Bundesgerichtshof:
Urteil vom 26. Juni 2014
Aktenzeichen: X ZR 112/12

(BGH: Urteil v. 26.06.2014, Az.: X ZR 112/12)

Tenor

Die Berufung gegen das am 20. Juni 2012 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für Deutschland erteilten europäischen Patents 1 046 281 (Streitpatents), das unter Inanspruchnahme der Priorität einer amerikanischen Patentanmeldung vom 7. Januar 1998 am 7. Januar 1999 angemeldet worden ist. Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 8 lauten:

"1. Receiver, including means (1500, 1501) for receiving a packetised input data stream including multiplexed and compressed data packets, each of said packets having at least header and payload data; means (1500) for receiving an analog signal; means (1507, 1509) for partitioning said packetised data stream to generate a video component and an audio component; means (1540, 1550, 1560) for processing said analog signal to generate a digitised audio signal and a digitised video signal; first means (1511) for digital signal processing and decompressing said video component of said packetised data stream, and for digital signal processing said digitised video signal to generate a video output signal; second means (1613) for digital signal processing and decompressing said audio component of said packetised data stream, and for digital signal processing said digitised audio signal to generate an audio output signal; means (1605, 1607) for selectively delaying the processing of the digitised audio signal to synchronize an audible audio signal with a displayable video signal; means (1519, 1523, 1525, 1529) for transposing said video output signal to the displayable video signal and said audio output signal to the audible audio signal.

8. Method for processing an input signal having a video component and an audio component, said method including receiving one of a packetised input data stream receiving a digitised signal including a digitised video signal and a digitised audio signal; partitioning one of said packetised data stream to generate a video component and an audio component; processing said digitised video signal and said digitised audio signal; processing and decompressing said video component of said packetised data stream, and processing said digitised video signal to generate a video output signal; processing and decompressing said audio component of said packetised data stream and processing said digitised audio signal to generate an audio output signal; delaying selectively the processing of the digitised audio signal to synchronize an audible audio signal with a displayable video signal transposing said video output signal to the displayable video signal and said audio output signal to the audible output signal."

Diesen Ansprüchen sind die weiteren Ansprüche unmittelbar oder mittelbar nachgeordnet.

Die Klägerin hat das Streitpatent insgesamt angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand der Ansprüche gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, außerdem fehle die Patentfähigkeit. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit einem Hilfsantrag verteidigt, wonach in den Patentansprüchen 1 und 8 jeweils in das Merkmal nach dem vorletzten Spiegelstrich nach den Worten "of the digitised audio signal" eingefügt ist "by insertion of a delay in the audio processing".

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihre Anträge erster Instanz weiterverfolgt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

I. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Synchronisation von Bild und Ton bei elektronischen Geräten zur Wiedergabe von Fernseh- oder Videobildern.

1. Der Streitpatentschrift zufolge erschien es vor dem Hintergrund der aufkommenden digitalen elektronischen Erzeugnisse angezeigt, ursprünglich auf den Empfang von (analogen) SDTV-Signalen (SDTV = standard definition television) ausgerichtete, bestimmten Normen (wie NTSC, PAL oder SECAM) entsprechende Fernseher oder Video-Kassettenrecorder so auszulegen, dass sie sowohl digitale Ströme als auch Signale mit Norm-Auflösung empfangen. Digitale Empfangsgeräte könnten digital paketisierte, nach einem Standard wie der MPEG-Norm (MPEG = Motion Pictures Expert Group) komprimierte Ströme von Video- und Audio-

Informationen empfangen, was Fernsehbilder in HDTV-Qualität (high definition television) ermögliche. Wird ein Fernseh- oder Video-Empfänger so ausgelegt, dass er sowohl analoge als auch digitale Signale umsetzen kann, werden, wie sich aus den weiteren Ausführungen in der Streitpatentschrift ergibt, die ankommenden analogen Signale digitalisiert. Die digitalisierten Signale werden, nicht anders als die ursprünglich digitalen Signale, in Audio- und Video-Signale aufgeteilt. Die digitalisierten Audio-Signale werden einem Audio-Dekodierer, die digitalisierten Video-Signale einem Video-Dekodierer zugeleitet. Die Streitpatenschrift erläutert, dass die Zeit zur Verarbeitung der digitalisierten Video-Signale mehr Zeit benötigt als die Verarbeitung der digitalisierten Audio-Signale. Das kann dazu führen, dass bei der Wiedergabe Ton und Bild nicht perfekt synchronisiert sind. Für den Zuschauer macht sich dies dadurch bemerkbar, dass die Bewegung der Lippen der gezeigten Personen mit dem wiedergegebenen Ton nicht übereinstimmt, was als störend empfunden wird.

Das technische Problem besteht darin, dafür zu sorgen, dass bei einem Empfänger, der sowohl digitale als auch analoge Fernsehsignale verarbeiten kann, die Wiedergabe von Bild und Ton auch beim Empfang analoger Signale synchron erfolgt.

2. Zur Lösung dieses Problems dient ein Empfänger, der umfasst (abweichende Merkmalsgliederung des Patentgerichts in Klammern):

1. Mittel (1500, 1501) zum Empfang eines paketisierten Datenstroms, der gemultiplexte und komprimierte Datenpakete umfasst, wobei jedes dieser Pakete wenigstens einen Header und Nutzdaten aufweist; (1.2)

2. Mittel (1507, 1509) zum Unterteilen des paketisierten Datenstroms, um eine Video-Komponente und eine Audio-Komponente zu erzeugen; (1.4)

3. Mittel (1500) zum Empfangen eines analogen Signals; (1.3)

4. Mittel (1540, 1550, 1560) zur Verarbeitung des analogen Signals, um ein digitalisiertes Audio-Signal und ein digitalisiertes Video-Signal zu erzeugen; (1.5)

5. erste Mittel (1511) (1.6)

5.1 zur digitalen Signal-Verarbeitung und Dekompression der Video-Komponente des paketisierten Datenstroms (1.6.1)

5.2 und zur digitalen Signal-Verarbeitung des digitalisierten Video-Signals (1.6.2)

um ein Video-Ausgangssignal zu erzeugen; 6. zweite Mittel (1613) (1.7)

6.1 zur digitalen Signal-Verarbeitung und Dekompression der Audio-Komponente des paketisierten Datenstroms (1.7.1)

6.2 und zur digitalen Signal-Verarbeitung des digitalisierten Audio-Signals (1.7.2)

um ein Audio-Ausgangssignal zu erzeugen; 7. Mittel (1605, 1607) zur selektiven Verzögerung der Verarbeitung des digitalisierten Audio-Signals, um ein hörbares Audio-Signal mit einem anzeigbaren Video-Signal zu synchronisieren; (1.8)

8. Mittel (1519, 1523, 1525, 1529) um das Video-Ausgangssignal in das anzeigbare Video-Signal und das Audio-Ausgangssignal in das hörbare Audio-Signal umzusetzen. (1.9)

3. Eine solche Vorrichtung ist in der Lage, einerseits Fernsehsignale, die in der Form eines Stroms von Paketen komprimierter Daten ankommen, zu empfangen und in Video- und Audio-Komponenten aufzuteilen (Merkmale 1, 2), andererseits kann sie auch herkömmliche analoge Signale empfangen, aufteilen und verarbeiten (Merkmale 3, 4). Die Vorrichtung weist ferner Mittel auf, um aus den Video-Komponenten Video-Ausgangssignale und aus den Audio-Komponenten Audio-Ausgangssignale zu erzeugen (Merkmale 5, 6).

Nähere Angaben darüber, wie die ersten und zweiten Mittel nach Merkmalen 5 und 6 konkret ausgestaltet sind, lassen sich dem Streitpatent nicht entnehmen. Die Merkmale bezeichnen die ersten und zweiten Mittel als Vorrichtungselemente, die dazu in der Lage sind, ein Video- bzw. ein Audio-Ausgangssignal zu erzeugen, und sind damit funktional. Patentanspruch 1 lässt sich mithin, entgegen der Ansicht der Beklagten, nicht entnehmen, dass die ersten und zweiten Mittel so gestaltet sein müssen, dass es - insgesamt oder zumindest teilweise - die identischen Vorrichtungselemente, wie Schaltungen oder dergleichen, sein müssen, durch welche die bereits anfänglich digitalen wie auch die zunächst analogen und dann digitalisierten Video- und Audiokomponenten verarbeitet werden. Zwar zeigt das Ausführungsbeispiel eine solche Lösung in Figur 1 und der zugehörigen Beschreibung für beide Arten von Video-Komponenten auf, die jeweils dem Dekodierer 1511 zugeführt und dort verarbeitet werden. Im Wortlaut des Patentanspruchs 1 hat dies jedoch keinen Niederschlag gefunden. Hinsichtlich der Audio-Komponenten heißt es zudem in der Beschreibung, die anfänglich digitale Komponente werde der MPEG/AC-3-Audio-Verarbeitungsschaltung 1613 zugeführt (Abs. 25), während für die digitalisierte Komponente beschrieben wird, sie werde dem Steuerteil dieser Schaltung ("is provided to the control portion of audio MPEG/AC-3 processing circuitry") zugeführt. Dies weist darauf hin, dass die Mittel, mit denen die Audio- bzw. Video-Signale aus anfänglich digitalen und aus digitalisierten Komponenten erzeugt werden, nicht zwangsläufig dieselben sind.

Nach Merkmal 7 sind ferner Mittel vorgesehen, die selektiv die Verarbeitung des analog übermittelten und dann digitalisierten Audio-Signals verzögern. Die getrennte Verarbeitung von Video-Komponenten einerseits und Audio-Komponenten andererseits birgt die Möglichkeit, dass Bild und Ton auseinander laufen, was vom Zuschauer als störend empfunden wird. Mit einer selektiven Verzögerung ist gemeint, dass die Mittel es ermöglichen, gezielt gerade das zuvor nach Merkmal 4 bereitgestellte, digitalisierte Audio-Signal in seiner Relation zum Videosignal zu verzögern, also so gestaltet sind, dass die Verzögerung dieses Signals nicht notwendig gleichläuft mit der Verzögerung anderer Signale, insbesondere nicht mit der Verzögerung des digitalisierten Video-Signals. Die selektive Verzögerung des digitalisierten Audio-Signals dient dazu, auch bei der Wiedergabe von Video- und Audio-Signalen, die als analoge SDTV-Eingangssignale empfangen worden sind, eine Synchronisation von Bild und Ton zu gewährleisten. Diese Ausgangssignale werden anschließend in sichtbare bzw. hörbare Signale umgesetzt (Merkmal 8).

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

1. Die erteilte Fassung des Streitpatents gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.

Der Wortlaut von Anspruch 1, wonach Mittel zum selektiven Verzögern der Verarbeitung des digitalisierten Audiosignals (for selectively delaying the processing of the digitised audio signal) vorgesehen seien, umfasse sowohl die Einfügung einer Verzögerung in den Signalablauf an irgendeiner Stelle der signalverarbeitenden Vorrichtung als auch eine Verlangsamung des Verarbeitungsmittels selbst, etwa durch Reduzierung der Taktrate des Audioprozessors gegenüber derjenigen des Videoprozessors. In den ursprünglichen Anmeldeunterlagen (WO 99/35824 = NK12) sei aber die Verlangsamung des Verarbeitungsmittels selbst nicht offenbart. Dort sei lediglich von der Einfügung einer Verzögerung in die Audioverarbeitung (the insertion of a delay in the audio processing, s. NK12, S. 8, Z. 15 f.) die Rede. Dieser Formulierung entnehme der Fachmann - ein Diplomingenieur (FH) der elektrischen Nachrichtentechnik mit fachlicher Ausrichtung auf die Fernsehtechnik - unmittelbar und eindeutig nur, dass an irgendeiner Stelle in der signalverarbeitenden Vorrichtung eine Verzögerung in den Signalablauf eingefügt werde. Dagegen sei eine Verlangsamung des Verarbeitungsmittels selbst nicht offenbart. Für Anspruch 8 gelte entsprechendes.

In der Verwendung des Begriffs "Mittel zum selektiven Verzögern" (means for selectively delaying) liege dagegen keine unzulässige Erweiterung. Mit dem Begriff "selektiv" werde lediglich zum Ausdruck gebracht, dass nur das Audio-Signal - nicht aber das Video-Signal verzögert werde. Diese Verzögerung nur des Audio-Signals sei in der NK12 offenbart.

Eine unzulässige Erweiterung könne auch nicht darin gesehen werden, dass sich die Verzögerung allgemein auf das digitalisierte Audiosignal beziehe. Die Auffassung der Klägerin, NK12 offenbare lediglich eine Verzögerung eines weiterverarbeiteten PCM-Audiosignals treffe nicht zu. Aus der entsprechenden Stelle der NK12 (S. 8, Z. 12 bis 16) ergebe sich für den Fachmann, dass sich die Erforderlichkeit einer Verzögerung hinsichtlich des digitalisierten SDTV-Audio-Eingangssignals ergebe.

Sofern im weiteren Verlauf erläutert werde, dass ein PCM-gewandeltes Audiosignal dem Verzögerungsmittel 1607 zugeführt werde, liege darin keine Beschränkung des Offenbarungsgehalts.

2. Mit ihrem Hilfsantrag sei die Beklagte nicht ausgeschlossen. Sie habe nachvollziehbar dargetan, den Hinweis des Patentgerichts nach § 83 PatG missverstanden zu haben. Daher sei der nach Aufklärung des Missverständnisses in der mündlichen Verhandlung formulierte Anspruch nicht als verspätet zurückzuweisen.

Der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 8 nach dem Hilfsantrag sei auch zulässig. Durch die Einfügung der Worte "by insertion of a delay in the audio processing" habe die Beklagte die Patentansprüche auf das ursprünglich Offenbarte zurückgeführt.

3. Der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 8 nach dem Hilfsantrag beruhe jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die europäische Patentanmeldung 700 205 (NK5) offenbare bereits eine Vorrichtung, die sämtliche Merkmale des Gegenstands von Patentanspruch 1 bis auf das Merkmal 1.8 (hier: Merkmal 7) vorwegnehme. NK5 spreche auch bereits an, dass das Audio- und das Video-Signal synchronisiert werden müssten und erwähne, dass dies durch die in den Figuren mit der Bezugsziffer 312 bezeichnete DMA (direct memory access) geschehe. Die Auffassung der Beklagten, die entsprechende Stelle der NK5 ziele nur darauf, dass Audio-Signale und Video-Signale jeweils in sich synchronisiert werden müssten, sei nicht überzeugend. Dem Fachmann, dem bewusst sei, dass die Verarbeitung der digitalisierten Video-Daten längere Zeit in Anspruch nehme, weil die Datenmenge diejenige der Audio-Daten in der Regel deutlich übersteige, sei klar, dass er diese Laufzeitunterschiede ausgleichen müsse, um eine nutzerakzeptable Wiedergabe zu erzielen. Als geeignete Maßnahme sei ihm aus dem Stand der Technik, so aus den europäischen Patentschriften 604 035 (NK7) und 598 295 (NK8) sowie aus der europäischen Patentanmeldung 577 216 (NK9) bekannt gewesen, Mittel zur Verzögerung der Verarbeitung des Audio-Signals vorzusehen. Für den Fachmann habe es daher keiner erfinderischen Tätigkeit bedurft, diese einfache und vielfach angewendete Maßnahme auch bei der aus NK5 bekannten Empfängerschaltung umzusetzen. Da der Hilfsantrag enger gefasst sei als die Patentansprüche 1 und 8 nach dem Hauptantrag, sei auch dessen Gegenstand nicht patentfähig.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren im Ergebnis stand.

1. Die Annahme des Patentgerichts, der Gegenstand von Patentanspruch 1 und 8 beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung, trifft allerdings nicht zu.

a) Zutreffend hat das Patentgericht eine unzulässige Erweiterung verneint, soweit in Merkmal 7 von einer "selektiven" Verzögerung der Verarbeitung des digitalisierten Audio-Signals die Rede ist. Das Patentgericht hat sich ferner zu Recht nicht der Auffassung der Klägerin angeschlossen, die ursprünglichen Anmeldeunterlagen offenbarten nur eine Verzögerung jeglichen Audio-Signals, nicht jedoch eine Verzögerung gerade des digitalisierten (zunächst analogen) Audio-Signals. Auf die Ausführungen des Patentgerichts hierzu, denen der Senat beitritt, wird Bezug genommen.

b) Der Auffassung des Patentgerichts, die ursprüngliche Anmeldung offenbare nur eine Verzögerung des Signals, nicht jedoch eine vom Anspruchswortlaut mitumfasste Verzögerung durch Verlangsamung der Verarbeitung des Signals, vermag der Senat dagegen nicht zu folgen.

Der vom Patentgericht zitierten Passage der ursprünglichen Anmeldung (NK12, S. 8, Z. 12 bis 23) ist nicht zu entnehmen, dass sie eine verzögerte Verarbeitung ausschließt. In der Anmeldung ist nicht von einer Verzögerung des Signals die Rede, sondern von der Einfügung einer Verzögerung in die Signal-Verarbeitung. Die Passage ist funktional zu verstehen und enthält keine Festlegung darauf, wie die Verzögerung bewirkt wird. Dies bleibt vielmehr gerade offen. Damit ist auch die Möglichkeit umfasst, dass die Verarbeitung als solche verzögert wird. Dem entspricht es, dass in NK12, S. 8, Z. 25 ff. - das Urteil des Patentgerichts befasst sich nur mit Zeilen 12 bis 23 - davon die Rede ist, es bestehe alternativ die Möglichkeit, das PCM-verarbeitete Audio-Signal durch den parallelen IO (1603) für die Verzögerungs-Verarbeitung ("for delay processing") der Transporteinheit (1507) und dem RAM (1509) zuzuführen. Im folgenden Satz wird ausgeführt, dass bei dieser Alternative die Verzögerung durch den RAM erzielt wird. Das umfasst auch eine Verzögerung der Verarbeitung des Signals. Zudem entspricht es dem Sprachgebrauch der NK12, dass sämtliche Vorgänge, die sich innerhalb des mit dem Bezugszeichens 1513 bezeichneten MPEG/AC-3-Audio-Dekoders abspielen, als Verarbeitung der digitalisierten Audio-Komponente bezeichnet werden (NK12, S. 7, Z. 20 f.). Da die Verzögerungsmittel ("delay means", 1607) Bestandteil des Decoders (1513) sind, ist das, was mit der Audio-Komponente dort geschieht, im Sinne der Anmeldung als Verarbeitung des Signals anzusehen.

2. Die Berufung bleibt gleichwohl ohne Erfolg, weil das Patentgericht zu Recht angenommen hat, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch den Stand der Technik nahegelegt worden ist.

a) NK5 zeigt einen Empfänger, der bis auf Merkmal 7 sämtliche Merkmale eines Empfängers nach Patentanspruch 1 aufweist.

aa) Das Patentgericht hat im Einzelnen ausgeführt, dass der in NK5 erläuterte Empfänger die Merkmale 1 bis 4 und 9 von Patentanspruch 1 vorwegnimmt. Auf die zutreffenden Ausführungen des Patentgerichts, gegen die sich die Berufung nicht wendet, wird Bezug genommen.

bb) Die Berufung macht geltend, Merkmale 5 und 6 seien entgegen der Auffassung des Patentgerichts durch NK5 nicht vorweggenommen. Die Video-Komponente des paketisierten Datenstroms und das digitalisierte Video-Signal würden dort nicht durch dieselben, sondern durch unterschiedliche Mittel verarbeitet. Entsprechendes gelte für die Audio-Komponente des paketisierten Datenstroms und das digitalisierte Audio-Signal.

(1) Dieser Einwand ist unerheblich, weil Patentanspruch 1, wie oben unter I 3 ausgeführt, nicht zu entnehmen ist, dass die ersten und zweiten Mittel so gestaltet sein müssen, dass es - insgesamt oder zumindest teilweise - die gleichen Vorrichtungselemente, wie Schaltungen oder dergleichen, sind, durch die die bereits anfänglich digitalen wie auch die digitalisierten Video- und Audiokomponenten verarbeitet werden.

(2) Der Einwand wäre im Übrigen selbst dann nicht begründet, wenn Merkmale 5 und 6 - wie die Berufung meint - so zu verstehen wären, dass es zumindest teilweise die gleichen Vorrichtungen sein müssen, die beide Arten von Signalen verarbeiten.

Die Verarbeitung der Video-Komponente des paketisierten Datenstroms findet nach den Erläuterungen der NK5 zu Figur 1 in dem MPEG-Video-Modul 307 sowie anschließend im VRAM 310 und im endseitigen Prozessor 311 statt (NK5, Sp. 9, Z. 30 bis 33, Sp. 10, Z. 52 ff.). Die digitale Verarbeitung des im NTSC-Decoder 303 digitalisierten Video-Signals findet, wie Figur 30 zeigt, ebenfalls im VRAM 310 und im Back-End Prozessor 311 statt (NK5, ab Sp. 44, Z. 59). In Bezug auf die hier interessierenden Fragen unterscheidet sich der in Figur 30 gezeigte Empfänger nicht von dem in Figur 1 gezeigten Empfänger. Danach stellen der VRAM 310 und der Prozessor 311 erste Mittel dar, in denen sowohl die ursprünglich digitale Video-Komponente als auch die digitalisierte Video-Komponente digital verarbeitet werden, um ein Video-Ausgangssignal zu erzeugen. Der Prozessor 311 und die Bildröhre 317 bilden sodann die Mittel zur Umsetzung des Video-Ausgangssignals in das anzeigbare Videosignal im Sinne von Merkmal 8 (NK5, Sp. 42, Z. 24 ff., Sp. 45, Z. 1 ff.).

Die Verarbeitung der Audio-Komponente des paketisierten Datenstroms findet nach den Erläuterungen der NK5 zu Figur 1 in dem MPEG-Audio Modul 308 sowie anschließend im Verstärker 315 statt (NK5, Sp. 9, Z. 37 ff.; Sp. 10, Z. 52 ff., Sp. 42, Z. 35 ff.). Die digitale Verarbeitung des im NTSC-Decoder 303 digitalisierten Audio-Signals findet, wie aus Figur 30 ersichtlich, ebenfalls im Verstärker 315 statt. Danach ist der Verstärker 315 im Sinne von Merkmal 6 ein zweites Mittel, in dem sowohl die ursprünglich digitale Audio-Komponente als auch die digitalisierte Audio-Komponente digital verarbeitet werden, um ein Audio-Ausgangssignal zu erzeugen. Der Verstärker 315 und der Lautsprecher 316 bilden sodann die Mittel zur Umsetzung des Audio-Ausgangssignals in das hörbare Audio-Signal (Merkmal 8).

cc) Zutreffend hat das Patentgericht schließlich angenommen, dass NK5 Anspruch 1 nicht neuheitsschädlich trifft. Zwar ist dort in Sp. 45, Z. 10 ff. von einer Synchronisation von Video- und Audiosignal die Rede. Der Fachmann kann der NK5 jedoch nicht - jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig - entnehmen, dass hierfür Mittel vorzusehen sind, die eine selektive Verzögerung des digitalisierten Audio-Signals bewirken.

b) Auch der in der europäischen Patentanmeldung 766 462 (NK6) dargestellte Empfänger nimmt den Gegenstand von Patentanspruch 1 bis auf Merkmal 7 vorweg.

NK6 zeigt einen Empfänger für Fernsehsignale, der sowohl einen paketisierten Datenstrom empfangen kann, der gemultiplexte und komprimierte Datenpakete mit Header und Nutzdaten aufweist, als auch ein analoges Signal (NK6, Sp. 1, Z. 3 bis 13, Merkmale 1 und 3). Der paketisierte Datenstrom kann in eine Video- und eine Audio-Komponente aufgeteilt werden (Sp. 2, Z. 47 f., Merkmal 2). Der Empfänger ist auch in der Lage, das analoge Signal in ein digitales Signal zu konvertieren, das in Audio- und Video-Signale aufgeteilt wird (Sp. 1, Z. 24 bis 34, Sp. 16, Z. 24 bis 26, Merkmal 4).

Aus Figur 8 ist eine Ausführungsform ersichtlich, bei der Video-Komponente des paketisierten Datenstroms ebenso wie das digitalisierte Video-Signal in dem mit der Bezugsziffer 518 bezeichneten Mikroprozessor digital verarbeitet werden, um ein Video-Ausgangssignal zu erzeugen (Sp. 16, Z. 41 ff., Merkmal 5). Ein entsprechender Mikroprozessor ist auch in Figur 9A zu sehen (Sp. 17, Z. 12 ff.).

Die in NK6 dargestellte Vorrichtung weist, anders als die Berufung meint, auch Mittel auf, die die Audio-Komponente des paketisierten Datenstroms wie auch das digitalisierte Audio-Signal digital verarbeiten, um ein Audio-Ausgangssignal zu erzeugen. Diese Mittel sind zwar in NK6 nicht in Figuren dargestellt oder im Text ausdrücklich beschrieben. Eingangs der NK6 wird aber erläutert, dass aus Gründen der Vereinfachung jeweils nur die Video-Komponente dargestellt wird, für die Audio-Komponente jedoch Entsprechendes gilt. Der Einwand der Berufung, die Beschreibung beziehe sich an dieser Stelle (Sp. 1, Z. 30 ff.) nur auf Figur 1, nicht aber auf Figur 8, greift zu kurz. Ein solcher Hinweis findet sich in Sp. 2, Z. 48 ff. auch für Figur 2. Daraus und aus dem Umstand, dass sich sämtliche Figuren nur mit der Verarbeitung von Video-Signalen und ihrer Wiedergabe durch ein Display befassen, ist für den Fachmann unmittelbar und eindeutig offenbart, dass der Empfänger jeweils parallele Komponenten für die Verarbeitung von Audio-Signalen und ihre Wiedergabe durch Lautsprecher umfasst. Damit nimmt NK6 auch Merkmal 6 vorweg.

Schließlich weist der Empfänger Mittel zur Umsetzung des Video-Ausgangssignals in ein anzeigbares Video-Signal auf (Figur 8, Bezugszeichen 520 und 521 mit Sp. 17, Z. 2 bis 5). Wiederum gilt Entsprechendes für das Audio-Signal. Damit ist auch Merkmal 8 offenbart.

c) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist dem vom Patentgericht zutreffend bestimmten Fachmann, der entweder NK5 oder NK6 als Ausgangspunkt wählte, durch die NK7 nahegelegt.

Wie sich aus NK8 (Sp. 2, Z. 39 ff. und Sp. 6, Z. 33 ff.) und NK9 ergibt, gehörte es am Prioritätstag zum allgemeinen Fachwissen, dass es bei der getrennten Verarbeitung der Audio- und der Video-Komponente eines Fernsehsignals zu einer nicht synchronen Ausgabe kommen kann.

Auch NK7 befasst sich mit dem Problem, dass es bei Fernsehsystemen durch die Trennung in Audio- und Video-Kanal und den jeweils unterschiedlichen Aufwand zur Verarbeitung der Video- und Audio-Daten zu zeitlichen Differenzen zwischen Ton- und Bildwiedergabe kommen kann, die als Lippen-Synchronisierungs-Fehler bezeichnet werden. Zur Lösung dieses Problems beschreibt NK7 die Verwendung eines halbautomatischen Systems zur Synchronisation, das in Produktions- und Sendestudios, also bei der Produktion eines Fernsehsignals verwendet werden kann. Dazu ist vorgesehen, dass ein Bearbeiter die Möglichkeit hat, nach der Stellung der Lippen eines Sprechers auf dem Monitor Bewegungsvektoren zu erzeugen, die gemeinsam mit dem Tonkanal in einen Korrelationsprozessor eingegeben werden, um die zu programmierende Verzögerung zu bestimmen. Damit unterscheidet sich die dort vorgestellte Lösung von dem Gegenstand des Patentanspruchs 1. Die Synchronisierung erfolgt dort bei der Produktion des Fernsehsignals. Zudem handelt es sich nach der Beschreibung um ein halbautomatisches System, bei dem ein Bearbeiter steuernd eingreift.

Trotz dieser Unterschiede hatte der Fachmann, der mit dem dem Streitpatent zugrunde liegenden technischen Problem befasst war, am Prioritätstag Veranlassung, sich mit der NK7 zu befassen. Aus fachlicher Sicht ist deutlich, dass die mit der getrennten Verarbeitung von Video- und Audio-Komponenten eines Fernsehsignals einhergehenden Schwierigkeiten hinsichtlich der Synchronisation von Bild und Ton sowohl auf der Produktions- und Sendeseite als auch auf der Empfängerseite auftreten können. Dies sprach dafür, dass der Fachmann Lösungen, die für die Produktions- und Sendeseite entwickelt wurden, in den Blick nahm, um zu prüfen, ob sie auf die Empfängerseite übertragen werden können. Dem entspricht, dass in NK7 eingangs allgemein von Synchronisationsproblemen in Fernsehsystemen die Rede ist und - nicht nur für die Produktionsseite - ausgeführt wird, die unterschiedliche Verarbeitung im Audiokanal und Videokanal könne dazu führen, dass Ton und Bild nicht synchron seien (Sp. 1, Z. 3 bis 21). Das Patentgericht hat danach zu Recht angenommen, dass es im Vermögen des Fachmanns lag, die in NK7 für die Produktions- und Sendeseite vorgesehene Verzögerung der Komponente, deren Verarbeitung ansonsten schneller erfolgte, auf die Empfängerseite zu übertragen.

Der Einwand der Berufung, aus fachlicher Sicht sei eine Übertragung des in NK7 offenbarten Vorschlags nicht in Betracht gekommen, weil eine halbautomatische Bearbeitung der Signale zur Synchronisation von Ton und Bild auf der Empfängerseite ausscheide, ist nicht begründet. Die Übertragung etwa der in NK7 mit offenbarten Positionierung eines Rahmens um die Lippen eines Sprechers auf in einen Bildspeicher 18 geladenen und auf einem Monitor 20 angezeigten Videodaten durch eine Bedienperson mithilfe eines Joysticks o. Ä. zur Zuordnung von Bewegungsvektoren mag zwar für das im Streitfall zu lösende technische Problem nicht bedeutsam sein. Es liegt aber im fachmännischen Vermögen, die Nutzbarmachung einzelner Abschnitte aus einem Verfahren zu erwägen, auch wenn das Verfahren in seiner Gesamtheit technische Aspekte einschließt, die außerhalb der konkret gesuchten Problemlösung liegen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2013 - X ZR 145/10, juris Rn. 30). Insoweit beschreibt NK7 auch, dass, nachdem im Korrelationsprozessor 16 anhand eines Korrelationsalgorithmus gemäß Figur 2 eine Korrelation von bestimmten Bild- und Tondaten hergestellt worden ist, die erforderliche Verzögerung zwischen den Bild- und den Tondaten bestimmt wird und die Ausgangs-Ton- und Videokanäle durch Zuordnung von Verzögerungswerten synchronisiert werden. Das vermittelt dem Fachmann eine hinreichend konkrete Anregung dafür, Mittel zur selektiven Verzögerung der Verarbeitung des digitalisierten Audio-Signals vorzusehen, um ein hörbares Audio-Signal mit einem anzeigbaren Video-Signal zu synchronisieren. Patentanspruch 1 besagt lediglich, dass Mittel zur selektiven Verzögerung der Verarbeitung des digitalisierten Audio-Signals vorgesehen sind, enthält jedoch keine näheren Angaben dazu, wie diese Mittel ausgestaltet sind. Dass das Streitpatent sich zudem auf Anweisungen betreffend die Steuerung des Audio-Signals beschränkt, ist unerheblich, weil entsprechende Differenzierungen ebenfalls im Vermögen eines durchschnittlich vorgebildeten und bewanderten Fachmanns liegen.

3. Für das in Patentanspruch 8 unter Schutz gestellte Verfahren gelten die vorstehenden Erwägungen entsprechend.

4. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht hinsichtlich der Fassung der Patentansprüche 1 und 8 nach dem Hilfsantrag. Diese unterscheiden sich von der Fassung der Ansprüche nach dem Hauptantrag nur dadurch, dass angegeben wird, dass die selektive Verzögerung der Verarbeitung des digitalisierten Audio-Signals durch Einfügen einer Verzögerung in die Audio-Verarbeitung erfolgt. Sofern dies überhaupt einen sachlichen Unterschied begründet, rechtfertigt er jedenfalls keine andere Bewertung der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.

Gröning Hoffmann RinBGH Schuster kann wegen urlaubs- bedingter Ortsabwesenheit nicht unterschreiben.

Gröning Deichfuß Kober-Dehm Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 20.06.2012 - 5 Ni 57/10 (EP) -






BGH:
Urteil v. 26.06.2014
Az: X ZR 112/12


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/02659e5854bd/BGH_Urteil_vom_26-Juni-2014_Az_X-ZR-112-12




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