Bundespatentgericht:
Beschluss vom 7. November 2000
Aktenzeichen: 17 W (pat) 29/99

(BPatG: Beschluss v. 07.11.2000, Az.: 17 W (pat) 29/99)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I Die vorliegende Patentanmeldung ist beim Deutschen Patentamt unter der Bezeichnung:

"Reduktionsverfahren für Simulationen zur Wissensdatenerzeugung"

angemeldet worden.

Sie wurde von der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts mit Beschluß vom 28. Juni 1999 mit der Begründung zurückgewiesen, daß dem Patentbegehren der technische Charakter fehle.

Die Anmelderin verfolgt die Anmeldung auf der Grundlage von nebengeordneten Patentansprüchen 1 und 14 nach Hauptantrag, eingegangen am 11. August 1999, hilfsweise auf der Grundlage von nebengeordneten Patentansprüchen 1 und 13 nach Hilfsantrag, ebenfalls eingegangen am 11. August 1999, weiter.

Der Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag - mit einer möglichen Gliederung versehen - lautet:

"Verfahren zur automatischen Reduzierung der Anzahl der erforderlichen Simulationsschritte in einem Simulationsverfahren zur rechnergesteuerten Erzeugung von Wissensdaten über ein aus mehreren elektrisch ansteuerbaren Bauteilen bestehendes Gesamtsystem mit den Schrittena) Zerlegen der elektrisch ansteuerbaren Bauteile in Komponenten, die eine oder mehrere Grundbausteine umfassenb) Erfassen der elektrischen Verbindungen zwischen den Grundbausteinen und zwischen den Komponenten unter Nutzung von in datenverarbeitungstechnischer Form vorhandener Informationen über das Gesamtsystemc) Speichern der ermittelten Komponenten, Grundbausteine und elektrischen Verbindungend) Zuordnen von diskreten elektrischen Zustandswerten zu den Grundbausteinen unter Nutzung von in datenverarbeitungstechnischer Form vorhandener Informationene) Definieren der Betriebszustände und der möglichen Komponentenzustände der einzelnen Komponenten in Relation zu den elektrischen Zustandswerten der zu einer Komponente gehörenden Grundbausteine undf) Wiederholtes Anwenden von Reduktionsoperationen auf die Grundbausteine mit ihren Verbindungen untereinander solange, bis keine Reduktionsoperation mehr anwendbar ist."

Der nebengeordnete Patentanspruch 14 gemäß dem Hauptantrag der Anmelderin - mit einer möglichen Gliederung versehen - lautet:

"Rechner zur Durchführung eines Verfahrens zur automatischen Reduzierung der Anzahl der erforderlichen Simulationsschritte in einem Simulationsverfahren zur rechnergesteuerten Erzeugung von Wissensdaten über ein aus mehreren elektrisch ansteuerbaren Bauteilen bestehendes Gesamtsystem, enthaltend:

a) Mittel zum Zerlegen der elektrisch ansteuerbaren Bauteile in Komponenten, die eine oder mehrere Grundbausteine umfassenb) Mittel zum Erfassen der elektrischen Verbindungen zwischen den Grundbausteinen und zwischen den Komponenten unter Nutzung von in datenverarbeitungstechnischer Form vorhandener Informationen über das Gesamtsystemc) Mittel zum Speichern der ermittelten Komponenten, Grundbausteine und elektrischen Verbindungend) Mittel zum Zuordnen von diskreten elektrischen Zustandswerten zu den Grundbausteinen unter Nutzung von in datenverarbeitungstechnischer Form vorhandener Informationene) Mittel zum Definieren der Betriebszustände und der möglichen Komponentenzustände der einzelnen Komponenten in Relation zu den elektrischen Zustandswerten der zu einer Komponente gehörenden Grundbausteine undf) Mittel zum wiederholten Anwenden von Reduktionsoperationen auf die Grundbausteine mit ihren Verbindungen untereinander solange, bis keine Reduktionsoperation mehr anwendbar ist."

Der Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach dem Hauptantrag nur hinsichtlich des Merkmals f), das hier lautet:

"Wiederholtes Anwenden von Serien- und/oder Parallel- und/ oder Stern-Vieleck-Reduktionsoperationen auf die Grundbausteine mit ihren Verbindungen untereinander solange, bis keine Reduktionsoperation mehr anwendbar ist."

Der nebengeordnete Patentanspruch 13 nach dem Hilfsantrag unterscheidet sich vom Patentanspruch 14 nach dem Hauptantrag nur hinsichtlich des Merkmals f), das hier lautet:

"Mittel zum wiederholten Anwenden von Serien- und/oder Parallel- und/oder Stern-Vieleck-Reduktionsoperationen auf die Grundbausteine mit ihren Verbindungen untereinander solange, bis keine Reduktionsoperation mehr anwendbar ist."

Wegen der übrigen Patentansprüche wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Die Anmelderin trägt vor, daß aus mehreren elektrischen Bauteilen bestehende Gesamtsysteme, zB die elektrische Ausstattung eines Kraftfahrzeugs, nur dann in kurzer Zeit zur Produktreife gebracht werden könnten, wenn rechnergestützte Simulationen durchgeführt würden. Nur so ließen sich vor Erstellung des realen Systems Wissensdaten gewinnen, die Aufschluß über das Verhalten des Gesamtsystems gäben, bspw bei Auftreten von Fehlern.

Die Rechenzeit für die Ausführung der Simulation sei jedoch so hoch, daß sie praktisch nicht durchführbar sei. Mit dem vorgeschlagenen Verfahren hingegen werde die Rechenzeit auf eine vertretbare Zeitspanne verkürzt. Hierfür würden die einzelnen Bauteile und Komponenten in Grundbausteine zerlegt und zusammen mit den dazwischenliegenden Verbindungen erfaßt und gespeichert. Bei der Simulation des Schaltungsverhaltens würden für die Grundbausteine in Abhängigkeit von den möglichen Betriebszuständen (zB Schalter geschlossen) und Komponentenzuständen (zB fehlerhaft) diskrete elektrische Zustandswerte berechnet. Die entscheidende Verkürzung der Rechenzeit für die Simulation der verschiedenen Betriebs- und Komponentenzustände werde dadurch erreicht, daß auf die Grundbausteine und die Verbindungen wiederholt Reduktionsoperationen angewandt würden.

In den Patentansprüchen nach dem Hilfsantrag seien diese Reduktionsoperationen genauer als Serien- und/oder Parallel- und Stern-Vieleck-Reduktionsoperationen spezifiziert.

Dem Verfahren und dem Rechner zur Durchführung des Verfahrens müsse mit Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des BGH auch technischer Charakter zugestanden werden. Nachdem keine der entgegengehaltenen Druckschriften das beanspruchte Verfahren und den danach arbeitenden Rechner nahelege, sei deren Patentfähigkeit anzuerkennen.

Die Anmelderin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 25 nach Hauptantrag, eingegangen am 11. August 1999, Beschreibung Seiten 3, 3a, 8 bis 11, eingegangen am 29. Januar 1998, sowie ursprünglich eingereichte Seiten 1, 2, 4 bis 7, 12 bis 18, 12 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 11 c, eingegangen am 29. Januar 1998, hilfsweise mit den am 11. August 1999 eingereichten Patentansprüchen 1 bis 23 nach Hilfsantrag, übrige Unterlagen wie Hauptantrag.

II Die in rechter Frist und Form erhobene Beschwerde ist zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg, da das Verfahren und der Rechner zur Durchführung des Verfahrens nach dem Hauptantrag und dem Hilfsantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und daher nicht patentfähig sind (§§ 1 und 4 PatG).

Zum Patentanspruch 1 gemäß dem Hauptantrag:

a) Der Patentanspruch 1 bezieht sich auf ein Simulationsverfahren zur rechnergesteuerten Erzeugung von Wissensdaten über ein aus mehreren elektrisch ansteuerbaren Bauteilen bestehendes Gesamtsystem.

Aus dem Umstand, daß das Verfahren rechnergesteuert sein soll, entnimmt der Fachmann, daß das Verfahren die Arbeitsweise eines Rechners angibt.

Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH kommt einer Datenverarbeitungsanlage, "die in bestimmter Weise programmtechnisch eingerichtet ist", dh einer Datenverarbeitungsanlage, die durch das Laden eines beliebigen Programmes mit der Fähigkeit ausgestattet wurde, ein bestimmtes Arbeitsverfahren auszuführen, ohne weiteres technischer Charakter zu (vgl BlPMZ 2000, 276 - Sprachanalyseeinrichtung). Ob nicht von daher auch dem von einer Datenverarbeitungsanlage tatsächlich ausgeführten Arbeitsverfahren - ohne weitere Betrachtung der Natur des Arbeitsverfahrens bzw Programms - generell technischer Charakter zuzubilligen wäre, zumal es letztlich der Anmelder durch die Art der Formulierung seines Anspruchs als Vorrichtung (Datenverarbeitungsanlage) in der Hand hat, den technischen Charakter herzustellen, kann hier dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls ist das vorliegende Verfahren durch eine auf technische Überlegungen beruhende Erkenntnis und deren Umsetzung geprägt. Damit kann ihm der technische Charakter gemäß der BGH-Entscheidung "Logikverifikation" (BlPMZ 2000, 273) nicht abgesprochen werden.

b) Das Verfahren zur Wissensaquisition bei komplexen technischen Systemen nach dem Patentanspruch 1 ist dem Fachmann jedoch aus dem Stand der Technik nahegelegt.

Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Ausführungen in dem Fachaufsatz:

C. Weisgang und G. Vollmar: "Modellbasierte Wissensaquisition bei komplexen technischen Systemen - dargestellt am Beispiel der Kraftwerksführung", veröffentlicht in VDI Berichte Nr. 903, 1991, S 111 bis 124.

Dieser Aufsatz gibt dem mit der rechnergesteuerten Erzeugung von Wissensdaten über ein elektrisches Gesamtsystem befaßten Fachmann, einem Elektroingenieur, der langjährig auf dem Gebiet des rechnergestützten Entwurfs und der Fehlerdiagnose von elektrischen Schaltungen tätig ist, zunächst den Hinweis, daß technische Anlagen eine Komplexität erreichen können, die exakte Aussagen über das Systemverhalten in ungewöhnlichen Situationen, zB in Störfällen, sehr schwer machen. Um dennoch eine Vorhersage des Verhaltens von komplexen Systemen treffen zu können, wird eine modellbasierte Wissensaquisition vorgeschlagen. Bei dieser Art der Wissensaquisition wird von einem Strukturmodell des technischen Systems ausgegangen, in dem die Komponenten und Subsysteme beschrieben sind. Die Beschreibung des Systems soll einfach zu finden sein, da die notwendige Information gut dokumentiert in Konstruktionszeichnungen oder in einem zentralen Datenmodell zur Verfügung steht (vgl insb S 116, Abs 4 bis S 118 Abs 5).

Folgt der Fachmann den Ausführungen in diesem Aufsatz, so wird er zunächst ein Strukturmodell des elektrischen Systems aufstellen. Dabei geht er aufgrund seines Fachwissens davon aus, daß die Struktur von elektrischen Schaltungen aus einzelnen Bauteilen und Verbindungen besteht, wobei die komplexeren Bauteile, zB Relais oder Steuerungen, für sich in Komponenten oder Grundbausteine (Widerstände, Schalter oä) zu zerlegen sind, um ihre interne Struktur wiederzugeben. Zweckmäßigerweise nutzt der Fachmann hierzu die bereits vorhandenen, für den Entwurf oder die Fertigung erstellten Unterlagen, zB die in datenverarbeitungstechnisch verarbeitbarer Form vorliegenden Schaltpläne oder Verdrahtungslisten. Nachdem das Verfahren die Wissensdaten rechnergesteuert erzeugen soll, ist es für den Fachmann selbstverständlich, daß das Strukturmodell zu speichern ist, üblicherweise als Datensatz auf einem Speichermedium.

Die Zerlegung, Erfassung und Speicherung nach den Merkmalen a) b) und c) des Anspruchs 1 ist sonach durch diesen Aufsatz angeregt.

Das so geschaffene Strukturmodell des Gesamtsystems wird dazu verwendet, Wissensdaten über das elektrische Gesamtsystem zu erzeugen, bspw darüber, wie sich das System bei den möglichen regulären Betriebszuständen (zB Zündschalter geschlossen) und bei möglicherweise auftretenden Fehlern (zB fehlerhafter Kontakt) einer Komponente verhält. Dazu wird das dem Fachmann geläufige Mittel der Simulation verwendet, dh es werden unter Benutzung des Strukturmodells die Betriebs- und Fehlerzustände berechnet, über die Wissen erlangt werden soll.

Daß hierzu eine Vorgabe der Betriebszustände und Komponentenzustände (fehlerfrei/fehlerhaft) erfolgen muß, um die sich jeweils ergebenden diskreten elektrischen Zustandswerte (zB Spannungen) für die Grundbausteine und damit das Gesamtsystem berechnen zu können, liegt für den Fachmann auf der Hand. Denn ohne die Vorgabe einer bestimmten Betriebs- oder Fehlersituation können keine "Wissensdaten" dh die daraus resultierenden Schaltungszustände berechnet bzw simuliert werden (vgl Merkmale d) und e) des Anspruchs 1).

Ausgehend hiervon ist die eigentliche Aufgabe des Anmeldungsgegenstandes darin zu sehen, die Zeitspanne für die Ausführung der Simulation zu reduzieren. Wie die Anmelderin darlegt, ergeben sich für die Ausführung der erforderlichen Simulationsläufe ohne weitere Maßnahmen Zeitenspannen im Jahresbereich.

Eine solche Situation ist für den Fachmann nicht vertretbar. Er sinnt deshalb auf Abhilfe. Dabei wird er in Betracht ziehen, daß die in datenverarbeitungstechnischer Form vorhandenen Informationen über das elektrische Gesamtsystem auch Informationen enthalten, die für die Gewinnung von Wissensdaten unerheblich sind, bspw Umlenkpunkte für die Verdrahtung oder Anschlußpunkte an Steckern, die ohne Einfluß auf die elektrischen Funktionen sind.

Dieses Wissen legt es dem Fachmann nahe, entsprechend Merkmal f) solange Reduktionen am Schaltungsstrukturmodell vorzunehmen, bis keine Vereinfachungen mehr möglich sind.

Das Verfahren gemäß dem Patentanspruch 1 nach dem Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.

Zum Patentanspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag:

Diese Anspruchsfassung unterscheidet sich von der des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag dadurch, daß die allgemein genannten Reduktionsoperationen als Serien- und/oder Parallel- und/oder Stern-Vieleck-Reduktionsoperationen spezifiziert sind.

Die Anwendung der genannten Reduktionsoperationen zur Vereinfachung der Schaltungsstruktur lag für den Fachmann nahe. Denn es ist dem Bereich der üblichen Tätigkeit eines Fachmanns für den Entwurf von elektrischen Schaltungen zuzurechnen, äquivalente Umformungen von Schaltungen vorzunehmen, um Schaltungsentwürfe zu vereinfachen. Dabei ist die Kenntnis der im Anspruch genannten und in den Figuren 9 bis 11 dargestellten Reduktionsoperationen dem Grundlagenwissen eines auf dem Gebiet der Schaltungstechnik tätigen Fachmanns zuzurechnen.

Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag beruht daher nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Zum Patentanspruch 14 nach Hauptantrag:

Dieser Anspruch bezieht sich auf einen Rechner zur Durchführung des im Anspruch 1 nach dem Hauptantrag angegebenen Verfahrens. In den Merkmalen a) bis f) sind Mittel genannt, die die in den entsprechenden Merkmalen a) bis f) des Anspruchs 1 genannten Verfahrensschritte ausführen sollen.

Eine besondere Ausgestaltung dieser Mittel ist nicht ersichtlich, so daß die Eigenart des beanspruchten Rechners darin zu sehen ist, das Verfahren nach dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag rechnergesteuert auszuführen. Wie bereits zum Anspruch 1 dargelegt, beruht jedoch die Ausführung des Verfahrens zur Erzeugung von Wissensdaten für sich nicht auf erfinderischer Tätigkeit; es bedurfte sonach auch keiner erfinderischen Leistung, einen üblichen Rechner danach zu betreiben.

Zum Patentanspruch 13 nach Hilfsantrag:

Dieser Anspruch bezieht sich ebenfalls auf einen Rechner zur Durchführung des im Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag angegebenen Verfahrens. In den Merkmalen a) bis f) sind die Mittel genannt, die die in den Merkmalen a) bis f) des Anspruchs 1 genannten Verfahrensschritte ausführen sollen.

Eine besondere Ausgestaltung dieser Mittel ist nicht ersichtlich, so daß auch hier die Eigenart des beanspruchten Rechners darin zu sehen ist, das Verfahren nach dem Anspruch 1 auszuführen. Eine solche Ausführung des Verfahrens durch einen Rechner beruht jedoch, wie zum Anspruch 1 nach Hilfsantrag dargelegt, nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Bei dieser Sachlage war weder dem Hauptantrag noch dem Hilfsantrag der Anmelderin zu folgen.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Grimm Bertl Prasch Püschel Fa






BPatG:
Beschluss v. 07.11.2000
Az: 17 W (pat) 29/99


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