Finanzgericht Köln:
Urteil vom 11. Dezember 2003
Aktenzeichen: 2 K 7273/00
(FG Köln: Urteil v. 11.12.2003, Az.: 2 K 7273/00)
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des (Teil-)Ablehnungsbescheides vom 19.10.1998 und der Einspruchsentscheidung vom 18.10.2000 verpflichtet, die unter dem 12.06.1998 beantragte Erstattung von in Deutschland abgeführten Abzugsteuern in voller Höhe zu gewähren.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruches der Klägerin abwenden, soweit die KLägerin nicht zuvor Sicherheit in der selben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob Zahlungen der X-Bank auf Genussscheinrechte als Einkünfte der im Ausland ansässigen Klägerin unter den Begriff der "Dividenden" oder der "Zinsen" im Sinne des einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens fallen; nur im Fall der Dividenden besteht ein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland.
Die Klägerin - eine in Großbritannien ansässige Kapitalgesellschaft - hatte Wandelgenussscheine (im Weiteren: Genussscheinrechte) der X-Bank erworben.
Die der Ausgabe dieser Genusscheinrechte zugrunde liegenden Vertragsbedingungen - Genussscheinbedingungen (GB) - lauteten auszugsweise:
§ 1
(1) Die X-Bank Aktiengesellschaft, V, begibt aufgrund der Ermächtigung durch die Hauptversammlung vom 23. Mai 1990 Wandelgenussscheine gemäß § 10 Abs. 5 KWG im Gesamtnennbetrag von 600.000.000,- DM.
...
§ 2
(1) Die Wandelgenussscheininhaber erhalten eine dem Gewinnanteil der Aktionäre der X-Bank vorgehende jährliche Ausschüttung in Höhe von 9,25 % des Nennbetrags der Wandelgenussscheine.
(2) Der Ausschüttungsanspruch mindert sich insoweit, als sich durch eine Ausschüttung ein Jahresfehlbetrag ergeben würde. Kann aufgrund dieser Begrenzung die zugesagte Ausschüttung ganz oder teilweise nicht erfüllt werden, so ist der fehlende Betrag in den folgenden Geschäftsjahren nachzuzahlen; diese Nachzahlungspflicht besteht nur während der Laufzeit der Wandelgenussscheine.
...
§ 3
(1) Die Inhaber der Wandelgenussscheine haben das unentziehbare Recht, ihre Wandelgenussscheine im Verhältnis 3:1 in Aktien der X-Bank umzutauschen. ...
§ 4
Die Wandelgenussscheine verbriefen Gläubigerrechte, keine Gesellschafterrechte, insbesondere kein Teilnahme-, Mitwirkungs- und Stimmrecht in den Hauptversammlungen der X-Bank.
§ 7
(1) Die Laufzeit der Wandelgenussscheine ist mit dem 31. Dezember 2001 befristet. Vorbehaltlich der Bestimmungen über die Teilnahme am Verlust werden die Wandelgenussscheine, soweit sie nicht gewandelt sind, zum Nennbetrag zurückgezahlt. ...
(2) Die X-Bank kann die Wandelgenussscheine unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von mindestens zwei Jahren jeweils zum Ende eines Geschäftsjahres - frühestens zum 31. Dezember 1996 - durch Bekanntmachung gemäß § 13 kündigen, wenn eine Rechtsvorschrift in der Bundesrepublik Deutschland erlassen, geändert oder in einer Weise angewendet wird, dass dies bei der X-Bank zu einer Steuerbelastung der Ausschüttungen mit Gewerbe- oder Körperschaftsteuer oder einer an deren Stelle tretenden Steuer führt oder dass das Wandelgenussscheinkapital bei der Vermögensteuer nicht als Schuldposten zum Nennwert abgezogen werden kann. ... Im Übrigen gilt Abs. 1 Sätze 2 - 4 sinngemäß. Die Inhaber der Wandelgenussscheine können ihre Wandelgenussscheine nicht kündigen.
§ 8
(1) Die Inhaber von Wandelgenussscheinen nehmen voll an einem etwaigen Jahresfehlbetrag durch Verminderung ihrer Rückzahlungsansprüche im Verhältnis der Rückzahlungsansprüche zu dem in der Bilanz ausgewiesenen gezeichneten Kapital zuzüglich Gewinn- und Kapitalrücklagen sowie Genussscheinkapital teil.
(2) Werden nach einer Teilnahme der Inhaber von Wandelgenussscheinen am Verlust in folgenden Geschäftsjahren während der Laufzeit der Wandelgenussscheine Jahresüberschüsse erzielt, sind aus diesen - nach der gesetzlich vorgeschriebenen Wiederauffüllung der gesetzlichen Rücklage - die Rückzahlungsansprüche bis zum Nennbetrag der Wandelgenussscheine zu erhöhen, bevor eine anderweitige Verwendung der Jahresüberschüsse vorgenommen wird.
...
§ 9
Die Wandelgenussscheine treten gegenüber allen anderen Gläubigem gegen die X-Bank im Rang zurück. Im Falle der Liquidationen der X-Bank werden die Wandelgenussscheine nach allen anderen Gläubigeransprüchen und vorrangig vor den Aktionären bedient; die Wandelgenussscheine gewähren keinen Anteil am Liquidationserlös.
...
Die Vorschrift des § 10 Abs. 5 des Kreditwesengesetzes (KWG) in der geltenden Fassung lautete auszugsweise:
"(5) Kapital, das gegen Gewährung von Genussrechten eingezahlt ist (Genussrechtsverbindlichkeiten), ist dem haftenden Eigenkapital zuzurechnen, wenn
es bis zur vollen Höhe am Verlust einnimmt und das Institut berechtigt ist, im Falle eines Verlustes Zinszahlungen aufzuschieben, vereinbart ist, dass es im Falle des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Instituts oder der Liquidation des Instituts erst nach Befriedigung aller nicht nachrangigen Gläubiger zurückgezahlt wird, es dem Institut für mindestens fünf Jahre zur Verfügung gestellt worden ist, der Rückzahlungsanspruch nicht in weniger als zwei Jahren fällig wird oder aufgrund des Vertrags fällig werden kann, der Vertrag über die Einlage keine Besserungsabreden enthält, nach denen der durch Verluste während der Laufzeit der Einlage ermäßigte Rückzahlungsanspruch durch Gewinne, die nach mehr als vier Jahren nach der Fälligkeit des Rückzahlungsanspruch entstehen, wieder aufgefüllt wird, ..."
Am 28.05.1996 und am 28.05.1997 erhielt die Klägerin Genussscheinerträge in Höhe von 2.794.055,00 DM und von 6.067.445,00 DM. Von diesen Erträgen wurden entsprechend den Genussscheinbedingungen von der Emittentin 25 v.H. Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag in gesetzlich vorgeschriebener Höhe einbehalten und an das zuständige Finanzamt abgeführt.
Mit Schreiben vom 12.06.1998 - bei dem Beklagten eingegangen am 23.06.1998 - beantragte die Klägerin die vollständige Erstattung der einbehaltene Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlages unter Hinweis auf Art. VII des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und dem vereinigten Königreich England (DBA-Großbritannien).
Diesen Antrag auf vollständige Erstattung der einbehaltenen Abgaben lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19.10.1998 insoweit ab, als er nur einen auszuzahlenden Betrag von 1.052.303,12 DM festsetzte. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Erträge aus den Genussscheinen als Dividenden i. S. des Art. VI Abs. 4 DBA-Großbritannien und nicht als Zinsen im Sinne von Art. VII DBA-Großbritannien zu qualifizieren seien. Entsprechend erstattete der Beklagte lediglich einen Teilbetrag der Kapitalertragsteuer in Höhe von 10 v.H. des Bruttobetrages der Erträge aus den Genussscheinerträgen zuzüglich des Solidaritätszuschlages.
Gegen die Ablehnung einer vollständigen Erstattung der einbehaltenen Abgaben legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 20.11.1998 Einspruch ein.
Diesen Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 18.10.2000 als unbegründet zurück. Der Beklagte rechtfertigte seine Entscheidungen wiederum mit dem Argument, bei den der Klägerin zugeflossenen Erträgen handele es sich um Dividenden i. S. des Art. VI DBA-Großbritannien, für welche der Bundesrepublik Deutschland das Besteuerungsrecht zustehe.
Die Zuordnung des Rechts aus dem Genussrechtsvertrag zu dem Anwendungsbereich des Artikel VI oder des Artikel VII des DBA-Großbritannien erfolge - so der Beklagte - nach dem Sinnzusammenhang der abkommensrechtlichen Vorschriften. Der Gegensatz zwischen Dividenden (Art. VI) und Zinsen (Art. VII) bestehe in erster Linie darin, dass die Einkunftserzielung des Dividendenempfängers stärker als diejenige des Zinsempfängers im Quellenstaat "verwurzelt" sei. Der Bezieher einer Dividende habe sich im Quellenstaat nicht nur durch die Hingabe von Kapital, sondern durch eine - wie auch immer ausgestaltete - gesellschaftsrechtliche Beteiligung engagiert. Die Grenzziehung zwischen Zinsen und Dividenden im Abkommensrecht orientiere sich vor allem an der Unterscheidung zwischen unternehmerischem Engagement und schlichter Kapitalüberlassung; der Beklagte bezieht sich insoweit auf ein Urteil des erkennenden Senates (Urteil vom 23. Mai 1996 - 2 K 2536/94, EFG 1996, 835).
Ausgehend von diesem Grundgedanken sei das vorliegend zu beurteilende Genussrecht den Dividenden gemäß Artikel VI des DBA-Großbritannien zuzuordnen. Für diese Einstufung spreche insbesondere die vertraglich festgelegte Beteiligung der Klägerin an den Verlusten der X-Bank. In § 8 Abs. 1 der GB sei unstreitig geregelt, dass die Inhaber von Wandelgenussscheinen durch Verminderung ihrer Rückzahlungsansprüche voll an einem etwaigen Jahresfehlbetrag teilnähmen. Würden in den folgenden Jahren Gewinne erzielt, seien aus diesen gemäß § 8 Abs. 2 der GB die Rückzahlungsansprüche zwar bis zum Nennbetrag der Wandelgenussscheine wieder zu erhöhen, bevor eine anderweitige Verwendung der Jahresüberschüsse vorgenommen werde. Dieser Anspruch bestehe jedoch nur während der Laufzeit der Wandelgenussscheine.
Aus § 2 Abs. 1 der GB ergebe sich weiter, dass grundsätzlich eine Verzinsung in Höhe von 9,25% des Nennbetrages vorgesehen sei. Auch der Zinsanspruch mindere sich jedoch insoweit, als sich durch eine Ausschüttung ein Jahresfehlbetrag ergeben würde. Könne aufgrund dieser Begrenzung die zugesagte Ausschüttung ganz oder teilweise nicht erfüllt werden, so sei der fehlende Betrag zwar auch in den folgenden Geschäftsjahren nachzuzahlen, diese Nachzahlungspflicht bestehe aber gemäß § 2 Abs. 2 der GB ebenfalls nur während der Laufzeit der Wandelgenussscheine.
Die Klägerin sei somit vom Schicksal der emittierenden X-Bank unmittelbar berührt und nehme an der Vermögensentwicklung der AG aktiv teil. Die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals sei somit nicht gesichert. Insofern unterscheide sich das vorliegende Vertragsverhältnis sehr deutlich von einer reinen Kapitalüberlassung im Sinne von Art. VIl des DBA-Großbritannien.
Zudem seien Genussrechte dem haftenden Eigenkapital gemäß § 10 Abs. 5 KWG zuzurechnen. Somit seien Erträge aus Genussrechten auch im Hinblick auf den Zweck der Genussrechtsgewährung als Eigenkapital-Surrogat und nicht als Zinseinkünfte zu qualifizieren.
Gegen die ablehnenden Entscheidungen des Beklagten hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, mit welcher sie ihr Begehren auf vollständige Freistellung der Erträge weiter verfolgt.
Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, bei den Erträgen handele es sich um Zinsen i.S.d. Art. VII Abs. 1 DBA-Großbritannien.
Gemeinsames Element sämtlicher im Abkommen genannter Dividendengruppen nach Art. VI DBA-Großbritannien sei ihre Qualifikation als Gesellschaftsanteil. Als Dividendeninstrumente im Sinne von Art. VI Abs. 4 DBA-Großbritannien seien danach lediglich Rechte mit Gewinnbeteiligung einzuordnen, die gegenüber bloßen Forderungen weiterer Ansprüche gewährten. Einkünfte aus Forderungen mit Gewinnbeteiligung oder aus Rechten ohne Gewinnbeteiligung seien hingegen nicht als Dividenden im Sinne von Art. VI Abs. 4 DBA-Großbritannien zu qualifizieren.
Die Genussscheine der Klägerin verbrieften lediglich eine bestehende Forderung, nicht aber Beteiligungsrechte an der Emittentin. Darüber hinaus sei der Genussscheininhaber allenfalls ein etwaigen Verlusten, nicht jedoch am Gewinn beteiligt. Die Position des Genussscheininhabers es sei im vorliegenden Fall im Hinblick auf eine mögliche Verlustteilnahme der eines Gläubigers aus einem partiarischen Darlehensverhältnis angenähert. Einkünfte aus einem partiarischen Darlehen seien jedoch unstreitig als Zinsen im Sinne des DBA-Großbritannien einzuordnen.
Dem Genussscheininhaber komme keinesfalls die Stellung eines Mitgesellschafters zu. Er habe keinerlei Mitwirkungsrechte; an den stillen Reserven, insbesondere an einem Liquidationserlös, sei er unstreitig nicht beteiligt. Auch an einem Gewinn der Emittentin nehme der Genussscheininhaber nicht teil, er erhalte als Gegenleistung für das von ihm überlassene Kapital lediglich eine feste Verzinsung von 9,25 v.H. pro Jahr. Gegen eine gesellschafterähnliche Stellung spreche insbesondere auch die Tatsache, dass bei Verwendung von Jahresüberschüssen sowie im Liquidationsfall die nicht befriedigten Ansprüche des Genussscheininhabers wie Ansprüche von Darlehensgläubiger den Ansprüchen der Gesellschafter (Aktionären der X-Bank) vorgingen.
Es sei im Übrigen überhaupt nur dann gerechtfertigt, Einkünfte aus Genussscheinen als Dividenden im Abkommenssinn zu behandeln, wenn diese eine Beteiligung am Gewinn und an den im Liquidationserlös verkörperten stillen Reserven gewährten. Denn insoweit entsprächen sich die Dividendendefinitionen in Doppelbesteuerungsabkommen und in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Für ein solches Verständnis spreche auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes. Dieser habe in einer Entscheidung zum DBA-Schweiz ausdrücklich festgestellt, dass Einkünfte aus Genussscheinen nur insoweit zu den Dividenden gezählt werden könnten, als sie das Recht auf Gewinnbeteiligung beinhalteten und/oder als Gesellschaftsanteil zu qualifizieren seien (BFH, Urteil vom 24. März 1992 - VIII R 51/89, BFHE 168, 234; BStBl II 1992, 941).
Auch im Hinblick auf die Abgrenzung zu Vorzugsaktien seien Genussscheine abkommensrechtlich grundsätzlich als forderungsrechtliche Wertpapiere zu qualifizieren. Die Miterfassung von Einkünften aus einer Beteiligung an einer stillen Gesellschaft - ohne Teilhabe an Gewinn und Verlust - als Dividenden in Art. VI Abs. 4 DBA-Großbritannien beruhe auf einer Ausnahmeregelung.
Auch das Gesamtbild der Vertragsvereinbarungen entspreche demjenigen eines Darlehensverhältnisses, wenn auch mit "Risiko". Es sei eine feste Laufzeit und ein einseitiges Kündigungsrechts der Emittentin festgelegt. Gegen eine Gesellschafterstellung und für die Stellung eines Forderungsinhabers sprächen darüber hinaus die feste Verzinsung und die Vorrangigkeit der Rückzahlungsansprüche vor Vermögensrechten der Aktionäre. Auch sei in diesem Zusammenhang erneut festzustellen, dass der Genussscheininhaber keinen Anteil am Liquidationserlös erhalte. Der Genussscheininhaber habe gegenüber der emittierenden Gesellschaft lediglich einen Anspruch auf Rückzahlung des von ihm überlassenen Kapitals. Er partizipiere nicht am Gewinn- und Verlust eines jeden Jahres, wie dies ein Gesellschafter tue; die Teilnahme an der "unternehmerischen Chance" eines höheren Ertrages sei ihm unstreitig verwehrt. Der gewöhnliche Zinssatz für ein Darlehen habe im Zeitpunkte der Ausgabe der Wandelgenussscheine 1990 den Wert von 8,90 v.H. betragen; der Klägerin seien 9,25 v.H. versprochen worden. Bei dem in Höhe von 0,35 v.H. geringen Aufschlag sei keineswegs davon ausgegangen worden, dass die Klägerin das von ihr eingesetzte Kapital verlieren könne. Auch sei es zweifelhaft, ob der Zinsaufschlag - ganz oder teilweise - ohnehin nicht nur auf die "Marktenge" der Genussscheine zurückzuführen sei.
Nach innerstaatlichem Recht seien die Genussscheine, die keinen Anteil am Liquidationserlös gewährten, nicht dem Bereich der Dividenden zuzuordnen. Dieser ergebe sich aus einer ausdrücklichen Verwaltungsanweisung des Bundesministers der Finanzen vom 08.12.1986 (IV B 7 - S-2742 - 25/86 zu § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG).
Schließlich gehe auch der Hinweis des Beklagten auf § 10 Abs. 5 KWG fehl: Die bankaufsichtsrechtliche Einordnung des Genussscheins allein rechtfertige es noch nicht, die Erträge als Dividenden zu qualifizieren. Das Kreditwesengesetz verfolge einen anderen Regelungszweck als das nationale Steuerrecht oder Doppelbesteuerungsabkommen. Dies werde schon allein daran deutlich, dass auch nachrangige Darlehen aufsichtsrechtlich unter bestimmten weiteren Voraussetzungen als haftendes Eigenkapital i. S. v. § 10 Abs. 5 KWG zu behandeln seien. Auch würden im Kreditwesengesetz etwa bei der Frage der Eigenmittelausstattung oftmals strengere Anforderungen als im Handels- oder Steuerrecht gestellt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 18.10.2000 und den Bescheid des Beklagten vom 19.10.1998 über die Erstattung von deutschen Abzugsteuern vom Kapitalertrag nach dem Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland - Vereinigtes Königreich aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die unter dem 12.06.1998 beantragte Erstattung von in Deutschland abgeführten Abzugsteuern in Höhe von 2.381.528,13 DM in voller Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte bezieht sich im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Vorverfahren.
Er weist auf den Wortlaut des Art. VI Abs. 4 Satz 1 des DBA-Großbritannien hin, der "Genussscheine" ausdrücklich dem Bereich der Dividenden zuordne.
Darüber hinaus stellt er - nochmals - in Abrede, dass die Beteiligung an den stillen Reserven erforderlich sei für die Zurechnung der Genussrechte zu den Dividenden. Dies schließt der Beklagte aus dem Umstand, dass nach Art. VI Abs. 4 Satz 1 DBA-Großbritannien ausdrücklich auch Einkünfte aus einer stillen Gesellschaft unter den Dividendenbegriff subsumiert werden.
Er weist darauf hin, dass die Klägerin sehr wohl an Gewinn- und Verlust der Emittentin partizipiere, da das hingegebene Kapital unter den entsprechenden Voraussetzungen von Verlusten der X-Bank vollständig aufgezehrt werden könne.
Am 27.11.2003 hat sich die ehemalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die Y Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mbH, zunächst telefonisch und anschließend mit FAX vom 28.11.2003 - eingegangen am gleichen Tag - an das Gericht gewandt. Die Gesellschaft hat mitgeteilt, nach den Vorgaben des "Sabarnes-Oxley-Actes" - US-amerikanisches Recht - sei es ihr verboten, jegliche Art von weiteren Prozesshandlungen als Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorzunehmen. Die GmbH hat das Mandat für die Klägerin deshalb niedergelegt.
In der mündlichen Verhandlung ist für die Klägerin niemand erschienen.
Die an die ehemalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin adressierte Ladung vom 24.11.2003 zur mündlichen Verhandlung am 11.12.2003 ist der Y-GmbH - durch FAX-Empfangsbekenntnis bestätigt - auch am 24.11.2003 zugegangen.
Gründe
A.
Die Sache ist entscheidungsreif; das Gericht durfte in Abwesenheit der Klägerin bzw. eines Bevollmächtigten verhandeln.
An der mündlichen Verhandlung hat weder ein Vertreter der Kläger noch ein Prozessbevollmächtigter teilgenommen. Gleichwohl liegt der Fall, dass die Klägerin im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO), nicht vor. Denn ein Fall fehlender Vertretung wäre im Streitfall nur gegeben, wenn die Klägerin nicht ordnungsgemäß geladen worden wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 09. Juli 1996 VII R 23/96 und VII B 41/96, BFH/NV 1997, 44 m.w.Nachw.).
Die Ladung der Klägerin zur mündlichen Verhandlung war indes ordnungsgemäß.
Im Streitfall ist die Ladung zur mündlichen Verhandlung, in welcher der nach § 91 Abs. 2 FGO vorgeschriebene Hinweis enthalten war, der ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin gemäß § 53 Abs. 2 FGO von der Geschäftsstelle ordnungsgemäß nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung durch Zustellung gegen Empfangsbekenntnis (§ 174 ZPO) zugestellt worden.
Der Umstand, dass die Prozessbevollmächtigte ihr Mandat niedergelegt hat, schadet der ordnungsgemäßen Ladung nicht.
Die Ladung für den Termin zur mündlichen Verhandlung wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24.11.2003 zugestellt. Nach der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung (vgl. BFH-Beschluss vom 22. März 1994 - X R 66/93, BFH/NV 1994, 499-500; ebenso Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 62 Rdnr. 10), welcher sich der erkennende Senat anschließt, geht die Wirkung einer Ladung für und gegen einen Kläger nicht dadurch verloren, dass der Prozessbevollmächtigte nach Empfang der Ladung das Mandat niedergelegt hat.
Das Gericht durfte somit in der mündlichen Verhandlung zu Recht die ordnungsgemäße Ladung feststellen und im Anschluss hieran trotz Abwesenheit der Klägerin verhandeln.
B.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Ablehnung der vollständigen Erstattung einbehaltener Kapitalertragsteuer bzw. einbehaltenen Solidaritätszuschlages war rechtswidrig i.S.d. § 101 Satz 1 FGO.
Der Klägerin stand ein Anspruch auf vollständige Erstattung der Steuer aus § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. Art. VII Abs. 1 des einschlägigen DBA-Großbritannien zu.
Denn bei den von der Klägerin aufgrund der Inhaberschaft an den Wandelgenussscheinen erzielten Einkünfte handelt es sich um Zinsen i.S.d. des genannten Artikels und nicht um Dividenden nach Art. VI des Abkommens.
I.
Die Einkünfte der Klägerin sind zunächst rechtmäßig dem Steuerabzug unterworfen worden.
Da die Klägerin weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hatte, unterlag sie als beschränkt Steuerpflichtige lediglich mit ihren inländischen Einkünften der Körperschaftsteuer (§ 2 Nr. 1 KStG). Zu den inländischen Einkünften zählen u. a. Erträge aus Genussrechten (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a) und c) bb) EStG). Die auf diese Einkünfte entfallende Steuer wird durch Abzug von Kapitalertragsteuer erhoben, und zwar unabhängig davon, ob die Genussrechte mit einem Recht an Gewinn und Liquidationserlös einer Kapitalgesellschaft verbunden sind (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) oder nicht (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG). Zwischen den Beteiligten ist demgemäss zu Recht unstreitig, dass von den Einkünften der Klägerin Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen war.
II.
Der Klägerin steht jedoch gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. Art. VII Abs. 1 des DBA-Großbritannien ein Anspruch auf Erstattung der einbehaltenen Beträge zu.
Nach Art. XVIII A Abs. 4 des einschlägigen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung (vom 26. November 1964 - BGBl. 1966 II S.359, in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 - BGBl. 1971 II S. 46) wird die in einem Vertragstaat vorgesehene Steuererhebung im Abzugswege durch die Bestimmungen des Abkommens nicht eingeschränkt. Die im Abzugswege erhobene Steuer ist jedoch auf Antrag zu erstatten, soweit ihre Erhebung durch das Abkommen eingeschränkt wird (BFH-Urteil vom 22. Oktober 1986 I R 261/82, BFHE 148, 143, BStBl II 1987, 171). Damit muss die einbehaltene Steuer insoweit erstattet werden, als sie über denjenigen Betrag hinausgeht, der nach den Verteilungsnormen des Abkommens (Art. V-XVI) der Bundesrepublik Deutschland zusteht.
Im Streitfall hängt die Höhe des hiernach festzusetzenden Erstattungsbetrags davon ab, ob es sich bei den von der Klägerin vereinnahmten "Genussrechtszinsen" abkommensrechtlich um "Dividenden" oder um "Zinsen" handelt. Denn da die Klägerin in Großbritannien ansässig ist (Art. II Abs. 1 Buchst. h) DBA-Großbritannien) und die Zahlungen von einer in Deutschland ansässigen und steuerpflichtigen Person - X-Bank AG - bezogen hat, steht bei einer Qualifikation der Erträge als Zinsen der Bundesrepublik Deutschland ein Besteuerungsrecht nicht zu (Art. VII Abs. 1 DBA-Großbritannien). Demgegenüber darf unter ansonsten gleichen Verhältnissen bei Dividenden eine Steuer von 15 v. H. erhoben werden (Art. VI Abs. 1 Satz 2 DBA-Großbritannien).
Eine Auslegung der Tatbestandsmerkmale "Dividenden" und "Zinsen" ergibt, dass es sich bei den Einkünften der Klägerin nicht um Dividenden, sondern um Zinsen handelt.
Der Senat gewinnt diese Erkenntnis zum einen im Anschluss an seine Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil vom 23. Mai 1996 - 2 K 2536/94, EFG 1996, 836 mit Anm. Buciek, EFG Beilage Nr. 10 / 1996, 40 und Senatsurteil vom 29. April 1999 - 2 K 3998/95, EFG 1999, 1034 mit Anm. Fumi, EFG Beilage Nr. 19 / 1999, 75) aus dem Grundgedanken der abkommensrechtlichen Unterscheidung der beiden Zuflüsse.
Die Begriffe "Zinsen" und "Dividenden" sind im DBA-Großbritannien selbst definiert. Hiernach sind "Zinsen" alle Zinsen aus Schuldverschreibungen, Wertpapieren, Wechseln, Obligationen oder irgendeiner anderen Schuldverpflichtung (Art. VII Abs. 2 Buchst. a). Der Ausdruck "Dividenden" umfasst u. a. Einkünfte aus Aktien, Genussrechten und Genussscheinen oder anderen Rechten - ausgenommen Forderungen - mit Gewinnbeteiligung sowie aus sonstigen Gesellschaftsanteilen stammende Einkünfte, die nach dem Steuerrecht des Gebiets, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, den Einkünften aus Aktien gleichgestellt sind (Art. VI Abs. 4). Diese Definitionen sind, soweit sie reichen, für die Auslegung der abkommensrechtlichen Begriffe allein maßgeblich; lediglich dort, wo sie nicht zu einem Ergebnis führen, kann auf entsprechende Begriffsbestimmungen des (internen) deutschen Rechts zurückgegriffen werden (Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., S. 791).
Es ist freilich ausgeschlossen, die im Streitfall erzielten Erträge deshalb ohne weiteres als "Dividenden" im abkommensrechtlichen Sinne anzusehen, weil es sich um Erträge aus Genussrechten handelt und diese in Art. VI Abs. 4 DBA-Großbritannien ausdrücklich aufgeführt sind. Entscheidend ist vielmehr, ob es sich bei den streitigen Zahlungen um "Zinsen" handelt, die dem Regelungsbereich des Art. VII DBA-Großbritannien unterliegen:
Das DBA-Großbritannien selbst definiert den Terminus "Genussrecht" nicht. Es enthält keine nähere Aussage darüber, wie das "Genussrecht" von der - in Art. VI Abs. 4 ausdrücklich ausgeklammerten - "Forderung" abgegrenzt werden kann. Insoweit lässt es lediglich erkennen, dass die Unterscheidung zwischen beiden Rechtsinstituten nicht danach erfolgen kann, ob mit dem betreffenden Recht eine feste (Forderung) oder eine variable Verzinsung (Genussrecht) verbunden ist: Indem Art. VI Abs. 4 von "anderen Rechten - ausgenommen Forderungen - mit Gewinnbeteiligung" spricht, macht die Vorschrift deutlich, dass auch Forderungen "mit Gewinnbeteiligung" dem Dividendenbegriff entzogen sein sollen. Daraus folgt, dass namentlich partiarische Darlehen abkommensrechtlich nicht zu Dividenden-, sondern zu Zinseinkünften führen.
Letztlich ist die Einstufung des streitigen Rechts als "Genussrecht" oder als "Forderung" danach zu entscheiden, ob nach dem Sinnzusammenhang der abkommensrechtlichen Vorschriften das streitige Recht von seinem wirtschaftlichen Gehalt her eher dem Anwendungsbereich des Art. VI oder des Art. VII des DBA-Großbritannien zugehört.
Diese Frage ist im Streitfall im Sinne einer Zuordnung zu Art. VII, also zum Zinsbereich, zu beantworten:
Der abkommensrechtliche Gegensatz von Dividenden (Art. VI) einerseits und Zinsen (Art. VII) andererseits ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass für Dividenden eine Quellensteuerberechtigung des Herkunftsstaates vorgesehen ist, während Zinsen allein der Ansässigkeitsstaat des Empfängers besteuern darf.
Eine inhaltliche Rechtfertigung dieses Unterschieds vermag der Senat - wie auch der Beklagte - nur darin zu erkennen, dass die Einkunftserzielung des Dividendenempfängers stärker als diejenige des Zinsgläubigers in dem Quellenstaat "verwurzelt" ist: Der Bezieher einer Dividende hat sich dort nicht nur durch die Hingabe von Kapital, sondern durch eine - wie auch immer ausgestaltete - gesellschaftsrechtliche Beteiligung engagiert, und andererseits sind seine Einkünfte Ausfluss einer Teilhabe an dem Gewinn der dem Quellenstaat zugehörigen Gesellschaft. Auf diese Weise sind seine Beziehungen zum Quellenstaat intensiver als bei einem "schlichten" Darlehensgläubiger, der zwar aus dem anderen Vertragstaat Einkünfte bezieht, darüber hinaus aber mit jenem Staat keine Verbindung hat und insbesondere dem dem Quellenstaat zuzuordnenden Rechtsgebilde - der Gesellschaft - als außenstehender Dritter gegenübertritt. Der Dividendenempfänger wird im Quellenstaat im weitesten Sinne unternehmerähnlich tätig, seine Einkünfte sind daher unmittelbarer als diejenigen des Darlehensgläubigers mit jenem Staat verbunden: dieser "Zugehörigkeitsgedanke" ist es letztlich, der die unterschiedliche doppelbesteuerungsrechtliche Behandlung von Zins- und Dividendeneinkünften trägt. Von dieser Wertung ist deshalb auszugehen, wenn es in bezug auf das DBA-Großbritannien um die Grenzziehung zwischen dem Anwendungsbereich des Art. VI einerseits und des Art. VII andererseits geht.
Dem lässt sich nicht die vom Beklagten angesprochene Überlegung entgegenhalten, dass der abkommensrechtliche Dividendenbegriff in den Bereich der Zinsen reiche. Hieran ist zwar richtig, dass Art. VI Abs. 4 des DBA-Großbritannien namentlich die Einkünfte des (typischen) stillen Gesellschafters als Dividenden definiert, während diese Einkünfte aus deutscher Sicht denjenigen aus partiarischen Darlehen - Zinsen - gleichstehen (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Insoweit ist jedoch zu beachten, dass der stille Gesellschafter sich ebenfalls an einem Unternehmen "beteiligt" (§ 230 Abs. 1 HGB), zu jenem Unternehmen also eine engere und unmittelbarere Beziehung hat als ein bloßer Darlehensgläubiger. Die vom Beklagten angesprochene abkommensrechtliche Erweiterung des Dividendenbegriffs führt mithin lediglich zur Einbeziehung von Einkünften, die denjenigen aus einer unternehmerischen Beteiligung zumindest ähnlich sind. Deshalb wird der Grundgedanke, dass sich die Grenzziehung zwischen Zinsen und Dividenden im Abkommensrecht sich vor allem an der Unterscheidung zwischen unternehmerischem Engagement und "schlichter" Kapitalüberlassung orientiert, durch sie eher bestätigt.
Im Streitfall führt eine Wertung der Sachverhaltsmerkmale, die für unternehmerischem Engagement oder für Kapitalüberlassung sprechen, zu einem Überwiegen des Charakters eines Darlehens
Für ein unternehmerisches Engagement des Genussscheinsinhabers nach den im Streitfall geltenden GB sprechen letztlich nur zwei Gesichtspunkte: Zum einen die drohende Einbuße des hingegebenen Kapitals bei Entstehung eines Jahresfehlbetrages bei der Emittentin (§ 2 Abs. 2 GB für die Verzinsung, § 8 Abs. 2 GB für die Kapitalrückzahlung) und zum anderen die Zurechnung der Genussrechte zum Eigenkapital nach § 10 Abs. 5 KWG.
Es überwiegen jedoch bei weitem die Indizien für eine Kapitalüberlassung.
Zunächst ist festzustellen, dass beide Argumente für ein unternehmerisches Engagement eigentlich nicht überzeugend sind.
Es ist dem Beklagten zwar zuzugeben, dass theoretisch die Möglichkeit der Kapitaleinbuße besteht, wenn die Emittentin die Jahresfehlbeträge während der Laufzeit der Genussscheine nicht ausgleichen kann. Diese Möglichkeit ist offenbar aber nicht praktisch zu sehen: Es ist nicht erkennbar, dass es tatsächlich zu einer Kapitaleinbuße gekommen ist. Auch nach der Vertragsgestaltung war das Risiko der Einbuße nur ein "vorübergehendes", da die Emittentin bei Erreichen der Gewinnzone sofort zum Ausgleich der Einbußen verpflichtet war. Aufgrund des geringen "Zinsaufschlages" bestand offenbar wirtschaftlich nur eine geringe Gefahr der Nichtverzinsung bzw. der Einbuße des eingesetzten Kapitals. Auch das Argument der Klägerin, der Zinsaufschlag habe gar kein oder nur ein geringes Risiko abdecken sollen und sei nur zur Förderung des Absatzes der Genussscheine bewilligt worden, kann nicht entkräftet werden.
Die nach § 10 Abs. 5 KWG vorgenommene Wertung kann nicht ohne Weiteres für den Bereich des Steuerrechts übernommen werden. Nach der zitierten Vorschrift soll dem zur Verfügung gestellten Kapital Eigenkapitalcharakter zukommen, und zwar im Interesse der Erfüllungen der Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern, insbesondere zur Sicherheit der anvertrauten Vermögenswerte. Das Steuerrecht nimmt insoweit eigene Wertungen vor (vgl. auch BMF-Schreiben vom 11. September 2000, IV C 6 - S 2742 a - 10/99, FR 2001, 43 - Kreditwesen, stille Einlage).
Demgegenüber dominieren die Merkmale für eine schlichte Kapitalüberlassen.
Bereits die fehlende Beteiligung am Liquidationserlös bzw. an den stillen Reserven (§ 9 GB) könnte die Qualifikation als Beteiligung ausschließen: In der Literatur wird die Auffassung vertreten, "Genussrecht" im Sinne der Dividendendefinition der DBA könne überhaupt nur ein solches Recht sein, das dem Berechtigten einen Anteil sowohl am Gewinn als auch an einem etwaigen Liquidationserlös der ausgebenden Gesellschaft vermittelt (Schaumburg, a.a.O., S. 944; Tischbirek in Vogel-Lehner, DBA 4. Aufl. 2003, Art. 10 Rdnr. 194 f.). Danach sind Erträge aus Genussrechten, die - wie im Streitfall - nicht mit einer Beteiligung am Liquidationserlös verbunden seien, abkommensrechtlich ohnehin nur als "Zinsen" oder als "sonstige Einkünfte" anzusehen (Tischbirek in Vogel-Lehner a.a.O., Art. 10 Rdnr. 195). Ausdrücklich wurde die Gewährung von Gesellschafterrechten ausgeschlossen (§ 4 GB). Es wurde eine feste Verzinsung (§ 2 Abs. 1 GB) des eingesetzten Kapitals für eine feste Laufzeit versprochen (§ 7 Abs. 1 GB). Der Emittentin stand eine einseitige Kündigungsmöglichkeit zur Verfügung (§ 7 Abs. 2 GB) und damit ein Recht, das dem Gesellschaftsverhältnis fremd ist. Ausdrücklich sollte eine Befriedigung der Genussscheininhaber vor den Aktionären erfolgen (§ 9 GB); damit waren jene den am Unternehmen der Emittentin Beteiligten gerade nicht gleichgestellt.
Dieses Ergebnis wird durch das innerstaatliche Recht bestätigt.
Auch wenn die innerstaatliche Auslegung des Begriffs "Genussrecht" nicht gänzlich einheitlich erfolgt, ist doch mit der höchstrichterlichen Zivilrechtsprechung festzustellen, dass jedenfalls die Besonderheiten des Streitfalles für die Annahme eines bloße Darlehens sprechen.
Das innerstaatliche Recht kann zur Auslegung des DBA herangezogen werden.
Art. VI Abs. 4 DBA-Großbritannien stellt hinsichtlich des Dividendenbegriffs bei den "anderen Einkünften" u.a. darauf ab, ob jene Einkünfte im Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft "den Einkünften aus Aktien gleichgestellt sind".
Aus der vergleichbaren Formulierung in Art. 10 Abs. 3 des OECD-Musterabkommens ist in der Literatur geschlossen worden, dass hierin eine generelle Verweisung auf das innerstaatliche Recht liege: Die Vorschrift besage, dass "die abkommensmäßige Einstufung im Endpunkt auf das nationale Recht des Quellenstaats ausgerichtet" werden müsse, dessen Qualifikation mithin im Ergebnis für beide Vertragstaaten verbindlich werde (Korn/Debatin, Doppelbesteuerung, Systematik IV Rdnr. 204). Ob diese Verweisung zwingend ist, kann dahingestellt bleiben: Jedenfalls ist ein Rückgriff auf innerstaatliches Recht zulässig.
Eine gesetzliche Begriffsbestimmung des "Genussrechts" enthält das deutsche Recht zwar nicht. Es handelt sich vielmehr um ein durch den Rechtsverkehr entwickeltes Finanzierungselement (Scholz/Winter, GmbHG Komm. 9. Aufl., § 14 Anm. 67; Ziebe, BB 1984, 2210), das der Gesetzgeber zwar im Aktiengesetz - AktG - erwähnt (§§ 160 Abs. 1 Nr. 6, 221 Abs. 3 AktG), dessen Definition er aber ausdrücklich Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen hat (Lutter in Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 221 Rdnr. 217).
Letztlich lassen sich jedoch auch nach innerstaatlichem Recht Grundprinzipien erkennen, die im Streitfall die Annahme von Zinszahlungen aufgrund Darlehens rechtfertigen.
Rechtsprechung und Literatur bilden zwar kein einheitliches Bild.
In den Steuergesetzen ist Definition des Begriffs "Genussrecht" nicht enthalten. Das deutsche Steuerrecht unterscheidet Genussrechte grundsätzlich danach, ob sie einen Anteil sowohl am Gewinn als auch am Liquidationserlös gewähren (z. B. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG; § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) oder nicht (z. B. § 43 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Hieraus ist zwar zu schließen, dass die Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös nicht notwendige Voraussetzung für das Vorliegen eines "Genussrechts" im steuerlichen Sinne ist. Eine Abgrenzung zum partiarischen Darlehen, die sich ggf. auf die abkommensrechtliche Problematik übertragen ließe, fehlt indessen.
Insbesondere teilt der Senat nicht die Auffassung der Klägerin, dass eine steuerrechtliche Begriffsbestimmung des Genussrechts sich aus der Rechtsprechung des BFH zu § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (vgl. BFH-Urteil vom 19. Januar 1994 I R 67/92, BFHE 173, 399, BStBl II 1996, 77) oder entsprechenden Verwaltungsanweisungen ableiten lasse. Dort geäußerte Rechtsansichten beruhen vielmehr erklärtermaßen auf dem Wortlaut des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, der für die daselbst gesetzte Rechtsfolge nicht nur das Vorhandensein eines Genussrechts, sondern darüber hinaus eben auch die Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös verlangt.
In der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur besteht jedoch Einigkeit darüber, dass Genussrechte immer nur rein schuldrechtliche Ansprüche gegen die Gesellschaft zum Inhalt haben, also ihrem Inhaber keinerlei mitgliedschaftliche Berechtigungen vermitteln können (z. B. BGH-Urteile vom 5. Oktober 1992 II ZR 172/91, BGHZ 119, 305; vom 9. November 1992 II ZR 230/91, BGHZ 120, 141; Lutter, a.a.O., § 221 Rdnr. 196).
Nur mit diesem Inhalt sind sie wie im Aktienrecht, so auch bei einer GmbH zulässig (Baumbach/Hueck, GmbHG Komm. 17. Aufl., § 29 Rdnr. 88 a). Übereinstimmung herrscht ferner insofern, als es für die Abgrenzung des Genussrechts zu anderen Finanzierungstiteln nicht auf die Bezeichnung durch die Vertragsparteien, sondern auf den wirtschaftlichen Inhalt der gewährten Berechtigung ankommt (Lutter, a.a.O., § 221 Rdnr. 217 f.). Dabei wird das Spezifikum des Genussrechts häufig dahin umschrieben, dass es ein schuldrechtliches Gläubigerrecht sei, welches dem Berechtigten "dieselben oder ähnliche Vermögensrechte" wie eine Aktie bzw. ein GmbH-Gesellschaftsanteil gewähre (Schön, JZ 1993, 925). Eine hierauf aufbauende exakte Grenzziehung zwischen Genussrecht und - insbesondere: partiarischem - Darlehen ist jedoch bislang nicht entwickelt worden (Lutter, a.a.O., § 221 Rdnr. 233).
Der Senat folgt jedoch den Überlegungen des Bundesgerichtshofes, die hier das gefundene Ergebnis bestätigen.
Auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofes (BGH-Urteil vom 05. Oktober 1992 - II ZR 172/91, BGHZ 119, 305; NJW 1993, 57 m.w.N.) sind die Vertragsparteien bei der Ausgestaltung eines Genussrechtes weitgehend frei (vgl. Stellungnahme der Bundesregierung vom 05. Oktober 1984 - BTDrucks. 10/2079 S. 8, DB 1984, 2448). Es ist danach jedoch unbestritten, dass die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Aktiengesellschaft gegen Einlagen nicht durch Berechtigungen wie Genussscheine, sondern nur durch die Gewährung von Aktien eingeräumt werden kann. Das Genussrecht ist kein gesellschaftsrechtlich geprägtes Mitgliedschaftsrecht, sondern ein Recht, das sich in einem bestimmten geldwerten Anspruch erschöpft.
Trotz dieses formal schuldrechtlichen Charakters kann das Genussrecht nicht nur obligationsähnlich, sondern auch aktienähnlich ausgestaltet sein, d.h., es kann vermögensrechtlich Rechte und Pflichten enthalten, die denen entsprechen, die nach dem Gesetz an die Inhaberschaft der Aktie geknüpft sind. Die mit der Aktie verbundenen, auf der Mitgliedschaft beruhenden Mitverwaltungsrechte gewährt es nicht. Daraus wird hergeleitet, die Angleichung der Genussrechte an die aktienrechtliche Beteiligung könne letztlich dazu führen, dass der Geschäftsführung Eigenkapital zur Verfügung stehe.
Die Frage, wann dies der Fall ist, d.h. wann ein Genussrecht aktiengleich ausgestaltet ist, wird unterschiedlich beantwortet. So wird dafür die Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös für unabdingbar gehalten. Auch wird eine aktiengleiche Ausgestaltung dann verneint, wenn die Genussrechtsinhaber in Höhe des Nenn- oder Ausgabewertes des Genusskapitals vor den Aktionären am Liquidationserlös beteiligt werden.
Jedenfalls kann nach Auffassung des Bundesgerichtshofes - der hier gefolgt wird - von einer unternehmerähnlichen Stellung nur dann ausgegangen werden, wenn - von der Frage der gewinnunabhängigen Mindestverzinsung abgesehen - das Kapital der Gesellschaft zeitlich unbegrenzt zur Verfügung gestellt und den Genussrechtsinhabern eine Beteiligung am Liquidationserlös der Gesellschaft gewährt wird. Das ist vorliegend nicht der Fall.
Zwar ist auch im Streitfall die haftungsrechtliche Stellung der Genussrechtsinhaber derjenigen der Aktionäre dadurch angenähert, dass die Rechte der Gesellschaftsgläubiger Vorrang vor den Genussrechten haben. Das führt aber auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofes nicht dazu, dass die Genussrechtsinhaber den Aktionären haftungsrechtlich vollständig gleichgestellt sind. Vielmehr ist das Genusskapital durch den Rangrücktritt gegenüber den Gesellschaftsgläubigern und die im Verhältnis zu Fremdverbindlichkeiten lange Laufzeit von 10 Jahren lediglich in höherem Maße risikobehaftet als das der übrigen Gläubiger.
Der Bundesgerichtshof weist darauf hin, dass der Genussrechtsinhaber in Konstellationen wie jener des Entscheidungsfalles keine mitgliedschaftliche Stellung an der emittierenden Gesellschaft hat.
Auch diesen Gesichtspunkt sieht der Senat als entscheiden an.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S.1 ZPO.
D.
Die Revision war zuzulassen, denn es ist ein Revisionsgrund gegeben: Der Rechtsstreit hat grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
I.
Eine Sache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebende Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BFH vom 17. September 1974 VII B 112/73, BStBl II 1975, 196).
Eine Grundsatzrevision ist dementsprechend zuzulassen, wenn eine aufgeworfene Rechtsfrage klärungsbedürftig ist (vgl. hierzu BFH vom 07. März 1994 V B 95/93, BFH/NV 1995, 650).
II.
Die genannten Erfordernisse sind im Streitfall erfüllt. Ob die Nichtbeteiligung am Liquidationserlös bzw. den stillen Reserven trotz - freilich geringer - Gefahr der Kapitaleinbuße für die Annahme eines Darlehensverhältnisses bei der Ausgabe von Genussscheinen ausreicht, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt.
FG Köln:
Urteil v. 11.12.2003
Az: 2 K 7273/00
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/019b0a934445/FG-Koeln_Urteil_vom_11-Dezember-2003_Az_2-K-7273-00