Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 13. November 2008
Aktenzeichen: L 16 KR 102/08

(LSG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 13.11.2008, Az.: L 16 KR 102/08)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16. Mai 2008 wird zurückgewiesen. Die auf Beitragserstattung gerichtete Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) in seiner Hauptbeschäftigung bei der Beigeladenen zu 2. im Hinblick auf die Bestellung zum Vorstand einer (Vermögensverwaltungs-)Aktiengesellschaft (AG) sowie - zweitinstanzlich - die Erstattung der seit dem 06.11.2003 eingezogenen RV-Beiträge.

Der am 00.00.1964 geborene Kläger sowie L A wurden am 06.11.2003 mit Beschluss des Aufsichtsrates zum Vorstand einer mit Urkunde Nr. 000 des Notars T in N am selben Tag gegründeten AG, der "F 00 AG", bestellt, und zwar für die Zeit vom 06.11.2003 bis zum 31.10.2008. Ohne dass eine Eintragung in das Handelsregister erfolgt war, wurde in der Hauptversammlung der "F 00 AG" am 16.01.2004 beschlossen, dass die Gründungsmitglieder aus der Gesellschaft in Gründung ausscheiden, der Kläger und L A - bei unveränderter Stellung als Vorstand - als Aktionäre eintreten, die Firma der Gesellschaft von "F 00 AG" in "N AG" geändert und der Sitz der Gesellschaft von N nach T verlegt wird (Urkunden Nrn. 00/2004 und 01/2004 des Notars C aus H). Gegenstand der Gesellschaft blieb weiterhin die Verwaltung eigenen Vermögens; das Gründungskapital lag bei 50.000 EUR, wobei für die Gründer die Verpflichtung zur Zahlung von einem Viertel des Ausgabewertes der Aktien (12.500 EUR) bestand. In der Hauptversammlung am 16.01.2004 wurde die Vorsitzende des Aufsichtsrates der "N AG" ermächtigt, mit den Vorstandsmitgliedern Anstellungsverträge zu schließen.

Am 26.02.2004 erfolgte die Eintragung der "N AG" in das Handelsregister bei dem Amtsgericht Duisburg.

Am 24.04.2004 beantragte der Kläger, der seit dem 01.05.2002 privat krankenversichert ist, bei der Beklagten als zuständiger Einzugsstelle die Feststellung, dass ab dem 06.11.2003 Versicherungsfreiheit in der RV bezüglich seiner Hauptbeschäftigung bei der Beigeladenen zu 2. bestehe. Zur Begründung verwies er darauf, dass er am 06.11.2003 zum Vorstand einer AG bestellt worden sei und diese Funktion weiterhin ausübe. Damit sei gemäß § 229 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI, eingefügt mit Wirkung zum 01.01.2004 durch Art. 1 Nr. 8 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 27.12.2003, Bundesgesetzblatt (BGBl) I 3013) ab dem 06.11.2003 kraft Gesetzes eine Befreiung in der RV bezüglich seiner Hauptbeschäftigung eingetreten.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29.04.2004 die begehrte Feststellung ab. Die RV-Pflicht für Vorstandsmitglieder einer AG sei durch Gesetz ausgeschlossen. Daher sei ein Antrag auf Befreiung nicht erforderlich.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.10.2004 wandte sich der Kläger dagegen, dass die Beklagte weiterhin in vollem Umfang Gesamtsozialversicherungsbeiträge bezüglich der Hauptbeschäftigung, also auch RV-Beiträge, einziehe. Dies erfolge im Hinblick auf seine, des Klägers, Bestellung zum Vorstand einer AG zu Unrecht. Die seit dem 06.11.2003 einbehaltenen RV-Beiträge seien zu erstatten.

Daraufhin wies die Beklagte mit weiteren Bescheid vom 09.11.2004 darauf hin, dass nach erfolgter gesetzlicher Klarstellung durch § 1 S. 4 SGB VI in der ab dem 01.01.2004 geltenden Fassung (s. o.) Vorstandsmitglieder einer AG nur noch in ihrer Vorstandstätigkeit und in konzernzugehörigen Beschäftigungen nicht rvpflichtig seien. Vorstandsmitglieder, die am 06.11.2003 bereits bestellt gewesen seien, seien auch weiterhin in Beschäftigungen außerhalb des Konzerns nicht rvpflichtig. Dieser Vertrauensschutz gelte allerdings nicht für Vorstände einer sog. "Missbrauchs-AG", die nur zur Umgehung der RV-Pflicht gegründet wurde. Hinweise, dass es sich nicht um eine tatsächlich am Markt agierende AG handele, seien z. B. die Überbesetzung der Vorstandsebene, ein geringes Grundkapital der AG oder die fehlende bzw. nur geringe Zahlung von Vorstandsbezügen. Die RV-Pflicht für Vorstandsmitglieder einer AG sei per Gesetz ausgeschlossen; ein Antrag auf Befreiung oder ein Bescheid der zuständigen Einzugsstelle sei nicht erforderlich. Eine Befreiung von der RV-Pflicht des Klägers in der Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) sei aus den o. g. Gründen nicht möglich. Hier unterliege dieser auch weiterhin der RV-Pflicht.

Zur Begründung seines gegen den Bescheid der Beklagten gerichteten Widerspruchs trug der Kläger vor, die Frage der RV-Pflicht für die Hauptbeschäftigung richte sich nicht nach § 1 S. 4 SGB VI in der ab dem 01.01.2004 geltenden Fassung, sondern es sei die Übergangsvorschrift des § 229 Abs. 1a SGB VI maßgeblich, die Vertrauensschutzgesichtspunkten Rechnung trage. Er, der Kläger, aber sei am Stichtag, dem 06.11.2003, Mitglied des Vorstands einer AG gewesen. Im Übrigen liege auch kein Missbrauchsfall vor. Es handele sich bei der "N AG" um eine "kleine" AG, die nur zu Beginn mit einer geringen Kapitaldecke ausgestattet sei. Zugleich forderte der Kläger erneut die Erstattung der seit dem 06.11.2003 zu Unrecht eingezogenen Beiträge zur RV.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Für den Kläger bestehe nach wie RV-Pflicht in der Hauptbeschäftigung. Die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des § 229 Abs. 1a SGB VI lägen nicht vor. Vielmehr verfüge die "N AG" lediglich über das gesetzliche Mindestkapital; die AG sei zur Verwaltung eigener Vermögenswerte gegründet worden und trete ansonsten am Markt nicht auf; der Kläger erhalte keine Vorstandsbezüge. Die Aufnahme der Vorstandstätigkeit diene daher in erster Linie der Umgehung der RV-Pflicht als Angestellter in seiner Haupttätigkeit und sei rechtsmissbräuchlich. Sie könne nicht zur RV-Freiheit in der Hauptbeschäftigung führen.

Zur Begründung seiner dagegen zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf am 22.08.2005 erhobenen Klage hat sich der Kläger auf seinen bisherigen Vortrag bezogen und ergänzend darauf hingewiesen, dass die Einheit der Rechtsordnung gebiete, die Vor-AG auch sozialversicherungsrechtlich der AG gleichzustellen.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 09.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2005 aufzuheben und festzustellen, dass er seit dem 06.11.2003 aufgrund seiner Tätigkeit als Vorstand der "N AG" nicht rentenversicherungspflichtig sei.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich zur Begründung auf den ihrer Auffassung nach rechtmäßigen angefochtenen Bescheid bezogen. Ergänzend hat sie vorgetragen, die Übergangsvorschrift beziehe sich nur auf solche Mitglieder einer AG, die am Stichtag, dem 06.11.2003, bereits in das Handelsregister eingetragen gewesen seien, nicht - wie vorliegend - auf eine Vor-AG.

Die Beigeladene, die keinen eigenen Antrag gestellt hat, hat sich der Rechtsauffassung der Beklagten angeschlossen und auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 09.08.2006 (Sozialrecht (SozR) 4-2600 § 229 Nr. 1) verwiesen.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 16.05.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger unterliege auch seit dem 06.11.2003 weiterhin der RV-Pflicht bezüglich der Hauptbeschäftigung. Die Übergangsvorschrift des § 229 Abs. 1a SGB VI sei mit dem BSG auf diesen nicht anwendbar, denn die "N AG" bzw. die Rechtsvorgängerin, die "F 00 AG" sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht in das Handelsregister eingetragen gewesen.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 13.06.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.07.2008 Berufung eingelegt. Er trägt vor, dass er ein (noch anhängiges) Parallelverfahren vor dem BSG (Az: B 12 KR 63/07 B) führe, in dem er verfassungsrechtliche Bedenken geltend mache, die auch auf den vorliegenden Fall zuträfen. Anerkannt sei, dass Beteiligten keine Nachteile aus dem Erfordernis staatlicher Mitwirkung erwachsen dürften, hier der Eintragung in das Handelsregister. Deshalb dürfe die Übergangsvorschrift des § 229a SGB VI nicht von verfahrensrechtlichen Zufälligkeiten in der Bearbeitung seitens staatlicher Behörden abhängen. Praktikabel im Sinne der Rechtsprechung des BSG sei im Übrigen auch das Abstellen auf den Gründungsvorgang der AG. Die Vor-AG werde ansonsten rechtlich wie eine - eingetragene - AG behandelt. Es sei nicht einsehbar, warum dies in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht anders sein solle.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Düsseldorf vom 16.05.2008 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 09.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2005 aufzuheben und festzustellen, dass er seit dem 06.11.2003 aufgrund seiner Tätigkeit als Vorstand der "N AG" nicht rentenversicherungspflichtig sei, und die Beklagte zur Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen für die Zeit ab dem 06.11.2003 zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das angefochtene Urteil als zutreffend.

Die Beigeladenen stellen keine eigenen Anträge.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakte Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die im Berufungsverfahren erhobene Klage ist unzulässig.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 09.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2005 und damit die Feststellung, ob der Kläger seit dem 06.11.2003 aufgrund seiner Tätigkeit als Vorstand der "N AG" in seiner Hauptbeschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) rvpflichtig ist. Die erstmals in der mündlichen Verhandlung am 13.11.2008 beantragte Beitragserstattung ist nicht im Wege der Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 SGG in das hiesige Verfahren einzubeziehen, denn die Beklagte hat dem nicht zugestimmt. Darüber hinaus hält der Senat die Klageänderung auch nicht für sachdienlich, weil dadurch ein weiterer, nach § 26 Abs. 2, Abs. 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zu beurteilender Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt würde. Außerdem wäre die geänderte Klage als unzulässig abzuweisen, weil es sich um eine Klageänderung im Berufungsverfahren handelt, für die es an der Zuständigkeit des Berufungsgerichts als erstinstanzliches Gericht fehlt, abgesehen davon, dass auch die Beklagte die wiederholten Anträge im Verwaltungsverfahren nicht beschieden hat. Auch bei einer während des Berufungsverfahrens vorgenommenen Klageerweiterung nach § 99 SGG müssen jedoch die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen, wozu auch die instanzielle Zuständigkeit nach § 29 SGG gehört, bei der erweiterten Klage vorliegen (vgl. dazu BSG, Urteile vom 31.07.2002, Az.: B 4 RA 3/01 R und B 4 RA 113/00 R, www.juris.de, LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.06.2008, Az.: L 3 R 1895/05; www.juris.de). Die auf Beitragserstattung gerichtete Klage ist daher als unzulässig abzuweisen gewesen.

Bezüglich der Feststellung der RV-Pflicht des Klägers in seiner Hauptbeschäftigung hat das SG zu Recht mit Urteil vom 16. Mai 2008 die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 09.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2005 ist rechtmäßig. Die gemäß § 28h Abs. 2 S. 1 SGB IV für die Entscheidung zuständige Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger auch über den 06.11.2003 hinaus aufgrund seiner Tätigkeit als Vorstand der "N AG" in seiner Hauptbeschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) rvpflichtig ist.

Der Bescheid ist nicht schon deshalb rechtswidrig und aufzuheben, weil der beigeladene Rentenversicherungsträger und der Arbeitgeber des Klägers in der Hauptbeschäftigung von der Einleitung des Verwaltungsverfahrens nicht benachrichtigt worden sind und sich am Verwaltungsverfahren infolgedessen nicht beteiligen konnten (§ 12 Abs. 2 S. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)). Danach ist ein Dritter auf Antrag als Beteiligter zu dem Verfahren hinzuzuziehen, wenn der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für ihn hat (Halbsatz 1); soweit er der Behörde bekannt ist, hat diese ihn von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen (Halbsatz 2). Die Beklagte hätte die Beigeladenen zu 1) und 2) von der Einleitung des Verwaltungsverfahrens benachrichtigen müssen; denn die beabsichtigte Entscheidung über die RV-Pflicht des Klägers in seiner Hauptbeschäftigung hat auch für sie rechtsgestaltende Wirkung. Der insoweit eingetretene Verfahrensfehler ist allerdings dadurch geheilt worden, dass die F GmbH und die Deutsche Rentenversicherung Bund zu dem gerichtlichen Verfahren beigeladen worden sind und keine eigenen Anträge gestellt haben (vgl. BSG, Urteil vom 25.04.2007, Az.: B 12 KR 30/06 R, www.juris.de m. w. N.).

Der Kläger ist in seiner Hauptbeschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) weiterhin nach § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI rvpflichtig. Er ist nicht wegen seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied der "N AG" am 06.11.2003 in dieser Beschäftigung von der RV-Pflicht ausgenommen.

Wie das BSG (Urt. vom 25.04.2007, a. a. O.) zutreffend ausgeführt hat, hat die Herausnahme von Mitgliedern der Vorstands einer AG aus der RV-Pflicht ihren rechtlichen Ursprung in § 3 Abs. 1a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), der durch Art. 1 § 2 Nr. 2 des Dritten RV-Änderungsgesetzes vom 28.07.1969 (BGBl I S. 956) mit Wirkung vom 01.01.1968 eingefügt worden war. Die damalige Regelung war als Reaktion auf die Aufhebung der für die Pflichtversicherung von Angestellten geltenden Jahresarbeitsverdienstgrenze zu verstehen. § 3 Abs. 1a AVG bestimmte für Vorstandsmitglieder einer AG, die bis 1968 im Hinblick auf die Höhe ihrer Vorstandsvergütungen regelmäßig nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen RV unterlegen hatten, dass sie nicht zu den versicherungspflichtigen Angestellten gehören. In Ergänzung hierzu legte § 2 Abs. 1a AVG fest, dass diese Personen auch nicht in anderen RV’en versicherungspflichtig seien. Den mit dem 3. RV-ÄndG eingefügten Vorschriften lag die Erwägung zugrunde (vgl. BSG, Urt. vom 25.04.2007, a. a. O. m. w. N.), dass bei Mitgliedern des Vorstandes einer AG wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung Schutz und Sicherheit durch die RV entbehrlich erscheine (vgl. BSG, Urt. v. 09.08.2006, SozR 4-2600 § 229 Nr. 1 m. w. N.). Diese Rechtslage galt unverändert bis zum 31.12.1991. Als Nachfolgevorschrift des § 3 Abs. 1a AVG bestimmte § 1 S. 3 (später S. 4) SGB VI (a. F.) für die Zeit vom 01.01.1992 bis zum 31.12.2003, dass Mitglieder des Vorstands einer AG jedoch nicht versicherungspflichtig seien. Die mit dem Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) vom 18.12.1989 (BGBl I. S. 2261) eingeführte Regelung brachte keine sachliche Änderung mit sich; denn nach der Gesetzesbegründung sollte mit ihr das bis dahin geltende Recht aufrecht erhalten bleiben (vgl. BT-Drucks. 11/5530 S. 40).

Mit Wirkung vom 01.01.2004 ist § 1 S. 4 SGB VI neu gefasst worden. Danach sind Vorstandsmitglieder einer AG "in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt, wobei Konzernunternehmen im Sinne des § 18 Aktiengesetz (AktG) als ein Unternehmen gelten" (§ 1 S. 4 SGB VI n. F.). Nach dieser Bestimmung bleiben Mitglieder des Vorstands weiterhin von der RV-Pflicht ausgenommen, jedoch - in Anlehnung an § 27 Abs. 1 Nr. 5 des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch (SGB III) - beschränkt auf die Beschäftigung als Vorstand und - bei weiteren Beschäftigungen - auf konzernzugehörige Beschäftigungen. Im Gesetzgebungsverfahren ist dazu erklärt worden, mit der Einschränkung solle Missbrauchsfällen begegnet werden, in denen AG’en nur zu dem Zweck gegründet würden, den Vorstandsmitgliedern dieser AG’en die Möglichkeit zu eröffnen, in weiteren - auch nicht konzernzugehörigen - Beschäftigungen bzw. selbständigen Tätigkeiten nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen RV zu unterliegen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und soziale Sicherung - 13. Ausschuss -, BT-Drucks. 15/1893 S. 12). Die Gesetzesänderung sollte für die Praxis klarstellend zum Ausdruck bringen, dass die Gründung einer solchen AG als Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten einzustufen und schon bei verfassungskonformer Auslegung des bisherigen Rechts unbeachtlich sei. Aus Gründen des Vertrauensschutzes (vgl. BT-Drucks. 15/1893 a.a.O.) hat der Gesetzgeber § 1 S. 4 SGB VI a. F. - ebenfalls mit Wirkung ab 01.01.2004 - die besondere Übergangsregelung des § 229 Abs. 1a SGB VI an die Seite gestellt (Art. 1 Nr. 8 des 2. SGB VI-ÄndG). Nach dessen S. 1 bleiben Vorstandsmitglieder einer AG, die am 06.11.2003 (Tag der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs des 2. SGB-ÄndG im Deutschen Bundestag) in einer weiteren Beschäftigung oder Tätigkeit nicht versicherungspflichtig. Eine Berufung auf die Übergangsregelung soll indessen ausgeschlossen sein, wenn es schon nach dem vor dem Stichtag anzuwenden Recht rechtsmissbräuchlich war, einen Ausschluss der RV-Pflicht anzunehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1893, a.a.O.).

Personen wie der Kläger, die am 06.11.2003 lediglich Mitglieder des Vorstandes einer Vor-AG waren, waren an diesem Tag in ihrer Beschäftigung nicht nach § 1 S. 4 SGB VI a. F. von der Versicherungspflicht ausgenommen. Die Übergangsregelung des § 229 Abs. 1a SGB VI ist deshalb nicht auf sie anwendbar. Zu den AG’en im Sinne des § 229 Abs. 1 S. 1 SGB VI i. V. m. § 1 S. 4 SGB VI a. F., aber auch nach § 1 S. 4 SGB VI n. F. gehören nur bestehende, d. h. in das Handelsregister eingetragene AG’en (§ 41 Abs. 1 S. 1 AktG), nicht aber Vor-AG’en, bei denen noch keine Eintragung in das Handelsregister vorliegt. Damit kommt es nicht darauf an, ob der Kläger im konkreten Einzelfall mit der Gründung einer AG und Bestellung zum Vorstand einen Missbrauch der bis zum 05.11.2003 geltenden Regelung des § 1 S. 4 SGB VI a. F. beabsichtigt hat, wovon die Beklagte in ihrer Argumentation zunächst ausgegangen ist. Bezüglich der Begründung, warum die Vor-AG nicht von § 229 Abs. 1a S. 1 SGB VI erfasst wird, bezieht sich der Senat nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage vollinhaltlich auf die beiden oben genannten Urteile des BSG vom 09.08.2006 und 27.04.2007 (a. a. O.). Die Rechtsfrage hat der erkennende Senat bereits vor dem oben genannten Urteil des BSG in gleicher Weise entschieden, vgl. Beschluss vom 18.07.2005, Az.: L 16 B 1/05 KR ER, www.sozialgerichtsbarkeit.de) und auch mit Urteil vom 11.06.2007 (Az.: L 16 KR 44/07, www.sozialgerichtsbarkeit.de; anhängig BSG, Az.: B 12 KR 63/07 B) bestätigt.

Der Argumentation des Klägers, es könne nicht vom zufälligen Zeitpunkt der Eintragung der AG in das Handelsregister abhängen, ob eine RV-Pflicht für Hauptbeschäftigungen außerhalb der AG bzw. des Konzerns entstehe, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Das BSG hat in den oben genannten Urteilen vom 09.08.2006 und 27.04.2007, wie dies auch der Auffassung des erkennenden Senats entspricht, deutlich gemacht, dass es nicht dem Arbeitgeber bzw. dem jeweiligen Versicherungsträger überlassen werden kann zu beurteilen, ob auch nur die Eintragungsfähigkeit der AG gegeben ist. Vielmehr bedarf es einer leichten Erkenn- und Überprüfbarkeit der Voraussetzungen, ob RV-Pflicht eingetreten ist. Diese sind zur Überzeugung des Senats ausschließlich dadurch gegeben, dass auf die tatsächliche Eintragung in das Handelsregister abgestellt wird. Im Übrigen ist im konkreten Fall des Klägers auch gar keine zeitliche Verzögerung bei der Eintragung der AG in das Handelsregister entstanden. Vielmehr ist der Antrag erst am 16.01.2004 bei dem Amtsgericht Duisburg gestellt worden.

Schließlich veranlasst auch das weitere Vorbringen des Klägers, ein Vergleich der von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze für die Vor-GmbH mit der Situation der Vor-AG spreche für die Übertragung dieser Grundsätze auch auf die Vorstände einer Vor-AG , zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Auch insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Entscheidungsgründe der o. g. Urteile des BSG vom 09.08.2006 und 27.04.2007, denen er sich auch insoweit vollinhaltlich anschließt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG hat nicht bestanden.






LSG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 13.11.2008
Az: L 16 KR 102/08


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