Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Juli 2001
Aktenzeichen: 17 W (pat) 34/00
(BPatG: Beschluss v. 19.07.2001, Az.: 17 W (pat) 34/00)
Tenor
Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluß der Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. März 2000 aufgehoben.
Das Patent 44 00 484 wird in beschränktem Umfang mit folgenden Unterlagen aufrechterhalten:
Patentansprüche 1 bis 13, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Beschreibung und Figuren, gemäß Patentschrift DE 44 00 484 C2.
Gründe
I.
1. Auf die am 11. Januar 1994 beim Deutschen Patentamt eingegangene Patentanmeldung P 44 00 484.2-34, wurde unter der Bezeichnung
"Niederspannungsschaltgerät"
am 16. Juli 1997 durch Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse H01H das Patent erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 11. Dezember 1997.
Nach Prüfung eines für zulässig erachteten Einspruchs der S...GmbH & Co in W... hat die Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und Marken- amts mit Beschluß vom 20. März 2000 das Patent wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit widerrufen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Sie verteidigt das Patent gemäß Hauptantrag mit folgendem Patentanspruch 1 (Gliederung hinzugefügt):
1. Niederspannungsschaltgerät (1)
1.1 mit einem einen Innenraum (28) umschließenden zweigeteilten, einen Bodenteil (31) und einen Kappenteil (32) aufweisenden Gehäuse (2), das eine zur Befestigung an einer Schiene eingerichtete Rückseite (3), zwei im Abstand parallel zueinander liegende Seitenflächen (4, 5), zwei im Abstand parallel zueinander liegende Anschlußseiten (14, 15), die zu den Seitenflächen (4, 5) rechtwinklig stehen sowie eine Bedienseite (17) aufweist, 1.2 mit wenigstens einer in dem Innenraum (28) im wesentlichen parallel zu der Anschlußseite (14) angeordneten Leiterplatte (29), die in dem Gehäuse (2) durch eine Halteeinrichtung (36) ortsfest gehalten ist, 1.3 mit einem elektrisch isolierenden Formkörper (38), der einen an der Leiterplatte (29) stirnseitig anliegenden Vorsprung und eine an der Leiterplatte anliegende Anlagefläche (45) aufweist, die gegen den Vorsprung zurückversetzt ist, 1.4 mit in dem Formkörper (38) angeordneten Schraubklemmen (39), die jeweils eine Klemmöffnung (43), eine rechtwinklig zu dieser stehende Klemmschraube (42) sowie wenigstens einen parallel zu der Klemmöffnung (43) angeordneten Lötstift (44) aufweisen, wobei wenigstens einige Lötstifte (44) mit der Leiterplatte verlötet sind, 1.5 mit in den Anschlußseiten (14, 15) vorgesehenen Anschlußöffnungen (21, 22), durch die die Klemmöffnungen (43) der Schraubklemmen (39) von außen zugänglich sind und 1.6 mit in der Bedienseite (17) vorgesehenen Öffnungen (23, 24), durch die die Klemmschrauben (42) der Schraubklemmen (39) betätigbar sind, 1.7 wobei der Formkörper (38) Einrichtungen (49, 50, 51) zur ortsfesten Befestigung in dem Gehäuse (2) aufweist und das Gehäuse (2) Mittel zur ortsfesten Halterung des Formkörpers (38) aufweist.
Wegen der abhängigen Ansprüche 2 bis 13 wird auf die Akte verwiesen.
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, daß er zusätzlich die Merkmale des erteilten Anspruchs 14 enthält. Letzterer lautet:
"Niederspannungsschaltgerät nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß das Gehäuse einen Kappenteil (32) und einen Bodenteil (31) aufweist, wobei alle Anschlußöffnungen (21, 22) und Öffnungen (23, 24) in dem Kappenteil vorgesehen sind."
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, daß an diesen angefügt ist
"und alle Anschlußöffnungen (21, 22) und Öffnungen (23, 24) in dem Kappenteil vorgesehen sind sowie die Mittel zur ortsfesten Halterung des Formkörpers (38) in dem Kappenteil (32) enthalten sind".
2. Die beschwerdeführende Patentinhaberin macht geltend, beim Patentgegenstand gehe es um ein Niederspannungsschaltgerät, wie es in Verteiler- und Steuerschränken verwendet würde. In diesen müßten zahllose Drähte auf engem Raum zusammengefaßt und verklemmt werden. Dabei müsse die Andruckkraft des Schraubendrehers von den Bauteilen des Schaltgeräts aufgenommen werden, was bei Leiterplatten, mit denen die Schraubklemmen verlötet seien, Probleme bereite. Streitpatentgemäß würden diese dadurch gelöst, daß die Klemmeinrichtung mit einem Isolierstoffkörper versehen sei, der sich nicht Ñ wie im Stand der Technik Ñ direkt am Gehäuse, sondern an der Leiterplatte abstütze. Die auftretenden Kräfte würden von dieser in Längsrichtung aufgenommen und auf den Boden des zweigeteilten Gehäuses übertragen. Zu diesem Zweck weise der Klemmen-Formkörper an der der Leiterplatte zugekehrten Seite eine Stufe und eine Rücksprungsfläche auf. Mit der Rücksprungsfläche liege die Schraubklemmeinrichtung auf der Flachseite der Leiterplatte an, während die Stufe das Widerlager für deren Stirnseite bilde.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent 44 00 484 C2 in beschränktem Umfang mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
Patentansprüche 1 bis 13, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Beschreibung und Figuren gemäß Patentschrift DE 44 00 484 C2, hilfsweisemit einem Patentanspruch 1, der zusätzlich zum Hauptantrag die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 14 enthält, Patentansprüche 2 bis 12 und übrige Unterlagen wie Hauptantrag (Hilfsantrag 1), weiter hilfsweisemit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen 1 bis 12 gemäß 2. Hilfsantrag, übrige Unterlagen wie Hauptantrag (Hilfsantrag 2).
Die Einsprechende stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie stützt ihr Vorbringen auf die Druckschrift
[1] eltrotec-Katalog "Kleingehäuse für die Elektronik im Schaltschrank" ,S 1 - 12 und Rückseite, März 1990 sowie auf Prospektblätter aus einer Loseblattsammlung der Fa. ERNI,
[2] ERNI-Nr. 9302 "Klemmengehäuse, Serie LDG-A-14...70,Prinzip, Aufbau und Montage, Druckvermerk "6/93";
[3] ERNI-Nr. 9302 "Erweiterungen zu Gehäuse Serie LDG-A", Druckvermerk "Stand 12/93";
[4] ERNI-Nr. 9302 "Klemmengehäuse Serie LDG-A-12 Prinzip, Aufbau und Montage, Druckvermerk "6/93".
Sie ist der Auffassung, der Patentgegenstand sei durch die Firmenschriften [1] bis [4] vorweggenommen, zumindest fehle es an einem erfinderischen Überschuß über diesen Stand der Technik. Auch die bekannten Gehäuse seien im Sinne des Patentanspruchs 1 "zweiteilig" und hätten die gleichen Montagevorteile wie der Streitpatentgegenstand. Was das Merkmal "Vorsprung" anbelange, so werde dessen Funktion beim Stand der Technik gleichwirkend durch eine Querplatine wahrgenommen. Die von der Patentinhaberin vorgetragenen Besonderheiten kämen im Wortlaut des geltenden Patentanspruchs 1 jedenfalls in keiner Weise zum Ausdruck.
II.
Die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig und hat im eingeschränkten Umfang des Hauptantrags Erfolg, weil dessen Patentanspruch 1 die Kriterien der Patentfähigkeit gemäß §§ 1 bis 5 PatG erfüllt.
1. Der Fachmann, ein mit Konstruktionsaufgaben im Schalterbau betrauter Techniker, entnimmt dem angegriffenen Patent ein "Niederspannungsschaltgerät", dessen Klemmengehäuse mit der Rückseite an einer Schiene im Verteilerkasten befestigt wird. In zwei an die Rückseite anschließenden, zueinander parallelen Seiten sind Öffnungen vorgesehen, in die Drähte einführbar sind, die in Schraubklemmen befestigt werden, wobei die zugehörigen Klemmschrauben über stirnseitige Öffnungen ("Bedienseite") im Gehäuse zugänglich sind und von dort aus mit dem Schraubendreher angezogen werden.
Die Schraubklemmen selbst sitzen in einem Formkörper und sind über parallel zu den für das Einführen der Drähte vorgesehenen Öffnungen ausgerichtete Lötstifte mit einer Platine verlötbar. Der Formkörper liegt einerseits an der parallel zur Richtung der Klemmschrauben ausgerichteten flachen Seite dieser Platine an und stützt sich andererseits mit einer aus der Auflagefläche vorspringenden Stufe stirnseitig an ihrer Kante ab, die somit die beim Anziehen der Schrauben ggfs auftretenden Kräfte in ihrer Längsrichtung aufnimmt. Das Gehäuse besteht aus Boden- und Kappenteil und besitzt Halterungen, mit denen die Leiterplattem und Formkörper im Inneren des Gehäuses ortsfest gehaltert werden.
2. Gegen die Zulässigkeit des geltenden Patentanspruchs 1 bestehen keine Bedenken. Er ist gedeckt durch die erteilte Fassung der Ansprüche 1 und 5 sowie durch die Beschreibung Spalte 5 Zeilen 17 bis 23 der Streitpatentschrift und ergibt sich als Erfindung in gleicher Weise aus den ursprünglichen Anmeldeunterlagen. Gegenteiliges hat auch die Einsprechende nicht geltend gemacht.
3. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist neu, im Stand der Technik findet sich kein Klemmengehäuse mit allen Anspruchsmerkmalen. Er beruht zudem auf erfinderischer Tätigkeit, weil es sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
Aus den Druckschriften [1] bis [4] Ñ in Übereinstimmung mit dem Muster, das die Patentinhaberin selbst in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat Ñ ist eine einschlägige Reihe von Klemmengehäusen bekannt, die in den Schriften mit LDG und den Nummern A-12, A-14, A-16, A-30 bezeichnet sind. Alle diese Gehäuse haben jeweils an der Unterseite einen Falz zur Anbringung an einer Montage-Schiene (bspw. Druckschrift 1 Seite 5 re Spalte iVm der Zeichnung Seite 6 li oben oder desgl. Seiten 9 und 10), einander gegenüberliegende parallele Anschlußseiten und eine Stirnseite, von der aus die Klemmen bedient werden können. Im Inneren des Gehäuses befindet sich jeweils eine Leiterplatte, hier "Längsplatine" genannt, die durch entsprechende Rippen der Gehäuseinnenseiten gehalten wird (vgl. aaO die jeweils zugehörige Grundrißzeichnung). Die oberen Gehäuseecken werden von einem die Schraubklemmen halternden, isolierenden Kunststoff-Formteil gebildet, das eine Anlagefläche für die Platine besitzt, wobei die Klemmen mit im rechten Winkel abstehenden Stiften ("Print-Klemmstift") die Verbindung zur Platine herstellen, in der sie verlötet werden können. Die zu klemmenden Drähte werden von den Anschlußseiten aus in die Klemmöffnungen gesteckt und von der "Bedienseite" her durch die in Löchern versenkten Schrauben fixiert. Für den Fachmann ist dabei selbstverständlich, daß diese Klemmengehäuse für Schaltschränke im Niederspannungsbereich, insbesondere zur Aufnahme von Relais und dergl. verwendet werden und somit in gleicher Weise wie der Patentgegenstand, bei dem ebenfalls ein "Schalter" nicht ausdrücklich ausgewiesen ist, als "Niederspannungsschaltgerät" anzusehen sind.
Dieser Stand der Technik, bspw. das Klemmenghäuse LDG-A-12, erfüllt somit die Merkmale 1, 1.2 und 1.4 bis 1.6 des geltenden Patentanspruchs 1.
Als Überschuß über den Stand der Technik verbleiben Teile der Merkmalsgruppen 1.1, 1.3 und 1.7, nämlich - daß das Gehäuse zweiteilig mit Bodenund Kappenteil ausgebildet ist,
- daß der die Klemmen enthaltende Formkörper in der Anlagefläche für die Platine einen Vorsprung aufweist, der an der Leiterplatte stirnseitig anliegt,
- daß der Formkörper in dem Gehäuse ortsfest gehaltert ist.
Der Stand der Technik gibt keinen Anlaß, von der dort gewählten Lösung abzuweichen, derzufolge der Klemmen-Formköper in Ausnehmungen der Gehäusewand des im wesentlichen einteiligen Gehäuses eingesetzt ist und nicht zuletzt zu dessen Versteifung beiträgt. Selbst wenn der Fachmann hiervon abgehen und den Formkörper ins Innere des Gehäuses verlegen wollte, wird er eher versuchen, entsprechende Widerlager an der Wandinnenseite anzubringen; er wird jedenfalls nicht ohne weiteres auf die Idee verfallen, den Klemmen-Formkörper ausgerechnet an der Leiterplatte abzustützen, die im Hinblick auf Schraubklemmen, in der Drähte mit beträchtlicher Andruckkraft verklemmt werden, als vergleichsweise empfindlich und weniger belastbar anzusehen ist.
Die bei den bekannten Klemmengehäusen vorhandene Querplatine erfüllt andere Funktionen. Sie ist allenfalls als Querversteifung zwischen den beiderseitigen Klemmen-Formteilen geeignet, nicht aber als Mittel zur Krafteinleitung der beim Verschrauben auftretenden Kräfte in die Längsplatine tauglich; einer derartigen Abstützung an der Platine bedarf es beim Stand der Technik nicht, weil hier die Gehäusewandung, an der sich das Formteil abstützt, solche vom Schraubendreher beim Verklemmen ausgeübten Kräfte unmittelbar aufnimmt.
Es trifft auch nicht zu, daß - wie die Einsprechende meint - der Anspruchswortlaut den Sachverhalt nicht hinreichend wiedergibt, denn im Kontext der Merkmale erschließt sich für den Fachmann zweifelsfrei, daß die Platine mitsamt dem daran befestigten Klemmen-Formteil im Inneren des aus Boden- und Kappenteil bestehenden Gehäuses angeordnet ist, und das Klemmenformteil somit nicht wie beim Stand der Technik einen Teil der Gehäusewand bilden kann.
4. Die im Erteilungsverfahren genannten Druckschriften liegen nach Überzeugung des Senats noch weiter ab. Ihre Überprüfung hat ergeben, daß sie den Patentgegenstand ebenfalls nicht nahelegen können. Gegenteiliges hat auch die Einsprechende nicht geltend gemacht. Bei der geschilderten Sachlage erübrigt es sich außerdem, auf die Hilfsanträge näher einzugehen.
5. Aus den dargelegten Gründen ist das zweifellos gewerblich anwendbare Niederspannungsschaltgerät nach Patentanspruch 1 des Hauptantrags patentfähig. Vom gewährbaren Patentanspruch 1 werden auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 13 mitgetragen, die nichttriviale Weiterbildungen des im Anspruch 1 beanspruchten Gegenstandes betreffen.
Grimm Greis Püschel Schusterprö
BPatG:
Beschluss v. 19.07.2001
Az: 17 W (pat) 34/00
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