Merkmals 3. angesehen werden kann. Die Sicherungsverzahnung ist nämlich beim Gegenstand des Patentanspruchs 1 an einem sogenannten Halter 5 angebracht, der, wie sämtlichen Figuren und der Beschreibung Spalte 2, Zeilen 11 bis 14 und 47 bis 49 zu entnehmen ist, fest mit der Karosserie des Kraftfahrzeugs (karosseriefest) verbunden ist. Demgegenüber ist das diesem Halter beim Stand der Technik entsprechende Bauelement, das die Verrastungszähne trägt, als hintere Schwenkstütze 24 ausgebildet, die über das Schwenkgelenk 50 und über ein nicht benanntes weiteres Gelenk, das mit der Fahrzeugkarosserie (der Längsverstelleinrichtung 20) verbunden ist am Fahrzeugboden drehbeweglich angelenkt. Die drehbewegliche Montage ist schon deshalb erforderlich, weil ansonsten die beim Gegenstand von (2) gewollte Sitzverstellung nicht möglich wäre.
Ein Abstandselement, das einen Führungsbereich in einer karosseriefesten Führung aufweist und eine zwischen Führungsbereich und Rastbereich angeordnete Sollbruchstelle besitzt, fehlt beim Gegenstand von (2). Hier hält in einer Ausgestaltung eine Schenkelfeder 57 in Figur 1, bzw. in einer anderen Ausgestaltung ein Scherstift 60 in Figur 2 zusammen mit der sonstigen konstruktiven Ausgestaltung die erforderliche Distanz zur Blockierverzahnung (Zahnbogen 48 bei (2), Sicherungsverzahnung 3 beim Gegenstand des Anspruchs 1).
Der in Verbindung mit Figur 2 genannte Stift 60, der in keiner und damit auch nicht in einer karosseriefesten Führung geführt ist, verbindet den ersten Arm 40 mit dem Sitzträger 26, da er in ein am Sitzträger ausgebildetes Loch greift (Spalte 4, Zeilen 52 bis 53), und wird im Crashfalle abgeschert. Von einer Führung ist hier nirgends die Rede. Die Druckschrift (2) gibt damit dem Fachmann, das ist hier der mit der Entwicklung und Herstellung von Sicherheitsgurtsystemen befasste Maschinenbauingenieur, keinerlei Anregungen, die Sicherheitsverzahnung karosseriefest auszugestalten, das Abstandselement mit einem Führungsbereich (insbesondere in einer karosseriefesten Führung) zu versehen oder eine Sollbruchstelle zwischen Führungsbereich und Rastbereich anzuordnen.
An dieser Auffassung vermögen auch die Einwände der Einsprechenden nichts zu ändern, der Unterschied des Standes der Technik zum Gegenstand des Anspruchs 1 bestehe lediglich darin, dass der Führungsbereich beim Stand der Technik an einer karosseriefesten Führung liege während er beim Gegenstand des Anspruchs 1 in einer karosseriefesten Führung liege. Ein Führungsbereich, der zudem im Sinne des Merkmals 9. karosseriefest ausgebildet sein muss, ist beim Gegenstand von (2) überhaupt nicht vorhanden. Diesen Bereich stellt auch nicht der O-förmig ausgebildete Eingriffsbereich in Form der Aussparung 54 dar, wie die Einsprechende zusätzlich einwendet, denn hierdurch wird kein Bauelement der Anordnung nach (2) geführt, hier wird lediglich eine Öffnung und damit ein Platz geschaffen für die Unterbringung der Elemente 42, 44, 46, um ein Eingreifen der Nocken 46 im Crashfall in die Verzahnung des Zahnbogens 48 zu gewährleisten. Es ist kein Bauteil vorhanden, das in irgendeiner Art und Weise durch z.B. Berührung mit den Rändern der O-förmigen Aussparung 54 geführt wird, ganz davon abgesehen, dass die Schwenkstützen 24, die diese Aussparung aufweisen nicht im Sinne des Gegenstands des Anspruchs 1 als karosseriefest zu bezeichnen sind. Da kein Führungsbereich vorhanden ist, kann auch die beim Gegenstand von (2) vorhandene Sollbruchstelle 60 nicht zwischen Führungsbereich und Rastbereich angeordnet sein.
Die weitere im Verfahren vor der Erteilung noch genannte Entgegenhaltung (1) liegt weiter ab als der bisher genannte Stand der Technik. Diese hat in der mündlichen Verhandlung auch keine Rolle mehr gespielt und ist von der Einsprechenden nicht mehr aufgegriffen worden, im Einspruchsschriftsatz (Seite 2) hat die Einsprechende diese Druckschrift im gleichen Sinne gewürdigt, wie dies die Patentinhaberin in der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift (Spalte 1, Zeilen 6 bis 22) getan hat. Fehlende Neuheit oder fehlende erfinderische Tätigkeit wurde dieser Druckschrift gegenüber nicht geltend gemacht. Der Senat hat dies im Einzelnen überprüft und ist der Auffassung, dass auch Druckschrift (1) dem Fachmann den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nahezulegen vermochte.
Dr. Winterfeldt Klosterhuber Engels Dr. Maksymiw Pr
BPatG:
Beschluss v. 14.12.2004
Az: 21 W (pat) 335/03
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/016b9ad4f7c8/BPatG_Beschluss_vom_14-Dezember-2004_Az_21-W-pat-335-03