Verwaltungsgericht Lüneburg:
Urteil vom 17. April 2002
Aktenzeichen: 5 A 4/01
(VG Lüneburg: Urteil v. 17.04.2002, Az.: 5 A 4/01)
Bestehen hinreichend gewichtige Gründe für eine Rechtsberatung durch eine GmbH, so kann ihr unter Berücksichtigung des Art 12 Abs. 1 GG eine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz erteilt werden.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine GmbH mit Sitz in C. Gegenstand der Gesellschaft ist nach § 2 des Gesellschaftsvertrages die Erstellung von mathematischen Gutachten. Die beiden miteinander verheirateten Geschäftsführer der Klägerin sind zugleich ihre alleinigen Gesellschafter. Der Beklagte erteilte der Geschäftsführerin D mit Bescheid vom 16. Februar 1996 eine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz zur Rentenberatung für die betriebliche Altersversorgung und dem Geschäftsführer E mit Bescheid vom 2. September 1997 eine Erlaubnis als Renten- und Versicherungsberater für die betriebliche und berufsständische Altersversorgung.
Mit Schreiben vom 16. Juni 1998 bat der Geschäftsführer E der Klägerin den Beklagten um Zustimmung zur Abwicklung der Rechtsberatung durch die GmbH. Nachdem sich die vom Beklagten um Stellungnahme gebetene Rechtsanwaltskammer Celle und der Bundesverband der Rentenberater e.V. zu dem Antrag negativ geäußert hatten, führte der Geschäftsführer E mit Schreiben vom 27. Juni 1999 aus, dass es Ziel sei, die Tätigkeiten der Klägerin, die seiner Frau und seine eigenen Tätigkeiten unter dem Dach der GmbH zu organisieren. Im letzten Jahr habe das Finanzamt jeweils eigenständige Buchführungen für die GmbH, seine Frau, ihn selbst sowie für gemeinschaftliche Tätigkeiten seiner Frau und von ihm verlangt. Dies habe einen erheblichen Aufwand erfordert. Mit Schreiben vom 24. Oktober 2000 teilten beide Geschäftsführer der Klägerin mit, der Zulassungsantrag sei darauf gerichtet, der Klägerin das zu erlauben, was ihnen bisher als natürliche Personen erlaubt worden sei.
Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 17. November 2000 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bereits unklar sei, welchen konkreten Umfang die nunmehr für die GmbH beantragte Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz haben solle. Denn beiden Geschäftsführern seien Erlaubnisse mit unterschiedlichem Inhalt erteilt worden. Unabhängig davon könne der Antrag keinen Erfolg haben, weil juristische Personen regelmäßig von der geschäftsmäßigen Rechtsberatung ausgeschlossen seien. Die rechtsberatende Tätigkeit könne in der Regel nur auf der Grundlage eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Ratgeber und Ratsuchenden sachgerecht ausgeübt werden. Ein persönliches Vertrauensverhältnis zu einer juristischen Person könne aber nicht hergestellt werden. Nur wenn ausnahmsweise das persönliche Vertrauensverhältnis bei der Rechtsberatung von geringerem Gewicht sei wie beispielsweise bei einer Inkassotätigkeit, seien Mängel durch besondere Umstände in der Betriebsführung der juristischen Person leichter auszugleichen als in anderen Fällen der Rechtsberatung. Bei der von der Klägerin in Aussicht genommenen Renten-/Versicherungsberatung sei die Sachlage anders. Hier sei ein stärkeres Vertrauensverhältnis erforderlich, dessen Fehlen nicht durch besondere Umstände in der Betriebsführung ausgeglichen werden könne. Die Erteilung einer Rechtsberatungserlaubnis an eine GmbH für die Gebiete Rentenberatung/Versicherungsberatung komme deshalb nicht in Betracht. Daran ändere auch nichts, dass mittlerweile Rechtsanwälten erlaubt sei, ihre Berufstätigkeit im Rahmen einer GmbH auszuüben. Für die Rechtsanwalts-GmbH bestünden besondere Regelungen, auf die sich die Klägerin nicht berufen könne.
Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein und machte geltend, dass es in ihrem Falle nicht um die Zulassung einer "normalen" GmbH gehe. Sie habe im Gesellschaftsvertrag die Kriterien eines Kammerberufs nachgebildet einschließlich der erforderlichen beruflichen Qualifikation ihrer Inhaber und Geschäftsführer.
Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2001 unter Vertiefung der Begründung des Ausgangsbescheides zurück.
Die Klägerin hat am 9. Februar 2001 Klage erhoben. Sie macht geltend, dass sie nicht anonym tätig werden könne. Das ergebe sich aus der wissenschaftlichen und freiberuflichen Tätigkeit, die strikt personengebunden sei, und habe seinen Niederschlag auch im Gesellschaftsvertrag gefunden. Soweit das Rechtsberatungsgesetz ihrem Begehren entgegen stehe, verstoße es gegen höheres Recht und sei nichtig.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 17. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle vom 22. Januar 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz zur Rentenberatung für die betriebliche Altersversorgung zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 17. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle vom 22. Januar 2001 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der von ihr beantragten und im Klageverfahren hinreichend präzisierten Erlaubnis zur Rentenberatung für die betriebliche Altersversorgung (§ 113 Abs. 5 VwGO).
15Nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Rechtsberatungsgesetz (RBerG) bedarf die geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließlich der Rechtsberatung und der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Nach Satz 2 Nr. 1 wird die Erlaubnis u.a. für den Sachbereich Rentenberatung erteilt. Aus § 3 der 1. Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatungsgesetzes (1. AVO RBerG) ergibt sich, dass die Erlaubnis auch juristischen Personen, offenen Handelsgesellschaften und ähnlichen Vereinigungen erteilt werden kann. Nach § 10 Abs. 1 der 1. AVO RBerG soll sie juristischen Personen, insbesondere Gesellschaften mit beschränkter Haftung, nur erteilt werden, wenn besondere Umstände für diese Rechtsform der Betriebsführung sprechen. Der grundsätzliche Ausschluss der juristischen Personen von der Rechtsberatung beruht darauf, dass die rechtsberatende Tätigkeit in der Regel ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Ratgeber und Ratsuchenden erfordert, das regelmäßig nur zwischen natürlichen Personen bestehen kann. Die in der Regelung geforderten besonderen Umstände sollen den Mangel an persönlichem Vertrauen ausgleichen, d.h. juristische Personen sollen nur als Rechtsberater tätig werden, wenn das Fehlen des persönlichen Vertrauensverhältnisses durch andere, für das Tätigwerden gerade einer juristischen Person sprechende Umstände aufgewogen wird. Bei der Prüfung der besonderen Umstände soll nur auf objektive Gesichtspunkte abgestellt werden und nicht etwa darauf, ob wirtschaftliche und unternehmensplanerische Überlegungen es nahe legen, dass ein bestehendes Handelsunternehmen seinen Tätigkeitsbereich auf Rechtsberatung bzw. -besorgung ausdehnt (vgl. BVerwG, Urteil v. 6.8.1959, NJW 1959, 1986, und Beschluss v. 29.10.1984, Rbeistand 1984, 211; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 28.8.1986, Rbeistand 1986, 181; Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Aufl., § 10 1. AVO Rdnrn. 2 ff; Caliebe in Seitz, Inkassohandbuch, 3. Aufl., Rdnrn. 1267 ff).
16Das grundsätzliche Verbot nach § 10 Abs. 1 der 1. AVO RBerG führt zu einem Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Vorschrift stellt zwar eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Berufsausübungsregelung dar, weil ihr die sachgerechte und vernünftige Erwägung des Verordnungsgebers zugrunde liegt, geschäftsmäßige Rechtsbesorgung ohne ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Ratsuchendem und Raterteilendem auszuschließen (BVerfG, Beschluss v. 2.11.1995, Rbeistand 1986, 6; BVerwG, a.a.O.; zweifelnd: Rennen/Caliebe, a.a.O., Rdnr. 8, und Caliebe in Seitz, a.a.O.). Aus dem Eingriffscharakter der Norm folgt zugleich aber auch, dass das Verbot im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen muss. Deshalb dürfen an den Begriff der besonderen Umstände keine überzogenen Anforderungen gestellt werden etwa dergestalt, dass sich die Betriebsführung in der Rechtsform einer bestimmten juristischen Person geradezu aufdrängt oder zwingend erscheint. Eine derartige Bedingung, die die Klägerin nicht erfüllt, würde faktisch zu einem Leerlaufen des § 3 Abs. 1 der 1. AVO RBerG führen, was nicht gewollt sein kann, und wäre mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Die Regelung in § 10 Abs.1 der 1. AVO RBerG ist - unter Beachtung ihres Ausnahmecharakters - verfassungskonform dahin auszulegen, dass "besondere Umstände" dann vorliegen, wenn gewichtige, nicht von der Hand zu weisende Gründe für die Betriebsführung durch die juristische Person sprechen, mit anderen Worten das Verbot im Einzelfall zu einem unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff führen würde.
17Nach diesen Maßstäben hat das Begehren der Klägerin Erfolg. Sie hat hinreichend gewichtige Gründe dargetan, die für die Erteilung der von ihr begehrten Erlaubnis für die Rentenberatung in der betrieblichen Altersversorgung sprechen. Die beiden einzigen Geschäftsführer der Klägerin sind bereits Inhaber einer entsprechenden Erlaubnis, so dass die Klägerin auf die vorhandene Sachkunde bei der Rentenberatung jederzeit in dem erforderlichen Maße zurückgreifen kann. Sie sind auch die einzigen Gesellschafter, so dass die Gefahr einer unqualifizierten Einflussnahme auf die in Betracht kommenden Ausübungsberechtigten nach § 10 Abs. 1 der 1. AVO RBerG - also wiederum sie selbst - als gering einzuschätzen ist. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits 1992 gegründet worden ist und sich mit ihrer Haupttätigkeit am Markt etabliert hat. Wie sich den Unterlagen zum Antrag der Klägerin und den vorangegangenen Antragsverfahren der beiden Geschäftsführer entnehmen lässt, befasst sich die Klägerin im Wesentlichen mit finanzmathematischen Begutachtungen. Die Geschäftsführerin {F.} hat die Geschäftstätigkeit der Klägerin mit Schreiben vom 27. Dezember 1994 dahin beschrieben, dass sie sich mit aktuellen Tätigkeiten befasse wie das Erstellen von mathematischen Gutachten über Pensionsrückstellungen, die Teilnahme an Wirtschaftsprüfungen von Versicherungsgesellschaften und Prognoseberechnungen. Der Geschäftsführer {E.} hat das Tätigkeitsfeld der Klägerin mit Schreiben vom 6. März 1997 dahin geschildert, dass sie sich in der Regel im Auftrag von Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern mit Themen aus der Wirtschaftsprüfung und der Rechnungslegung, insbesondere mit Berechnungen und Prüfungen bestimmter Bilanzpositionen (Rückstellungen) sowie mit der Abschlussprüfung großer Versicherungsgesellschaften und Versorgungswerke beschäftige. Beide Geschäftsführer haben übereinstimmend erklärt, dass die Rentenberatung als eher untergeordnet zu betrachten sei und im Wesentlichen nur dann relevant werde, wenn sich die zuvor geschilderten Gutachten und Berechnungen auch auf Fragen der Altersversorgung erstrecken. Der von der begehrten Rechtsberatungserlaubnis umfasste Tätigkeitsbereich dürfte deshalb im Verhältnis zur Haupttätigkeit der Klägerin, die ohnehin von der Fachkunde ihrer Geschäftsführer geprägt ist, kaum ein Mehr an Vertrauen zwischen der Klägerin und ihren jeweiligen Auftraggebern voraussetzen. Stellt man auf das zu schützende Vertrauensverhältnis zwischen Ratsuchendem und Ratgeber ab, so bestehen im Falle der Klägerin keine Bedenken gegen die Erlaubnis, weil die Klägerin sich als "Kleinst-GmbH" die Fachkunde ihrer beiden Gesellschafter/Geschäftsführer in besonderem Maße zu eigen machen und das in die Gesellschafter gesetzte persönliche Vertrauen zurechnen lassen kann.
Dass für andere freie Berufe, insbesondere für Rechtsanwälte, inzwischen Regelungen über die Berufsausausübung in der Rechtsform einer GmbH geschaffen worden sind, steht der Erteilung der Erlaubnis an die Klägerin nicht entgegen, sondern spricht im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz für die Erlaubniserteilung. Durch die Regelungen in §§ 59 c ff BRAO hat der Verordnungsgeber sichergestellt, dass die Rechtsanwalts-GmbH sich von einer "normalen" Kapital-GmbH unterscheidet und es sich um eine berufsbezogene GmbH handelt. Hierauf hat der Beklagte zutreffend hingewiesen. Das Rechtsberatungsgesetz und die dazu ergangenen Ausführungsverordnungen enthalten zwar keine näheren Bestimmungen über die Zulassung einer "Rechtsberatungs"-GmbH. Wie sich aus der zuvor geschilderten Ausrichtung der Klägerin auf die Berufstätigkeit ihrer beiden Geschäftsführer ergibt, ist die Klägerin jedoch de facto als eine berufsbezogene GmbH organisiert. Dies rechtfertigt es, besondere Umstände im Sinne von § 10 der 1. AVO RBerG für gegeben zu erachten und der Klägerin als GmbH Rentenberatung unter vergleichbaren Voraussetzungen zu ermöglichen wie Rechtsanwälten die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwalts-GmbH. § 6 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages der Klägerin, wonach die Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern weisungsabhängig sind, steht dem nicht entgegen. Die Gefahr einer fachlich unqualifizierten Einflussnahme auf die erstrebte Rentenberatung ist im Hinblick auf die vorhandene Personenidentität von Gesellschaftern, Geschäftsführern und die zur Rechtsberatung Berufenen eher theoretischer Natur. Sie könnte jedenfalls durch Bestimmung der zur Rechtsberatung befugten Personen gemäß § 3 AVO RBerG oder durch eine entsprechende Auflage nach § 2 Abs. 2 der 1. AVO RBerG und damit durch ein milderes Mittel als die Versagung der Erlaubnis beseitigt werden. Gleiches gilt, soweit der Beklagte in Anlehnung an § 59 j BRAO den Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung mit einer bestimmten Mindestversicherungssumme für erforderlich halten sollte. Auch hierzu könnte eine entsprechende Auflage verfügt werden.
VG Lüneburg:
Urteil v. 17.04.2002
Az: 5 A 4/01
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