Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. März 2009
Aktenzeichen: 35 W (pat) 460/07
(BPatG: Beschluss v. 11.03.2009, Az.: 35 W (pat) 460/07)
Tenor
1.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
2.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin ist Inhaberin des am 10. Juli 2002 als Abzweigung der europäischen Patentanmeldung EP 1 418 894 mit Priorität aus der deutschen Anmeldung DE 101 41 650 vom 24. August 2001 angemeldeten und am 7. April 2005 unter der Bezeichnung
"Transdermales therapeutisches System mit Fentanyl bzw. verwandten Substanzen"
mit 28 Schutzansprüchen eingetragenen Gebrauchsmusters 202 21 161.
Die eingetragene Schutzanspruch 1 lautet:
"Transdermales Therapeutisches System (TTS) bestehend aus einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht, zumindest einer Fentanyl oder einen fentanylanalogen Wirkstoff enthaltenden Matrixschicht auf Basis von Polyacrylat und einer vor Gebrauch zu entfernenden Schutzschicht, dadurch gekennzeichnet, dass das Polyacrylat selbstklebend und ohne freie Carboxylgruppen ist, für den Wirkstoff eine Sättigungslöslichkeit zwischen 3 und 20 Gewichtsprozenten aufweist und dass der Wirkstoff ganz, jedoch zu mindestens 80 % in diesem Polymer molekulardispers gelöst vorliegt."
Wegen des Wortlauts der rückbezogenen, eingetragenen Ansprüche 2 bis 28 wird auf die Akten Bezug genommen.
Die Antragstellerinnen zu I und II haben mit den Schriftsätzen vom 14. September 2005 und 19. April 2007 die vollständige Löschung des Gebrauchsmusters beantragt und diese Anträge auf den Löschungsgrund der fehlenden Schutzfähigkeit gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 GebrMG gestützt.
Im patentamtlichen Löschungsverfahren hat die Antragsgegnerin das Gebrauchsmuster gemäß Hauptund Hilfsantrag mit Schutzansprüchen 1 bis 12 verteidigt. Die Gebrauchsmusterabteilung II hat mit Beschluss vom 5. September 2007 die Löschung des Gebrauchsmusters angeordnet. Sie hat das Gebrauchsmuster nach Hauptund Hilfsantrag mangels eines erfinderischen Schrittes für nicht schutzfähig gehalten und ihre Begründung u. a. auf die Druckschrift D8 WO 01/26705 A2 gestützt. Im Verlauf des Löschungsund Beschwerdeverfahrens sind u. a. noch die Entgegenhaltungen D1 EP0622075A1 D2 US3900610 D25 DE 195 27 925 A1 D26 WO 00/74661 A2 genannt worden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie verfolgt ihr Schutzbegehren mit dem mit Schriftsatz vom 7. März 2008 vorgelegten Hauptund Hilfsantrag weiter. Die Schutzansprüche 1 bis 11 gemäß Hauptantrag lauten:
1. Transdermales Therapeutisches System (TTS) bestehend aus
(a)
einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht, (b) einer Fentanyl enthaltenden Matrixschicht auf Basis von Polyacrylat und
(c)
einer vor Gebrauch zu entfernenden Schutzschicht, dadurch gekennzeichnet, dass das Polyacrylat selbstklebend und frei von Carboxylgruppen und lediglich aus (i) monomeren Estern von Alkoholen mit 1 bis 8 C-Atomen und Acrylsäure und/oder Methacrylsäure ohne freie funktionelle Gruppen, gegebenenfalls aus (ii) bis zu 20 Gew.-% solcher Ester mit einer Hydroxylgruppe als einziger freier funktioneller Gruppe, sowie gegebenenfalls aus (iii) bis zu 50 Gew.-% Vinylacetat hergestellt worden ist, und für Fentanyl eine Sättigungslöslichkeit zwischen 4 und 12 Gew.-% aufweist, und dass die fentanylhaltige Matrixschicht das Fentanyl, von dem mindestens 80 Gew.-% in molekulardispers gelöster Form vorliegen, in einer Konzentration an oder über dieser Sättigungslöslichkeit, jedoch zu mindestens 5 Gew.-% enthält.
2.
TTS gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die monomeren Ester (i) aus der Gruppe 2-Ethylhexylacrylat, n-Octylacrylat, Propylacrylat und noder iso-Butylacrylat oder den entsprechenden Methacrylaten und (ii) aus der Gruppe 2-Hydroxyethylacrylat oder -methacrylat ausgewählt sind.
3.
TTS gemäß Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das Polyacrylat für Fentanyl eine Sättigungslöslichkeit zwischen 5 und 10 Gew.-% aufweist.
4.
TTS nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Polymerketten im Polyacrylat mit freien Hydroxylgruppen durch mehrwertige Kationen oder reaktive Substanzen vernetzt sind.
5.
TTS gemäß Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Vernetzung durch Al3+, Ti4+ oder Melamin erfolgt ist.
6.
TTS gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass es als weitere Schicht zusätzlich eine Steuermembran enthält.
7.
TTS gemäß Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, dass es zusätzlich eine sich hautwärts auf der Steuermembran befindende selbstklebende Schicht zur Befestigung auf der Haut enthält.
8.
TTS gemäß Anspruch 6 oder 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Steuermembran aus einem Ethylen-Vinylacetat-Copolymer, zweckmäßig mit einem Vinylacetatanteil von bis zu 25 Gew.-%, oder einer mikroporösen Folie auf Basis von Polyethylen oder Polypropylen besteht und zweckmäßig eine Dicke zwischen 25 und 100, vorzugsweise zwischen 40 und 100 µm aufweist.
9.
TTS gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass die fentanylhaltige Matrixschicht zusätzlich die Permeationsrate durch menschliche Haut verbessernde Substanzen enthält, insbesondere Glykole und/oder solche, die zur Gruppe der Fettsäuren, Fettsäureester, Fettalkohole oder Glycerinester gehören.
10.
TTS gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass die fentanylhaltige Matrixschicht Substanzen enthält, die die Löslichkeit des Fentanyls in dieser Matrixschicht erniedrigen.
11.
TTS gemäß Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass die die Löslichkeit erniedrigenden Substanzen bei Raumtemperatur flüssige Kohlenwasserstoffe, insbesondere Dioctylcyclohexan oder flüssiges Paraffin, Kohlenwasserstoffharze, insbesondere Polypinenharze oder Polyethylenglykol oder Glycerin, sind.
Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet:
1. Transdermales Therapeutisches System (TTS) bestehend aus (a) einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht, (b) einer Fentanyl enthaltenden Matrixschicht auf Basis von Polyacrylat und (c) einer vor Gebrauch zu entfernenden Schutzschicht, dadurch gekennzeichnet, dass das Polyacrylat selbstklebend und frei von Carboxylgruppen und lediglich aus (i) monomeren Estern von Alkoholen mit 1 bis 8 C-Atomen und Acrylsäure und/oder Methacrylsäure ohne freie funktionelle Gruppen, gegebenenfalls aus (ii) bis zu 20 Gew.% solcher Ester mit einer Hydroxylgruppe als einziger freier funktioneller Gruppe, sowie gegebenenfalls aus (iii) bis zu 50 Gew.-% Vinylacetat hergestellt worden ist, und für Fentanyl eine Sättigungslöslichkeit zwischen 4 und 12 Gew.-% aufweist, und dass die fentanylhaltige Matrixschicht das Fentanyl, von dem mindestens 80 Gew.-% in molekulardispers gelöster Form vorliegen, in einer Konzentration über dieser Sättigungslöslichkeit, jedoch zu mindestens 5 Gew.-% enthält.
Die Ansprüche 2 bis 11 des Hilfsantrags sind mit denen gleicher Nummerierung des Hauptantrags identisch.
Hinsichtlich der Zulässigkeit des Anspruches 1 nach Hauptantrag vertritt die Antragsgegnerin die Ansicht, das Merkmal, wonach die Matrixschicht Fentanyl, .. "in einer Konzentration an oder über der Sättigungslöslichkeit" .. enthalte, sei ursprünglich offenbart. Dies habe auch die Gebrauchsmusterabteilung in ihrem Beschluss festgestellt. Sie ist ferner der Auffassung, auch im vorliegenden Fall müsse der Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung D1 im Hinblick auf die BGH-Entscheidung "Olanzapin" kritisch gewürdigt werden (vgl. Beschluss X ZR 89/07 Ls. a und b). Denn im Focus der Entgegenhaltung D1 stünden zwei thermisch labile Wirkstoffe, die chemisch nicht mit Fentanyl verwandt seien und die in besonders großer Menge eingesetzt würden. Auch hinsichtlich des Merkmals "frei von Carboxylgruppen" lasse die Entgegenhaltung keine Präferenz für solchermaßen charakterisierte Polyacrylate erkennen, insbesondere nicht im Zusammenwirken mit einem basischen Wirkstoff wie Fentanyl. Soweit die Entgegenhaltung D1 Bezug auf die Druckschrift D2 nehme sei festzustellen, dass sich letztere Druckschrift ausschließlich mit Polymeren auf einem anderen Anwendungsgebiet, nämlich der Herstellung eines Films, und nicht mit transdermalen therapeutischen Systemen beschäftige, so dass sie keine Anregung in Richtung auf die Ausgestaltung des TTS nach dem Streitmuster geben könne. Es gehe darin vielmehr lediglich um die chemische Zusammensetzung der Polymere. Desweiteren sei das Merkmal "Sättigungslöslichkeit" der Druckschrift D1 nicht zu entnehmen. Das Merkmal, wonach Fentanyl zu mindestens 80 Gew.-% in molekulardispers gelöster Form vorliege, beschreibe denn auch im Zusammenhang mit der Angabe der Sättigungslöslichkeitsuntergrenze von 4 Gew.-% und einer Menge von mindestens 5 Gew.-% enthaltenem Fentanyl ersichtlich ein übersättigtes TTS, für das ausweislich des Standes der Technik die Zugabe von Kristallisationsinhibitoren zwingend erforderlich sei; davon werde im beanspruchten TTS jedoch kein Gebrauch gemacht. Auch könne der weitere Stand der Technik kein Vorbild für die Schaffung eines bis an die Sättigungslöslichkeitsgrenze beladenen oder übersättigten TTS mit Fentanyl sein, da die Sättigungslöslichkeit immer im Zusammenhang mit einem bestimmten Wirkstoff zu sehen sei.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Löschungsbeschluss aufzuheben und das Gebrauchsmuster im Umfang der Ansprüche gemäß Hauptantrag und hilfsweise gemäß Hilfsantrag aufrecht zu erhalten.
Die Antragstellerin I beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, bzw. das Gebrauchsmuster 202 21 161 auch im Umfang der jetzt vorliegenden Anträge vollständig zu löschen.
Sie hält das Streitgebrauchsmuster in den jetzt verteidigten Fassungen nach Hauptund Hilfsantrag mangels eines erfinderischen Schrittes für nicht schutzfähig. Das Streitgebrauchsmuster nach Anspruch 1 des Hauptund Hilfsantrags beschreibe nichts anderes als ein TTS, welches durch eine willkürliche Zusammenstellung von Parametern gekennzeichnet sei, die dem Fachmann jeweils für sich bekannt seien und ihn lediglich anregten, die Polyacrylatmatrix bis an oder über die Sättigungslöslichkeitsgrenze mit dem Wirkstoff Fentanyl zu beladen.
Die Antragstellerin II beantragt, die Beschwerde der Gebrauchsmusterinhaberin und Beschwerdeführerin zurückzuweisen.
Sie macht darüber hinaus geltend, es gehöre zum allgemeinen Fachwissen eines Physikochemikers, dass nicht die absolut gelöste Menge eines Wirkstoffes in der Matrix entscheidend für dessen thermodynamische Aktivität sei, sondern vielmehr das Verhältnis von tatsächlicher Konzentration zur Sättigungskonzentration. Die thermodynamische Aktivität sei folglich bei einer Wirkstoffkonzentration an der Sättigungslöslichkeitsgrenze 1, bei untersättigten TTS <1 und entsprechend bei übersättigten >1. Insofern erschöpften sich die Angaben zur Sättigungslöslichkeit zwischen 4 und 12 Gew.-%, zur Menge von mindestens 80 Gew.-% molekulardispers gelöstem Fentanyl und zu dessen Konzentration von mindestens 5 Gew.% im Anspruch 1 in Bekanntem. Im Übrigen sei der Offenbarung des Streitgebrauchsmusters kein übersättigtes TTS zu entnehmen, da die Gebrauchsmusterinhaberin selbst im Lauf des patentamtlichen Löschungsverfahrens für die Polyacrylat/Fentanyl-Formulierungen 1 bis 4 Sättigungslöslichkeiten zwischen >16,4 und 6,8 Gew.-% angegeben habe und daher bei einer Wirkstoffkonzentration von 5 Gew.-% Fentanyl in den angegebenen Beispielen die Sättigungslöslichkeitsgrenze in keinem Fall erreicht werde.
Zum weiteren Vorbringen der Verfahrensbeteiligten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet, da der geltend gemachte Löschungsgrund der fehlenden Schutzfähigkeit (§ 15 (1) Nr. 1 GebrMG) besteht. Die Löschungsanträge waren mithin begründet.
1.
Das Streitgebrauchsmuster betrifft ein Transdermales Therapeutisches System (TTS), dessen Wirkungsprinzip, die transdermale Applikation, zur nichtinvasiven Einstellung und Aufrechterhaltung konstanter Blutkonzentrationen eines Opioids, wie Fentanyl und seiner Analogstoffe, steigende Bedeutung erlangt hat. Zunächst war ein sogenanntes Reservoirsystem mit Fentanyl als Wirkstoff auf dem Markt. Unter einem Resevoirsystem wird ein System verstanden, das den Wirkstoff in einer flüssigen oder gelförmigen Zubereitung in einem aus einer undurchlässigen Folie, die als Rückschicht dient, und einer wirkstoffdurchlässigen Membran geformten Beutel enthält, wobei die Membran zusätzlich mit einer Kleberschicht zur Befestigung des Systems auf der Haut versehen ist. Reservoirsysteme haben allerdings den Nachteil, dass im Falle einer Undichtigkeit des Reservoirbeutels die wirkstoffhaltige Reservoirfüllung großflächig mit der Haut in Kontakt kommt und der Wirkstoff in zu hohen Dosen resorbiert wird. Dies ist bei Fentanyl und seinen Derivaten sehr gefährlich, da eine Überdosierung sehr schnell zu Atemdepression und damit tödlichen Zwischenfällen führt (vgl. Streitgebrauchsmusterschrift, Seite 2, Abs. 0002 und 0003).
2.
Davon ausgehend liegt dem Streitgebrauchsmuster die Aufgabe zu Grunde, ein TTS mit Fentanyl bzw. Fentanylanalogen bereitzustellen, das dem Benutzer eine erhöhte Sicherheit gegen eine versehentliche Aufnahme von Überdosen bietet (vgl. Streitgebrauchsmusterschrift, Seite 2, Abs. 0004).
Gelöst werden soll diese Aufgabe gemäß Schutzanspruch 1 nach Hauptantrag durch ein TTS mit folgenden Merkmalen:
1.
Transdermales Therapeutisches System (TTS) bestehend aus 2.
einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht, 3.
einer Fentanyl enthaltenden Matrixschicht auf Basis von Polyacrylat 4.
und einer vor Gebrauch zu entfernenden Schutzschicht, dadurch gekennzeichnet, 5.
dass das Polyacrylat selbstklebend, 6.
frei von Carboxylgruppen 7.
und lediglich aus
(i)
monomeren Estern von Alkoholen mit 1 bis 8 C-Atomen und Acrylsäure und/oder Methacrylsäure ohne freie funktionelle Gruppen, gegebenenfalls aus
(ii)
bis zu 20 Gew.-% solcher Ester mit einer Hydroxylgruppe als einziger freier funktioneller Gruppe, sowie gegebenenfalls aus
(iii) bis zu 50 Gew.-% Vinylacetat hergestellt worden ist, 8.
und für Fentanyl eine Sättigungslöslichkeit zwischen 4 und 12 Gew.-% aufweist, 9.
und dass die fentanylhaltige Matrixschicht das Fentanyl, von dem mindestens 80 Gew.-% in molekulardispers gelöster Form vorliegen, 10.
in einer Konzentration an oder über dieser Sättigungslöslichkeit, jedoch zu mindestens 5 Gew.-% enthält.
3.
Der maßgebende Fachmann ist ein Pharmazeut oder Chemiker mit praktischer Erfahrung und speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Entwicklung von Wirkstoffpflastern, der -bei Besonderheiten die eingesetzten Polymerkleber betreffend -gegebenenfalls auf die Spezialkenntnisse eines Polymerchemikers zurückgreift.
4.
Die Frage der Zulässigkeit der Schutzansprüche 1 nach Hauptund Hilfsantrag wegen der Aufnahme des Merkmals, wonach Fentanyl in einer Konzentration an oder über der Sättigungslöslichkeit, jedoch zu mindestens 5 Gew.-% in der Matrixschicht enthalten ist, kann dahingestellt bleiben, weil das Gebrauchsmuster wegen mangelnder Schutzfähigkeit scheitert. Ein weiteres Eingehen hierauf erübrigt sich daher.
5.
Es kann ferner dahingestellt bleiben, ob das TTS des Streitgebrauchsmusters gemäß den Schutzansprüchen 1 nach Hauptund Hilfsantrag noch die erforderliche Neuheit aufweist, da es in der Fassung dieser Anträge nicht auf einem erfinderischen Schritt beruht.
5.1.Den nächst liegenden Stand der Technik beschreibt die Entgegenhaltung D1. Daraus ist ein TTS mit den Merkmalen 1 bis 4 des Schutzanspruchs 1 nach Hauptantrag bekannt, welches aus einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht besteht, als Wirkstoff Fentanyl in einer Matrixschicht auf Basis von Polyacrylat enthält und eine vor Gebrauch zu entfernende Schutzschicht aufweist (vgl. D1, Anspr. 1 und 7 i. V. m. S. 5 Z. 27 bis 36). Das Polyacrylat ist dem Merkmal 5 der vorstehenden Merkmalsgliederung entsprechend selbstklebend (Anspr. 1 i. V. m.
S. 4 Z. 6 bis 9 und S. 5 Z. 55 bis 57). Hinsichtlich der Monomere, die die Zusammensetzung des Polyacrylats charakterisieren, nimmt die Druckschrift D1 ausdrücklich Bezug auf die Entgegenhaltung D2 (S. 4 Z. 10 bis 14), aus deren Tabelle I Polyacrylate entnehmbar sind, die frei von Carboxylgruppen sind und aus (i) monomeren Estern von Alkoholen mit 1 bis 8 C-Atomen und Acrylsäure und/oder Methacrylsäure ohne freie funktionelle Gruppen, (ii) bis zu 20 Gew.-% solcher Ester mit einer Hydroxylgruppe als einziger freier funktioneller Gruppe und (iii) bis zu 50 Gew.-% Vinylacetat hergestellt worden sind, so dass auch die Merkmale 6 und 7 beschrieben sind (Sp. 5, Tab. I, Beispiele 7 und 8). Die Entgegenhaltung D1 gibt ferner an, dass Wirkstoffe wie Fentanyl in einer Konzentration zwischen 0,01 bis 65 Gew.-% in der Matrix enthalten sein können (S. 5 Z. 18 bis 26).
Das TTS nach Schutzanspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich demnach vom TTS der Entgegenhaltung D1 in Verbindung mit D2 dadurch, dass die Sättigungslöslichkeit für Fentanyl gemäß Merkmal 8 in D1 nicht angegeben ist, ferner dadurch, dass nicht zu entnehmen ist, ob mindestens 80 Gew.-% des Wirkstoffs in molekulardispers gelöster Form gemäß Merkmal 9 vorliegen, und dass nicht ausdrücklich erwähnt ist, ob Fentanyl in einer Konzentration an oder über der Sättigungslöslichkeit, jedoch mindestens zu 5 Gew.-% enthalten ist.
Diese Merkmale können den erfinderischen Schritt des TTS nach Anspruch 1 des Hauptantrags jedoch nicht begründen. Dem Fachmann war aus dem Stand der Technik bekannt, dass die Sättigungslöslichkeit eines Wirkstoffs im Polymer eine inhärente Eigenschaft des Polymers selbst ist und dass sie entscheidenden Einfluss auf den Umfang der Wirkstoffabgabe durch die Haut hat. Dies geht beispielsweise aus der Druckschrift D8 hervor, wobei für eine carboxylgruppenfreie Polyacrylatmatrix eine Sättigungslöslichkeit für Fentanyl zwischen 3 und 20 Gew.% angegeben ist (D8: S. 13 Z. 11 bis 13; S. 14 Z. 12 bis 14; S. 15 Z. 6 bis 15;
S. 16 Z. 13 bis 17 und S. 17 Z. 4 bis 17 i. V. m. Beisp. 1, S. 20 "Durotak" und Beisp. 4, S: 22 "Gelva 737"). Dass mit einem derartig aufgebauten TTS dem Benutzer eine erhöhte Sicherheit gegen eine versehentliche Aufnahme von Überdosen geboten wird, weil die kontinuierliche Abgabe des Wirkstoffs über längere Zeit durch eine Polyacrylatmatrix mit geeigneter Sättigungslöslichkeit für den Wirkstoff gesteuert wird, konnte der Fachmann mithin unzweifelhaft erwarten (D8: S. 5 Z. 18 bis S. 6, Z. 2). Auch das in D1 nicht expressis verbis beschriebene Merkmal 9, wonach mindestens 80 Gew.-% des Wirkstoffs Fentanyl in der Polymermatrix in molekulardispers gelöster Form vorliegen und der Wirkstoff in einer Konzentration an oder über der Sättigungslöslichkeit, jedoch mindestens zu 5 Gew.-% enthalten ist, kann den erfinderischen Schritt nicht begründen. Wie vorstehend ausgeführt, gibt die Entgegenhaltung D1 an, dass die Wirkstoffe in einer Konzentration zwischen 0,01 bis 65 Gew.-% in der Matrix enthalten sein können (S. 5 Z. 14 bis 26). Ausgehend von diesen Grenzen der Wirkstoffkonzentration und unter Berücksichtigung der aus der D8 bekannten Sättigungslöslichkeitsgrenzen einer Polyacrylatmatrix für Fentanyl konnte der Fachmann von vornherein davon ausgehen, dass die Entgegenhaltung D1/D2 auch zur Bereitstellung von TTS mit einer Beladung der Polyacrylatmatrix bis an ihre Sättigungslöslichkeitsgrenze oder auch darüber führt, bei denen dann auch die Bedingung des Merkmals 9 erfüllt ist, wonach mindestens 80 Gew.-% des Fentanyls in molekulardispers gelöster Form vorliegen. Unabhängig davon ist dem Fachmann die Beladung einer Polymermatrix bis an ihre Sättigungslöslichkeitsgrenze oder auch darüber aus seinem Fachwissen geläufig. Er kennt die Möglichkeit damit den Wirkstofffluss zu steuern (vgl. D8: S. 17 Z. 4 bis 10; D25: Sp. 1 Z. 53 bis 66). Ihm ist auch die Gefahr der Rekristallisation bei Übersättigung bewusst (vgl. D26: S. 3 letzt. Abs. bis S. 4 Abs. 3), so dass es angesichts dieses Standes der Technik keines erfinderischen Schrittes bedurfte, ausgehend von D1/D2 in Verbindung mit D8 zu einem TTS gemäß Schutzanspruch 1 des Hauptantrags zu gelangen.
Zwar hat die Antragsgegnerin hierzu vorgetragen, dass das Streitgebrauchsmuster im Unterschied zu den übersättigten TTS des Standes der Technik D26 gerade keinen Gebrauch von Kristallisationsinhibitoren mache, und es daher auf einem erfinderischen Schritt beruhe. Dieser Unterschied wird aber weder aus der Formulierung des Schutzanspruches 1 nach Hauptantrag ersichtlich, indem etwa die Zumischung von Kristallisationsinhibitoren, wie in D26 beschrieben, nicht ausgeschlossen ist, noch sind weitere Maßnahmen zur Verhinderung der Rekristallisation, wie etwa in D25 angegeben, ersichtlich (vgl. D26: S. 24 bis 26, Beisp. 2 bis 5 i. V. m. Tab. II bis III; D25: Anspruch 1 i. V. m. Sp. 2 Z. 19 bis 26).
Soweit die Antragstellerin weiter geltend gemacht hat, der Fachmann müsse im Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung D1 in Verbindung mit D2 sowohl Lücken füllen als auch Ergänzungen vornehmen, um ausgehend davon zum TTS des Streitmusters zu gelangen, kann ihr nicht gefolgt werden. Entgegen ihrer Ausführungen ist der Wirkstoff Fentanyl in D1 nämlich konkret benannt und der Offenbarungsgehalt der D1 daher nicht auf die zwei thermisch labilen Wirkstoffe Nitroglycerin und Estradiol beschränkt (Anspr. 7). Desweiteren beschränkt sich die Entgegenhaltung D1 ausdrücklich nicht auf die Einarbeitung großer Mengen eines Wirkstoffs in die Polymermatrix, z. B. 25 bis 45 Gew.-%, sondern zieht -wie die Antragsgegnerin II zutreffend eingewandt hat -auch eine Beladung der Matrix mit weitaus geringerer Wirkstoffmenge, für Estradiol z. B. zwischen 0,1 bis 4,5 Gew.%, in Betracht (S. 5 Z. 14 bis 17). Daran ändert auch der Einwand der Antragstellerin nichts, wonach die Selbstvernetzung der Polyacrylatmatrix der Entgegenhaltung D1 die Einarbeitung großer Mengen eines Enhancers gestatte oder erfordere, weil die Formulierung des Schutzanspruches 1 nach Hauptantrag dies ebenfalls nicht ausschließt.
Zu keiner anderen Beurteilung kann auch der Einwand der Antragsgegnerin führen, wonach sich die Druckschrift D2 nicht mit transdermalen therapeutischen Systemen beschäftige, da die Bereitstellung eines TTS bereits Gegenstand der Entgegenhaltung D1 ist, so dass es keiner weiteren Anregung durch die D2 hierzu bedurfte. Auch hinsichtlich des Merkmals "frei von Carboxylgruppen" ist nicht erkennbar, dass der Fachmann erfinderisch tätig werden musste, um zum beanspruchten TTS zu gelangen. Denn die Eignung carboxylgruppenfreier Polyacrylate zur Herstellung eines mit einem basisch wirkenden Wirkstoff, wie Fentanyl, beladenen TTS ist ihm -wie vorstehend erörtert -aus seinem Fachwissen bekannt (vgl. D8, Beispiele 1, 4 und Vergleichsbeispiel 2). Es waren im Ergebnis daher beim Lesen der Druckschrift D1 für den Fachmann weder Lücken zu schließen noch Ergänzungen vorzunehmen, um ausgehend von D1/D2 in Verbindung mit den Entgegenhaltungen D8, D26 zum TTS nach Anspruch 1 des Hauptantrags zu gelangen.
Das TTS nach Anspruch 1 des Hauptantrags ist daher mangels eines erfinderischen Schrittes nicht schutzfähig.
Die nachgeordneten Schutzansprüche 2 bis 11 werden von dem Löschungsausspruch zum Hauptantrag erfasst. Für diese Ansprüche ist ein eigenständiger schutzfähiger Gehalt nicht geltend gemacht worden und für den Senat im Hinblick auf die Entgegenhaltungen D1/D2 in Verbindung mit D8 und D26 auch nicht erkennbar.
5.2.Das Gebrauchsmuster ist auch mit den Schutzansprüchen 1 bis 11 des Hilfsantrags nicht schutzfähig. Das TTS des Schutzanspruches 1 nach Hilfsantrag beruht nämlich ebenfalls nicht auf einem erfinderischen Schritt.
Das TTS nach Hilfsantrag unterscheidet sich vom TTS nach Hauptantrag dadurch, dass lediglich noch die Ausführungsform eines fentanylhaltigen TTS beansprucht ist, bei der die Konzentration des Fentanyl über der Sättigungslöslichkeit von 4 bis 12 Gew.-%, jedoch mindestens bei 5 Gew.-%, liegt.
Für diese Alternative des TTS gelten die vorstehend zum Schutzanspruch 1 des Hauptantrags dargelegten Ausführungen in gleicher Weise.
Das TTS gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrag beruht daher ebenfalls nicht auf einem erfinderischen Schritt. Die nachgeordneten Schutzansprüche 2 bis 11 teilen das Schicksal des Schutzanspruchs 1.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2Satz1 und 2 PatG und i.V.m. §97Abs. 1 ZPO.
Müllner Dr.Proksch-Ledig Dr. Schuster Pr
BPatG:
Beschluss v. 11.03.2009
Az: 35 W (pat) 460/07
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